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OWi I: BVerfG zum Zugang zu Informationen außerhalb der OWi-Akte, oder: Wie gehen die Gerichte damit um?

entnommen wikimedia.org
Urheber Jepessen

Heute dann ein OWi_Tag.

Und zunächst noch einmal der BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18, über den ich ja unter: Sondermeldung zum OWiG: BVerfG hebt OLG Bamberg auf, oder: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen der Rohmessdaten, berichtet habe. Heute will ich dann zunächst einige Entscheidungen vorstellen, die sich bereits mit diesem Beschluss befasst haben, und zwar:

Ich komme dann auch noch einmal zurück auf den im BayObLG, Beschl. v. 04.01.2020- 2021 ObOWi 1532/20, den ich ja bereits hier vorgestellt hatte (OWi I: Das BayObLG antwortet dem BVerfG wegen der Rohmessdaten, oder: Ein bisschen “Mia san mia”). Das BayObLG hat sich dem BVerfG angeschlossen, allerdings nur teilweise. Es bejaht jetzt ebenfalls einen Anspruch des Betroffenen auf Zugang zu nicht bei der Bußgeldakte befindlicher, aber bei der Verfolgungsbehörde vorhandener und zum Zwecke der Ermittlungen entstandener bestimmter Informationen, wie z.B. der sog. ‚Rohmessdaten“. Durch die bloße Versagung der Einsichtnahme bzw. die Ablehnung der Überlassung von nicht zu den Bußgeldakten gelangter sog. „Rohmessdaten“ werde aber das rechtliche Gehör des Betroffenen (Art. 103 Abs. 1 GG) regelmäßig nicht verletzt (so schon BayObLG DAR 2020, 235). Verneint wird auch weiterhin ein Anspruch des Betroffenen und seiner Verteidigung auf Einsichtnahme und Überlassung der (digitalen) Daten der gesamten Messreihe (so in der Vergangenheit OLG Zweibrücken zfs 2020, 413 und Beschl. v. 27.10.2020 – 1 OWi 2 SsBs 103/20).

„Gemeldet“ hat sich dann auch das OLG Zweibrücken  mit dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 07.01.2021 – 1 OWi 2 SsBs 98/20). Das hat auf die Verfahrensrüge ein amtsgerichtliches Urteil wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgehoben. Das OLG weist daraufhin, dass das AG auf den Hinweis der Verteidigung, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung immer noch keine Einsicht in die Aufbauanleitung des Enforcement Trailers erhalten zu haben, dem gleichzeitig gestellten Aussetzungsantrag hätte stattgeben müssen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz1 MRK spreche dem Betroffenen das Recht zu, dass auf seinen Antrag hin auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Unterlagen, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, durch die Verwaltungsbehörde zur Verfügung zu stellen sind (vgl. eben BVerfG, Beschl. v. 12.11.20 – 2 BvR 1616/18 und einige OLG, aber schon aus der Zeit vor 2 Bvr 1616/18). Insoweit bringt die Entscheidung also nichts Neues.

Das AG St. Ingbert meint dann im AG St. Ingbert, Urt. v. 13.01.2021 – 23 OWi 68 Js 1367/20 (2105/20), der Entscheidung des BVerfG sei nicht zu entnehmen, dass Messungen und Messergebnisse nicht verwertet werden dürfen, wenn nach dem Messvorgang geräteintern (Roh-)Messdaten nicht abgespeichert werden. Im Gegenteil sei aus dem Postulat der „Waffengleichheit“ zwischen Verfolgungsbehörde und Betroffenem zu folgern, dass ein Betroffener nur die Daten herausverlangen kann, die auch bei der Verfolgungsbehörde vorhanden sind und dieser einen Informationsvorteil verschaffen könnten. Zudem erscheine es im Hinblick auf betreffende Stellungnahmen der PTB zweifelhaft, ob sog. Rohmessdaten (überhaupt) geeignet seien, dem Betroffenen zu ermöglichen, eine Messung im Nachhinein zu überprüfen oder auch nur zu plausibilisieren, und eine „Waffengleichheit“ zwischen Betroffenem und Verwaltungsbehörde herzustellen, erscheint.

Ob das mit der Rechtsprechung des BVerfG übereinstimmt möchte ich dann doch bezweifeln (s. unten). Aber die Entscheidung überrascht mich von dem AG nicht. Ich verweise dazu nur auf das AG St. Ingbert, Urt. v. 10.11.2020 – 23 OWi 62 Js 1144/20 (2176/20) (dazu: OWi II: “…. Verteidigerbüros … überfluten mit ausufernden Schriftsätzen, oder: Angefressen?). das ist wohl wirklich jemand angefressen.

Schließlich hat auch das OVG Münster  im OVG Münster, Beschl. v. 04.01.2021 – 8 B 1781/20),  schon zur Frage der Auswirkungen der BVerfG-Entscheidung Stellung genommen, und zwar in Zusammenhang mit einer Fahrtenbuchauflage. Der Betroffene hatte die Unverwertbarkeit der der Anordnung der Fahrtbuchauflage zugrunde liegenden Messungen geltend gemacht. Das OVG meint, dass die auch nach den Ausführungen des BVerfG nicht schon allein deshalb unverwertbar seien, weil dem Betroffenen die Rohmessdaten nicht zur Verfügung stehen. Bei standardisierten Messverfahren hätten die Rohmessdaten nicht schlechthin Bedeutung für die Feststellung des Verkehrsverstoßes, sondern erst dann und nur insoweit, als entweder die Behörde oder das Gericht Zweifel an der Geschwindigkeitsmessung haben, zu deren Klärung sie auf Rohmessdaten zurückgreifen müssen, oder soweit der Betroffene die Rohmessdaten für die Beurteilung des Tatvorwurfs für bedeutsam halten dürfe und er die Verfahrensrelevanz dieser Daten durch einen entsprechenden Verteidigungsansatz herstelle.

Fazit bisher: Die Instanzrechtsprechung bewegt sich ein bisschen, aber auch nicht mehr und auch nicht mehr als sie muss. Dass sich bei den Akten oder bei der Verwaltungsbehörde befindende Unterlagen herausgeben werden müssen, ist nach der Entscheidung aus Karlsruhe selbstverständlich. Aber die Forderung aus Karlsruhe geht m.E. darüber hinaus. Es kommt nicht darauf an, ob die Gerichte oder die Verwaltungsbehörde die herausverlangten Daten als erforderlich für eine Überprüfung ansehen. Das obliegt, so ausdrücklich, das BVerfG dem Betroffenen und seinem Verteidiger. An der Stelle wird sich also noch einiges bewegen müssen, wie überhaupt die Frage der Rohmessdaten weiterhin spannend bleibt. Denn nicht abschließend geklärt ist, ob eine Messung verwertbar ist, wenn es keine Rohmessdaten gibt. Jedenfalls kann man sich, wenn man den Informationsanspruch, den das BVerfG manifestiert hat, ernst nimmt, nicht auf die PTB zurückziehen. Die ist Partei 🙂 .

OWi III: Beschlussverfahren, oder: War der Widerspruch gegen das Beschlussverfahren rechtzeitig?

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Und die dritte und letzte Entscheidung des Tages kommt auch aus Bayern. Im BayObLG, Beschl. v. 10.11.2020 – 201 ObOWi 1369/20 – geht es mal wieder um das Beschlussverfahren (§ 72 OWiG), und zwar um den richtigen Zeitpunkt.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Urteil verurteilt. Der Betroffene macht dagegen geltend, die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung hätten nicht vorgelegen, da er einem solchen Verfahren rechtzeitig widersprochen habe. Das BayObLG sieht das auch so:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Nr. 5 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat – zumindest vorläufig – Erfolg. Die in noch zulässiger Weise angebrachte Rüge, das Amtsgericht habe durch Beschluss entschieden, obwohl der Betroffene diesem Verfahren rechtzeitig widersprochen habe, (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG), trifft zu. Das Amtsgericht hat ohne Hauptverhandlung entschieden, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für das Beschlussverfahren nicht vorgelegen haben.

1. Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG kann das Gericht, wenn es eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluss entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Allerdings hatte der Betroffene bereits mit Einlegung des Einspruchs durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 07.01.2020 einer Entscheidung im Beschlusswege ausdrücklich widersprochen. Die von dem Amtsgericht gewählte Verfahrensart verstößt damit gegen § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG, sodass die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben kann.

2. Der Betroffene musste auf die Verfügung des Amtsgerichts vom 07.07.2020 auch nicht erneut widersprechen. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung wird ein bereits vor dem Hinweis nach § 72 Abs.1 Satz 2 OWiG ausdrücklich oder schlüssig erklärter Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung nicht dadurch gegenstandslos, dass der Betroffene auf den späteren Hinweis schweigt oder die ausdrückliche Anfrage des Gerichts, ob dem schriftlichen Verfahren widersprochen werde, unbeantwortet lässt (vgl. u.a. OLG Bremen Beschl. v. 04.09.2014 – 1 SsBs 42/14 = BeckRS 2014, 23000; OLG Hamm, Beschl. v. 10.06.2013 – 1 RBs 57/13 = ZfSch 2013, 653; OLG Schleswig, Beschl. v. 09.02.2004 – 1 Ss OWi 26/04 = NJW 2004, 3133 = StraFo 2004, 390 = NZV 2005, 110 = NStZ 2004, 701; OLG Jena, Beschl. v. 20.01.2006 – 1 Ss 298/05 = VRS 111, 143; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.03.1989 – 1 Ss 42/89 = VRS 76 [1989], 449 = MDR 1989, 936 = ZfSch 1990, 324 sowie BayObLG, Beschl. v. 27.07.1994 – 2 ObOWi 351/94 = BayObLGSt 1994, 128 = NZV 1994, 492 = VRS 88 [1995], 61). Insbesondere kann der Widerspruch auch bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde – etwa mit dem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid – wirksam erklärt werden, wobei er seine Sperrwirkung gegen das schriftliche Verfahren erst mit Eingang bei Gericht entfaltet (OLG Bremen a.a.O.).

3. Auch die Tatsache, dass sich der Betroffene persönlich nach Fassung des Beschlusses vom 30.07.2020, der am 31.07.2020 hinausgegeben wurde, mit am 31.07.2020 eingegangenem Schreiben mit der Entscheidung im Beschlussverfahren einverstanden erklärt hat, ändert nichts an der Unzulässigkeit der Entscheidung im Beschlusswege. Zwar verzichtet der Widerspruchsberechtigte mit Rücknahme des Widerspruchs auf das Widerspruchsrecht. Die Rücknahme ist auch an keine Form und Frist gebunden. Allerdings ist die Rücknahme nach Beschlussfassung wirkungslos.

Das Amtsgericht hätte somit nicht ohne mündliche Hauptverhandlung entscheiden dürfen.“

OWi II: Ablehnung eines Beweisantrages ohne Begründung, oder: Das geht auch in Bayern nicht

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Die zweite Entscheidung kommt aus Bayern, und zwar vom BayObLG. Dort hatte der Betroffene gegen seineVerurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geltend gemacht, dass das AG einen Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne Begründung abgelehnt hat. Die GStA fand das wohl nicht so schlimm und hatte beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet zu verwerfen. Das BayObLG meint hingegen im BayObLG, Beschl. v. 04.12.2020 – 201 ObOWi 1471/20 -, dass das selbst in bayern 🙂 nicht geht:

„1. Der Verfahrensrüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der Verteidiger beantragte in der Hauptverhandlung vom 17.07.2020 nach Angaben des Verteidigers zur Fahrereigenschaft sowie Vernehmung des Messbeamten als Zeugen die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass die vorliegende Messung nicht den Vorgaben der Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts ESO 3.0 genügt und daher nicht verwertbar ist. Das Fahrzeug des Betroffenen habe sich fast die ganze Fahrzeuglänge vor der Fotolinie befunden, hätte sich aber nach der Bedienungsanleitung auf Höhe der markierten Fotolinie befinden müssen. Das Amtsgericht lehnte diesen Beweisantrag ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 17.07.2020 per Beschluss mit dem Wortlaut „Der Antrag wird zurückgewiesen.“ ab. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, dass der Beweisantrag aufgrund der Aussage des Messbeamten gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zu-rückgewiesen werden konnte. Den Beweisantrag hatte der Verteidiger dem Amtsgericht zusätzlich bereits einen Tag vor der Hauptverhandlung schriftsätzlich übermittelt.

2. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags er-weist sich als begründet, weil die gerichtliche Ablehnungsentscheidung rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Die Ablehnung unbedingter Beweisanträge darf nicht den Urteilsgründen überlassen werden. Die Ablehnung eines Beweisantrags hat gemäß § 71 Abs. 1 OWiG, § 244 Abs. 6 StPO durch einen noch vor Schluss der Beweisaufnahme mit Gründen zu versehenen und mit diesen gemäß § 273 Abs. 1 StPO zu protokollierenden Gerichtsbeschluss zu erfolgen (BGHSt 40, 287, 288; OLG Köln, Beschl. v. 30.01.1970 – 1 Ws [OWi] 9/70 = BeckRs 9998, 109184; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 63. Aufl. § 244 Rn. 82 m.w.N.; Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 77 Rn. 23). Die Begründung soll den Antragsteller davon in Kenntnis setzen, wie das Gericht seinen Antrag beurteilt. Er soll dadurch in die Lage versetzt werden, sein weiteres Verteidigungs- bzw. Prozessverhalten auf die neue Verfahrenssituation rechtzeitig einzustellen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 04.12.2006 – 3 Ss OWi 1614/06 [unveröffentlicht]). Hier liegt überhaupt keine Begründung der Ablehnung vor, es wurde lediglich der Antrag „zurückgewiesen“. Die willkürliche Ablehnung eines Beweisantrags, also die Ablehnung eines Beweisantrags ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückzuführende Begründung, die unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist, verletzt aber das rechtliche Gehör (BVerfG NJW 1992, 2811). Daran ändert auch die nachträgliche Begründung der Ablehnung des Beweisantrags im Urteil nichts. Denn daraus kann nicht geschlossen werden, aus welchen Gründen der Beweisantrag in der Hauptverhandlung abgelehnt worden ist.“

OWi III: Fahrverbot nach Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, oder: Verwertung von Vorahndungen?

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Und als dritte und letzte OWi-Entscheidung des Tages dann der BayObLG, Beschl. v. 16.11.2020 – 201 ObOWi 1375/20 – zu einer Fahrverbotsfrage, nämlich zur Zulässigkeit der Verwertung von vor Neuerteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzter bußgeldrechtlicher Vorahndungen auch im Hinblick auf § 4 Abs. 3 StVO.

Das BayObLG meint: Das geht bzw. die Verwertung ist zulässig.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG hindert die Verwertung der vor einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis begangenen Ordnungswidrigkeiten im Bußgeldverfahren nicht. Eintragungen im Fahreignungs-register, die zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 StVG führen können, ge-hören nicht zu den Sanktionen, die das Gesetz als Folge der Begehung einer Ordnungswidrig-keit vorsieht (Anschl. an OLG Bamberg, Beschl. v. 29.07.2015 – 2 Ss OWi 727/15 = DAR 2015, 656 = NStZ 2016, 162 = NZV 2016, 292).

  1. Eine noch nicht rechtskräftige Ahndung wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit kann im Rahmen der Beurteilung, ob eine nicht durch den Regelfall des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV indi-zierte Beharrlichkeit vorliegt, auch dann berücksichtigt werden, wenn dem Betroffenen das Unrecht der früheren Tat auf andere Weise bewusst geworden war (u.a. Anschl. an: OLG Bamberg, Beschl. v. 22.07.2016 – 3 Ss OWi 804/16 bei juris; OLG Düsseldorf NZV 1998, 292). Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn der Betroffene von deren Verfolgung durch die polizeiliche Anhaltung unmittelbar nach der Messung, dem nachweislichen Erhalt eines Anhörungsbogens oder die Zustellung eines Bußgeldbescheides bereits Kenntnis erlangt hatte.

Rechtsmittel I: Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts, oder: Deal oder No-Deal?

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Heute, am letzten vollständigen/“richtigen“ Arbeitstag des Jahres stelle ich dann noch einmal drei Entscheidungen vor, die sich mit Fragen aus dem Rechtsmittelbereich befassen.

Zunächst kommt das der BayObLG, Beschl. v. 02.12.2020 – 202 StRR 105/20 -, der auch gestern ganz gut zu den StPO-Entscheidungen zur Verständigung gepasst hätte. Im Streit ist/war die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts. Nach dem vom BayObLG mitgeteilten Sachverhalt ergab sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, “ dass der Instanzverteidiger – nach Rücksprache mit dem Angeklagten und in dessen Anwesenheit – im Anschluss an die Verkündung des Berufungsurteils und nach Rechtsmittelbelehrung erklärt [hat]: “Wir nehmen das Urteil an und verzichten auf Rechtsmittel.“ Die Erklärung wurde gemäß § 273 Abs. 3 StPO vorgelesen und genehmigt. Außerdem ergibt sich aus dem Protokoll, dass diese Erklärung vom Dolmetscher vor der Genehmigung übersetzt wurde.“

Das BayObLG hat den Rechtsmittelverzicht als wirksam angesehen:

„c) Gründe, die ausnahmsweise zur Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts des Angeklagten führen könnten, liegen nicht vor.

aa) Eine die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO hindernde Verständigung nach § 257c StPO erfolgte ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht. Darin ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO ausdrücklich vermerkt, dass Verständigungsgespräche und damit eine Verständigung nach § 257c StPO nicht stattgefunden haben. Diese Feststellung zählt zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 274 Satz 1 StPO und nimmt an der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls teil (BGH, Beschl. v. 24.07.2019 – 3 StR 214/19 a.a.O.).

bb) Auch ist von einer ebenso wirkenden informellen Verständigung nicht auszugehen, wenngleich der Angeklagte in seinem Schreiben vom 17.07.2020 geltend macht, das Gericht habe ihm „einen Deal für die 8 Fälle, daß die eingestellt werden und er die Halbstrafe“ […]; er sei auf den „Deal“. Dieser Vortrag ist nicht nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll, sondern auch durch die dienstliche Äußerung des Vorsitzenden Richters der Berufungskammer vom 21.07.2020, der weder der Angeklagte noch dessen Verteidiger entgegengetreten sind, widerlegt. Hiernach hat der Vorsitzende zwar unter Hinweis auf die gegebenenfalls strafmildernde Wirkung die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch angeregt, das Ersuchen der Verteidigung, eine Prognose hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Strafe zu äußern, jedoch explizit abgelehnt. Der bloße Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses stellt – ebenso wie eine hier ohnehin nicht erfolgte Offenlegung der voraussichtlichen Straferwartung – keine (informelle) Verständigung dar (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 = BVerfGE 133, 168; BGH, Beschl. v. 09.10.2019 – 1 StR 545/18 = NStZ 2020, 237 = NZWiSt 2020, 188).“