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StPO II: Unentschuldigtes Ausbleiben in Berufungs-HV, oder: Das 1 x 1 der Revisionsbegründung

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Und dann stelle ich als zweite Entscheidung den BayObLG, Beschl. v. 05.04.2023 – 203 StRR 95/23 – vor. Es geht um die ausreichende Begründung der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) in den Fällen der Berufungsverwerfung des Angeklagten (§ 329 Abs. 1 StPO) wegen unentschuldigten Ausbleibens im HV-Termin.

Hier hatte der Angeklagte als Entschuldigungwohl eine Erkrankung geltend gemacht. Aber nicht ausreichend, denn seine Revision hatte keinen Erfolg:

„I. Die Verfahrensrüge der Verletzung von § 329 StPO erweist sich als unzulässig.

1. Die Verwerfung der Berufung nach § 329 StPO in der Berufungsinstanz setzt voraus, dass das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Angeklagte selbst entschuldigt hat. Es genügt vielmehr, dass eine beim Vorhandensein von Anhaltspunkten von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Angeklagten genügend entschuldigt ist (BGHSt 17, 391 zitiert nach juris Rn. 15; KK-Paul, 9. Aufl., § 329 Rn. 7 ff., 14 m.w.N.). Liegen in der Berufungshauptverhandlung Anhaltspunkte für einen Entschuldigungsgrund vor, hat das Gericht im Freibeweis zu prüfen, ob er zutrifft (BGHSt 17, 391; BayObLG, Beschluss vom 31. März 2020 – 202 StRR 29/20 –, juris Rn. 9; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2000 – 5 StRR 259/00 –, juris Rn. 9) und das Ergebnis der Abklärung im Urteil darzulegen. Etwa vorgebrachte Entschuldigungsgründe und sonstige als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen müssen in den Urteilsgründen wiedergegeben und gewürdigt werden (OLG Dresden, Beschluss vom 31. Januar 2019 – 2 OLG 22 Ss 699/18 –, juris Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Februar 1999 – 2 Ss 121/99 –, juris Rn. 15 m.w.N.). Das folgt schon daraus, dass das Revisionsgericht bei der Prüfung der Frage, ob das Berufungsgericht die in § 329 StPO enthaltenen Rechtsbegriffe verkannt hat, an die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Verwerfungsurteil gebunden ist. Es darf sie weder in Frage stellen noch im Freibeweisverfahren ergänzen (BGHSt 28, 384).

Eine Erkrankung entschuldigt das Ausbleiben des Angeklagten bereits dann, wenn ihm nach der Art und den Auswirkungen seiner Krankheit die Fahrt zum Verhandlungsort und die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zumutbar sind; des Nachweises einer Verhandlungsunfähigkeit bedarf es nicht (BayObLG, Beschluss vom 31. März 2020 – 202 StRR 29/20 –, juris Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 6. November 2002 – 5 StRR 279/02 –, juris Rn. 5; OLG München, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17 –, juris Rn. 13 m.w.N.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. Januar 2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 586/21 –, juris Rn. 17 m.w.N. zu § 74 Abs. 2 OWiG; KK-Paul a.a.O. Rn. 10 m.w.N.).

Ein ärztliches Attest, das ohne Diagnose lediglich eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, wäre in der Berufungshauptverhandlung nicht ungeeignet, einen Anhalt für eine Entschuldigung zu erbringen (OLG München, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17 –, juris Rn. 16; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2013 – 3 Ss 20/13 –, juris Rn. 10; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 1 Ss 372/06 –, juris Rn. 12 zu § 74 Abs. 2 OWiG; KK-Paul a.a.O. Rn. 9). Auch könnte bereits die bloße Mitteilung der Erkrankung im Einzelfall die gerichtliche Aufklärungspflicht auslösen (OLG Dresden, Beschluss vom 31. Januar 2019 – 2 OLG 22 Ss 699/18 –, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2013 – 3 Ss 20/13 –, juris Rn. 9).

2. In der Revision hingegen ist die Frage, ob der Angeklagte unentschuldigt im Sinne von § 329 StPO gefehlt hat, so dass das Gericht seine Berufung ohne weiteres verwerfen durfte, also ob der Tatrichter den Begriff der Entschuldigung zutreffend angewandt oder verkannt hat und ob er der Art und den Auswirkungen der Erkrankung weiter nachgehen musste, nicht von Amts wegen zu prüfen, sondern nur auf eine zulässig erhobene Verfahrensrüge (BayObLG, Urteil vom 25. Oktober 2022 – 206 StRR 286/22 –, juris, Rn. 8 m.w.N.; BGHSt 17, 391 zitiert nach juris Rn. 15; KK-Paul, a.a.O. Rn. 7 ff., 14 m.w.N.). Da dem Revisionsgericht eigene Feststellungen verwehrt sind, ist grundsätzlich erforderlich, alle den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen gemäß § 344 Abs. 2 StPO so vollständig und genau mitzuteilen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (st. Rspr. vgl. Nachweise bei KK-Gericke a.a.O. § 344 Rn. 39; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 329 Rn. 95; Quentin in MüKoStPO, 1. Aufl. 2016, § 329 Rn. 100 ff.). Danach gilt:

Will die Revision im Falle einer Erkrankung des Angeklagten eine unrichtige Beurteilung der Entschuldigung geltend machen, hat sie den Entschuldigungsgrund der Erkrankung so hinreichend darzulegen, dass dem Revisionsgericht allein aufgrund des Vorbringens die Bewertung einer Krankheit als Entschuldigungsgrund ermöglicht wird. Dazu ist die Art der Erkrankung unter Angabe der Symptomatik in der Rechtfertigungsschrift detailliert darzustellen (BayObLG, Urteil vom 25. Oktober 2022 – 206 StRR 286/22 –, juris Rn. 11; OLG Hamm, Beschluss vom 23. August 2012 – III-3 RBs 170/12 –, juris Rn. 13 zu § 74 Abs. 2 OWiG; im Erg. auch KG Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 – (4) 1 Ss 31/02 (15/02) –, juris Rn. 3). Ein Vortrag zur Erkrankung in einer gesonderten Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags genügt, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, diesen Vorgaben nicht. Der Inhalt der erst nach dem Erlass des landgerichtlichen Verwerfungsurteils im weiteren Verlauf des Verfahrens im Rahmen des Begründungsschriftsatzes zum Wiedereinsetzungsantrag vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 12. Dezember 2022 hat daher in der Revision außer Betracht zu bleiben (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 14. Januar 2009 – 2 Ss OWi 1623/08 –, juris Rn. 17 zur Rechtsbeschwerde).

Will die Revision die Verletzung der Aufklärungspflicht rügen und beanstanden, dass das Berufungsgericht trotz vorliegender Anhaltspunkte für einen bestimmten Entschuldigungssachverhalt diesem nicht in dem gebotenen Maße nachgegangen ist und die Aufklärung das Vorliegen eines genügenden Entschuldigungsgrundes ergeben hätte, ist  darzulegen, welcher konkrete Umstand aufgeklärt werden sollte, welches Beweismittel benutzt werden sollte, warum sich diese Aufklärung aufdrängte und was sie zugunsten des Beschwerdeführers ergeben hätte (Schlothauer/Weider/Wollschläger, Verteidigung im Revisionsverfahren, 3. Aufl. 2018, 3. Rn. 2377; Gössel a.a.O. § 329 Rn. 95).

3. Die Verfahrensrüge, die sich hier darauf beschränkt, das Landgericht hätte die Berufung des Angeklagten trotz seines Ausbleibens im Termin zur Berufungshauptverhandlung nicht nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verwerfen dürfen, genügt diesen Anforderungen nicht. Denn der Angeklagte behauptet zwar eine Verhandlungsunfähigkeit, legt zur Begründung seines Rechtsmittels jedoch lediglich eine nachträglich beigebrachte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Diagnose G 43.9 vor. Der Revisionsschrift lässt sich weder das genaue Ausmaß der körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung entnehmen noch behauptet der Beschwerdeführer, dass dem Tatrichter am Tage der Hauptverhandlung eine Anknüpfungstatsache für eine Klärung des Zustands des Angeklagten zur Verfügung gestanden hätte (vgl. KK-Paul a.a.O. Rn. 9; KG Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 – (4) 1 Ss 31/02 (15/02) –, juris). Auf welcher Grundlage der Tatrichter den Begriff der Entschuldigung verkannt haben könnte, erschließt sich aus dem Vortrag daher nicht. Dem Senat ist damit die Prüfung, ob die Fahrt zum Verhandlungsort und die Teilnahme an der Hauptverhandlung nach der Art und den Auswirkungen der Krankheit nicht zumutbar waren, nicht eröffnet.“

Ziemlich viel, was das BayObLG da schreibt. Aber: Es fasst damit noch einmal schon zusammen, auf was es ankommt. Das ist/war allerdings nichts Neues. So dass mich – mal wieder – wundert, dass der Verteidiger diese Vorgaben nicht präsent hatte. Das ist nun wirklich das 1 x 1 bei der Verfahrensrüge.

Vollzug II: Anspruch auf Eigengeldauszahlung, oder: Wenn das gesamte Vermögen bar verwahrt wird

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Die zweite Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 03.01.2023 – 203 StObWs 412/22 – gehört für mich in die Rubrik: Was es nicht alles gibt. Denn der Beschluss hat einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt, und zwarI.

„Der im April 2021 verstorbene, von den drei Antragstellerinnen beerbte Erblasser war in den Jahren 2013 und 2019 bis 2020 mehrmals kurzzeitig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bamberg inhaftiert. Beim Zugang am 4. März 2013 zahlte der Erblasser, der nach dem Vortrag der Antragstellerinnen über kein Konto verfügte und sein gesamtes Vermögen in bar verwahrte, nach der von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellten Darstellung des Antragsgegners bei der JVA Bamberg einen Betrag von 10.465,75 Euro in bar ein; das Guthaben wurde einen Tag später auf dem Gefangenengeldkonto gutgeschrieben. Nach seiner Entlassung verweigerte er es, den Empfang des verbleibenden Betrages von 8.557,25 Euro zu quittieren, woraufhin ihm der Geldbetrag nicht ausgehändigt wurde (Anlage B 4). Einer anschließenden schriftlichen Aufforderung, ein Konto zu benennen oder das Geld abzuholen, kam er nicht nach (Anlage B 5). Anlässlich des Zugangs am 1. August 2013 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlte er bei der JVA Bamberg auf das Gefangenengeldkonto einen Bargeldbetrag in Höhe von 125.105,13 Euro ein, der am Folgetag als Guthaben des Strafgefangenen gebucht wurde. Nach seiner Entlassung am 7. August 2013 nahm der Gefangene das verbleibende Geld in Höhe von 121.781,63 Euro nicht an sich, woraufhin ein Mitarbeiter der JVA unterschriftlich auf einem Ausdruck mit der Bezeichnung „Kontenabschluss“ vermerkte: „Geld wurde von Herrn A… nicht mitgenommen. Geld wieder auf Konto gutgeschrieben“ (Anlage B 8). Am 28. Oktober 2013 löste die JVA ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Erblasser das interne Gefangenenkonto auf und zahlte das Eigengeld des Erblassers in Höhe von 130.338.88 Euro bei der Landesjustizkasse Bamberg zur Verwahrung ein (Anlagen B 7, B 9). Anlässlich eines Zugangs am 13. Mai 2019 zahlte der Erblasser bei der JVA Bamberg einen Betrag von 22,70 Euro ein, nach der Unterbrechung der Vollstreckung wurde das Guthaben am 4. November 2019 ebenfalls bei der Landesjustizkasse gebucht. Das bei einer weiteren Inhaftierung im Jahr 2019 einbezahlte Gefangenengeld wurde dem Erblasser bei seiner Entlassung am 10. Januar 2020 in bar ausgehändigt, bei seiner letzten Inhaftierung im Jahr 2020 zahlte er kein Bargeld ein.

Nach dem Tod ihres Vaters baten die drei mit Erbschein ausgewiesenen Miterbinnen in einem an die JVA Bamberg gerichteten Schreiben vom 15. Juni 2021 um Prüfung, ob noch Forderungen gegen den Freistaat bestünden. Daraufhin teilte die JVA Bamberg den drei Miterbinnen mit Schreiben vom 7. September 2021 mit, dass aus den Inhaftierungen des Erblassers im Jahre 2013 resultierend aus Bargeldeinzahlungen auf das Gefangenengeldkonto ursprünglich ein Betrag von 130.338,88 Euro offen gewesen, der Rückforderungsanspruch jedoch mittlerweile verjährt wäre; aus der Inhaftierung im Jahr 2019 bestünde noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 22,70 Euro. Die drei Miterbinnen traten dem entgegen und verlangten unter Vollmachtsanzeige mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2021 von der JVA nähere Auskünfte zu den Einzahlungen, den Verfügungen und dem Verbleib des Geldes sowie Einsicht in den Vollzugsplan. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 erteilte die JVA weitere Auskünfte zu den Vollzugszeiten, den Einzahlungen, den Buchungsvorgängen und den jeweiligen Guthaben des Erblassers und wiederholte ihre Rechtsansicht, dass bezüglich eines Betrages von 130.338,88 Euro zum Ende des Jahres 2016 Verjährung eingetreten sei. Daraufhin widersprach der anwaltliche Vertreter der Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf das Schreiben der JVA vom 25. Oktober 2021 mit Schreiben vom 2. November 2021 den Ausführungen zur Verjährung und forderte von der JVA Bamberg die Auszahlung des „Restbetrags“ unter Fristsetzung bis zum 15. November 2021. Nachdem die JVA auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, reichten die Miterbinnen mit anwaltlichem Schriftsatz am 21. Dezember 2021 Klage auf Zahlung von 130.338,88 Euro nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Landgericht Bamberg ein.

Das Landgericht Bamberg – 4. Zivilkammer – hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 12. August 2022 „den Antrag“ auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2021 wegen der Versäumung der Frist von § 112 StVollzG als unzulässig verworfen. Mit der Frage der Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befasst.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Rechtsbeschwerde und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von 130.338,88 Euro zu verpflichten, hilfsweise die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Zur Begründung führen sie an, dass §§ 109, 112 StVollzG nicht anwendbar und der auf sie übergegangene Anspruch auf die Zahlung des Eigengelds nicht verjährt sei. Zu den ursprünglich in der Klageschrift geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verhalten sie sich nicht ausdrücklich. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.“

Und: Die drei Damen hatten beim BayObLG Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Hat die Justizvollzugsanstalt auf eine Aufforderung des Berechtigten auf Auskunft über Eigengeld hin den Einwand der Verjährung erhoben, steht die Regelung von § 112 StVollzG einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs nicht entgegen.
  2. Dem Strafgefangenen steht ab dem Zeitpunkt der Gutschrift von Eigengeld gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu.
  3. Der Lauf der Fristen nach Art. 71 BayAGBGB und §§ 195, 199 BGB wird weder mit der Einzahlung noch mit der Entlassung aus der Haft, sondern gemäß § 695 S. 2 BGB analog mit einem Zahlungsverlangen des Berechtigten ausgelöst.

Wie gesagt: Was es nicht alles gibt. Und: Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

StGB II: Feststellungen bei der Trunkenheitsfahrt, oder: Keine Mindest-BAK, Ausfallerscheinungen reichen

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um das BayObLG, Urt. v. 13.02.2023 – 203 StRR 455/22 -, das sich noch einmal zu den erforderlichen Feststellungen bei dem Vorwurf einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) äußert. Das LG hatte den Angeklagten frei gesprochen. Das hat der GStA nicht gefallen, die Revision eingelegt hat. Dem BayObLG gefällt das LG-Urteil auch nicht. Es hat den Freispruch aufgehoben:

„… 2. Ob infolge Alkoholgenusses die Grenze zwischen Fahrtüchtigkeit und Fahruntüchtigkeit überschritten worden ist, stellt das Gericht in freier Beweiswürdigung fest. Ist es dem Tatrichter mangels (verwertbarer) Blutprobe, verlässlicher Erkenntnisse über das Trinkgeschehen oder „beweissicherer“ Atemtests nicht möglich, eine annähernd bestimmte Alkoholkonzentration festzustellen, scheidet die Annahme von alkoholbedingter Fahrunsicherheit gleichwohl nicht aus (König in LK StGB, 13. Aufl., § 316 Rn. 91, 96 f.; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 316 Rn. 30 ff.; Hecker in Schönke/ Schröder, StGB, 30. Aufl., § 316 Rn. 12; Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, StGB § 316 Rn. 19-20). Vielmehr besteht in der Rechtsprechung und der wissenschaftlichen Literatur weitgehend Übereinstimmung darüber, dass korrelierend zu einer rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit auch ohne die Feststellung oder die Berechnung einer Blutalkoholkonzentration nachgewiesen werden kann (vgl. etwa OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. August 1997 – 2 Ss 428/96 –, juris Rn. 11; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 4 Ss 581/2003 –, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 4. Februar 1999 – Ss 116/98 (11/99) –, juris, Rn. 6; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Oktober 1991 – 5 Ss 380/91 – 123/91 I –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 6. Juni 1984 – 1 Ws 405/84 –, juris, OLG Koblenz, Urteil vom 28. September 1989 – 1 Ss 310/89 –, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 15. Februar 1999 – 1 Ss 228/98 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 1 Ss 454/04 –, juris; König a.a.O.). Allerdings bedarf es aussagekräftiger Beweisanzeichen von hinreichender Überzeugungskraft, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers alkoholbedingt soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15-, juris, sowie die oben genannte obergerichtliche Rspr.). Unerlässlich für die richterliche Überzeugungsbildung ist die Feststellung einer – wenn auch nur geringen – Ausfallerscheinung, die durch die Aufnahme alkoholischer Getränke zumindest mitverursacht sein muss (BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris Rn. 8 BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 –, juris).

3. Des Nachweises einer bestimmten Mindest-Atemalkoholkonzentration oder einer Mindest-Blutalkoholkonzentration bedarf es jedoch nicht (OLG Hamm, Beschluss vom 23. September 2003 – 1 Ss 319/03 –, juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 1 Ss 454/04 –, juris Rn. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Oktober 1991 – 5 Ss 380/91 – 123/91 I –, juris Rn. 6 m.w.N.; wohl auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 4. Februar 1999 – Ss 116/98 (11/99) –, juris, Rn. 6; OLG Köln NZV 1989, 357, 358; König a.a.O. Rn. 93 ff.; Hecker a.a.O. Rn. 12; Fischer a.a.O. Rn. 31). Der Tatrichter hat vielmehr eine umfassende Würdigung aller Beweisanzeichen vorzunehmen.

a) Eine maßgebliche Rolle kommt der festgestellten Fahrweise zu (König a.a.O. Rn. 98 ff.; Hecker a.a.O. Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2022 – III-5 RVs 47/22 –, juris Rn. 9). Beachtlich ist ein Fahrfehler dann, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, der Fahrfehler wäre dem Angeklagten ohne alkoholische Beeinträchtigung nicht unterlaufen (BayObLG, NZV 1988, 110; OLG Köln, Beschluss vom 20. Dezember 1994 – Ss 559/94-, juris). Die theoretisch stets denkbare Möglichkeit, dass einem anderen Kraftfahrer ein Fahrversagen auch dann unterlaufen wäre, wenn er keinen oder nur unerhebliche Mengen Alkohol genossen hätte, schließt die Alkoholbedingtheit des Fehlers indes nicht aus (BGH, Urteil vom 11. September 1975 – 4 StR 409/75 –, juris Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2022 – III-5 RVs 47/22 –, juris Rn. 9; König a.a.O. Rn. 99, 102 ff.). Ein Beispiel für eine Fehlleistung mit hoher Aussagekraft in Richtung auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist etwa das Geradeausfahren in einer Kurve (König a.a.O. Rn. 102; Haffner/Erath/Kardatzki NZV 1995, 301, 303; OLG Dresden, Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 4 U 2144/21 –, juris Rn. 35 m.w.N.).

b) Befand sich der Täter – wie hier – auf der Flucht vor der Polizei, muss dies in die Beurteilung des Indizwertes seines Fahrverhaltens einbezogen werden. Dabei ist der Tatrichter jedoch nicht gehindert, auch bei einem Täter, der sich seiner Festnahme durch die Polizei entziehen will, in einer deutlich unsicheren, waghalsigen und fehlerhaften Fahrweise ein Beweisanzeichen für eine alkohol- oder rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit zu sehen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2000 – 4 StR 171/00-, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 03. Dezember 1996 – 5 Ss 325/96 – 92/96-, juris).

c) Die Ausfallerscheinung muss zudem nicht notwendig beim Fahren aufgetreten sein (König a.a.O. Rn. 114 m.w.N.; Hecker a.a.O. Rn. 12). Die Feststellung von Fahruntüchtigkeit setzt nicht stets das Vorliegen eines Fahrfehlers voraus; die Beeinträchtigung des psycho-physischen Leistungsvermögens kann sich vielmehr auch im Verhalten vor oder nach der Tat, insbesondere bei der Kontrolle, dokumentiert haben (BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 –, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2022 – III-5 RVs 47/22 –, juris Rn. 9). Anerkannte Anzeichen für fahrsicherheitsrelevante Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens außerhalb von Fahrfehlern sind etwa Beeinträchtigungen der Körperbeherrschung wie beispielsweise Stolpern oder Schwanken beim Gehen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris Rn. 9; KG Berlin, Beschluss vom 15. September 2011 – (3) 1 Ss 192/11 (73/11) –, juris Rn. 3; König a.a.O. Rn. 115; Hecker a.a.O. Rn. 12; BayObLG, Urteil vom 14. Februar 2005 – 1 StRR 188/04BayObLGSt 2004, 170, 171). Ein gewichtiges Beweisanzeichen kann auch eine lallende oder verwaschene Sprechweise sein (König a.a.O. Rn. 115; Hecker a.a.O. Rn. 12; BayObLG a.a.O.), wobei aber insoweit präzise Feststellungen notwendig sind (BayObLG, Beschluss vom 9. Mai 1988 – RReg 1 St 17/88 –, juris Rn. 15).

d) Bestehen Anhaltspunkte für eine Ausfallerscheinung, kann auch dem Ergebnis einer nicht „beweissicheren“ Atemalkoholanalyse bei der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte alkoholbedingt relativ fahruntüchtig war, eine Indizwirkung zukommen (OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. August 1997 – 2 Ss 428/96 –, juris Rn. 13; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 4 Ss 581/2003 –, juris Rn. 7; Burmann a.a.O. Rn. 19a). Anerkanntermaßen liefert nämlich die Atemalkoholkonzentration einen Hinweis auf die alkoholische Beeinflussung des Probanden (BayObLG NZV 2000, 295, 296), auch wenn jedem Atemalkoholkonzentrationswert eine gewisse „Bandbreite“ von Blutalkoholkonzentrationswerten entsprechen kann (BGHSt 46, 358; BayObLG a.a.O.).

e) Die Beweiswürdigung, ob eine Fahruntüchtigkeit vorlag, ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16-, juris m.w.N.). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel überwunden hätte. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Dies gilt auch dann, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14-, juris). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.

aa) Dazu muss die Begründung so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen hat der Tatrichter in der Regel nach dem Tatvorwurf zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen zum objektiven Tatgeschehen feststellen, die er für erwiesen erachtet, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite nicht getroffen werden konnten (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Februar 2020 – 4 StR 568/19-, juris m.w.N.).

bb) Ein Rechtsfehler in der Beweiswürdigung liegt etwa vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14-, juris). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen ( st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2020 – 2 StR 326/19 –, juris; BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08-, juris m.w.N.). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit, sondern es genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2020 – 2 StR 326/19 –, juris; Urteil vom 29. Oktober 2003 – 5 StR 358/03-, juris Rn. 9 m.w.N.; vom 14. September 2017 – 4 StR 45/17-, juris Rn. 14). Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16-, juris Rn. 26 m.w.N.).

4. Die Ausführungen des Landgerichts werden bereits den Anforderungen nicht gerecht, die die höchstrichterliche Rechtsprechung nach § 267 Abs. 5 S. 1 StPO an ein freisprechendes Urteil stellt. Es fehlt an einer geschlossenen Darstellung des vom Landgericht festgestellten Sachverhalts. Ein Ausnahmefall, dass Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen in Gänze nicht möglich sind, liegt hier ersichtlich nicht vor.

5. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist gemessen an den oben dargestellten Vorgaben mehrere durchgreifende Rechtsfehler auf.

a) Als unzutreffend erweist sich bereits nach dem oben Dargestellten die Annahme des Landgerichts, die Verurteilung des Angeklagten setze den sicheren Nachweis einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,3 ‰ voraus. Denn wenn der Tatrichter keine bestimmte Blutalkoholkonzentration festzustellen vermag, wäre eine Überzeugungsbildung, es habe eine solche von mindestens 0,3 ‰ und nicht lediglich eine solche von 0,299 ‰ vorgelegen, nicht begründbar (so zutreffend König a.a.O. Rn. 93a).

b) Die Beweiswürdigung weist zudem Lücken auf………“

Den Rest der – wie immer beim BayObLG – sehr umfangreichen Gründe bitte im verlinkten Volltext selbst lesen.

StGB I: Zulassung des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, oder: Delegation der Halterprüfpflichten auf Bauleiter

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In die 24. KW. starte ich dann mit zwei verkehrsrechtlichen Entscheidungen, die beide vom BayObLG stammen.

Zunächst stelle ich den BayObLG, Beschl. v. 07.11.2022 – 203 StRR 420/22 – vor. Der nimmt Stellung zu den Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG). Das AG hatte den Angeklagten wegen fahrlässigen Zulassens des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen die Sprungrevision, die Erfolg hatte:

„1.Nach § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StVG macht sich strafbar, wer fahrlässig als Halter eines Kraftfahrzeugs anordnet oder zulässt, dass jemand das Fahrzeug führt, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat. Halter ist, wer das Fahrzeug auf eigene Rechnung gebraucht und wer tatsächlich, vornehmlich wirtschaftlich, über die Fahrzeugbenutzung (als Gefahrenquelle) so verfügen kann, dass es dem Wesen der Veranlasserhaftung entspricht (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. September 2004 – 2 Ss 133/04 (111/04) –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 25. Juli 2017 – (6) 121 Ss 91/17 (32/17) –, juris). Halter sind auch Unternehmen, wenn sie Firmenfahrzeuge auf eigene Rechnung in Gebrauch haben, den Nutzen der Verwendung erhalten und die Kosten der Fahrzeugnutzung tragen. Ist die Halterin eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, treffen die Halterpflichten nach § 14 Abs. 1 StGB grundsätzlich deren Vertreter.

2. An die Sorgfaltspflicht des Halters sind zwar strenge Anforderungen zu stellen (BGHSt 24, 352), sie dürfen aber auch nicht überspannt werden (BayObLG, Urteil vom 15. Oktober 1982 – RReg 1 St 257/82 –, juris; BayObLG, Beschluss vom 19. April 1996 – 2 St RR 53/96 –, juris; Weidig in MüKo zum StVR, 1. Aufl., § 21 StVG Rn. 26). Die Pflichtverletzung muss zudem für den Verstoß kausal sein (OLG Köln, Beschluss vom 31. März 1989 – Ss 138/89 –, juris).

3. Überlässt der Halter einem anderen ein Fahrzeug, hat er grundsätzlich vor der Fahrzeugüberlassung zu überprüfen, ob die Person, der das Fahrzeug überlassen wird, im Besitz der dazu erforderlichen Fahrerlaubnis ist. Der Halter muss sich dazu in der Regel vom Fahrer den Originalführerschein vorlegen lassen, wenn er nicht sicher weiß, dass der andere eine Fahrerlaubnis besitzt (BGH VRS 34, 354; KG Berlin, Beschluss vom 16. September 2005 – (3) 1 Ss 340/05 (86/05) –, juris Rn. 7; König in Hentschel/König/Dauer, StVR, 45. Aufl. § 21 StVG Rn. 12 m.w.N.; Mielchen/Meyer DAR 2008, 5 ff., 7; Schäler DAR 2013, 235, 236). Er hat die Führerscheinklasse und eine etwaige Gültigkeitsdauer zu beachten. Mit einer ihm unverständlichen fremdsprachigen „Bescheinigung“ darf er sich nicht begnügen (KG VRS 45, 60). Der Umstand, dass ein EU-Bürger ein Führerscheindokument eines EU-Mitgliedstaates vorlegt, begründet für den Halter jedoch keine Pflicht, weitere Nachprüfungen bei der Fahrerlaubnisbehörde oder der Polizei zu veranlassen (König a.a.O. Rn. 12; überholt insoweit die Anmahnung von Skepsis durch Mielchen/Meyer a.a.O. S. 7). Denn ein Führerschein aus einem Mitgliedstaat der EU oder Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bleibt in der Regel auch nach Wohnsitznahme in der Bundesrepublik gültig (vgl. § 28 Abs. 1 FeV).

4. Die Pflicht, sich vor der Überlassung des Fahrzeugs den Führerschein zeigen zu lassen, besteht auch in einem bestehenden Arbeitsverhältnis (Schäler a.a.O. S. 235; Mielchen/Meyer a.a.O. S. 5 ff.). Wie jeder Halter darf auch der Arbeitgeber die Halterpflichten delegieren (Petri, Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl. Abschn. E IV Rn. 22; Mielchen/Meyer a.a.O. S. 8; vgl. § 14 Abs. 2 StGB). Eine wirksame Delegation bewirkt, dass anstelle des Halters derjenige strafrechtlich verantwortlich ist, der von diesem zur Leitung mit entsprechender Personal- und Führungsverantwortung bestimmt wurde (König a.a.O. Rn. 14; zu einem Fall der Delegation vgl. OLG Zweibrücken ZfSch 2021, 107). Eine wirksame Delegation setzt allerdings die Geeignetheit der mit der Aufgabe betrauten Person voraus. Der Betriebsinhaber hat darauf zu achten und sich davon zu vergewissern, dass er eine sorgfältige und zuverlässige Person mit der Aufgabe der Führerscheinkontrolle beauftragt, da andernfalls die Verantwortung nicht wirksam übertragen ist oder wieder zurückfällt (BayObLG VRS 66, 287; OLG Düsseldorf VRS 72, 118; OLG Koblenz VRS 65, 457; Mielchen/Meyer a.a.O. S. 8). Den Beauftragten treffen im Fall der Delegation keine weitergehenden Pflichten als den Halter selbst.

5. Gemessen daran tragen die Feststellungen des Amtsgerichts die Verurteilung des Angeklagten nicht.

Im einzelnen:

a) Der Senat entnimmt den insoweit noch ausreichenden Ausführungen des Amtsgerichts, dass der Tatrichter auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten und der von ihm als glaubhaft erachteten Aussagen der Zeugen zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Angeklagte als Geschäftsführer eines in D. ansässigen, bundesweit tätigen Bauunternehmens mit etwa 400 bis 600 Angestellten die jeweiligen Bauleiter, so auch den Zeugen D. in N., beauftragt hatte, selbstständig den jeweiligen Fuhrpark der Firma vor Ort zu verwalten und eigenverantwortlich zu entscheiden, welchem Mitarbeiter ein Fahrzeug überlassen werden durfte. Die Bauleiter waren angewiesen, dazu eine Kontrolle des Führerscheins vorzunehmen. Der gesondert verfolgte V.., ein Mitarbeiter des Unternehmens, zeigte dem Zeugen D. ein rumänisches Identitätsdokument und einen der Erinnerung des Zeugen D. nach in P. ausgestellten Führerschein vor und erhielt daraufhin von ihm einen Firmen-PKW ausgehändigt, den er am 17. Dezember 2021 in N. führte. Eine polizeiliche Führerscheinabfrage ergab, dass dem Fahrer in Europa keine Fahrerlaubnis ausgestellt worden war. Der von ihm vorgezeigte Führerschein wurde im Verfahren nicht sichergestellt. Das Amtsgericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme von einer Fälschung ausgegangen, die der Zeuge D. nicht erkannt hatte.

b) Nach diesen Feststellungen ist der Angeklagte ohne weiteres vom Vorwurf des fahrlässigen Zulassens des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis freizusprechen. Denn der Angeklagte hatte die originär ihm als Geschäftsführer der Halterin obliegende Pflicht, sich mittels einer Sichtprüfung des Originalführerscheins darüber zu vergewissern, dass jeder Fahrzeugnutzer im Besitz einer zum Führen des Fahrzeugs erforderlichen gültigen Fahrerlaubnis ist, noch vor der Überlassung des Fahrzeugs an den gesondert verfolgten V. wirksam auf den Zeugen D. delegiert. Die Übertragung der Halterpflichten bewirkte, dass der Angeklagte insoweit von seiner eigenen Kontrollpflicht befreit worden ist.

aa) Gegen die Zulässigkeit der Delegation der Halterpflichten an einen Bauleiter bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bei der beauftragten Person handelte es sich um den vor Ort für die Baustelle und den Fuhrpark Verantwortlichen. Als Vorgesetzter des gesondert verfolgten V. war der Zeuge D. zudem diesem gegenüber weisungsbefugt. Aufgrund dessen Führungsposition konnte der Angeklagte somit grundsätzlich dem Zeugen D. sowohl die Entscheidungskompetenz für die Überlassung der Fahrzeuge vor Ort wie auch die Halterpflichten übertragen.

bb) Für die Rechtswirksamkeit der Delegation bedurfte es hier nicht der vom Strafrichter vermissten Dokumentation der Anweisung. Dass der Angeklagte dem Zeugen D. eine Kontrolle des Führerscheins auferlegt hatte, hat das Amtsgericht festgestellt. Die Delegation als solche bedarf keiner besonderen Form, insbesondere keiner Schriftform. Sie kann sowohl einzelfallbezogen wie auch generell mündlich erfolgen. Eine Arbeitsplatzbeschreibung zu Dokumentationszwecken ist demnach keine zwingende Voraussetzung für die verbindliche Übertragung der Halterpflichten.

cc) Entgegen der Rechtsauffassung des Strafrichters war die Delegation der Halteraufgaben an den Bauleiter auch ohne die vorherige Vermittlung von rechtlichen Kenntnissen des deutschen und internationalen Fahrerlaubnisrechts und ohne Hinweise auf Fälschungsmerkmale von Führerscheindokumenten möglich. Welche Instruktionen geboten sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Der Gehalt der erforderlichen Weisungen hat sich maßgeblich an der Person des Beauftragten und der Art des Fahrzeugs zu orientieren. Innerhalb eines Unternehmens erachtet der Senat die Übertragung der Führerscheinkontrolle auf eine in das Unternehmen eingegliederte und mit Führungsaufgaben betraute Person in Form einer Anweisung, vor einer Überlassung eines Firmen-PKWs an einen unterstellten Mitarbeiter eine Sichtprüfung des Originalführerscheins vorzunehmen, verbunden mit der Entscheidungskompetenz, bei Zweifeln das Fahrzeug nicht auszuhändigen, für eine wirksame Delegation der Halterpflichten als ausreichend. Legt ein Beschäftigter seinem Vorgesetzten einen von einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein der entsprechenden Führerscheinklasse vor, darf dieser von einer ordnungsgemäß erteilten Fahrerlaubnis ausgehen (überholt Mielchen/Meyer a.a.O., S. 7). Dass diese gefälscht, ungültig oder die Fahrerlaubnis dem anderen inzwischen entzogen worden sein könnte, braucht er nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte in Rechnung zu stellen. Solange letzteres nicht der Fall ist, muss der Halter nicht prüfen, ob die Fahrerlaubnis des anderen tatsächlich erteilt wurde. Der Angeklagte war danach im vorliegenden Fall nicht gehalten, dem Zeugen D. für den Fall der Vorlage eines EU-Führerscheins durch einen Firmenmitarbeiter noch weitere, über die Sichtprüfung hinausgehende Vorgaben, etwa auf eine generelle Prüfung auf Fälschungsmerkmale, zu machen. Eine anlasslose Abklärung durch eine Polizei- oder Führerscheinbehörde ist bei einem EU-Dokument ebenfalls nicht veranlasst. Das gilt mit Blick auf den Schutz der Freizügigkeit auch, wenn Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und Ausstellerbehörde im EU-Inland auseinanderfallen. Den vom Amtsgericht im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Erfahrungssatz des Inhalts, dass in einem bestehenden Arbeitsverhältnis für den Fall der Vorlage eines in einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins oder für den Fall der Abweichung von Staatsangehörigkeit und Ausstellungsland eine gesteigerte Prüfungspflicht des Arbeitgebers bestünde, auf die der Angeklagte den Bauleiter im vorhinein hätte hinweisen müssen, gibt es danach nicht.

dd) Ein Ausnahmefall, dass die Verantwortlichkeit des Halters auf den Angeklagten zurückgefallen wäre, liegt hier nicht vor. Denn nach den Feststellungen des Amtsgerichts gibt es keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Delegation oder anschließend, jedenfalls vor dem 17. Dezember 2021, von einer Unzuverlässigkeit des Zeugen D. ausgehen musste. Vielmehr ist das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Zeuge D. den Führerschein des gesondert verfolgten V. vorlegen ließ und damit seiner – vom Halter übernommenen – Pflicht zur Sichtprüfung des Führerscheins vor der Überlassung des Fahrzeugs an den Fahrer auch nachgekommen war. Weitere Prüfungspflichten des Zeugen D. insbesondere auf den Ausschluss einer möglichen Fälschung des Dokuments bestanden nach dem oben Gesagten gerade mit Blick auf den Vertrauenstatbestand eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses des Fahrers nicht. Anhaltspunkte dafür, dass der dem Zeugen D. vorgezeigte – falsche – EU-Führerschein den gesondert verfolgten V. auch aus anderen Gründen als einer Fälschung nicht berechtigt hätte, den Firmen-PKW zu führen, sind nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht ersichtlich.

ee) Auch wenn der gesondert verfolgte V. dem Zeugen D. ein gefälschtes Dokument vorlegte, lässt dies die Wirksamkeit der Delegation der Halterpflichten auf den Zeugen D. somit unberührt. Darauf, ob der Bauleiter im Einzelfall die Fälschung hätte erkennen können, kommt es für die Frage der insoweit ex ante zu beurteilenden wirksamen Delegation der Halterpflichten entgegen der Rechtsansicht der Generalstaatsanwaltschaft nicht an…..“

OWi II: Zum Verfahrensrecht im Bußgeldverfahren, oder: Quer durch das OWiG

Und im zweiten Psting hier ein paar Entscheidungen zum Verfahrensrecht im Bußgeldverfahren, ein wenig „Ecken sauber machen“. 🙂 Vorgestellt werden aber jeweils nur die Leitsätze, und zwar:

Eine Vertretung des Betroffenen in der Hauptverhandlung im Sinne der § 73 Abs. 3, 79 Abs. 4 OWiG setzt den Nachweis der Vertretungsvollmacht voraus. Im Falle einer Untervertretung genügt es hierfür nicht, wenn zwar eine vom Wahlverteidiger dem Untervertreter erteilte Vollmacht zu den Akten gelangt ist, aber keine dem Wahlverteidiger erteilte Vertretungsvollmacht nachgewiesen ist.

1. Zur Beurteilung der Frage, ob bei der Verhängung mehrerer Geldbußen die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG überschritten ist, sind einzelne Geldbußen zu addieren, soweit sie wegen einer Tat im prozessualen Sinne gemäß § 264 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG verhängt wurden.

2. Kann aufgrund der unzulänglichen tatrichterlichen Feststellungen nicht beurteilt werden, um wie viele prozessuale Taten es sich bei den abgeurteilten Verstößen gegen das Steuerberatungsgesetz handelt, sind die verhängten Geldbußen für die Prüfung der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde zusammenzurechnen.

Das Verschlechterungsverbot hindert das neue Tatgericht im neuen Rechtsgang nicht an der Verurteilung wegen einer für den Betroffenen nachteiligen Schuldform (hier Vorsatz statt Fahrlässigkeit), wohl aber an der Verhängung einer gegenüber dem ersten Rechtsgang höheren Geldbuße.

1. Nach der unmissverständlichen Formulierung des § 79 Abs.1 Satz 2 OWiG ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde nur gegen Urteile möglich. Gegen nach § 72 OWiG erlassene Beschlüsse ist eine Zulassungsrechtsbeschwerde ausgeschlossen.

2. Gibt das Tatgericht dem Betroffenen unter Fristsetzung die Möglichkeit, rechtsfolgenmindernde Umstände nachzuweisen (hier: verkehrserzieherische Nachschulung), so stellt es eine Verletzung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 OWiG dar, wenn der nach § 72 OWiG ergehende Beschluss vor Fristablauf ergeht.

1. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht allein deshalb geboten, weil das angefochtene Urteil keine Urteilsgründe enthält, obwohl die Voraussetzungen des § 77b OWiG, unter denen von der Fertigung von Urteilsgründen abgesehen werden kann, nicht gegeben sind, da ggf. insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufweisen, die Zulassungsvoraussetzungen häufig auch ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden können.

2. Ist jedoch das Recht auf rechtliches Gehär des Betroffenen verletzt, ist die Rechtsbeschwerde ggf. zuzulassen.

So, Ecken sauber. Und das Bild mal nur so bzw.: Die o.a. Fragen sind alle auch in unserem OWi-Hnadbuch angesprochen. Zur <<Werbemodus an>> Bestellseite geht es hier. <<Werbemodus aus>>.