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Klima I: Festkleben auf Straßen zum Klimaschutz, oder: BayObLG sagt, das ist als Nötigung strafbar

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und dann auf in die 21. KW., und zwar mit „Klima-Entscheidungen“.

Zunächst stelle ich hier die nächste obergerichtliche Entscheidungen zur Frage der Rechtfertigung des Festklebens auf Straßen zum Klimaschutz vor. Zur Frage der Rechtfertigung hatte sich ja bereits vor einiger Zeit das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 – 2 Ss 91/22 – geäußert. Nun habe ich hier den BayObLG, Beschl. v. 21.04.2023 – 205 StRR 63/23.

Es handelt sich um einen „Normalfall“. Der Angeklagte hatte sich auf der Fahrbahn einer Straße in München mit Sekundenkleber festgeklebt und dadurch im Zusammenwirken mit weiteren Personen eine unbekannte, größere Anzahl von Autofahrern am Weiterfahren gehindet oder zur Umfahrung der blockierten Straße gezwungen. Das AG hat den Angeklagten wegen Nötigung schuldig gesprochen. Seine Revision dagegen blieb erfolglos:

„3. Die Sachrüge ist ebenfalls unbegründet. Die umfassende Nachprüfung des Urteils durch den Senat deckt aufgrund der erhobenen Sachrüge keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf:

a) Die Tat stellt in objektiver und subjektiver Hinsicht eine Nötigung im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB dar. Insoweit wird Bezug genommen auf die zutreffenden und nicht ergänzungsbedürftigen Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 20. März 2023, die von der Revision auch nicht in Frage gestellt werden.

b) Die Tat des Angeklagten ist verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB. Insoweit ist ergänzend zu den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu bemerken:

i) Die Tat des Angeklagten ist nicht gerechtfertigt:

(1) Gerechtfertigte Nötigungen können nicht verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB sein. Daher ist die Verwerflichkeit nur dann zu prüfen, wenn kein allgemeiner Rechtsfertigungsgrund eingreift (Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 240 Rn. 38a) (a) Die Tat des Angeklagten ist nicht nach Art. 20 Abs. 4 GG gerechtfertigt:

(i) Gemäß Art. 20 Abs. 4 GG haben alle Deutschen gegen jeden, der es unternimmt, die in Art. 20 GG niedergelegte Ordnung zu beseitigen, das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Das Widerstandsrecht kann gegen jeden ausgeübt werden, der es unternimmt diese Ordnung zu beseitigen (Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick GG Art. 20 Rn. 17). Andere Abhilfe darf jedoch nicht möglich sein. Diese als „Subsidiaritätsklausel“ verstandene Beschränkung gestaltet das Widerstandsrecht zu einem äußersten und letzten Notmittel. Hintergrund der Einschränkung ist das staatliche Gewaltmonopol als Grundpfeiler moderner Staatlichkeit. Die legitime Anwendung physischer Gewalt soll deshalb erst dann in private Hände gegeben werden, wenn der Staat die verfassungsmäßige Ordnung nicht hinreichend schützen kann. (Grzeszick a.a.O Rn. 23).

(ii) Letzteres ist jedenfalls nicht der Fall. Es liegt derzeit keine Konstellation vor, in der die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist und die staatlichen Organe, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr in der Lage sind, die verfasste Ordnung selbst hinreichend zu schützen. Vielmehr ist der Staat in seiner Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt. Anders als der Angeklagte hält die gesetzgeberische Mehrheit im Parlament, die vom Angeklagten gewünschten gesetzgeberischen Aktivitäten zumindest derzeit nicht für erforderlich. Auf der Grundlage der Überzeugungen des Angeklagten ließe sich die Situation schlagwortartig zusammenfassen: Der Staat kann zwar die verfasste Ordnung schützen; er ergreift aber nicht die vom Angeklagten für nötig erachteten Maßnahmen.

(iii) Daneben ist auch nicht erkennbar, dass der Angeklagte seine „Widerstandshandlung“ gegen denjenigen richtete, der es unternahm, die in Art. 20 GG niedergelegte Ordnung zu beseitigen. Nach Auffassung des Angeklagten stellt die Klimakrise eine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung dar. Dieser Gefahr werde mangels staatlicher Gegenmaßnahmen nicht entsprechend begegnet. Ausgehend vom Ansatzpunkt des Angeklagten kämen als Adressat seiner Widerstandshandlung daher nur die Regierung und die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften in Betracht. Gegen die konkret von seiner Tat betroffenen Autofahrer war daher schon aus diesem Grund kein „Widerstand“ nach Art. 20 GG zulässig.

(b) Die Tat des Angeklagten ist nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt:

(i) Voraussetzungen für das Eingreifen dieses Rechtfertigungsgrundes ist u.a. das Vorliegen einer Gefahr. Es muss also ein Zustand gegeben sein, in dem aufgrund tatsächlicher Umstände die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schädigenden Ereignisses besteht. Die Gefahr muss gegenwärtig sein. Dies ist dann der Fall, wenn bei natürlicher Weiterentwicklung der Dinge der Eintritt eines Schadens sicher oder doch höchstwahrscheinlich ist, falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden (Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 34 Rn. 4, 7 m.w. N.). Die bestehende Gefahr darf nicht anders abwendbar sein als durch die Begehung der Tat. Die Tat muss daher geeignet und erforderlich sein, die Gefahr abzuwenden. Es darf zudem kein weniger einschneidendes Abwendungsmittel zur Verfügung stehen (Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 34 Rn. 9; BeckOK StGB Momsen/Savic StGB § 34 Rn. 7; Rönnau in Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2019, vor §§ 32 StGB Rn. 134).

(ii) In der vorliegenden Sachverhaltskonstellation scheidet eine Rechtfertigung der Tat des Angeklagten bereits deshalb aus, weil ihm zum Erreichen seines Ziels mildere Mittel zur Verfügung standen und er nicht eine Straftat hätte begehen müssen. Als milderes Mittel zur Einwirkung auf den politischen Meinungsbildungsprozess hätte er beispielsweise hierauf bezogene Grundrechte, nämlich Art. 5 GG (Meinungsfreiheit), Art. 8 (Versammlungsfreiheit), Art. 17 GG (Petitionsrecht) ausüben, bzw. von der Möglichkeit des Art. 21 GG (Freiheit der Bildung politischer Parteien) Gebrauch machen können (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29 Juli 2022 – 2 Ss 91/22 – juris Rn. 11). Daneben stünde ihm auch noch der Weg offen, dass er und gegebenenfalls weitere Personen im direkten Gespräch oder über sonstige Kommunikationsmittel auf Mitglieder der Regierung und/oder der gesetzgebenden Körperschaften zur Erreichung ihrer Ziele einwirken. Da bereits das Vorhandensein von milderen Mitteln die Anwendbarkeit von § 34 StGB ausschließt, ist der Senat nicht gehalten, die Streitfrage, ob derartige Verkehrsblockaden als Teil eines komplexen und gegebenenfalls längerfristigen Vorgehens geeignet sind, die Gefahren, die sich aus der globalen Erwärmung ergeben können, zu beseitigen (vgl. bejahend MüKoStGB/Erb StGB § 34 Rn. 113; Bönte, HRRS 2021, 164, 168; verneinend: Zieschang in Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2019, § 34 StGB Rn 91; Schönke/Schröder/Perron, 30. Aufl. 2019, StGB § 34 Rn. 19).

(iii) Die Revision meint, im Einzelfall könne eine politisch motivierte Verkehrsblockade nach § 34 StGB gerechtfertigt sein.

1. Die Revision räumt ein, § 34 StGB könne grundsätzlich keine Gesetzesverletzungen rechtfertigen, die darauf angelegt seien, eigenmächtig Maßnahmen durchzusetzen, die einer Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers bedürften. Denn dies würde abschließende Verfahrensregelungen missachten, die Ausdruck des Mehrheitsprinzips seien. Anders sei dies aber angesichts des existentiellen Risikos der globalen Erwärmung zu sehen. Ähnlich wie in der „notwehrähnlichen Lage“ sei eine Rechtfertigung von vorbeugenden „Widerstandsmaßnahmen“ nach § 34 StGB nicht ausgeschlossen. Eine Straftat könne im Einzelfall nach § 34 StGB gerechtfertigt sein, wenn das Interesse an einer politischen Befassung mit der Gefahrenabwehr das Interesse an der Friedens- und Ordnungsfunktion des Rechts wesentlich überwiegt (RevBegr. S 17f i.V.m Bönte HRRS 2021, 164, 172; RevBegr. Anm. S. 3; Satzger/von Maltitz, ZStW 2021, 1, 31, die die Frage aufwerfen, ob angesichts der elementaren Bedeutung des Klimaschutzes Straftaten „im Namen des Klimaschutzes“ eine gesonderte Behandlung seitens der Rechtsordnung zugesprochen werden kann).

2. Die skizzierte Auffassung der Revision überzeugt nicht.

a) Es ist kein Bedürfnis erkennbar, praeter legem einen weiteren Rechtfertigungsgrund für Verkehrsblockaden zu schaffen, deren Sinn und Zweck es ist, mittelbar Druck auf den Gesetzgeber auszuüben. Wie bereits dargelegt, bestehen im demokratischen Rechtsstaat diverse Möglichkeiten effektiv auf die gesetzgeberischen Körperschaften einzuwirken, um diese zu den gewünschten Maßnahmen zu veranlassen [siehe oben: 3) b) i) (1) (b) (ii) = Seite 9]. Eine „notwehrähnliche“ Sachlage, die dazu drängt, auf den Gesetzgeber mittelbar durch die Begehung von Straftaten einzuwirken, besteht daher nicht. Deshalb ist die Anerkennung eines besonderen Rechtsfertigungsgrund für Taten der vorliegenden Art nicht angezeigt.

b) Mit § 34 StGB hat der Gesetzgeber einen Rechtfertigungsgrund geschaffen, der die Rechtswidrigkeit einer Straftat ausschließt, wenn jemand in einer gegenwärtigen Gefahr für ein Rechtsgut eine Straftat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Zusätzliche Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von § 34 StGB sind noch, dass die Gefahr für das Rechtsgut nicht anders abwendbar ist, dass die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden und dass bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Somit sieht die Rechtsordnung bereits positiv einen Rechtfertigungsgrund für Straftaten dann vor, wenn eine Abwägung der beteiligten Interessen erforderlich ist und diese ein wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses ergibt. Damit ist aber eine Situation der hier vorliegenden Art vom Gesetzgeber bereits abschließend geregelt. Eine auf den Einzelfall beschränkte Analogie zu § 34 StGB, die lediglich eine Interessenabwägung voraussetzt und auf die weiteren Anwendungsvoraussetzung von § 34 StGB verzichtet oder die Anerkennung eines selbständigen, neu zu schaffenden, Rechtfertigungsgrundes, bei dem es ausschließlich auf die Abwägung ankommt, verbietet sich daher.

c) Die Tat ist auch nicht, sofern man darin überhaupt einen Rechtfertigungsgrund sehen will, durch „zivilen Ungehorsam“ gerechtfertigt:

(i) Unter zivilem oder bürgerlichem Ungehorsam wird – im Unterschied zum Widerstandsrecht gegenüber einem Unrechtssystem – ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen verstanden, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen zu begegnen (BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 –, juris Rn. 91). Die herrschende Meinung lehnt eine Rechtfertigung von Straftaten durch „zivilen Ungehorsam“ ab.

(ii) Das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage, ob „ziviler Ungehorsam“ speziell eine gezielte und bezweckte Verkehrsbehinderung durch Sitzblockaden rechtfertigen kann, ausgeführt, dies komme zumindest dann nicht in Betracht, wenn Aktionen des zivilen Ungehorsams wie bei Verkehrsbehinderungen in die Rechte Dritter eingreifen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt werden. Dabei bliebe zudem außer Acht, dass zum Wesen des zivilen Ungehorsams nach der Meinung seiner Befürworter die Bereitschaft zu symbolischen Regelverletzungen gehört, dass er also per definitionem Illegalität mit dem Risiko entsprechender Sanktionen einschließt als Mittel, auf den öffentlichen Willensbildungsprozess einzuwirken. Angesichts dieser Zielrichtung erschiene es widersinnig, den Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungsgrund für Gesetzesverletzungen geltend zu machen (BVerfG, a.a.O. Rn. 93).

(iii) Dem schließt sich der Senat unter Bezugnahme auf die dargestellte Begründung des Bundesverfassungsgerichts an, wobei zusätzlich noch berücksichtigt wurde, dass ziviler Ungehorsam Rechtsbruch ist, er die innerstaatliche Friedenspflicht verletzt, er gegen das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz verstößt und er sich über das Mehrheitsprinzip hinwegsetzt, das für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen konstituierend ist (vgl. BVerfG, a.a.O Rn 92). Zusätzlich spricht gegen die Anerkennung von „zivilen Ungehorsam“ als Rechtfertigungsgrund folgende Argumentation: Ziviler Ungehorsam ist Protest, der sich gegen eine verfassungsgemäß zustande gekommene Mehrheitsentscheidung – einen fundamentalen Gemeinschaftswert – richtet und diese gestützt auf vorgeblich verallgemeinerungsfähige, aber offenkundig noch nicht mehrheitlich getragene Prinzipien und Wertvorstellungen in Frage stellt. Anstatt für die eigene Meinung auf legale Weise um eine Mehrheit zu werben, setzt der, der zivilen Ungehorsam leistet, die Überlegenheit der eigenen Ansicht voraus und leitet daraus das Recht ab, diese auch mit illegalen Mitteln durchsetzen zu dürfen. Die Annahme einer Rechtfertigung würde bedeuten, ein solches Recht tatsächlich zuzugestehen und damit der Ansicht einer Minderheit ein höheres Gewicht zuzubilligen als der im Rahmen des demokratischen Willensbildungsprozesses entstandenen Entscheidung der Mehrheit. Dies verstieße nicht nur gegen Art. 3 Abs. 3 GG, der die Bevorzugung einer aktiv geltend gemachten politischen Anschauung ausdrücklich verbietet, sondern stellte durch den Verzicht auf die Durchsetzung der Mehrheitsregel auch eine Selbstaufgabe von Demokratie und Rechtsfrieden durch die Rechtsordnung dar (Rönnau in Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2019, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff StGB Rn. 142).

ii) Die Tat des Angeklagten ist verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB.

(1) Insoweit wird Bezug genommen auf die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 20. Februar 2023 (dort Seite 9ff).

(2) Das Amtsgericht (UA S. 11f) hat die im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung durchgeführte Abwägung anhand der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Abwägungselemente durchgeführt. Insbesondere hat das Amtsgericht den Zweck der Verkehrsblockade nicht als Gesichtspunkt gewertet, der für die Verwerflichkeit spräche (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, juris Rn. 39)……“

Das BayObLG liegt mit seiner Argumentation auf der Linie des OLG Celle, begründet das nur etwas „wortreicher“ 🙂 .

Mehr Rechtsprechung zu den Fragen habe ich derzeit nicht. Da gibt es zwar noch das AG Mannheim, Urt. v.  25.04.2023 – 24 Cs 806 Js 31626/22 , das aber keine Besonderheiten enthält. Und: Es gibt zwar auch noch ein AG Frankfurt am Main-Urteil v. 11.05.2023 und ein AG  Tiergarten-Urt. v. 26.04.2023 – beide zum Festkleben an Gemälderahmen. Von denen liegen aber leider bislang die Volltexte noch nicht vor. Daher müssen insoweit derzeit noch die verlinkten Meldungen reichen.

StPO I: Zustellung an Betroffenen/Angeklagten, oder: Umfang der Unterrichtungspflicht des Verteidigers

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Und heute dann drei StPO-Entscheidungen, alle drei haben mit Zustellung bzw. Vollamcht zu tun, aber es passt weder „Zustellung“ noch „Vollmacht“ als  (Unter)Kategorie, daher dann eben „StPO“. Das passt immer.

Den Opener mache ich mit dem BayObLG, Beschl. v. 01.02.2023 – 201 ObOWi 49/23 – zum Umfang der Unterrichtungspflicht der Verteidigung bei Zustellungen an Betroffene.

Gegen die Betroffene ist ein Bußgeldbescheid erlassen worden. Gegen diesen der Betroffenen am 20.04.2022 zugestellten Bußgeldbescheid legte der Verteidiger form- und fristgerecht Einspruch ein und legte eine von der Betroffenen erteilte schriftliche Strafprozessvollmacht vom 02.05.2022 vor (!). Das AG verurteilte die Betroffene aufgrund der Hauptverhandlung vom 20.10.2022, an der sowohl die Betroffene als auch ihr Verteidiger teilnahmen. Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 27.10.2022, beim AG eingegangen über das besondere Anwaltspost-fach (beA) am selben Tag, Rechtsbeschwerde ein. Die Amtsrichterin ordnete unter dem 11.11.2022 die Zustellung des Urteils an die Betroffene und die formlose Übersendung der Entscheidungsabschrift an den Verteidiger mit Zusatz „Die Zustellung erfolgt an Ihren Mandanten“ an. Die Zustellung an die Betroffene ist am 18.11.2022 erfolgt. Die Begründung der Rechtsbeschwerde, mit welcher der Verteidiger die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist am 21.12.2022 formgerecht beim AG eingegangen.

Es wird jetzt um Wiedereinsetzung gestritten und zur Begründung ausgeführt, dass dem Verteidiger das Urteil des Amtsgerichts erst am 21.12.2022 zugestellt worden sei und ihm – unter Verstoß gegen § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO auch nicht vorab mitgeteilt worden sei, wann das Urteil des AG an die Betroffene zugestellt wurde. Der Antrag hatte keinen Erfolg:

„Die Frist zur Begründung der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde wurde versäumt. Die Frist begann mit der Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an die Betroffene am 18.11.2022 (§ 345 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und endete mit Ablauf des 19.12.2022, nachdem der 18.12.2022 ein Sonntag war.

Die gemäß § 36 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG richterlich angeordnete Zustellung an die Betroffene erweist sich als wirksam. Nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG ist im Fall der Zustellung an den Betroffenen auch der Verteidiger zu benachrichtigen, dessen Vollmacht nicht nachgewiesen ist; erst recht gilt dies demnach für den schriftlich bevollmächtigten Verteidiger.

Zwar gilt der Verteidiger gemäß § 145a Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG als ermächtigt, Zustellungen für den Betroffenen in Empfang zu nehmen. Die Vorschrift gestattet demnach Zustellungen an den Verteidiger, begründet jedoch keine Rechtspflicht, entsprechend zu verfahren. Daher sind an den Betroffenen persönlich gerichtete Zustellungen gleichwohl wirksam und setzen die Rechtsmittelfristen in Lauf (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. Aufl. § 145a Rn. 6 m.w.N.). Nichts anderes folgt daraus, dass eine solche Verfahrensweise der Regelung in Nr. 154 Abs. 1 RiStBV widerspricht (vgl. BGH, Beschl. v. 18.09.2018 – 3 StR 92/18 bei juris = NStZ-RR 2019, 24 = BeckRS 2018, 28285 und 12.02.2014 – 4 StR 556/13 bei juris = BeckRS 2014, 5620; KG, Beschl. v. 27.11.2020 – [5] 161 Ss 155/20 [47/20] bei juris = StraFo 2021, 69 = OLGSt StPO § 145a Nr 7 = NJW-Spezial 2021, 58 = BeckRS 2020, 36756), die als bloße Verwaltungsvorschrift den Richter nicht bindet. Selbst ein etwaiger Verstoß gegen die in § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO normierte Ordnungsvorschrift, den Verteidiger von der Zustellung an den Betroffenen zu unterrichten, begründet nicht die Unwirksamkeit der Zustellung, sondern kann lediglich im Einzelfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen (vgl. BGH, Beschl. v. 31.01.2006 – 4 StR 403/05 bei juris = wistra 2006, 188 = BGHR StGB § 44 Verschulden 9 = NStZ-RR 2006, 211 = BeckRS 2006, 1918; KG, a.a.O; KK/Willnow StPO 9. Aufl. § 145a Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 14; i.E. so auch BGH, Beschl. v. 13.09.2022 – 5 StR 279/22 bei juris = BeckRS 2022, 27294).

Maßgeblich für den Fristbeginn war vorliegend insoweit allein die gemäß § 36 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG von der Tatrichterin angeordnete und von der Geschäftsstelle bewirkte Zustellung an die Betroffene am 18.11.2022. Die von der Tatrichterin angeordnete formlose Bekanntgabe des Urteils an den Verteidiger, die am 21.11.2022 erfolgt ist, war keine Zustellung im Rechtssinne, sodass der Eingang des Urteils bei dem Verteidiger entgegen der in seiner Gegenerklärung vom 31.01.2023 geäußerten Rechtsauffassung für den Fristbeginn ohne Bedeutung war. Die erst am 21.12.2022 eingegangene Rechtsbeschwerdebegründung war daher verfristet.

2. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde, die voraussetzt, dass die Betroffene ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG), kommt nicht in Betracht. Der Antrag der Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde ist in mehrfacher Hinsicht bereits unzulässig, §§ 44, 45 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

a) Das Vorbringen im Schriftsatz der Verteidigung vom 31.01.2023 erfüllt die Voraussetzungen eines zulässigen Wiedereinsetzungsantrags schon deshalb nicht, weil ihm nicht zu entnehmen ist, dass die Betroffene ohne Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten; der Vortrag legt nämlich nicht dar, dass sie ihren Verteidiger überhaupt mit der Einlegung und Begründung des Rechtsmittels beauftragt hatte. Eine Frist versäumt nur diejenige, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat (BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – 1 StR 240/17 bei juris = BeckRS 2017, 119054; OLG Bamberg, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 Ss OWi 330/17 bei juris = BeckRS 2017, 106539; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 44 Rn. 5). Allein aus der Einlegung der Rechtsbeschwerde ergibt sich ein entsprechender Auftrag der Betroffenen nicht, da der Verteidiger seinerseits gemäß § 297 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG die Befugnis hat, selbstständig Rechtsmittel einzulegen.

b) Der Wiedereinsetzungsantrag der Betroffenen leidet darüber hinaus an weiteren durchgreifenden Mängeln im Tatsachenvortrag und dessen Glaubhaftmachung im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb dieser Frist muss der Antragsteller auch Angaben über den Wiedereinsetzungsgrund machen. Die erforderlichen Angaben sind, ebenso wie ihre Glaubhaftmachung, Voraussetzung der Zulässigkeit des Antrags (vgl. BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 StR 573/14 bei juris = NStZ-RR 2015, 145). Ein Wiedereinsetzungsantrag muss daher unter konkreter Behauptung von Tatsachen so vollständig begründet werden, dass ihm die unverschuldete Verhinderung des Antragstellers entnommen werden kann (vgl. LR/Graalmann-Scherer StPO 27. Aufl. § 45 Rn. 13). Vorzutragen ist stets ein Sachverhalt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

So wird schon nichts zu der Frage vorgetragen, aus welchen Gründen die Betroffene nach Zustellung des Urteils an sie am 18.11.2022 davon abgesehen hat, sich an ihren Verteidiger zu wenden. Soweit die Betroffene im Rahmen ihres Wiedereinsetzungsantrags geltend macht, dass ihrem Verteidiger entgegen § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO nicht mitgeteilt worden sei, wann das Urteil an sie selbst zugestellt wurde, vermag dieses Vorbringen eine Wiedereinsetzung nicht zu begründen. Denn die von ihr in den Raum gestellte gesetzliche Verpflichtung besteht nicht. Die Verfahrensvorschrift des § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO verlangt im Falle der Zustellung an den Betroffenen, dass der Verteidiger hiervon zugleich unterrichtet wird. Das Gericht nimmt insoweit seine prozessuale Fürsorgepflicht wahr und gewährleistet einen ausreichenden Informationsstand der Verteidigung (vgl. BeckOK/Krawczyk StPO [46. Ed., Stand: 01.01.2023] § 145a Rn. 10). Die Regelung soll sicherstellen, dass der Verteidiger die nötigen Maßnahmen insbesondere zur Fristenkontrolle treffen kann, auch wenn ihn der Betroffene ihn nicht von sich aus benachrichtigt (vgl. MüKo/Kämpfer/Travers 2. Aufl. StPO § 145a Rn. 15). Insoweit ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO, dass der Verteidiger von der Zustellung an den Betroffenen zugleich zu unterrichten ist. Die Benachrichtigung soll also gleichzeitig mit der Zustellung zur Post gegeben werden (vgl. LR/Jahn a.a.O. § 145a Rn. 14). Eine darüberhinausgehende Verpflichtung des Gerichts, insbesondere die Unterrichtung des Verteidigers über den Zeitpunkt der Zustellung an den Betroffenen, welcher sich erst nach Eingang des Zustellungsnachweises bei Gericht feststellen lässt, beinhaltet die Vorschrift nicht. Die Pflicht zur Kontrolle der einzuhaltenden Fristen verbleibt bei dem bevollmächtigten Verteidiger (LR/Jahn a.a.O.), der sich erforderlichenfalls durch Rückfrage bei dem Betroffenen über den Zeitpunkt der Zustellung in Kenntnis setzen muss.

Der Wiedereinsetzungsantrag der Betroffenen ist nach alledem als unzulässig zu verwerfen.“

Gilt natürlich auch bei Zustellungen an den Beschuldigten.

OWi II: Nach Wiedereinsetzung startet Verjährung neu, oder: Ausreichende Entschuldigungsgründe dargetan?

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Und dann als zweite Entscheidung der BayObLG, Beschl. v. 28.03.2023 – 202 ObOWi 314/23. Ergangen ist erin einem Verfahren, in dem dem Betroffenen ein Abstandsvertsoß zur Last gelegt worden ist. Das AG hat dann Hauptverhandlung anberaumt, nachdem der Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldberscheid eingelegt hatte. Als der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist, hat es den Einspruch gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte. Erfolg allerdings nicht wegen Eintritts der Verfolgsverjärung, was auch die GStA München angenommen hatte, sondern wegen nicht ausreichender Urteilsgründe:

„1. Eine Einstellung des Verfahrens kommt nicht in Betracht, weil das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung nicht eingetreten ist.

a) Die Verjährungsfrist betrug zunächst 3 Monate (§ 26 Abs. 3 Satz 1 StVG) und begann mit Beendigung der Handlung (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG), hier also am 18.06.2020. Die Verjährung wurde jedenfalls durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.09.2020, der dem Betroffenen am 17.09.2020 zugestellt wurde, unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG), sodass ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 StVG 6 Monate betrug.

b) Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft wurde die 6-monatige Verjährungsfrist durch den Akteneingang beim Amtsgericht am 15.04.2021 rechtzeitig unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

aa) Zwar lagen zwischen der vorhergehenden Unterbrechungshandlung durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.09.2020 und dem Akteneingang beim Amtsgericht am 15.04.2021 mehr als 6 Monate.

bb) Gleichwohl war die Verjährungsfrist zum letztgenannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. Denn die durch die Zentrale Bußgeldstelle am 24.11.2020 bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist hatte zur Folge, dass die Verjährungsfrist neu zu laufen begann (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.03.2004 – 2 ObOWi 7/2004 = BayObLGSt 2004, 33 = DAR 2004, 281 = VRS 106, 452 [2004]; Urt. v. 07.10.1953 – 1 St 333/53 = BayObLGSt 1953, 179; OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.01.1978 – 1 Ws (B) 36/78 OWiG = BeckRS 2014, 21126; KG, Beschl. v. 04.04.2017 – 3 Ws (B) 43/17 = StraFo 2017, 460; OLG Naumburg, Beschl. v. 04.01.1995 – 1 Ss (B) 254/94 = VRS 88, 456 [1995]; BeckOK OWiG/Gertler OWiG § 31 Rn. 18; KK-OWiG/Ellbogen 5. Aufl. § 31 OWiG Rn. 37; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg StPO 27. Aufl. 2016 § 46 Rn. 13; Gürtler/Thoma in Göhler OWiG 18. Aufl. Vor § 31 Rn. 2b; Schmidt in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar 12. Aufl. 2007 § 78 Rn. 10). Mit der Rechtskraft des Bußgeldbescheids, die (zunächst) aufgrund des Ablaufs der Einspruchsfrist eingetreten war, bestand für eine Verfolgungsverjährung nach § 31 OWiG kein Raum mehr; vielmehr lief stattdessen die Frist für die Vollstreckungsverjährung nach § 34 OWiG (OLG Hamm, Beschl. v. 23.05.1972 – 5 Ss OWi 363/72 = NJW 1972, 2097 = MDR 72, 885). Eine neue Verfolgungsverjährung kann in Fällen, in denen das Verfahrensrecht einen Eingriff in die Rechtskraft zulässt, erst zu dem Zeit-punkt beginnen, in dem das rechtskräftige verurteilende Erkenntnis beseitigt wird (BayObLG, Urt. v. 07.10.1953 – 1 St 333/53 a.a.O.). Dies hat zur Folge, dass mit der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die zur Beseitigung der bis dahin eingetretenen Rechtskraft des Bußgeldbescheids führte, die bei Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheids noch nicht abgelaufene Frist für die Verfolgungsverjährung neu zu laufen begann. Mit der Gewährung von Wieder-einsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist durch die Entscheidung der Verwaltungsbehörde vom 24.11.2020 wurde die Rechtskraft des Bußgeldbescheids nachträglich beseitigt. Dies hatte aber nicht etwa zur Folge, dass die ursprüngliche Frist für die Verfolgungs-verjährung gleichsam rückwirkend wieder lief. Andernfalls würden für den säumigen Betroffenen Vorteile geschaffen, die er ohne seine Säumnis nicht gehabt hätte, was mit dem Zweck der Wiedereinsetzung nicht vereinbar wäre (OLG Hamm a.a.O.). Durch das Recht der Wiedereinsetzung sollen zwar dem Betroffenen, der unverschuldet eine Frist versäumt hat, keine Nachteile entstehen, eine Besserstellung seiner Rechtsposition ist durch die Vorschriften über die Wiedereinsetzung aber nicht intendiert.

2. In der Folgezeit wurden jeweils weitere Unterbrechungshandlungen vor Ablauf der 6-monatigen Verjährungsfrist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 und 11 OWiG rechtzeitig vorgenommen bis zu dem ersten in dem Verfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteil des Amtsgerichts vom 27.01.2022. Seit diesem Zeitpunkt ist der Verjährungsablauf gemäß § 32 Abs. 2 OWiG gehemmt. Der Umstand, dass auf Antrag des Betroffenen in der Folgezeit wegen Versäumung dieser Hauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 74 Abs. 4 OWiG durch die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.09.2022 bewilligt wurde, beseitigte die Ablaufhemmung nicht (OLG Hamm, Beschl. v. 15.07.2008 – 3 Ss OWi 180/08 = BeckRS 2008, 18098; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19.01.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 84/17 OLGSt OWiG § 74 Nr 24; 09.07.2002 – 1 Ss 74/02 = BeckRS 2002, 31129484; KG, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 Ws (B) 304/21 = BeckRS 2021, 45818).

3. Die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Amtsgericht hinreichendes Entschuldigungsvorbringen vor der Hauptverhandlung rechtsfehlerhaft übergangen hat.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass das Amtsgericht in unzulässiger Weise die Gründe des Urteils, die bereits vollständig im Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen waren, in einer weiteren Urteilsurkunde ergänzt hat. Die Urteilsgründe rechtfertigen die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid nicht, weil der Betroffene hinreichend entschuldigt im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG war. Denn hierfür ist es ausreichend, dass er schlüssig Umstände vorträgt, die ihm die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar machen; eine Nachweispflicht trifft den Betroffenen nicht (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 06.09.2019 – 202 ObOWi 1581/19 = OLGSt OWiG § 74 Nr 26 m.w.N.). Die mit Schriftsatz der Verteidigerin vom 13.12.2022 vor der Hauptverhandlung dem Amtsgericht mitgeteilten Gründe stellten bei vernünftiger Betrachtung ohne weiteres einen Entschuldigungsgrund in diesem Sinne dar, weil dort – neben dem Hinweis auf einen positiven Covid-19-Test – explizit vom „hohem Fieber, Erbrechen, Durchfall und schweren Erkältungssymptomen“ gesprochen wurde, was eine Unzumutbarkeit der Anreise und der Teilnahme des Betroffenen an der Hauptverhandlung bei verständiger Würdigung zweifelsfrei begründete. Über diesen Vortrag hat sich das Amtsgericht mit neben der Sache liegenden Erwägungen, nämlich unter Rekurs auf den fehlenden Nachweis der geltend gemachten Erkrankungssymptome und auf die nicht mehr bestehende Isolationspflicht in Bayern bei einer Infektion mit dem Coro-na-Virus, hinweggesetzt. Es hat dabei dem Vortrag des Betroffenen, dem es nicht darum ging, sich zu isolieren, sondern der geltend machen wollte, aufgrund krankheitsbedingter Beschwerden nicht zur Hauptverhandlung anreisen und an ihr teilnehmen zu können, kein Gehör geschenkt und zudem verkannt, dass den Betroffenen keine Nachweispflicht trifft.“

StGB III: Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen, oder: Adolf Hitler-Bild im Facebook-Post

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages dann noch das BayObLG, Urt. v. 13.06.2022 – 204 StRR 116/22 – zum Verwenden von  verfassungswidriger Kennzeichen (§ 86a StGB).

Nach dem Sachverhalt hatte die Angeklagte auf ihrem Facebook-Profil „A.H.“ ein Bild gepostet, auf dem im oberen Bereich der Kopf und Teile des Oberkörpers Adolf Hitlers mit dem Kommentar „1933: Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ und im unteren Bereich die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Kommentar: „2020: Bevölkerungsschutzgesetz“ zu sehen ist. Der Angeklagten war sich dabei – so das AG – bewusst, dass dieses Bild von einer Vielzahl von Facebook-Nutzern wahrgenommen werden konnte. Ihr Profil war, wie sie wusste, öffentlich und für jedermann einsehbar. Sie wusste auch, dass es sich bei Adolf Hitler um den Parteivorsitzenden der ehemaligen nationalsozialistischen Arbeiterpartei handelte.

Das AG hatte die Angeklagte wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Das LG hatte auf die Berufung die Angeklagte frei gesprochen.

Den Freispruch hat das BayObLG auf die Revision hin aufgehoben:

„2. Diese Feststellungen zum Tatsachverhalt tragen nicht die vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung, dass die Darstellung nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB unterfalle und den Tatbestand nicht erfülle und außerdem die Tatbestandsmäßigkeit wegen des Eingreifens der sogenannten Sozialadäquanzklausel gemäß § 86a Abs. 3 StGB i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB a.F. (jetzt § 86 Abs. 4 StGB) entfalle.

a) Nach heute einhelliger Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt und wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, stellt das Kopfbild Adolf Hitlers ein verfassungswidriges Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar (BGH, MDR 1965, 923, juris Rn. 22). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Hitler als Führer der NSDAP, als Reichskanzler oder als Staatsoberhaupt dargestellt wird (BGHSt 28, 394, 396 = NJW 1979, 1555). Es ist ferner unerheblich, ob auf der Abbildung zusätzlich ein Hakenkreuz, das Hauptkennzeichen der NSDAP (BGHSt 28, 394, 395 = NJW 1979, 1555), oder ein zum „Deutschen Gruß“ erhobener Arm zu sehen sind (OLG München, NStZ 2007, 97, juris Rn. 14 m.w.N.). Die Organisation des damaligen NS-Staates und der diesen mit einer Vielzahl von Unterorganisationen beherrschenden Partei, der NSDAP, sowie die Ausübung aller staatlicher Hoheitsgewalt durch verschiedene Behörden waren zentral auf den „Führer Adolf Hitler“ als den Kulminationspunkt aller staatlichen Gewalt ausgerichtet. Die Person Adolf Hitlers als solche repräsentiert, ohne dass es des Hinzutretens weiterer nationalsozialistischer Symbole, Kennzeichen oder Ergänzungen bedarf, den Nationalsozialismus. Allein sein Abbild stellt damit ein Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen im Sinne des § 86a StGB dar (BGH, MDR 1965, 923, juris Rn. 22; BGHSt 28, 394, 396 = NJW 1979, 1555; OLG Celle, NJW 1991, 1497; OLG München, NStZ 2007, 97, juris Rn. 14 m.w.N.; OLG Rostock, NStZ 2002, 320, juris Rn. 26; OLG Schleswig, MDR 1978, 333).

Ein Ausnahmefall einer völlig verschiedenartige Elemente zusammenfassenden Abbildung liegt nicht vor. Der Bundesgerichtshof hat einen solchen Ausnahmefall bei einem in schwarzer Farbe gezeichneten Januskopf angenommen, „dessen linkes Antlitz die Gesichtszüge Adolf Hitlers und dessen rechtes Antlitz die Gesichtszüge des Bundestagsabgeordneten Franz-Josef S tragen“ und der auf den Körper eines Adlers aufgesetzt ist. Dies könne nicht als Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation angesehen werden. Die Verwendung der Gesichtszüge Hitlers in einer völlig verschiedenartige Elemente zusammenfassenden Abbildung mache weder den die Gesichtszüge Hitlers darstellenden Teil der Abbildung noch diese insgesamt zu einem solchen Kennzeichen. Zwar erinnere die Wiedergabe der Gesichtszüge Hitlers an den Nationalsozialismus, seine Organisationen, Ideen und Ziele. § 86a StGB wolle aber, soweit er sich auf Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation bezieht, diese Kennzeichen und ihre Wiedergabe, nicht aber die bezeichneten Erinnerungen von bestimmten Arten der Verwendung sowie von einer Verbreitung in der Bundesrepublik Deutschland ausschließen (BGHSt 25, 133, juris Rn. 17). Hiermit ist die verfahrensgegenständliche, nicht durch andere Gestaltungselemente veränderte Abbildung Hitlers nicht vergleichbar.

b) Durch das „Posten“ auf ihrem Facebook-Profil, das nach den vom Berufungsgericht zugrundegelegten Feststellungen öffentlich und für jedermann einsehbar war, hat die Angeklagte dieses Bild wissentlich und willentlich für eine nicht überschaubare Anzahl von Personen wahrnehmbar gemacht und somit verwendet im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. MüKoStGB/Anstötz, 4. Aufl., § 86a Rn. 23).

c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts entfällt die Tatbestandsmäßigkeit des Handelns der Angeklagten nicht wegen des Eingreifens der sogenannten Sozialadäquanzklausel gemäß § 86a Abs. 3 StGB i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB a.F. (jetzt § 86 Abs. 4 StGB). Es ist nicht erkennbar, dass die Verwendung des Hitlerbildes den in § 86 Abs. 3 StGB a.F. genannten oder ähnlichen Zwecken dienen sollte. Soweit das Berufungsgericht hierbei auf eine Ähnlichkeit zur staatsbürgerlichen Aufklärung abstellt, ist nicht ersichtlich, inwiefern die von der Angeklagten „gepostete“ Abbildung der Aufklärung über die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes dienen kann oder sollte. Dem Begriff der staatsbürgerlichen Aufklärung unterfallen Handlungen, die der Wissensvermittlung zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen (vgl. MüKoStGB/Anstötz, a.a.O., § 86 Rn. 37 m.w.N.). Die Gegenüberstellung eines Bildes der (damaligen) Bundeskanzlerin und eines Bildes Adolfs Hitlers unter Hinweis auf völlig inhaltsverschiedene Normen aus der jeweiligen Zeit stellt ersichtlich keine sozialadäquate Vorgehensweise und erst Recht kein Mittel einer solchen Wissensvermittlung dar.

d) Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme, dass die Darstellung nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB unterfällt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Zweck des § 86a StGB die Abwehr einer Wiederbelebung verbotener Organisationen oder der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Die Vorschrift dient auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in Deutschland vermieden wird, es gebe eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden (BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 24). Ein solcher Eindruck und die sich daran knüpfenden Reaktionen könnten den politischen Frieden empfindlich stören. § 86a StGB will auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (vgl. BGHSt 25, 30 = NJW 1973, 106, juris Rn. 9; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28).

Hierbei setzt die Anwendbarkeit des § 86a StGB – eines abstrakten Gefährdungsdelikts (vgl. BGHSt 47, 354, juris Rn. 20; BGHSt 52, 364, juris Rn. 25) – in Bezug auf die Verwendung eines Kennzeichens aber keinen Nachweis der Unterstützung verfassungsfeindlicher Ziele, der Ziele der verbotenen Organisation oder einer mit der Verwendung verbundenen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates voraus. Die Vorschrift verbannt derartige Kennzeichen grundsätzlich aus dem politischen Leben in Deutschland und errichtet so ein kommunikatives Tabu (vgl. BVerfG, BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050, juris Rn. 18).

bb) Im Lichte dieses weiten Anwendungsbereichs wird § 86a StGB jedoch zusätzlich zu den von § 86 Abs. 3 StGB erfassten Tatbeständen beschränkt und es werden Verwendungen ausgenommen, die dem Zweck der Vorschrift nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken sollen. Danach wird die Verwendung eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation vom Anwendungsbereich des § 86a StGB nicht erfasst, wenn sich die Gegnerschaft zu der verfassungswidrigen Organisation und ihrer Ideologie offenkundig und eindeutig ergibt und ein Beobachter sie auf Anhieb zu erkennen vermag (vgl. BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602, juris Rn. 12; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28). Die Ausnahme von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Fällen, in denen die Gegnerschaft zu der von dem verwendeten Kennzeichen verkörperten Ideologie „offenkundig und eindeutig“ ist, stellt eine wichtige Schutzvorkehrung für die Wahrung des Rechts auf freie Meinungsäußerung dar (vgl. EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 – Nix ./. Deutschland, juris Rn. 48). In solchen Fällen wäre eine Inkriminierung nur schwer mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung von Personen zu vereinbaren, die gegen die Wiederbelebung von nationalsozialistischen Bestrebungen in der Weise protestieren wollen, dass sie gerade die Kennzeichen angreifen, die diese symbolisieren (vgl. BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602, juris Rn. 13). So liegt es, wenn das Kennzeichen offenkundig gerade zum Zwecke einer Kritik der verbotenen Organisation oder der ihr zugrundeliegenden Ideologie eingesetzt wird (vgl. BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28), die Verwendung des Kennzeichens, soweit damit die Erinnerung an den Nationalsozialismus heraufbeschworen wird, in einem nachdrücklich ablehnenden Sinn geschieht (vgl. BGHSt 25, 133, juris Rn. 22) oder der Kontext der Verwendung ergibt, dass eine Wirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt des Kennzeichens entsprechenden Richtung ausscheidet (vgl. BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050, juris Rn. 23; BGHSt 25, 133, juris Rn. 20, 22). Das mag etwa der Fall sein, wenn das Kennzeichen in erkennbar verzerrter, etwa parodistischer oder karikaturhafter Weise verwendet wird (vgl. BGHSt 25, 128, juris Rn. 19, 21; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28) oder wenn – ähnlich wie in einer Wiedergabe des Kennzeichens in abwertender Verzerrung – Personen mit neonazistischer Zielsetzung in einer Wiedergabe in dem bildlichen und die Abbildung schriftlich kommentierenden Zusammenhang allenfalls eine Verhöhnung des ihnen „heiligen“ Kennzeichens erblicken würden (vgl. BGHSt 25, 133, juris Rn. 22).

Demgegenüber ist der Schutzzweck des § 86a StGB verletzt, wenn der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft zu nationalsozialistischen Ideen nur undeutlich erkennbar ist (vgl. BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602, juris Rn. 12). Auch reicht es in Anbetracht der Tabuisierungsfunktion der Vorschrift für einen Ausschluss einer konkreten Handlung von ihrem Anwendungsbereich nicht aus, dass sie in kritischer Absicht erfolgt (vgl. EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 – Nix ./. Deutschland, juris Rn. 32; BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050, juris Rn. 23), wobei für eine Beurteilung der Frage, ob eine konkrete Verwendung eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation vom Anwendungsbereich des § 86a StGB auszunehmen ist, die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen sind (vgl. BGHSt 25, 30 = NJW 1973, 106, juris Rn. 12; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 29).

cc) Dies zugrunde gelegt, handelt es sich nach den bisherigen Feststellungen nicht um einen Ausnahmefall der zulässigen Verwendung eines offensichtlich verbotenen Kennzeichens.

(1) Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts dürfte das Verhalten der Angeklagten – unabhängig von den Beweggründen, die sie dazu führten – von objektiven Beobachtern als ein Protest gegen das Vorgehen der damaligen Bundesregierung und als ein Vorwurf gegen diese, sie sei im Begriff, sich nazistischer Methoden zu bedienen, aufzufassen sein.

Damit kann die Verwendung des Hitlerbildes zwar auch als Ausdruck einer Gegnerschaft zu den Methoden des nationalsozialistischen Regimes angesehen werden, sie dient aber nicht vorrangig der Kritik an diesem System, sondern der Kritik an der damaligen Bundesregierung.

Durch die Gegenüberstellung der Bilder Hitlers und der damaligen Bundeskanzlerin als Mittel der Kritik am Vorgehen der Bundesregierung besteht gerade die Gefahr, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird.

Auch wenn die Angeklagte mit ihrer Facebook-Seite beabsichtigte, zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beizutragen, ist die grundlose Verwendung von Kennzeichen gerade das, was die Vorschrift, die die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellt, verhindern sollte, denn sie sollte einer Gewöhnung an bestimmte Kennzeichen zuvorkommen, indem diese aus allen Kommunikationsmitteln verbannt werden (sogenanntes „kommunikatives Tabu“). Die kritische Verwendung von Nazi-Kennzeichen reicht gerade nicht aus, um eine Person von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für eine solche Verwendung auszunehmen. Vielmehr ist eine eindeutige und offenkundige Gegnerschaft zur Nazi-Ideologie erforderlich (EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 – Nix ./. Deutschland, juris Rn. 54).

Eine solche eindeutige und offenkundige Ablehnung der Nazi-Ideologie enthält der Beitrag der Angeklagten auf ihrer Facebook-Seite aber nicht.

(2) Würde es sich allerdings um eine einmalige Verwendung der Art handeln, dass das Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild getreten wäre und damit eine Nachwirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt dieses Kennzeichens entsprechenden Richtung von vornherein ausgeschlossen ist, bedürfte es der Feststellung besonderer Umstände, die das Handeln als einen Verstoß gegen § 86a StGB erscheinen lassen könnten. Eine solche nur kurz in das Erscheinungsbild der Öffentlichkeit tretende Verwendung hat der Bundesgerichtshof etwa beim einmaligen Zeigen des Hitlergrußes während eines Polizeieinsatzes erwogen. Demgegenüber wäre ein solcher Verstoß dann anzunehmen, wenn das Handeln der Angeklagten den Schluss rechtfertigen würde, die Verwendung dieser Kennzeichen in der Öffentlichkeit habe – dem Schutzzweck des § 86a StGB zuwider – gedroht, sich wieder einzubürgern (vgl. BGHSt 25, 30, juris Rn. 13).

Der Umstand, dass die Angeklagte die betreffende Darstellung als kritisches Statement über die Pandemiepolitik der Bundesregierung auf ihrem Facebook-Profil geteilt hat, spricht, auch wenn sie das gepostete Bild wieder von ihrer Facebook-Seite entfernt hat, als sie von der Polizei auf die Strafbarkeit aufmerksam gemacht wurde, eher nicht für eine nur kurz in das Erscheinungsbild der Öffentlichkeit tretende Verwendung. Insoweit bedürfte es jedoch weiterer Feststellungen zur beabsichtigten oder tatsächlichen Dauer der Einstellung der betreffenden Darstellung auf dem Facebook-Profil der Angeklagten.

(3) Bei der Gesamtbetrachtung ist zudem zu berücksichtigen, ob die Verwendung des Kennzeichens unbesonnen und spontan in großer Erregung erfolgte (vgl. BGHSt 25, 30, juris Rn. 14). Auch hierzu fehlen hinreichende Feststellungen.

Die Sache ist somit nicht entscheidungsreif.“

Sorry, war mal etwas mehr Text 🙂 .

StGB I: Klassiker „Tritt mit dem beschuhten Fuß“, oder: Es mangelte mal wieder an den Feststellungen

entnommen wikimedia.org
Urheber Anmab82

Und dann heute drei StGB-Entscheidungen.

Den Opener mache ich mit dem BayObLG, Beschl. v. 02.02.2023 – 202 StRR 6/23. Die Entscheidung beinhaltet ein „Klassiker-Problem“. nämlich den Tritt mit dem beschuhten Fuß.

Das AG hat den u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt, die das LG als unbegründet verworfen hat. Dagegen dann jetzt noch die Revioson, die einen Teilerfolg hatte:

1. Während der Schuldspruch und der Strafausspruch zum Fall II. 2. b) der Gründe des Berufungsurteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweisen, hält die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 2. a) der Gründe des Berufungsurteils) der sachlich-rechtlichen Nachprüfung aufgrund durchgreifender Darstellungsmängel nicht stand.

a) Zwar kann ein mit dem beschuhten Fuß geführter Tritt gegen den Kopf des Opfers eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB im Einzelfall rechtfertigen, allerdings muss sich die gesteigerte Gefährlichkeit der Verletzungshandlung gerade aus dem Einsatz des Schuhs ergeben (vgl. nur BGH, Urt. v. 28.08.2019 – 5 StR 298/19, bei juris m.w.N.). Nach den Feststellungen der Berufungskammer sind diese Voraussetzungen aber schon deshalb nicht erfüllt, weil im Rahmen der Sachverhaltsschilderung lediglich ausgeführt wird, dass der Angeklagte nach vorangegangenen Faustschlägen gegen das dadurch zu Boden gegangene Opfer mit seinen „Sportschuhen“ zumindest einmal mit großer Wucht „in Richtung des Kopfes“ des Geschädigten getreten habe, um diesen zu verletzen. Dass der Kopf des Opfers durch diesen Tritt auch tatsächlich getroffen wurde, lässt sich den Feststellungen zum Tatgeschehen gerade nicht entnehmen. Zwar geht das Urteil im Rahmen der rechtlichen Würdigung davon aus, dass das Opfer gegen den Kopf getreten worden sei, löst den Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen indes nicht auf.

b) Aus den gleichen Gründen wird die Einschätzung des Berufungsgerichts, der Tritt stelle auch eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB dar, ebenfalls von den Feststellungen nicht getragen. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass selbst in dem Fall, dass der vom Angeklagten ausgeführte Tritt den Kopf des Opfers getroffen haben sollte, auch eine lebensgefährdende Behandlung im Sinne der genannten Strafvorschrift nicht belegt ist. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist hierfür erforderlich, dass die Einwirkung durch den Täter nach den konkreten Umständen des Einzelfalls generell geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden (vgl. nur BGH, Beschl. v. 14.09.2021 – 4 StR 21/21 = RS 140, 325 (2021) = VRS 140, Nr 66 = StV 2022, 24 = JZ 2022, 364 = BGHR StGB § 224 Abs 1 Nr 5 Lebensgefährdung 4 = BGHR StGB § 315b Abs 1 Nr 3 Eingriff 9; 01.06.2021 – 6 StR 113/21 = NStZ-RR 2021, 244 = StV 2022, 165; 10.02.2021 – 1 StR 478/20 = NStZ-RR 2021, 211 = StV 2022, 166). Tritte gegen den Kopf können eine das Leben gefährdende Behandlung nur unter der Voraussetzung darstellen, dass sie nach Art der konkreten Ausführung der Verletzungshandlungen zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 301/14, bei juris m.w.N.). Die bloß theoretische Möglichkeit einer Lebensgefährdung, von der die Berufungskammer im Ergebnis ausgeht, genügt hierfür gerade nicht.“).