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Der Bericht des Verfassungssschutzes als Grundlage für eine Durchsuchung?

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Ich habe länger nicht mehr über Durchsuchungsmaßnahmen berichtet bzw. berichten müssen – man kann natürlich sagen: Gott sei Dank. Beim Vorbereiten von Beiträgen bin ich jetzt dann aber auf den schon ein wenig älteren und schön länger in meinem Blogordner hängenden BGH, Beschl. v. 12.08.2015 – StB 8/15 – gestoßen. Ja, auch der BGH macht mal gelegentlich Durchsuchung.

Hier ging es um ein Ermittlungsverfahren, das der GBA gegen mehrere Beschuldigte wegen des Verdachts der Gründung und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung namens „Oldschool Society“ führt. Auf seinen Antrag hatte der Ermittlungsrichter des BGH die Durchsuchung der Person und Wohnung des Beschwerdeführers sowie des von ihm genutzten Kraftfahrzeugs nach näher umschriebenen Beweismitteln angeordnet. Die Durchsuchung ist vollzogen worden. Der Beschuldigte hat Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung eingelegt. Er hat beanstandet, dass der angefochtene Beschluss ausschließlich auf „Angaben vom Hörensagen“ beruhe, die aus unzulässiger Quelle von geringer Glaubwürdigkeit, nämlich dem Verfassungsschutz, stammten; Beweisergebnisse würden zudem nicht ausreichend konkret mitgeteilt.

Der BGH sieht das anders und führt zum Anfangsverdacht aus:

„a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, NStZ-RR 2009, 142, 143). Auch Behördenzeugnisse der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder können dazu beitragen, einen konkreten Verdacht in diesem Sinne zu begründen. Zwar handelt es sich hierbei regelmäßig nur um sekundäre Beweismittel, welche die unmittelbaren Quellen der dort wiedergegebenen Erkenntnisse nicht oder nur unvollständig offen legen und daher einer vorsichtigen Würdigung und der Heranziehung weiterer zur Verfügung stehender Erkenntnismöglichkeiten bedürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2009 – StB 20/08, BGHSt 53, 238, 247 zu einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO). Dies nimmt Behördenzeugnissen jedoch nicht von vornherein jeglichen Beweiswert. Der Umfang ihrer Beweiskraft bedarf vielmehr einer Prüfung im Einzelfall. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob sie lediglich zum Beleg eines Anfangsverdachts (§ 160 1 StPO) oder zur Begründung einer höheren Verdachtsstufe herangezogen werden. Soweit in den Behördenzeugnissen der Inhalt primärer Beweismittel wiedergegeben wird, beurteilt sich die Zuverlässigkeit dieser Angaben nach allgemeinen Grundsätzen. Insoweit kann etwa die Konkretheit der Ausführungen ebenso von Bedeutung sein wie deren Umfang oder Objektivierung anhand weiterer, unmittelbar vorliegender Beweismittel.

b) Gemessen an diesen Maßstäben lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung vor. Hinsichtlich der nach § 129a StGB erforderlichen Organisationsstruktur des Personenzusammenschlusses ergibt sich der Anfangsverdacht daraus, …….“

„Die spinnen die Bayern“ (?), oder: MPU/“Idiotentest“ jetzt ggf. auch schon bei 0,3 Promille?

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Für Aufsehen hat in den letzten Tagen ein Urteil des BayVGH gesorgt, nämlich das BayVGH, Urt .v 17.11.2015 – 11 BV 14.2738. Es behandelt die Frage der Anordnung einer MPU. Bisher war es ja so, dass diejenigen, die wegen einer Trunkenheitsfahrt pp. verurteilt worden waren, (auch in Bayern) i.d.R. erst ab 1,6 Promille zur MPU, dem viel gefürchteten „Idiotentest“ mussten. Das sieht der VFG – für Bayern – in dem Urt. v. 17.11.2015 jetzt anders. Der Leitsatz lautet:

„Nach strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teil­nahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, ist im Wiedererteilungsver­fahren unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkon­zentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuord­nen (Änderung der Rechtsprechung).“

Zu dem Urteil gibt es „Hinweise“ der Landesanwaltschaft Bayern, wie die Entscheidung zu verstehen/anzuwenden ist. Sie findet man vollständig hier; da steht auch eine PDF-Version des Urteils. Verkürzt sind danach folgende Punkte von Bedeutung:

  • Das Urteil des BayVGH fußt auf der Anwendung des in Rechtsprechung und Praxis bis ins Jahr 2012 hinein weitgehend unbeachtet gebliebenen § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV.
  • Da für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung – mithin auch § 13 FeV mit dem Vorrang des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV – bereits gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV gelten, kann ein eigenständiger An­wendungsbereich des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV nur darin bestehen, dass diese Norm sich vom Vorrang des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV löst und als eigenständigen Sachgrund für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung die vorange­gangene strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung wegen Alkoholmissbrauchs genügen lässt (UA Rn. 40). Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis stellt mithin einen eigenständigen Anlass für weiter bestehende Eignungszweifel dar.
  • Der in § 69 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der Ungeeignetheit stimmt inhaltlich mit dem in § 2 Abs. 4 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 3, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV enthaltenen, für die Fahrerlaubnisbehörden geltenden Maßstab überein (UA Rn. 48).
  • Eine einmal wegen Alkoholmissbrauchs verloren gegangene Fahreignung kann innerhalb des Zeitraums, in dem die Tat noch im Fahreignungsregister eingetra­gen und daher berücksichtigungsfähig ist (vgl. § 29 StVG), nicht allein durch Zeit­ablauf zurückgewonnen werden (UA Rn. 42). Für die Wiedergewinnung bedarf es vielmehr einer nachgewiesenen Änderung des Trinkverhaltens (vgl. Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV), d.h. es ist durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu klären, ob – je nach den individuellen Erfordernissen – eine stabile Alkoholabs­tinenz vorliegt bzw. Prophylaxestrategien hinsichtlich des Trennungsvermögens entwickelt wurden und ob jeweils der Einstellungswandel stabil und motivational gefestigt ist (UA Rn. 42).
  • Das Erfordernis einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV besteht nicht nur dann, wenn die strafgerichtliche Ent­ziehung einer Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) wegen absoluter Fahrunsicherheit (ab einschließlich 1,1 Promille BAK) erfolgt ist, sondern auch im Falle der Entziehung wegen relativer Fahrunsicherheit (ab einschließlich 0,3 Promille BAK bis unter 1,1 Promille BAK verbunden mit alkoholbedingten Fahrfehlern).
  • Das Urteil des BayVGH enthält auch ein beachtenswertes Hilfsargument, das ein­greifen würde, wenn die Rechtsauffassung des Senats zu § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV nicht tragfähig sein sollte: Gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV kann eine Gutachtensanordnung im Falle einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit we­niger als 1,6 Promille BAK bzw. 0,8 mg/l AAK zwar nur ergehen, wenn Zusatztatsachen vorliegen, denen eine zur Grenzwertüberschreitung annähernd gleiche Aussa­gekraft dafür zukommt, dass der Betroffene den Konsum von Alkohol und das Fah­ren nicht trennen kann (UA Rn. 23). Bei einer strafbewehrten Trunkenheitsfahrt unter 1,6 Promille BAK oder 0,8 mg/l AAK stellt aber die (durch die strafgerichtliche Entzie­hung der Fahrerlaubnis zum Ausdruck kommende) strafgerichtliche Feststellung der Nichteignung wegen fahrerlaubnisrechtlichen Alkoholmissbrauchs eine solche Zu­satztatsache dar; eine solche gerichtlich ausgesprochene Feststellung wiegt gerade wegen ihres feststellenden Charakters schwerer als sonstige Zusatztatsachen, die lediglich die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, gleichwohl aber für eine Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV ausreichen.

Besonders der letzte Punkt scheint mir „brandgefährlich“, obwohl an der Stelle m.E. ein Zirkelschluss erfolgt. Nun, wir werden sehen, wie die Sache weitergeht. Der BayVGH hat die Revision zugelassen. Wir werden dazu also demnächst dann was vom BVerwG hören.

Durchsuchung I: Durchsuchen wir doch mal beim Verteidiger….

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Wenn man den LG Rostock, Beschl. v. 21.07.2015 – 18 Qs 212/14 liest, dann hat man schon den Eindruck, dass das AG Rostock nach der Devise verfahren ist: Ach, durchsuchen wir doch mal beim Verteidiger/die Rechtsanwaltskanzlei. Jedenfalls hat es m.E. wenig Gedanken an den Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§§ 53, 160a StPO) und überhaupt an die Voraussetzungen für die Anordnung eines Durchsuchungsmaßnahme verschwendet. Das führt dann zur Feststellung des LG, dass die Durchsuchung der Kanzleiräume des beschuldigten Rechtsanwalts rechtswidrig war. Das LG hat zwei Beanstandungen:

  1. „Inhaltlich leidet die Anordnung der Durchsuchung an Mängeln, da sie nicht hinreichend erkennen lässt, auf welche Straftat sich der die Anordnung begründende Anfangsverdacht richtet. Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 9. 2. 2005 – 2 BvR 984/04, 1018/04 und 1030/04, NStZ-RR 2005, 203-205; BVerfG: Beschluss vom 07.09.2007 – 2 BvR 260/03, BeckRS 2007 26569, jew. m.w.Nachw.). In dem Durchsuchungsbeschluss vom 25.09.2014 fehlen konkrete Ausführungen zu der Haupttat, an welcher sich der Beschuldigte als Gehilfe beteiligt haben soll. Dort wird nur ausgeführt, dass es Anhaltspunkte für eine bewusste uneidliche Falschaussage gegeben habe. Ohne die Darstellung, inwieweit die Zeugen falsch ausgesagt haben, ist aber auch die Annahme, dass der Beschuldigte J. „steuernden Einfluss auf die falschen Aussagen der Zeugin S. genommen und diese dazu angestiftet“ habe, nicht zu begründen.“
  1. Die Anordnung der Durchsuchung war zudem auch unverhältnismäßig. Denn: Zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung gab es zwar gewisse Verdachtsmomente dahin, dass zumindest die Zeugen S. und W. in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Rostock im Verfahren 18 KLs 69/13 in Teilen die Unwahrheit gesagt haben könnten. Die Akten, welche dem Ermittlungsrichter vorlagen, bestanden indes hauptsächlich aus einer knappen Darstellung des komplexen Verfahrens und der Hauptverhandlung innerhalb der Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 24.09.2014. Weitgehend auf Vermutungen wurde der Verdacht gestützt, dass der Beschuldigte die Zeugen in rechtswidriger Weise zu einer Falschaussage verleitet oder eine solche unterstützt haben sollte. Die Darstellung ist möglicherweise noch ausreichend, um plausibel einen Anfangsverdacht zu begründen. Eine ausreichende Grundlage für die Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei ist sie jedoch nicht.

Zum zweiten Mal aufgehoben: Dem LG Augsburg fehlt da wohl ein wenig Basiswissen….

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In einem beim LG Augsburg anhängigen Verfahren hat der BGH im BGH, Beschl. v. 21.08.2014 – 1 StR 320/14 – zum zweiten Mal eine Entscheidung einer Strafkammer des LG aufheben müssen. Es geht um die Verhängung der Sicherungsverwahrung, die das LG beim Angeklagten offenbar „anordnen möchte“/muss. In der ersten Aufhebungsentscheidung, dem BGH, Beschl. v. 26.06.2012 – 1 StR 158/12 – hatte der BGH moniert, dass dem Angeklagten ein insoweit erforderlich rechtlicher Hinweis gemäß § 265 StPO nicht erteilt worden ist. Also eine verfahrensrechtliche Beanstandung (vgl. dazu: Allgemeines “Geplausche” in der HV reicht nicht für Sicherungsverwahrung).

Jetzt ging es um die Sache. Die nunmehr zuständige Strafkammer des LG Augsburg hatte nämlich erneut die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Bei der Prüfung der Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat sie  einen Hang des Angeklagten zu strafrechtsrelevanten Rechtsbrüchen im Bereich der Sexualdelikte (§ 66 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB) auch darauf gestützt, dass er schon seit früher Jugend die Neigung aufweise, aus Bestrafungen nichts zu lernen, und keinerlei Anstrengungen unternommen habe, sich mit den Taten auseinanderzusetzen; ebenso habe er keine Angebote der JVA wahrgenommen, eine Sexualtherapie durchzuführen, da er seine Taten bis zum heutigen Tag abstreite. Im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hat die Strafkammer ausgeführt, dass mehrere Angebote der JVA, den Angeklagten in der sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter unterzubringen, an der mangelnden Bereitschaft des Angeklagten, die Taten einzuräumen, gescheitert seien. Das passt dem BGH nicht, denn:

Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Tatgericht die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit eines Angeklagten verwertet werden (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2001 – 5 StR 250/01, NStZ 2001, 595, 596; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271; Beschluss vom 20. März 2012 – 1 StR 64/12). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet, bagatelli-siert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zuläs-siges Verteidigungsverhalten (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8, 9, 10). Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10; BGH, Beschluss vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, StV 2011, 482). Auch wenn mit der Entscheidung des Senats vom 26. Juni 2012 der Schuld- und Strafausspruch in Rechtskraft erwachsen ist, durfte dem Angeklagten, solange über die Anordnung der Sicherungsverwahrung noch keine rechtskräftige Entscheidung getroffen war, nicht vorgeworfen werden, die ihm zur Last liegenden Sexualstraftaten nicht eingeräumt zu haben, zumal gerade auf diese bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abzustellen ist. Zwar hätte das Landgericht berücksichtigen dürfen, dass Umstände, die seiner möglicherweise bestehenden Gefährlichkeit entgegenwirken, nicht vorhanden sind. Hier hat das Landgericht aber schon die Gefährlichkeit mit dem Leugnen der verfahrensgegenständlichen Taten begründet.

Da fehlt dann aber schon ein wenig Basiswissen, oder?

Basta! Einen dritten Versuch gibt es nicht: BGH entscheidet selbst über Sicherungsverwahrung.

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Der 2. Strafsenat des BGH hatte bereits im Oktober 2011 ein Urteil des LG  Darmstadt aufgehoben, das einen Angeklagten u.a. wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften u.a. verurteilt und auch Sicherungsverwahrung angeordnet hatte. Nun hatte das LG erneut entschieden und erneut auch Sicherungsverwahrung angeordnet. Dem BGH haben die Ausführungen des LG erneut nicht ausgereicht. Er hat das landgerichtliche Urteil wiederum, und zwar durch BGH, Urt. v. 13.03.2013 – 2 StR 392/12, aufgehoben. Aber: Dieses Mal entscheidet der BGH aber selbst und lässt die Anordnung der Sicherungsverwahrung entfallen. Basta. Ende der Diskussion.

II. Der Maßregelausspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, da das Landgericht dem für die Gefährlichkeitsprognose anzuwendenden Maßstab nicht hin-reichend Rechnung getragen hat.
1. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.) dürfen die – an sich verfassungswidrigen – gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung nur aufgrund einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ angewandt wer-den. Die Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Gewalt- oder Sexualdelikte muss „aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten“ sein. Dies stellt gegenüber der früheren Rechtsanwendung höhere Anforderungen nicht nur an die Erheblichkeit der zu erwartenden weiteren Straftaten, son-dern auch an die Wahrscheinlichkeit der künftigen Straffälligkeit des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692; Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StV 2012, 196; Beschluss vom 24. Juli 2012 – 1 StR 57/12; Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012, 212). Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt vom Tatrichter daher eine eingehende Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte ohne die Maßregel. Dies erfordert eine auf die Umstände des Einzelfalls zugeschnittene, detaillierte Darlegung derjenigen Taten, die in Zukunft vom Täter zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 4 StR 594/11, NStZ-RR 2012, 141; Senat, Urteil vom 18. Juli 2012 – 2 StR 605/11). Die für den Wahrscheinlichkeitsgrad zu benennenden Umstände ergeben sich dabei regelmäßig auch aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2012 – 5 StR 535/11 u. vom 10. Januar 2013 – 1 StR 93/11).
2. Nach diesem Maßstab unterliegt es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose eingangs von einem mittelgradigen Rückfallrisiko in Bezug auf sog. „hands-on-Delikte“ ausgeht, ohne mit diesem wiederholt verwendeten Begriff schon die konkret zu erwartende Sexualdelinquenz näher zu beschreiben. Damit legt das Landgericht nicht dar, welche Strafta-ten aus der Bandbreite eines sexuellen Missbrauchs von Kindern mit welcher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind, dessen letzte einschlägige Tat aus Dezember 1998 längere Zeit zurückliegt, dessen erhebliche körperliche Beeinträchtigungen aufgrund der Contergan-Schädigung weiter fortschreiten und dem der Sachverständige immerhin attestierte, dass die Strafandrohung für schwere Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern bei ihm Wirkung zeige (UA S. 7). Neue Umstände, welche die Gefährlichkeitsprognose negativ beeinflussen könnten, hat das Landgericht nicht festgestellt.
3. Der Senat schließt nunmehr aus, dass ein neues Tatgericht noch Tatsachen feststellen könnte, die bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Er entscheidet deshalb selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.“