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Einziehung III: Arrest in das gesamte Vermögen, oder: Verhältnismäßigkeit

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Schon etwas länger schlummert in meinem Blogordner der OLG Bamberg, Beschl. v. 19.03.2018 – 1 Ws 111/18, den mir die Kollegin Waterstradt aus Aschaffenburg geschickt hat. Heute passt die Entscheidung ganz gut. Es geht zwar zunächst noch nicht um Einziehung, aber um die Verhältnismäßigkeit eines Arrestes in das gesamte Vermögen eines Beschuldigten. Dazu das OLG:

„Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NStZ 2006, 639, beck-online; noch auf der Grundlage des früheren Rechtszustands, aber wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung für das unverändert gebliebene grundrechtliche Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Eingriff und bürgerlichen Grundrechten weiterhin zutreffend) ist der Vermögensarrest als staatlicher Zugriff auf das Vermögen am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen. Er erlaubt zwar nicht die endgültige Entziehung des Eigentums, beschränkt aber die Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeiten in einschneidender Weise. An seine Zumutbarkeit und an das Verfahren seiner Anordnung sind besondere Anforderungen zu stellen. Zu berücksichtigen ist, dass das möglicherweise strafbar erlangte Vermögen oder sein Wertersatz zu einem Zeit-punkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch nicht über die Straf-barkeit entschieden worden ist. Das Eigentumsgrundrecht verlangt in diesen Fällen eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des Betroffenen.

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt eine Wechselbeziehung zwischen dem Gewicht des Eingriffs und den Anforderungen an seine Anordnung. Je intensiver der Staat mit Sicherungsmaßnahmen in den vermögensrechtlichen Freiheitsbereich eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs. Wird durch die Sicherungsmaßnahme nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen, so fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine besonders sorgfältige Prüfung und eine eingehende Darlegung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Anordnung.

Der Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 GG wird bei der Arrestanordnung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens gesichert. Zur Gewährleistung des Eigentumsrechts sieht die Strafprozessordnung einen grundsätzlichen Richtervorbehalt vor (§ 111j StPO). Nicht nur die entsprechenden Normen des Prozessrechts, sondern auch der Schutz des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG verlangen vom Ermittlungsrichter und dem Rechtsmittelgericht, dass sie die tatsächlichen Grundlagen einer Arrestanordnung selbst ermitteln und ihre rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive gewinnen und begründen. Eine Bindung der Gerichte an die im Verfahren der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen wird dadurch ausgeschlossen. Vielmehr müssen die eigene richterliche Prüfung der Voraussetzungen des Eingriffs und die umfassende Abwägung zur Feststellung seiner Angemessenheit mit auf den Einzelfall bezogenen Ausführungen dargelegt werden. Schematisch vorgenommene Anordnungen oder formelhafte Bemerkungen in den Beschlussgründen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen, fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht lediglich eine Vermutung hinsichtlich der Höhe erlangten Vermögens, vielmehr bedarf dies einer besonders sorgfältigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, damit der Betroffene dagegen Rechtsschutz suchen kann.

Angesichts der Höhe des Arrestbetrags und der sonst bekannt gewordenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten ist davon auszugehen, dass hier der Arrest das gesamte derzeitige Vermögen des Beschuldigten umfasst. Praktisch sieht es so aus, dass der Beschuldigte als einzigen bedeutsamen Vermögensgegenstand die Ansprüche aus seinem Arbeitsverhältnis hat, die in Vollzug des Arrests gepfändet wurden und den Beschuldigten somit auf den pfändungsfreien Teil seines Arbeitseinkommens zurückfallen lassen.

Den hieraus erwachsenden Anforderungen, so wie sie vorstehend dargestellt sind, wird die angefochtene Entscheidung in Verbindung mit der vorangegangenen amtsgerichtlichen Entscheidung und der Nichtabhilfeentscheidung gerecht. Auch der Senat ist der Auffassung, dass die hier vorgenommene Schadensberechnung jedenfalls im gegenwärtigen Ermittlungsstadium hinreichend konkret und realistisch ist, weil sie auf konkreten Aussagen von Zeugen beruht, die mit den Vor-gängen, die der Berechnung zugrunde liegen,, unmittelbar befasst waren, und darüber hinaus keine Bedenken gegen deren Glaubwürdigkeit ersichtlich sind….“

 

Vorführung, oder: Nur die „Befürchtung“ des Nichterscheinens reicht nicht

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Ich bin mit einem Haft-Posting angefangen und will die Thematik dann heute fortsetzen. Die zweite Entscheidung kommt allerdings nicht vom BGH, sondern aus der Instanz. Es ist der LG Magdeburg, Beschl. v. 03.05.2018 – 25 Qs 35/18. Es geht um die Vorführung des Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin auf der Grundlage folgenden Verfahrensablaufs:

„Mit Verfügung vom 22. November 2017 beraumte das Amtsgericht einen Hauptverhandlungstermin zum 13. Dezember 2017 an. Gemäß Verfügung des Vorsitzenden vom 22. November 2017 war der auf freiem Fuß befindliche Beschwerdeführer gegen Zustellungsurkunde zu laden.

Noch am selben Tage ordnete das Amtsgericht auch die polizeiliche Vorführung des Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin am 13. Dezember 2017 an.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 5. Dezember 2017 beantragte der Beschwerdeführer, den Termin zur Hauptverhandlung am 13. Dezember 2017 auf einen anderen Terminstag zu verlegen, weil der Angeklagte – gemäß beigefügter ärztlicher Bescheinigung – nicht reise- und verhandlungsfähig sei.

Das Amtsgericht wies den Aussetzungsantrag durch Verfügung vom 07. Dezember 2017 mit der Begründung zurück, die ärztliche Bescheinigung attestiere lediglich eine Reiseunfähigkeit für Fahrten von mehr als 45 Minuten.

Gegen diesen Beschluss erhob der Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Dezember 2017 Beschwerde und beantragte erneut die Aussetzung der Hauptverhandlung. Auf die Anfrage des Amtsgerichts Aschersleben vom 12. Dezember 2017 teilte der behandelnde Arzt dem Amtsgericht mit, der Beschwerdeführer sei zwar in seiner Beweglichkeit eingeschränkt, es sei ihm jedoch auf jeden Fall möglich, eine Reise nach Aschersleben vorzunehmen. Eine Hauptverhandlung mit einer entsprechenden Pause sei ebenfalls möglich.

Hieraufhin teilte das Amtsgericht dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 13. Dezember 2017 unter Beifügung einer Ablichtung der Mitteilung des behandelnden Arztes mit, die Hauptverhandlung werde stattfinden, und ordnete erneut die Vorführung des Beschwerdeführers an.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13. Dezember 2017 beantragte der Beschwerdeführer die Aussetzung der Hauptverhandlung und erhob zugleich Beschwerde gegen die angeordnete Vorführung

Das Amtsgericht wies den Aussetzungsantrag des Verteidigers mit Beschluss vom 13. Dezember 2017 erneut zurück, woraufhin der Beschwerdeführer den zuständigen Richter mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13. Dezember 2017 wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnte.

Das Ablehnungsgesuch des Angeklagten vom 13. Dezember 2017 wies das Amtsgericht Direktor des Amtsgerichts – Aschersleben mit Beschluss vom 26. Februar 2018 als unbegründet zurück.

Hieraufhin beraumte das Amtsgericht mit Verfügung vom 28. Februar 2018 einen Hauptverhandlungstermin auf den 5. April 2018, 9.30 Uhr, an. Auch zu diesem Hauptverhandlungstermin wurde die Ladung des auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten gegen Zustellungsurkunde angeordnet.

Am 3. April 2018 ordnete das Amtsgericht abermals die Vorführung des Angeklagten an. Eine Begründung hierzu wurde nicht mitgeteilt.

Der Angeklagte wurde sodann zur Hauptverhandlung am 5. April 2018 vorgeführt. Das Verfahren wurde gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.“

Das LG stellt nachträglich – zutreffend- die Rechtswidrigkeit der Vorführungsanordnung fest:

„Gemäß § 230 Abs. 2 StPO ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, wenn der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung zum Hauptverhandlungstermin ausgeblieben ist.

Allein die Befürchtung, so wie offensichtlich vom Amtsgericht in dieser Sache angenommen, der Angeklagte werde zum Hauptverhandlungstermin nicht erscheinen, berechtigt nicht zur Anordnung der Vorführung gemäß § 230 Abs. 2 StPO.“

Durchsuchung wegen Kokainerwerb, oder: Die Durchsuchung dient nicht der Begründung eines Verdachts

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Die zweite LG-Entscheidung hat mir der Kollege Rakow aus Rostock geschickt. Es geht im LG Rostock, Beschl. v. 30.11-2017 – 13 Qs 149/17 (1) – auch um eine Durchsuchung in einem BtM-Verfahren. Durchsucht wird die Wohnung des Beschuldigten. Zur Begründung führte das AG Rostock (nur) aus:

„Die Beschuldigte ist verdächtig in Rostock in der Zeit vom 20.02.2017 bis zum 07.09.2017 von dem gesondert verfolgten pp. Kokain erworben zu haben.

Die Beschuldigte ist dieser Tat(en) verdächtig aufgrund der bisherigen polizeilichen Ermittlungen. Insbesondere aufgrund von Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung im Verfahren  gegen pp. Hier gibt es eine Vielzahl von Telefonaten zwischen pp und der Beschuldigte, in dem es ganz offensichtlich um den Erwerb von Kokain geht.

Dieser konnte bislang noch nicht abschließend geklärt werden; es besteht nach bisherigen Erkenntnissen der naheliegende“ Verdacht, dass eine Durchsuchung bei der Beschuldigten und der von ihr genutzten Räume zur Auffindung der oben benannten Beweismittel führen wird und deshalb eine geeignete und erforderliche Strafverfolgungsmaßnahme ist.“

Dem LG reicht das so nicht:

Ein Durchsuchungsbeschluss hat mit Blick auf die Bedeutung eines Eingriffes in die durch Art. 13 GG geschützte persönliche Lebenssphäre bestimmten inhaltlichen Anforderungen zu genügen, insbesondere sind tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs erforderlich, sofern sie nach dem Ermittlungsergebnis ohne weiteres möglich sind und den Zwecken der Strafverfolgung nicht zuwiderlaufen (BVerfGE 20,  162, 227; Meyer-Goßner/Schmidt, § 105 StPO, Rn. 5 m.w.N.). Darüber hinaus sind Zweck und Ziel der Durchsuchung zu konkretisieren, Art und Inhalt der aufzufindenden Beweismittel sind so anzugeben, dass kein Zweifel über die zu suchenden Gegenstände entsteht; es muss die Vornahme einer Einzelprüfung zu erkennen sein (BVerfGE 42, 212, 221), Zudem sind die wesentlichen Verdachtsmomente darzulegen, in aller Regel also auch die Indiztatsachen, auf die der Verdacht gestützt wird. Diese Begründung darf nur unterbleiben, wenn die Bekanntgabe der wesentlichen Verdachtsmomente den Untersuchungszweck gefährdet (BGH NStZ7RR 2009, 142; BVerfG, NJW 2015, 1585, 1587; Meyer-Goßner/Schmidt, § 105 StPO, Rn. 5a m.w.N.).

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem Beschuldigten vor Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses regelmäßig kein rechtliches Gehör gewährt (§ 33 Abs. 4 StPO) und vor Abschluss der Ermittlungen oftmals Akteneinsicht auf Grundlage von § 147 Abs. 2 StPO verwehrt wird, so dass er durch die Darlegungen im Durchsuchungsbeschluss in die Lage versetzt werden soll) den zugrunde liegenden Tatvorwurf zu überprüfen und sich dagegen sachgerecht zu verteidigen.

Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss wird diesen Anforderungen jedenfalls hinsichtlich der Mitteilung der wesentlichen Verdachtsmomente nicht gerecht. Allein die Inbezugnahme der Telekommunikationsüberwachung und vermeintlich inkriminierender Telefonate mit dem gesondert verfolgten pp. ist nicht geeignet, den Tatvorwurf weiter zu konkretisieren. Dementsprechend enthält der Durchsuchungsbeschluss auch keine tatsächlichen Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs, insbesondere sind keine Angaben zu den jeweiligen Zeitpunkten enthalten, zu denen die Beschuldigte Kokain erworben haben soll. Wann sich die Beschuldigte jeweils mit dem gesondert verfolgten pp. zur Übergabe von Bargeld getroffen haben dürften, ließ sich indes im Wesentlichen den bisherigen Ermittlungsergebnissen entnehmen, namentlich der Telekommunikationsüberwachung über den Nachrichtendienst WhatsApp (BI. 5-19 d.A.). Es ist nicht erkennbar, dass durch die Bekanntgabe dieser Verdachtsmomente der Untersuchungszweck gefährdet worden wäre.

Gleichwohl lässt selbst die Überwachung der Kommunikation über den Nachrichtendienst WhatsApp keine Rückschlüsse auf den Ankauf von Kokain oder anderen Betäubungsmitteln zu. Die Verdachtsmomente müssen – um die Grundlage für einen zwingend notwendigen Anfangsverdacht zu begründen – über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausgehen. Insbesondere darf eine Durchsuchung nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung des Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus (BVerfG, Beschl. v. 24.01.2013 – 2 BvR 376/11). Die aufzufindenden Beweismittel – vorliegend „schriftliche Aufzeichnungen über den Erwerb von Kokain, Kontoauszüge und BtM-Utensilien“ – dienten der Ermittlung erstmalig belastender Tatsachen und waren für sich genommen ebenfalls nicht geeignet, die Durchsuchung rechtsstaatlich zu umgrenzen.“

170.000 € in der Kühltruhe „gespart“, oder: Dinglicher Arrest/Vermögensabschöpfung

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Und auch die letzte Entscheidung des heutigen Tages habe ich gestern erst erhalten. Es ist der schon etwas ältere LG Landau, Beschl. v. 11.05.2017 – 3 Qs 28/17 u. 29/17. Ich weise darauf hier besonders hin, weil es um Vermögensabschöpfung nach altem Recht geht. Das voarb und damit nicht irgendein „Schlauberger“ moniert, dass das LG noch von Verfall usw. die Rede ist. Und auch § 111d StPO a.F. gibt es so nicht mehr.

In der Sache geht es um die Anordung und Erweiterung eines dinglichen Arrests. Mit Beschluss des AG vom 17.03.2017 war der dingliche Arrest in das Vermögen der Beschuldigten in Höhe von 100.000 € angeordnet worden. Hintergrund war die Anzeige der Geschädigten pp., dass die Beschuldigte eine Plastikdose mit 100.000,00 € aus der in der Garage befindlichen Gefriertruhe entwendet haben soll. Als Tatzeitraum wurde Sommer 2016 bis 05.03.2017, dem Tag des Auszugs der Beschuldigten aus der im 1. OG des Anwesens der Geschädigten befindlichen Mietwohnung, angenommen. Mit Beschluss vom 22.03.2017 wurde der zu sichernde Betrag auf 170.000 € erhöht, nachdem die Geschädigte telefonisch mitgeteilt hatte, dass sie einen Zettel gefunden habe, auf dem vermerkt sei, dass sie am 01.03.2015 das Geld gezählt habe und es sich um 170.000 € gehandelt habe. Darüber hinaus ergaben die Ermittlungen, dass die Beschuldigte ab Oktober 2016 insgesamt 158.550 € Bargeld auf ihre Konten eingezahlt hatte.

Dagegen die Beschwerde der Beschuldigten, die beim LG Erfolg hat: Das LG sagt: Derzeit liegen die Voraussetzungen für die Anordnung des dinglichen Arrestes gem. § 111d StPO nicht vor.

„Der dingliche Arrest setzt voraus, dass der einfache Verdacht einer Straftat besteht und Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass in dem Urteil der Verfall oder die Einziehung von Wertsachen angeordnet wird. Das Gericht hat dabei eine Ermessensentscheidung zu treffen, bei der es die Belange des Opferschutzes, aber auch die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten des Verletzten, seine Rechte selbst durchzusetzen, die Schwere des Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht der Beschuldigten insbesondere nach Höhe und voraussichtlicher Dauer des Arrests, den konkreten Verdachtsgrad und die Schadenshöhe zu berücksichtigen hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 111d Rn, 4). Der Verdacht einer Straftat darf sich vorliegend im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs durch Beschlagnahme des gesamten Geldvermögens der Beschuldigten nicht allein auf eine bloße Möglichkeit, vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen stützen. Darüber hinaus unterliegt die Anordnung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wobei es einer besonders sorgfältigen Prüfung und Darlegung der maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen bedarf, wenn dadurch nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis der Beschuldigten entzogen wird, wie dies vorliegend der Fall ist.

Beim derzeitigen Ermittlungsstand liegen die Voraussetzungen für die Anordnung des dinglichen Arrests nicht vor:

Der Verdacht eines von der Beschuldigten begangenen Diebstahls begründet sich allein darauf, dass die Geschädigte beanzeigt hat, dass die Beschuldigte – ihre ehemalige Mieterin eine Plastikdose mit mindestens 100.000,00 €, wenn nicht sogar 170.000 €, aus ihrem Versteck aus der Gefriertruhe in der Autogarage entwendet haben soll, und dass die Finanzermittlungen ergeben haben, dass die Beschuldigte seit Oktober 2010 insgesamt 158.550,00 € bar auf zwei Konten  eingezahlt hat, wobei 96.000,00 € in 500 €-Scheinen eingezahlt worden sein sollen. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich in der Kühltruhe der Geschädigten tatsächlich soviel Bargeld befunden hat und dass es sich bei dem von der Geschädigten eingezahlten Bargeld um genau dieses Geld handelt, bestehen nicht.

Zum einen ist bereits unsicher, wieviel Geld tatsächlich abhanden gekommen sein soll. Ursprünglich gab die Geschädigte an, dass es sich um „etwas mehr als 100.000 €“ gehandelt habe. Später will sie einen Zettel gefunden haben, aus dem hervorgeht, dass sie bei einer Zählung am 1.3.2015 ein Ergebnis von 170.000 € ermittelt haben will, wobei insoweit wiederum nicht ermittelt wurde, ob seit diesem Zeitpunkt Geld entnommen oder hinzugefügt wurde. Des Weiteren muss die Aussage der Geschädigten hinsichtlich dieser Differenz von 70.000 € kritisch hinterfragt werden, da bei dieser Größenordnung ein Irrtum eher fernliegend erscheint. Man mag sich bei diesen Geldbeträgen um einige tausend Euro irren, aber es erscheint lebensfremd, dass man sich über einen Betrag von 70.000,00 € irrt.

Zum anderen ist bisher nicht ansatzweise aufgeklärt worden, wer überhaupt Zugang zu der Gefriertruhe hatte. Bei dem Versteck handelt es sich um kein besonders originelles Versteck. Jede Person, die berechtigt oder unberechtigt Zugriff auf die in der Garage stehende Gefriertruhe hatte, hatte die Möglichkeit – auch zufällig – auf die Plastikdose mit dem Geld zu stoßen und diese an sich zu nehmen, zumal die Geschädigte das Geld im Spätjahr 2016 zuletzt gesehen haben will, sodass sich der Tatzeitraum auf mindestens ein halbes Jahr erstreckt, in dem das Geld verschwunden sein kann. Des Weiteren ist nicht geklärt, in welcher Stückelung sich das Geld in der Dose befunden haben soll, sodass derzeit nicht nachprüfbar ist, ob sich die entsprechende Geldmenge aufgrund ihres Volumens überhaupt in der Dose, deren Größe ebenfalls nicht bekannt ist,  befunden haben kann und ob es sich bei dem von der Beschuldigten eingezahlten Bargeld um  dieses Geld gehandelt haben kann, nachdem die Beschuldigte 96.000 € in 500 €-Scheinen eingezahlt haben soll, was einer Stückzahl von 192 Scheinen entspricht.

Daneben ist zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte durch ihren Verteidiger durchaus plausibel und plastisch vortragen lässt, woher sie selbst soviel Bargeld gehabt haben will, das sie ebenso wie die Geschädigte – nicht auf einem Konto, sondern teils zuhause in einem Koffer, teils ab einem bestimmten Zeitpunkt in einem Bankschließfach, dessen Existenz durch die Finanzermittlungen belegt wird, verwahrt haben will. Bei der Frage, ob die Beschuldigte in der Lage war,  entsprechende Beträge anzusparen, allein auf die aktuelle Rente der Beschuldigten abzustellen, greift zu kurz, da nicht ermittelt wurde, ob die Beschuldigte nicht in ihrer Zeit vor Eintritt in das Rentenalter hätte Rücklagen bilden können. Darüber hinaus bietet die Einlassung der Beschuldigten eine Vielzahl von Ermittlungsansätzen, woher das von der Beschuldigten eingezahlte Bargeld stammen kann, denen nachzugehen sein wird.

Im Hinblick auf die schwachen Verdachtsmomente, die gegen die Beschuldigte sprechen, steht die Anordnung des dinglichen Arrests beim aktuellen Ermittlungsstand jedenfalls außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht der Beschuldigten, die durch die Maßnahme in eine wirtschaftliche Notlage gebracht wurde. „

In der Sache m.E. zutreffend. Und der „Aufbewahrungsort“ „Kühltruhe“. ich habe nicht geglaubt, dass es so etwas gibt….

Erkennungsdienstliche Behandlung; oder: Einstellung rettet davor nicht

entnommen wikimedia.org Urheber Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden

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Die zweite Entscheidung aus dem „Kessel Buntes“ kommt aus dem Verwaltungsrecht, hat aber straf(verfahrens)rechtlichen Einschlag. Es handelt sich um den OVG Bautzen, Beschl. v. 18.10.2016 – 3 B 325/15. Anhängig ist/war eine Klage eines ehemaligen Beschuldigten gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach Einstellung des Strafverfahrens gegen den ehemaligen Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 StPO. Angeordnet worden war die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers durch Abnahme eines Detailbilds, eines Dreiseitenbilds, eines Ganzkörperbilds, eines Lichtbilds und von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken sowie durch Anfertigung einer Personenbeschreibung angeordnet wurde, abgewiesen. Als Anlasstat wurde ein Ermittlungsverfahren zugrunde gelegt, das wegen einer am 18. April 2013 begangenen tätlichen Beleidung eingeleitet worden war. Es wurde dem Kläger dabei zur Last gelegt, einen Autofahrer zum Anhalten genötigt und im Anschluss mit einer Handgreiflichkeit tätlich beleidigt zu haben. Deswegen wurde der Kläger vom Amtsgericht Bautzen am 4. August 2014 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Gegen den Kläger wurde im Zeitraum von 2004 bis 2013 auch noch mehrfach wegen Beleidigungs- und Körperverletzungsdelikte ermittelt. Die Verfahren waren wohl nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Das OVG sieht darin nun aber keinen Grund von der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme nach § 81b Alt. 2 StPO abzusehen:

Entgegen der Ansicht des Klägers lässt die Einstellung eines Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO nicht generell den eindeutigen Schluss auf einen Wegfall des Verdachts eines strafbaren Verhaltens zu. Die Verwertung von Strafverfahren, die zur Einstellung gelangt sind, ist wegen der präventivpolizeilichen Ausrichtung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht von vornherein ausgeschlossen. Ist das Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, darf die Behörde ihre Prognose über die Notwendigkeit der Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen jedenfalls nicht ungeprüft an die Beschuldigteneigenschaft anknüpfen. Dies gilt auch für die gerichtliche Überprüfung dieser Prognose, für welche die Sach- und Rechtslage der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist. Aufgrund des nicht unerheblichen Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) ist vielmehr erforderlich, dass der konkrete Ausgang des Strafverfahrens berücksichtigt wird (zur Zulässigkeit der Speicherung von Daten aus einem nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren: vgl. BVerfG, Beschl. v. 1. Juni 2006 – 1 BvR 2293/03 -, juris Rn. 11 f.). Ob die erkennungsdienstliche Behandlung trotz der Einstellung des Strafverfahrens notwendig ist, richtet sich danach, ob weiterhin Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen oder ob diese derart ausgeräumt worden sind, dass eine Wiederholungsgefahr ausgeschlossen ist (st. Rspr. des Senats, SächsOVG, Beschl. v. 7. Oktober 2016 – 3 A 221/15 -, zur Veröffentlichung bei juris vorgesehen; Beschl. v. 5. Mai 2014 – 3 A 82/13 -, juris Rn. 5 m. w. N.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 13. Juni 2016 – 1 S 71.15 -, juris Rn. 13; OVG M-V, Urt. v. 25. November 2015 – 3 L 146/13 -, juris Rn. 53).“

Hier ergab sich – so jedenfalls das OVG –  „aus den bei den Verwaltungsakten befindlichen polizeilichen Erkenntnissen zu der Person des Klägers ………. zweifelsfrei, dass die Verfahrenseinstellungen vom 18. Januar 2005 und vom 25. Juli 2006 aus tatsächlichen Gründen erfolgt sind und im Hinblick auf die ihm vorgeworfenen Taten nicht von einer erwiesenen Unschuld des Klägers ausgegangen werden kann. Die Strafverfahren wurden nämlich jeweils mit der Begründung versehen „(VE) gem. § 170 (2) StPO, Tätersch./Tat/Tatumst. nicht beweisbar“. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass der Tatverdacht vollständig entfallen war. Vielmehr besteht im Hinblick auf die ihm vorgeworfenen Taten weiterhin ein Restverdacht, der es rechtfertigt, die Verfahren im Rahmen der zu treffenden Prognose wegen Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen.“