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Ein schneller/einfacher Erfolg … immer wieder Lücken in der Beweiswürdigung

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Ich hatte gestern ja schon in Zusammenhang mit den erforderlichen Feststellungen zum Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung über den OLG Hamm, Beschl. v. 18.12.2012 – III – 1 RBs 166/12 – berichtet. Der ist noch aus einem weiteren Grund interessant, weil das OLG nämlich auf einen Fehler hinweist, der in der Praxis häufiger auftritt und bei dem sich eine Sachrüge mit einem schnellen (vorläufigen) Erfolg lohnen kann.

Es ging u.a. um die „Täteridentifizierung“ anhand eines von dem Verkehrsverstoß gefertigten Bildes. Das AG hatte weder das Messfoto beschrieben noch darauf Bezug genommen, sondern seine seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen auf ein mündlich erstattetes Gutachten einen Sachverständigen  gestützt, „der nachvollziehbar und überzeugend dargelegt habe, dass nach seiner Begutachtung die Identität des Betroffenen mit der Person auf dem Messfoto „höchst wahrscheinlich“ bestehe.“ Und allein das genügt eben nicht:

„..Die Darstellung der Beweiswürdigung ist vielmehr lückenhaft. Die Urteilsgründe ermöglichen nämlich dem Senat nicht die Kontrolle, ob die Feststellung, dass gerade der Betroffene die gegenständliche Tat begangen hat, rechtsfehlerfrei getroffen worden ist. Ihnen ist nicht hinreichend und nachvollziehbar zu entnehmen, wie der Sachverständige zu seinem Untersuchungsergebnis gekommen ist und aus welchen Gründen das Amtsgericht den Ausführungen des Sachverständigen rechtsfehlerfrei folgen durfte.

Der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und diesem Beweisbedeutung beimisst, muss auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen anschließt, die Ausführungen des Sachverständigen in einer, wenn auch nur gedrängten, zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerung wiedergeben, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 10.03.2009 – 4 Ss OWi 126/09 -‚ zitiert nach burhoff-online; Beschluss vom 26.05.2008 – 3 Ss OWi 793/07 -‚ zitiert nach beck-online). Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der gedanklichen Schlüssigkeit des Gutachtens und seines Beweiswertes zu ermöglichen, bedarf es daher über die Aufzählung der mit dem Foto übereinstimmenden morphologischen Merkmalsprägungen des Betroffenen hinausgehender Angaben (OLG Hamm, a. a. O. m. w. N.). Nur so kann der sich hieran anknüpfende Schluss des Sachverständigen, ein Dritter sei aufgrund dieser Übereinstimmungen als Fahrer im Tatzeitpunkt praktisch ausgeschlossen, nachvollzogen werden. Derartige Merkmale werden in den Urteilsgründen, die lediglich das Ergebnis der Begutachtung mitteilen, jedoch nicht genannt….“

 

(Verstecktes) Lob vom 1. Strafsenat – wann gibt es das schon mal?

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Der Verteidiger macht mit der Revision geltend, sein in der Hauptverhandlung vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache angebrachter Besetzungseinwand (§ 222b Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 338 Nr. 1b StPO) sei zu Unrecht zurückgewiesen worden. Die Seite des Hauptverhandlungsprotokolls, die diesen Vortrag belegt, ist dabei vom Angeklagten/Verteidiger ausdrücklich genannt. Der GBA hatte Zweifel, ob dieser Vortrag den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt, weil ohne Beifügung des Hauptverhandlungsprotokolls nicht zu beurteilen sei, ob der Einwand tatsächlich rechtzeitig angebracht wurde.

Die Zweifel hat der 1. Strafsenat (!!!!) des BGH im BGH, Beschl. v. 22.01.2013 –  1 StR 557/12 – nicht:

„Die Behauptung, der Einwand sei vor Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache angebracht worden, ist schlüssig und vollständig. Dies genügt den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Darüber hinaus ist schon nicht die Angabe, umso weniger die Beifügung von Beweismitteln zur Überprüfung der tatsächlichen Richtigkeit des Revisionsvorbringens erforderlich (BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 1 StR 33/11; Beschluss vom 22. September 2006 – 1 StR 298/06 mwN)….“

Und der 1. Strafsenat setzt – versteckt lobend – gleich noch einen drauf, wenn er ausführt:

„Der Senat bemerkt, dass der hier gleichwohl gegebene Hinweis auf die einschlägige Seite des Protokolls die Überprüfung des Revisionsvorbringens in tatsächlicher Hinsicht erleichtert hat.“

Der Verteidiger wird sich freuen. Denn wann wird man vom 1. Strafsenat schon mal gelobt? Allerdings: In der Sache hat es nichts gebracht. Die Rüge war unbegründet.

Wenn erst mal der Wurm drin ist – Fristversäumung und dann auch noch nicht ausreichender Wiedereinsetzungsantrag

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Ein wenig durcheinander scheint es mir in einem Verteidigerbüro gegangen zu sein. Der BGH teilt zum Sachverhalt im BGH, Beschl. v. 08.01.2013 – 1 StR 621/12 – in dem es u.a. um Gewährung von Wiedereinsetzung ging, mit:

Mit einem am 22. Oktober 2012 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat der Pflichtverteidiger die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben. Mit am 30. Oktober 2012 eingegangenem Schriftsatz hat er Wiedereinsetzung für den Fall beantragt, dass die Revisionsbegründung unvollständig sei. Am 26. November 2012 hat sich ein Wahlverteidiger gemeldet und Akteneinsicht beantragt, die ihm gewährt worden ist. Mit einem am 28. Dezember 2012 ein-gegangenen Schriftsatz hat der Pflichtverteidiger Wiedereinsetzung in den vori-gen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision und Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Wiedereinsetzung beantragt.“

Dazu der BGH:

„2. Da die Revisionsbegründung nicht unvollständig, sondern verspätet ist, mithin die Bedingung, unter der Wiedereinsetzung beantragt worden ist, nicht eingetreten ist, ist schon aus diesem Grund über den am 30. Oktober 2012 eingegangenen Antrag nicht zu entscheiden.“

Und, wenn erst mal der Wurm drin ist, dann geht häufig alles schief. So dann auch hier.

3. Die am 28. Dezember 2012 eingegangenen Anträge sind unzulässig, da die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht eingehalten worden sind. Die jeweilige Antragsbegründung äußert sich nicht dazu, wann die Hindernisse, die einer rechtzeitigen Revisionsbegründung und einem rechtzeitigen Wiedereinsetzungsantrag entgegenstanden, weggefallen sind. Entscheidend für den Beginn der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Fristversäumung durch den Angeklagten. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Wahrung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nicht offensichtlich ist – wie hier, da der Angeklagte z. B. durch den Wahlverteidiger oder den Antrag des Generalbundesanwalts von den versäumten Fristen hätte erfahren können – , gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags auch, dass der Antragsteller mitteilt, wann dieses Hindernis entfallen ist (vgl. BGH, NStZ 2006, 54 f.; NStZ-RR 2010, 378). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 365/10; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 45 Rn. 5). Erforderlich war demnach die Mitteilung, wann der Angeklagte von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und der Frist des § 45 StPO Kenntnis erhalten hat. An einem entsprechenden Vortrag fehlt es aber.

Tja, das war es dann. Musste nicht sein.

 

Standardisiertes Messverfahren – nicht, wenn am „37.12.2010“ gemessen worden ist

Der Begriff des standardisierten Messverfahrens spielt im Bußgeldverfahren eine große Rolle. Hängt von ihm doch das Verteidigerverhalten im Verfahren aber vor allem auch der Umfang der Urteilsgründe ab. Auf letzteres weist jetzt noch einmal der OLG Celle, Beschl. v. 10.01.2013 – 322 SsBs 356/12 hin. Da hatte der Tatrichter bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem System VKS 3.0 ‑ Softwareversion 3.1 – einen Eingabefehler bei der manuellen Auswertung festgestellt, und zwar die Eingabe eines offensichtlich falschen Datums. Es hatte dann selbst gerechnet und war von der Richtigkeit der Messung ausgegangen. Das hat dem OLG so nicht gereicht.

Die Annahme eines standardisierten Messverfahrens setzt insbesondere nicht voraus, dass die Messung in einem voll automatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren stattfindet (OLG Dresden, a.a.O.). Die Richtigkeit des Messergebnisses, das – wie bei dem System VKS 3.0 – erst nach Auswertung der technischen Videoaufzeichnung mittels einer geeichten Auswerteeinheit durch einen Beamten erfolgt, kann deswegen in der Regel darauf gestützt werden, dass sich der Tatrichter von der ausreichenden Schulung des Messbeamten in der Anwendung der Auswerteeinheit überzeugt.

Jedoch ist der Tatrichter auch bei standardisierten Messverfahren gehalten, Fehlerquellen nachzugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit der Messung begründen. Derartige Anhaltspunkte hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil aufgezeigt, ohne zugleich darzustellen, anhand welcher Beweismittel es dennoch von der Richtigkeit der Messung überzeugt ist.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts enthält das Ergebnis der Anwendung der Auswerteeinheit (das Datenfenster des „Fallprotokolls Geschwindigkeit“) ein unzutreffendes Datum („37.12.2010“ statt des in der Videoaufzeichnung festgehaltenen, als Tatzeit festgehaltenen Datums „31.10.2011“). Nach „Einschätzung“ des Amtsgerichts handelt es sich dabei um das Resultat eines Eingabefehlers, der dem Messbeamten bei der EDV-gestützten Wiedergabe der Fotos unterlaufen sein muss. Diese durch kein Beweismittel untermauerte Vermutung des Amtsgericht kann zutreffend sein; in diesem Fall müssen die Urteilsgründe jedoch erkennen lassen, warum das Amtsgericht davon überzeugt ist, die weiteren Ergebnisse der Auswertung der Videoaufzeichnung seien fehlerfrei.

Zwar hat das Amtsgericht hier schlüssig anhand einer Weg-Zeit-Berechnung die Richtigkeit der sich aus dem Messdatenblatt sowie der Videoaufzeichnung ergebenden Geschwindigkeit aufgezeigt. Damit hat das Amtsgericht jedoch – gewissermaßen an dem standardisierten Messverfahren vorbei – die Berechnung nachvollzogen, die nach dem durch die PTB zugelassenen System gerade durch die Auswerteeinheit erfolgen muss. Insbesondere hat das Amtsgericht bei dieser Berechnung Anknüpfungstatsachen – nämlich die genauen Wegmarken – herangezogen, die sich erst aus der Anwendung der Auswerteeinheit ergeben konnten.

Das Amtsgericht war deswegen zumindest gehalten, den Messbeamten zum Vorgang der Auswertung der Videoaufzeichnung zu vernehmen, um ausschließen zu können, dass sich der Übertragungsfehler auf das Datum beschränkt hat. Gegebenenfalls wäre ansonsten die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit geboten.

Kleinigkeiten können also das Verfahren entscheiden – bzw. Zeitgewinn bringen.

Bedeutungslos – das muss man eingehend begründen

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Die Ablehnung eines Beweisantrages wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache unterliegt nach der Rechtsprechung des BGH besonderen Anforderungen. In dem Bereich ist die Rechtsprechung des BGH verhältnismäßig streng, wie der BGH, Beschl. v. 27.11.2012 – 5 StR 426/12 – noch einmal zeigt.

Zum Sachverhalt: In einem BtM-Verfahren hatten die Angeklagten „die Vernehmung der Zeugen O. und L. – ersteren als Zeugen vom Hörensagen, letzteren als unmittelbaren Zeugen – zum Beweis der Tatsache begehrt, dass der Mitangeklagte P. in der Justizvollzugsanstalt T. , in der er als Vollzugsbeamter tätig war, mit Drogen gehandelt habe. Zur Begründung hat das Tatgericht ausgeführt, die Beweistatsache lasse keine zwingenden Schlüsse auf die „Glaubwürdigkeit“ des Mitangeklagten zu. Sie beträfe lediglich einen Randbereich seiner Aussage. Im Übrigen hätten die Angeklagten selbst eine Tatbeteiligung eingeräumt.

Dem BGH reichte das nicht:

Dies genügt nicht den Anforderungen, die an die Begründung der Ablehnung eines auf eine Indiztatsache gerichteten Beweisantrags zu stellen sind. Der Beschluss, mit dem die Erhebung eines Beweises wegen Unerheblichkeit der Beweistatsache abgelehnt wird, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss blieb (BGH, Urteil vom 7. April 2011 – 3 StR 497/10, NStZ 2011, 713 mwN). Dies nötigt zu einer Einfügung der Beweistatsache in das bisher gewonnene Beweisergebnis (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2011 – 5 StR 397/11, NStZ-RR 2012, 82)…..“