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AG II: Sind Sitzblockaden der Klimaaktivisten strafbar?, oder: Keine Nötigung/kein Widerstandleisten?

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Bei der zweiten AG-Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 05.10.2022 – (303 Cs) 237 Js 2450/22 (202/22). Es nimmt Stellung zur Frage, ob  die Sitzblockaden durch Klimaaktivsten der „Letzten Generation“ den Tatbestand des Widerstandleisten gem. § 113 Abs. 1 StGB und/oder der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllen. Das AG hat die Frage verneint und den Erlass eines Strafbefehls abgelehnt. Hier nur die Ausführungen des AG zur Nötigung:

„1. Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeschuldigten vor, am 23.6.2022 gemeinsam mit 66 anderen gesondert verfolgten Personen die Kreuzung Frankfurter Tor/F. Allee im Rahmen einer politischen Demonstration „Öl sparen statt Bohren“ (ausweislich der durch die Zeugen fotografierten Plakate) der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ blockiert zu haben und dadurch über einen Zeitraum von ca. 3,5 Stunden erhebliche Verkehrsbeeinträchtigungen erzeugt zu haben sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte begangen zu haben: insoweit wirft die Staatsanwaltschaft der Angeschuldigten vor, sich zur Erschwerung der polizeilichen Räumungsmaßnahmen mit der rechten Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn festgeklebt zu haben, so dass zunächst ca. 10 Minuten lang der Klebstoff gelöst werden musste, bis es möglich gewesen sei, die Angeschuldigte von der Straße wegzuführen.

2. Soweit der Vorwurf des Widerstandleistens gem. § 113 Abs. 1 StGB erhoben wird, liegt bereits der objektive Tatbestand nicht vor,……..

3. Soweit der Angeschuldigten vorgeworfen wird, sie habe gegenüber den durch die Sitzblockade behinderten Fahrzeugführerenden eine verwerfliche Nötigungshandlung i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB begangen, ist dies den Akten nicht zu entnehmen.

Vorauszuschicken ist, dass jede politische Demonstration lästig ist, aber für den demokratischen Rechtsstaat unerlässlich: Großdemonstrationen legen den Innenstadtverkehr oftmals für halbe Tage lahm, die Anwohner müssen für Stunden verschiedene Belästigungen dulden. Um politischen Demonstrationen strafrechtlich zu begegnen, muss daher festgestellt werden, dass der gesetzliche Rahmen durch Demonstrationsteilnehmer verlassen wurde, namentlich im Falle unfriedlicher Demonstrationen, in denen es zu kollektiven, nicht unerheblichen Gewalthandlungen kommt.

Dass dies hier nicht der Fall war, ist den eindrücklichen Schilderungen mancher Zeugen und von Seiten der Polizei zu entnehmen, die nicht nur keinerlei Gewalttätigkeit beobachteten, sondern im Gegenteil die Friedfertigkeit bzw. Kooperationswilligkeit sämtlicher beteiligter Demonstrationsteilnehmer ausdrücklich hervorheben, …: „Ganz ruhig und überhaupt nicht aggressiv“ und die dienstliche Äußerung …: „Außerdem sind die Personen meist sehr offen mit ihrer Verklebung Aktive Handlungen, die das lösen erschweren, hat bis heute keine der durch mich gelösten Personen unternommen“.

Im Übrigen ist auch im Rahmen von politischen Demonstrationen welche zur Steigerung der (medialen) Aufmerksamkeit auf das Mittel von Blockaden zurückgreifen, der grundrechtliche Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG eröffnet, weshalb eine umfängliche Güterabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB zu vollziehen ist, vgl. BVerfG, Beschl.v.7.3.2011:

„Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92, 104; BVerfGK 11, 102, 108). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315, 342 f.; 87, 399, 406). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206, 248; 87, 399, 406; 104, 92, 103 f.). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315, 345).

Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315, 351; BVerfGK 4, 154, 158; 11, 102, 108). Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206, 250).“

Deshalb sind im Lichte von Art. 8 GG zum Schutz vor übermäßigen Sanktionen seitens des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel gem. § 240 Abs. 2 StGB aufgestellt worden.

Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion (a), deren vorherige Bekanntgabe (b), Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten (c), die Dringlichkeit des blockierten Transports (d), aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (e). Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist (f). Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfGE 104, 92, 112).

Die danach vorzunehmende Abwägung ergibt vorliegend, dass die – nicht angemeldete – Protestdemonstration nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB ist.

(a) Die von der Blockade betroffenen Zeugen der sog. zweiten Reihe sind – anders als der Strafbefehlsentwurf glauben machen will – nicht während des gesamten polizeilichen Einsatzes von der ersten polizeilichen Anforderung bis zur vollständigen polizeilichen Freigabe der Straße beeinträchtigt worden …, sondern längstens für ca. zwei Stunden, …. Dass über diese Beschränkung der Bewegungsfreiheit für die Fahrer und Fahrerinnen der betroffenen Fahrzeuge hinaus und die – zugegeben sehr lästigen – Folgen, zu Terminen verspätet oder gar nicht erscheinen zu können, besondere Grundrechtseinschränkungen erfolgten, ist nicht ersichtlich. Namentlich, dass ein Zeuge einer „Schulbeförderung nicht nachkommen“ konnte, nämlich eines 18 Jahre alten Schülers, stellt keine den Demonstranten bzw. der Angeschuldigten vorwerfbare Beeinträchtigung des betreffenden Schülers dar, da nicht ersichtlich und auch nicht ausgeführt ist, dass und ggf. weshalb es dem erwachsenen Schüler nicht möglich gewesen sein sollte, auf anderem Wege noch pünktlich zu seiner Schule zu gelangen.

(b) „Blockadeaktionen“ wurden durch die politische Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ medial angekündigt, zwar nicht konkret dahin, wann oder wo genau entsprechende Demonstrationen stattfinden (das wäre allerdings auch nicht zu erwarten, da dann jede mediale Aufmerksamkeit dank gezielter polizeilicher Vorfeldmaßnahmen abhanden käme), allerdings dahin, dass im Stadtgebiet oder auf Autobahnen bzw. an Autobahnabfahrten ab einem bestimmten Zeitpunkt entsprechende Aktionen geplant sind, so dass für Autofahrer grundsätzlich während der angekündigten Zeiten mit entsprechenden Beeinträchtigungen gerechnet werden konnte und musste und ggf. Möglichkeiten des Parkand-Ride oder der öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen waren.

(c) Verkehrsleitende Maßnahmen (Ableitungen und Vorsperren) wurden seitens der Polizei bereits ab 9:04 Uhr vorgenommen, so dass die anfänglich zwischen 850 m und 1,8 km vorgefundenen Rückstauungen alsbald erheblich reduziert werden konnten. Jedenfalls die Fahrzeugführer der sog. zweiten Reihe waren, als sie hinter den ersten Fahrzeugen vor den Demonstranten bremsen mussten, alsbald eingekeilt zwischen weiteren Fahrzeugen und vermochten nicht mehr fortzufahren über einen Zeitraum von ca. 2 Stunden. Dahingehend weisen die Akten acht ermittelte Geschädigte auf. Die Demonstranten selbst hatten nicht für alternative Zufahrtswege gesorgt. Aus Sicht der betroffenen Fahrzeugführer war also jede Alternative in dem Moment, wo sie in dem Stau vor den Demonstranten standen nach Aktenlage abhanden gekommen.

Es handelt sich bei der Örtlichkeit allerdings um einen allgemein bekannten, stark frequentierten Verkehrsbereich, in dem auch ohne politische Aktionen regelmäßig mit Staus zu rechnen ist.

(d) Eine Behinderung notwendigen Verkehrs, namentlich des Verkehrs von Rettungsfahrzeugen war durch die hier maßgebliche Blockade allerdings nicht gegeben. Die dienstliche Äußerung …, führt dazu aus, dass „Fahrzeuge der BOS … unter Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten auf der entgegen gesetzten Richtungsfahrbahn (sofern ein Wechsel auf diese rechtzeitig stattfand) mit Schrittgeschwindigkeit … ein- und durchfahren“ konnten. Auch sonst war, wie den Fotos … zu entnehmen ist, das Umfahren des blockierten Straßenbereichs über die Schienentrasse der BVG für Krankentransporte möglich.

(e) Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Versammlungsort sowie den Betroffenen der Demonstration mit dem Ziel der Demonstration besteht in gleich zweierlei Hinsicht. Ziel der Demonstration war es, die Aufmerksamkeit auf das dringliche Handeln im Rahmen des Klimawandels zu richten und dahingehend konkret dahin, dass jede Form verschwenderischen Umgangs mit fossilen Brennstoffen zu verringern sei, anstatt weiterhin neue Ölquellen zu explorieren und etwa in der Nordsee oder durch Fracking weitere fossile Brennstoffe zu fördern („Öl sparen statt Bohren“, so die Transparentaufdrucke, zu den Zielen der Demonstrationen und der dahinter stehenden Initiative im Übrigen: https://letztegeneration.de). Diese Thematik betrifft alle Menschen, da es um das Weltklima geht, also auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer, für welche – so gesehen – die Demonstranten mit demonstrieren. Sie betrifft indes gerade auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer insoweit, als diese als Nutzer von PKW maßgeblich an dem Verbrauch von Öl beteiligt und damit Teil der Klimaproblematik sind und nicht – wie von den Demonstranten gefordert – zur Beschleunigung des Erreichens der Klimaziele auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. Ein konkreter Zusammenhang der Demonstration mit den von der Demonstration Betroffenen liegt mithin positiv wie negativ vor.

(e) Dass das von den Demonstranten angesprochene Thema des Klimawandels und der ökologisch notwendigen Wende im politischen Handeln – denn die Initiative hat die Fortdauer ihrer Demonstrationen bis zu einer Wende des politischen Handelns der Regierung angekündigt – ein dringendes globales Thema ist, ist wissenschaftlich nicht zu bestreiten und wird regelmäßig in entsprechenden internationalen Klimakonferenzen betont und mit an Deutlichkeit kaum zu übertreffenden Worten vom UN-Generalsekretär bestätigt. Dabei ist im Rahmen der hier gebotenen Abwägung nicht von Belang, inwieweit auch das Amtsgericht die Ziele oder das Vorgehen der Demonstranten, namentlich der Angeschuldigten für nützlich oder wertvoll erachtet, um aber das Gewicht aller demonstrationsspezifischen Umstände mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ist auf die objektiv (nicht nur subjektiv aus Sicht der Angeschuldigten und der weiteren Demonstrationsteilnehmer) dringliche Lage bei gleichzeitig nur mäßigem politischem Fortschreiten unter Berücksichtigung namentlich der kommenden Generationen, wie dies auch durch das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich angemahnt werden musste (vgl. BverfG, Beschl.v. 24.3.2021, …), hinsichtlich des Demonstrationsanliegens das Augenmerk zu legen.

Angesichts der die von den Blockaden betroffenen Fahrzeugführer positiv wie negativ und überhaupt die Menschheit dringlich betreffenden Ziele der Demonstrationsteilnehmer und also auch der Angeschuldigten, angesichts der Tatsache, dass dringende Transporte wie namentlich Krankentransporte das Demonstrationsgebiet passieren konnten, angesichts der Tatsache, dass die Demonstration die Betroffenen kaum länger als eine Vielzahl sonstiger (angemeldeter) Demonstrationen im Stadtgebiet beeinträchtigt hat und (mutmaßlich, da von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht umfasst) angesichts der vorangehenden Ankündigungen weiterer Demonstrationen zumindest einige der betroffenen Fahrzeugführer im Vorfeld auch auf öffentliche Verkehrsmittel hätten umsteigen können, ist das Verhalten der Beschuldigten nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB. Die legitime Ausübung von Art. 8 GG seitens der Beschuldigten überwiegt vorliegend bei weitem die nur verhältnismäßig geringfügig eingeschränkten Grundrechtsbelange der durch die Demonstration behinderten Fahrzeugführer.“

Na, das kann man m.E. auch anders sehen – und wird es ja auch. Ich denke, die Frage wird nicht beim AG entschieden, sondern die entscheiden das KG und ggf. sogar irgendwann der BGH und/oder das BVerfG.

StPO III: Besorgnis der Befangenheit des Richters, oder: Wenn der Richter von“vorgeworfenen Taten“ spricht

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Und zum Tagesschluss dann noch einen kleinen, aber feinen AG-Beschluss, und zwar der AG Tiergarten, Beschl. v. 29.09.2022 – 217c 88/22 -, den mir der Kollege Laudon aus Hamburg (ja, der von der Strafakte) geschickt hat.

Der Kollege hatte in einem Verfahren mit dem Vorwurf der sexuellen Nötigung, Vergewaltigung pp. die zuständige Richterin abgelehnt.Der Kollege hatte im ersten Termin der Hauptverhandlung noch vor Verlesung der Anklageschrift beantragt, die Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung auszuschließen und sich dabei auf § 171b GVG berufen.

Nach Beratung hatte das Schöffengericht dann folgenden Beschluss verkündet:

„Der Antrag des Angeklagten auf Ausschließung der Öffentlichkeit wird abgelehnt

Ihm ist zuzugeben, dass ihm durch die Berichterstattung über die hiesigen Vorwürfe von Sexualstraftaten Nachteile entstehen können.

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass dies bei dieser Art des Verfahrens immer der Fall ist und es keinen gesetzlichen Ausschlussgrund darstellt.

Das Interesse an der öffentlichen Erörterung überwiegt hier, weil durch die vorgeworfenen Taten der Angeklagte selbst die Privatsphäre anderer (hier der Zeuginnen pp. zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung gemacht hat.“

Zur Begründung hatte der Kollege darauf verwiesen, dass die abgelehnte Richterin die erst noch zu beweisende Tatbegehung vorausgesetzt, zum anderen § 171b StGB rechtsfehlerhaft angewendet habe. Und er hatte mit dem Antrag Erfolg:

„Der Ablehnungsantrag ist unbegründet (sic! – so im Original). Nach dem Inhalt des Ablehnungsantrags, der dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterin und der Akten im Übrigen ergibt sich für den Angeklagten — bei vernünftiger und verständiger Betrachtung auch aus dessen Perspektive —die Annahme, die abgelehnte Richterin würde ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Befangenheit ist eine innere Haltung eines Richters, die seine Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten störend beeinflusst, indem sie ein persönliches, parteiliches Interesse des Richters — sei es wirtschaftlicher, ideeller, politischer oder rein persönlicher Art — am Verfahrensgang und am Ausgang des Verfahrens begründet. Es kommt für die Prüfung der Ablehnungsberechtigung grundsätzlich auf den Standpunkt des Ablehnungsberechtigten an; maßgebend ist freilich nicht dessen allein subjektiver Eindruck; vielmehr müssen vernünftige Gründe für das Ablehnungsbegehren vorliegen, die nach Maßgabe einer objektivierenden Wertung einem aus dem Blickwinkel des ablehnungsberechtigten Verfahrensbeteiligten vernünftig urteilenden Dritten einleuchten würden. „Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln“; es ist ein „individuell-objektiver Maßstab“ anzulegen (Scheuten, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Auflage, München 2019, § 24 Rn. 3 mit einer Vielzahl von Nachweisen aus der Rspr.).

Bei der Prüfung der Ablehnungsfrage ist zwar der Standpunkt des Angeklagten wesentlich, dieser muss aber vernünftige Gründe für sein Ablehnungsbegehren vorbringen, die jedem unbefangenen Dritten einleuchten (BGH, Urteil vom 11.09.1956, Az.; 5 StR/56, Leitsatz 2., in: JR 1956, 68, zitiert nach JURIS). Auf die Frage, ob der Richter tatsächlich parteiisch oder befangen ist, kommt es nicht an (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO-Kommentar, 63. Auflage, München 2020, § 24 Rn. 6 und 8, m. w. N.).

Vorliegend ergibt sich die Besorgnis der Befangenheit allerdings nicht aus der möglicherweise falschen Rechtsanwendung im Sinne eines Rechtsirrtums. Denn derartige Irrtümer ließen die Besorgnis der

Befangenheit allenfalls dann zu, wenn sie abwegig oder willkürlich waren, was vorliegend nicht der Fall ist.

Die Besorgnis der Befangenheit ergibt sich vielmehr aus der Formulierung im dargestellten Beschluss, „durch die vorgeworfenen Taten“ habe „der Angeklagte selbst die Privatsphäre anderer (hier der Zeuginnen pp.) zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung gemacht“. Diese Wortwahl lässt sich ohne viel Mühen dahingehend verstehen, dass die abgelehnte Richterin bereits davon ausgeht, der Angeklagte habe 2 Vergewaltigungen, nämlich „die vorgeworfenen Taten“, begangen. Denn wenn die abgelehnte Richterin mitteilt, der Angeklagte selbst habe die Privatsphäre anderer zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen gemacht, dann lässt sich daraus unschwer der Schluss ziehen, dass er die Taten begangen habe. Die abgelehnte Richterin hat diesen Beschluss in der Hauptverhandlung einschließlich der Begründung verkündet und ihn sich damit zumindest nach Außen hin zu Eigen gemacht.

Selbst wenn davon auszugehen sein kann, dass die abgelehnte Richterin diesen Schluss nicht hat ziehen wollen, so muss beim Angeklagten doch der Eindruck der Befangenheit der Richterin bleiben, weil sie die Gelegenheit der dienstlichen Äußerung nicht genutzt hat, um den möglicherweise ungewollten Eindruck richtig zu stellen.“

Bitte nicht durch den Eingangssatz irritieren lassen. Das „unbegründet“ steht so im Original des Beschlusses. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, aber: Man hat offenabr beim AG Tiergarten nur Vorlagen, in denen Ablehnungsgesuche als unbegründet zurückgewiesen worden sind.

Im Übrigen: M.E. zutreffend. „Schön“ die Formulierung: „Diese Wortwahl lässt sich ohne viel Mühen …..

OWi I: Einspruch im OWi-Verfahren nur durch beA?, oder: Ja, sagt das AG Tiergarten?

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Und heute dann ein Owi-Tag. Den eröffne ich mit einer (weiteren) Entscheidung zur Frage: Einspruch gegen den Bußgeldbescheid per beA oder nicht? Das AG Hameln hatte die Frage im AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22 – verneint, das AG Tiergarten hat sie nun im AG Tiergarten, Beschl. v. 05.04.2022 – 310 OWi 161/22 – bejaht. Zur Begründung führt es aus:

„Dieser Rechtsbehelf ist mangels Wahrung der gesetzlichen Formvorschriften unwirksam und unzulässig.

Nach §§ 67, 110c Ordnungswidrigkeitengesetz in Verbindung mit § 32d Strafprozessordnung ist ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ausschließlich als signiertes elektronisches Dokument über das BeA – Besondere Anwaltspostfach – und das beBPo – das besondere elektronische Behördenpostfach – zu übermitteln. Eine Übermittlung in Papierform oder als Telefax ist unzulässig.

Nur die Übertragung eines elektronischen Dokuments in eine elektronische Poststelle mit einer qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne des Signaturgesetzes kann die Formvorschriften für einen Einspruch und dessen Begründung im Bußgeldverfahren erfüllen. Ein Telefax erfüllt die Kriterien für eine elektronische Datenkommunikation, die gesetzlich definiert ist, nicht.

§ 32d StPO normiert eine Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument für bestimmte Verfahrenshandlungen. Durch die entsprechende Anwendung aus § 110c und unter Berücksichtigung des § 110a Abs. 4 muss § 32d StPO im Bußgeldverfahren um den Einspruch und die Einspruchsbegründung, die Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerdebegründung ergänzt werden (vgl. Krenberger/Krumm, 6. Aufl. 2020, OWiG § 110c Rn. 13 bei beck online).

Werden die zwingenden Erklärungen in § 32d StPO Satz 2 nicht in elektronischer Form eingereicht, ist die jeweilige Erklärung mangels Wahrung der Form unwirksam (BeckOK StPO/Valerius, 41. Ed. 1.10.2021, StPO § 32d Rn. 4; Gassner/Seith, Ordnungswidrigkeitengesetz, OWiG § 110c Rn. 25, beck-online; Krenberger/Krumm, a.a.O.).

Soweit das Amtsgericht Hameln (Beschluss vom 14.02.2022 – 49 OWi 23/22, BeckRS 2022, 2579 beck online) die Ansicht vertritt, der Einspruch und die Einspruchsbegründung gegen einen Bußgeldbescheid seien nicht von der neuen Formerfordernis erfasst, eine zwingende Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs bestehe insoweit nicht, und eine Analogie zum Strafbefehlsverfahren zu begründen sucht, kann der Rechtsauffassung nicht beigetreten werden. Der Gesetzeswortlaut und der Gesetzeszweck lassen diese Auslegung nicht zu.

Der Gesetzgeber hat den Einspruch im Bußgeldverfahren schon deshalb als Anwendungsfall der zwingenden Formvorschrift gesehen, weil er explizit von diesem Formzwang eine Ausnahme formulierte, konkret zu § 335 HGB. In § 335 Abs.2a HGB in seiner Neufassung ist niedergelegt, dass auf die elektronische Kommunikation mit dem Bundesamt § 110c Satz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten entsprechend anzuwenden ist, jedoch nicht in Verbindung mit § 32d der Strafprozessordnung. Eine Ausnahme des Gesetzgebers von der Anwendung einer Formvorschrift ist nur dann erforderlich, wenn es jene Formvorgabe tatsächlich gibt.

Die Gesetzbegründung nimmt auf diese Anwendungspflicht Bezug. In der Drucksache 18/9416 vom 17.08.2016 – Seite 36 – ist niedergelegt, dass durch die Vorschriften des neuen Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten an Gerichte und Strafverfolgungsbehörden verpflichtet werden – sofern es keine Ausnahmeregelung in bestimmten Fällen gibt (wie zuvor in Bezug auf § 335 HGB aufgezeigt). Zu diesen Strafverfolgungsbehörden gehören auch die Behörden des Polizeidienstes, soweit diese Aufgaben im Bußgeldverfahren wahrnehmen.

Die Verteidigerin des Betroffenen ist die Formverletzung bekannt. Sie wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 15.02.2022 zum Vorgang (319 OWi) 3032 Js-OWi 1436/22 (139/22) ausdrücklich darauf hingewiesen, zugestellt am 21.02.2022. Wegen dieser ihrer Säumnis der Formvorgaben musste ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand am 28.02.2022 gestellt werden, dennoch handelte sie vorliegend am 01.03.2022 erneut und damit bewusst entgegen den Formvorschriften.“

Dieser Meinungstreit war zur erwarten. Folge: Als Verteidiger legt man auf jeden Fall per beA ein, das ist der sicherste Weg.

Aus dem AG-Beschluss ist mir die Passage betreffend Wiedereinsetzung unverständlich, und zwar doppelt. Einmal im Hinblick auf die Verteidigerin, die ja offenbar vom AG „gewarnt“ worden ist. Dann verstehe ich, warum man dann trotzdem nicht den Einspruch per beA einlegt. Andererseits: Diese „Dummheit“ wird man kaum dem Betroffenen anlasten können. Wenn das AG das meint, wäre das m.E. auch „unverständlich“.

Besetzung II: Wer entbindet Schöffen wegen Urlaubs?, oder: In Berlin z.T. eigenständig die Geschäftsstelle

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Manchmal bin ich über Beschlüsse, die mir Kollegen zuschicken erstaunt. Denn an sich gehe ich davon aus, dass mich so schnell besondere „Verfahrensgestaltungen“, die sich Gerichte überlegt haben, nicht mehr überraschen, weil sich viele Dinge ja gleichen. Manchmal trifft man aber doch auf etwas „Neues“, zumindest für mich.

So ist es mir bei dem AG Tiergarten, Beschl. v. 14.07.2021 -217b AR 62/21 -, den mir der Kollege Elobied aus Berlin geschickt hat, ergangen. Er betrifft im Grunde auch eine Frage in Zusammenhnag mit der Gerichtsbesetzung, was ich so noch nicht erlebt habe. Es scheint nämlich wohl beim AG Tiergarten die Praxis zu bestehen, dass zumindest einige der dort tätigen Richter die Entbindung von Schöffen von der Dienstleistung wegen Urlaubs an die Geschäftsstelle delegiert haben, die diese eigenständig vornehmen, ohne dass der jeweils zuständige Richter hieran beteiligt ist.

So auch in einem Verfahren, in dem der Kollege Elobied verteidigt. Er hat das zum Anlass genomme, die zuständige Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Aber – warum wundert mich das nicht? – das AG hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen:

„Die zulässigen Ablehnungsanträge sind unbegründet.

Gemäß § 24 Abs. 2 StPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dieses ist nach ständiger Rechtsprechung dann gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen habe, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann, indem sie ein persönliches, parteiliches Interesse des Richters – sei es wirtschaftlicher, ideeller, politischer oder rein persönlicher Art — am Verfahrensgang- und am Ausgang des Verfahrens begründet.

Maßgebend ist hier der Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 24 Rn. 8 Rn. w. N).

Der dargestellte unstreitige Sachverhalt rechtfertigt für die Angeklagten bei vernünftiger und verständiger Betrachtung auch aus deren Perspektive nicht die Annahme, die abgelehnte Richterin würde ihnen gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit und. Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Zwar ist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 GVG der Richter beim Amtsgericht für die Entscheidung über die Entbindung von Schöffen von der Pflicht zur Dienstleistung zuständig:

Jedoch stellen Verfahrensverstöße grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar, sofern sie nicht den Anschein der Willkür erwecken (vgl. BGH NStZ 2010, 342).

So liegt der Fall hier.

Wie von den Verteidigern ausgeführt und der abgelehnten Richterin bestätigt, handelt es sich bei der oben geschilderten Praxis um eine solche, die von mindestens fast allen Wirtschaftsabteilungen des Amtsgerichts Tiergarten so gehandhabt wird.

Auch die abgelehnte Richterin lässt diese-Praxis in allen Verfahren zu.

Dies zeigt, dass diese Vorgehensweise sich gerade nicht auf einen der hier Angeklagten bezieht und somit keine verfahrensbezogene Willkür gegeben. ist.

Es ist auch abwegig, aus dieser von vielen Richtern des Amtsgerichts so gehandhabten Praxis den Schluss zu ziehen, der abgelehnten Richterin würden auch andere Verfahrensgarantien gleichgültig sein. Hierfür ist weder ein Anhaltspunkt vorgetragen noch sonst ersichtlich.“

Na ja, markige Worte des entscheidenen Amtsrichters. „Abwegig“ ist immer als Totschlagargument gut (oder auch nicht). Aber kein Wort zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG – „gesetzlicher Richter“ und auch kein Wort dazu, dass es sich um eklatante Verletzung der durch § 54 Abs. 1 Satz 1 GVG vorgegebenen Zuständigkeiten handelt. Und warum soll der Umstand, dass sich offenbar viele Amtsrichter beim AG Tiergarten so verhalten gegen die Besorgnis der Befangenheit und Willkür sprechen. Weil es alles bewusst falsch machen, macht es doch nicht besser.

Ich kann nur hoffen, dass die Frage dann vielleicht doch mal das KG beschäftigt.

Akteneinsicht I: Akteneinsicht für die Nebenklägerin?, oder: Umfang der Akteneinsicht und rechtliches Gehör

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Heute dann mal ein Tag der „Akteneinsichtsentscheidungen“, und zwar quer Beet, also Straf-, Bußgeld- und Auslieferungsverfahren.

Ich beginne mit dem Strafverfahren und stelle zunächst drei Entscheidungen zur Akteneinsicht des Nebenklägers/Verletzten vor, und zwar:

Beim AG Tiergarten ist ein Verfahren mit dem Vorwurf der Vergewaltigung anhängig. In dem hat das AG mit dem AG Tiergarten, Beschl. v. 11.10.2021 – (255 Ls) 284 Js 4525/19 – der Nebenklägerin in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vollständige Akteneinsicht gewährt. Dagegen die Beschwerde des Angeklagten. Das LG gewährt dann mit dem LG, Beschl. v. 03.11.2021 – 538 Qs 131/21 – nur beschränkte Akteneinsicht:

„Gemäß § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO kann dem durch eine Straftat Verletzten, die Akteneinsicht unter anderem dann versagt werden, wenn und soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Dies ist grundsätzlich auch nach Erhebung der öffentlichen Klage möglich (vgl: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 406e Rn. 11).

Die Möglichkeit, dass durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine. auf den Akteninhalt präparierte Zeugenaussage folgt, reicht für die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungszwecks noch nicht aus, Bei Aussage gegen Aussage Konstellationen ist jedoch durch die Aktenkenntnis des Verletzten regelmäßig eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs, 2 StPO) zu besorgen, weil die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussage beeinträchtigen kann (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 22. Juli 2015 — 1 Ws 88/15 —) und die Beurteilung im Hinblick auf die Konstanz der Aussage als wesentliches Glaubhaftigkeitskriterium erschwert. In diesen Fällen ist jedenfalls eine unbeschränkte Akteneinsicht des Verletzten mit der gerichtlichen Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unvereinbar (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg a.a.O.).

Jedoch bedeutet dies nicht, dass der Nebenklägerin die Akteneinsicht gänzlich zu versagen ist. Mildere Mittel, die diese Besorgnis hinreichend ausräumen, sind vorrangig zu prüfen. Insoweit genügt es, die Versagung der Akteneinsicht lediglich. auf die Protokolle der Vernehmung der Nebenklägerin zu beschränken (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 5. Oktober 2016 -. 3 Ws 517/16 — m.w.N.).

Die unbeschränkte Akteneinsicht ist daher im derzeitigen Verfahrensstadium zu versagen, bleibt aber zu einem späteren Zeitpunkt (nach Abschluss der Vernehmung der Nebenklägerin im gerichtlichen Verfahren) unbenommen.“

Zu dieser ganzen Problematik gibt es ja auch eine umfangreiche Rechtsprechung des BVerfG, das sich jetzt gerade erst im BVerfG, Beschl. v. 08.10.2021 – 1 BvR 2192/21 – noch einmal geäußert hat, allerdings „nur“ im Rahmen einer Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das BVerfG weist aber schon in dieser Entscheidu ng auf seine bisherige Rechtsprechung hin, so dass nach wie vor folgendern Leitsatz gilt:

„Die Gewährung von Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 StPO ist regelmäßig mit einem Eingriff in Grundrechtspositionen des Beschuldigten, namentlich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, verbunden. Die Staatsanwaltschaft ist vor Gewährung der Akteneinsicht deshalb zu einer Anhörung des von dem Einsichtsersuchen betroffenen Beschuldigten verpflichtet. Die unterlassene Anhörung stellt einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der durch die Durchführung des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nicht geheilt werden kann.