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StGB I: Meinungsfreiheit versus Schmähkritik, oder: BVerfG stellt klar

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Heute stelle ich dann drei Postings zu StGB-Fragen ein, und zwar zunächst:

Wer sich mit Beleidigungsdelikten (§§ 185 ff. StGB) befasst, muss sich zwangsläufig auch mit der Rechtsprechung des BBerfG zur Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) befassen. Und das Zusammenspiel dieser beiden Regelungen ist nicht einfach. Letztlich geht es immer um die Frage: Noch straffrei oder schon Beleidigung? Und in dem Zusammenhnag spielt die Rechtsprechung des BVerfG eine große Rolle.

Dazu hat das BVerfG vor einiger Zeit noch einmal vier Entscheidungen veröffentlicht, die die verfassungsrechtlichen Maßgaben für strafrechtliche Verurteilungen wegen ehrbeeinträchtigender Äußerungen noch einmal zusammen stellen. Es sind die BVerfG, Beschl. v.  19.05.2020 – 1 BvR 2459/19, 1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19 und 1 BvR 362/18.

Die stelle ich hier heute aber nicht im Einzelnen vor, sondern ich zitiere aus der dazu vorliegenden PM Nr. 49/2020 vom 19.06..2020 des BVerfG. Darin heißt es u.a.:

„…..Die Kammer hat diese Verfahren zum Anlass genommen, um die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht bei ehrverletzenden Äußerungen klarstellend zusammenzufassen. Dabei hat sie bekräftigt, dass die Beurteilung, ob eine ehrbeeinträchtigende Äußerung rechtswidrig und unter den Voraussetzungen der §§ 185, 193 StGB strafbar ist, in aller Regel von einer Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen abhängig ist, die eine Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen einer Äußerung und ihrer Bedeutung erfordert. Dabei hat sie wesentliche Kriterien zusammengefasst, die bei dieser Abwägung von Bedeutung sein können. In Abgrenzung dazu hat die Kammer wiederholt, dass eine Abwägung nur in besonderen Ausnahmefällen und nur unter engen Voraussetzungen entbehrlich sein kann, nämlich in den – verfassungsrechtlich spezifisch definierten – Fällen einer Schmähkritik, einer Formalbeleidigung oder einer Verletzung der Menschenwürde. Sie hat die speziellen Voraussetzungen solcher Fallkonstellationen klargestellt und hervorgehoben, dass deren Bejahung von den Fachgerichten klar kenntlich zu machen und in gehaltvoller Weise zu begründen ist. Umgekehrt hat die Kammer betont, dass die Ablehnung eines solchen Sonderfalls, insbesondere das Nichtvorliegen einer Schmähung, das Ergebnis der Abwägung nicht präjudiziert.

Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat die Kammer entschieden, dass in zwei Verfahren die von den Fachgerichten vorgenommene Abwägung, wonach die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts die Meinungsfreiheit überwiege, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Demgegenüber genügt die Abwägung in den anderen beiden Verfahren auch unter Berücksichtigung des fachgerichtlichen Wertungsrahmens den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, weil jeweils keine hinreichende Auseinandersetzung mit den konkreten Situationen erkennbar ist, in denen die Äußerungen gefallen sind.

Sachverhalte:

  1. Dem Verfahren 1 BvR 2397/19, in dem die Kammer die auch für die anderen Verfahren maßgeblichen Maßstäbe übergreifend zusammenfasst, liegen Äußerungen des Beschwerdeführers in einem von ihm geführten Internetblog zugrunde. Der Beschwerdeführer hatte sich 2002 von seiner damaligen Partnerin getrennt und führte anschließend vor verschiedenen bayerischen Gerichten zahlreiche rechtliche Auseinandersetzungen um das Umgangsrecht mit der gemeinsamen Tochter, das ihm ab 2012 ganz verwehrt wurde. 2016 verfasste er in seinem Internetblog aus Anlass einer für ihn nachteiligen Berufungsentscheidung drei weitere Einträge. Darin nannte er unter anderem die an der Entscheidung beteiligten Richter sowie diverse andere Personen namentlich, stellte Fotos von ihnen ins Netz und bezeichnete sie mehrfach als „asoziale Justizverbrecher“, „Provinzverbrecher“ und „Kindesentfremder“, die Drahtzieher einer Vertuschung von Verbrechen im Amt seien. Sie hätten auf Geheiß des namentlich genannten „rechtsradikalen“ Präsidenten des Oberlandesgerichts offenkundig massiv rechtsbeugend agiert. Der Beschwerdeführer wurde deshalb von den Strafgerichten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Zwar handele es sich wegen des sachlichen Bezugs und der verständlichen schweren emotionalen Situation des Beschwerdeführers nicht um Schmähkritik. Bei einer Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen überwiege jedoch der Ehrschutz. Die Kammer beurteilte das als verfassungsgemäß.
  2. Dem Verfahren 1 BvR 2459/19 liegen Äußerungen des Beschwerdeführers in einer verwaltungsgerichtlichen Klageschrift zugrunde. Die Stadtbibliothek hatte – nach Rücksprache mit dem dortigen Rechtsamt – bei der Bestellung eines Buchs von ihm verlangt, das Bestellformular selbst auszufüllen. Hintergrund war, dass der Beschwerdeführer vorher eine Fernleihgebühr für ein Buch nicht entrichtet hatte, weil er der Ansicht gewesen war, ein anderes Buch bestellt zu haben. Schon zuvor hatte die Leiterin des Rechtsamtes in einer anderen Angelegenheit Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer gestellt, aufgrund derer ein Strafverfahren wegen Urkundenfälschung gegen ihn eingeleitet worden war. In diesem Verfahren hatte er die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über deren Geisteszustand beantragt. Noch ehe über diesen Antrag entschieden wurde, erhob der Beschwerdeführer wegen des Streits mit der Stadtbibliothek Klage vor dem Verwaltungsgericht. In der Klageschrift äußerte er, „unter Berücksichtigung, … dass in der Sache die Leiterin des Rechtsamtes R., eine in stabiler und persönlichkeitsgebundener Bereitschaft zur Begehung von erheblichen Straftaten befindlichen Persönlichkeit, deren geistig seelische Absonderlichkeiten und ein Gutachten zu deren Geisteskrankheit Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sind, involviert ist“, behalte er sich vor, „ein Ordnungsgeld in angemessener Höhe zu beantragen“. Aufgrund dieser Äußerung verurteilten die Strafgerichte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Zwar handele es sich nicht um einen Fall der Schmähkritik, da ein Sachbezug nicht völlig fehle. Die gebotene Abwägung falle jedoch zugunsten des Persönlichkeitsrechts aus. Auch dies beurteilte die Kammer als verfassungsgemäß.
  3. Dem Verfahren 1 BvR 362/18 liegen Äußerungen des Beschwerdeführers im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde zugrunde. Der als Rechtsanwalt tätige Beschwerdeführer vertrat 2015 einen Tierschutzverein, für den er vor einem Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt ein Erlaubnisverfahren führte, an dessen Ende die vom Verein beantragte Erlaubnis erteilt wurde. Anschließend erhob der Beschwerdeführer eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Abteilungsleiter, in der er die Ansicht vertrat, das Amt habe eine unglaubliche materielle Unkenntnis, langsame Bearbeitungszeiten und eine offensichtlich vorsätzliche Hinhaltetaktik in der Sache gezeigt. Nach Schilderung von aus Sicht des Beschwerdeführers kritikwürdigen Vorfällen äußerte er, nunmehr gehe es noch um die Verfahrenskosten des Vereins. Diese habe die Behörde zwar bereits formell anerkannt, es scheine aber so, als ob der zuständige Abteilungsleiter durch immer wieder neue Vorgaben letztlich die Kosten nicht erstatten möchte. Weiter hieß es, dessen Verhalten „sehen wir mittlerweile nur noch als offenbar persönlich bösartig, hinterhältig, amtsmissbräuchlich und insgesamt asozial uns gegenüber an“. Die Strafgerichte verurteilten den Beschwerdeführer daraufhin wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Durch die verwendete Formulierung „persönlich“, „hinterhältig“ und „asozial“ sei es nur noch um eine konkrete Diffamierung des von ihm namentlich ausdrücklich benannten Abteilungsleiters gegangen, ohne dass dabei noch ein konkreter Bezug zur Sache erkennbar sei. Die Kammer beurteilte dies als eine Verletzung der Meinungsfreiheit.
  4. Dem Verfahren 1 BvR 1094/19 liegen Äußerungen des Beschwerdeführers in einem einkommensteuerrechtlichen Festsetzungsverfahren zugrunde. Im Rahmen des Verfahrens, in dem insbesondere die Abzugsfähigkeit der Kosten für ein gerichtliches Vorgehen gegen den Rundfunkbeitrag strittig war, erhielt der Beschwerdeführer ein beigelegtes Rundschreiben des nordrhein-westfälischen Finanzministers. Dort hieß es unter anderem, Steuern machten „keinen Spaß, aber Sinn. Die Leistungen des Staates, die wir alle erwarten und gern nutzen, gibt es nicht zum Nulltarif“. Daraufhin verfasste der Beschwerdeführer ein weiteres Schreiben an die Finanzbehörden, das hauptsächlich die Frage der Absetzbarkeit der Kosten des rechtlichen Vorgehens gegen den Rundfunkbeitrag zum Gegenstand hatte. Am Ende erklärte er, weitere Dienstaufsichtsbeschwerden jetzt zu erheben, dürfte sinnlos sein: „Solange in Düsseldorf eine rote Null als Genosse Finanzministerdarsteller dilettiert, werden seitens des Fiskus die Grundrechte und Rechte der Bürger bestenfalls als unverbindliche Empfehlungen, normalerweise aber als Redaktionsirrtum des Gesetzgebers behandelt.“ Wegen dieser Äußerung verurteilten die Strafgerichte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Der Beschwerdeführer überschreite die Grenze eines Angriffs auf die Ehre des Finanzministers, den er als Person herabwürdige. Zwar werde nicht verkannt, dass die freie Meinungsäußerung ein hohes Rechtsgut sei und dass in der Öffentlichkeit stehende Personen deutliche Kritik auszuhalten hätten. Doch seien auch diese Personen wie andere Bürger geschützt, wenn die Grenze eines persönlichen Angriffs überschritten werde. Auch dies beurteilte die Kammer als Verletzung der Meinungsfreiheit.

Also eine Quote von 2 : 2. Wegen der Einzelheiten der Erwägungen des BVerfG verweise ich auf die Beschlüsse und die PM.

StPO II: Verlesung einer richterlichen Vernehmung? oder: 14-jährige Mädchen können 300/640 km anreisen

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Die zweite StPO-Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Es ist der OLG Hamm, Beschl. v. 19.02.2109 – III-3 RVs 6-7/19, den der Kollege Thilo Schäck aus Osnabrück mir geschickt hat.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Der Angeklagte hatte seine Verurteilung mit der Verfahrensrüge angegriffen und u.a. beanstandet, dass in der Berufungshauptverhandlung beim LG die Protokolle über die richterlichen Vernehmungen der Zeuginnen pp. und pp. – offenbar die „Geschädigten“ in der Hauptverhandlung verlesen wurden, obwohl die Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht vorgelegen haben. Die Rüge hatte Erfolg:

„bb) Die Rügen sind auch begründet, da das Landgericht von der Vorschrift des § 251 Abs. 2 Nr. 2 StPO in rechtsfehlerhafter Weise Gebrauch gemacht hat.

Nach dieser Regelung kann die Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung der Niederschrift über seine frühere richterliche Vernehmung ersetzt werden, wenn dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann. Insoweit hat das Tatgericht eine Abwägung vorzunehmen, wobei einerseits die Verkehrsverhältnisse und die persönlichen Verhältnisse der Auskunftsperson (etwa Alter, Gesundheitszustand, familiäre und berufliche Unabkömmlichkeit) und andererseits die Bedeutung der Sache, die Wichtigkeit der Aussage und des persönlichen Eindrucks von dem Zeugen, die gerichtliche Aufklärungspflicht sowie das Beschleunigungsgebot zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 10. März 1981 — 1 StR 808/80; Beschluss vom 16. März 1989 — 1 StR 18/89; jeweils zitiert nach juris; KK-StPO/Diemer, 7. Auflage 2013, § 251, Rn. 28). Je wichtiger der Aufklärungswert einer Aussage ist, desto weniger kommt es auf die Entfernung des Zeugen vom Gerichtssitz und die mit der Anreise für ihn verbundenen Belastungen an (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 251, Rn. 23 iVm § 223, Rn. 8; MüKo-StPO/Kreicker, § 251, Rn 76). Eine deutschlandweite Anreise ist im Regelfall zumutbar, sofern es nicht nur um einen ganz geringfügigen Tatvorwurf geht und die Bedeutung der Aussage nicht nur als voraussichtlich gering zu veranschlagen ist (MüKo-StPO/Kreicker, a.a.O.).

Daran gemessen durfte das Landgericht eine unmittelbare Vernehmung der Zeuginnen nicht durch eine Verlesung der Protokolle über ihre richterlichen Vernehmungen ersetzen. Zwar handelt es sich bei den Zeuginnen um zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung am 13. November 2018 jeweils vierzehnjährige Mädchen, deren Wohnsitze zwischen rund 300 bis 640 Kilometer vom Gerichtssitz entfernt lagen. Im Hinblick auf andere Reisen, die Jugendliche dieses Alters üblicherweise unternehmen — zum Beispiel im Rahmen von Urlaubs- oder Klassenfahrten — hätten Alter und Entfernung einer Anreise nach Bielefeld allerdings nicht entgegengestanden, jedenfalls nicht in Begleitung eines Elternteils oder einer anderen Bezugsperson. Zudem ist über individuelle Beeinträchtigungen oder Bedürfnisse der Zeuginnen, die für die mit der Anreise verbunden Belastungen von Belang sein könnten, nichts bekannt. Zugleich ist der Beweiswert ihrer Aussagen als besonders hoch zu bewerten, da es sich jeweils um das einzige unmittelbare Beweismittel handelte, mit welchem der — für die Frage der Strafbarkeit bedeutsame — Inhalt der fraglichen Telefongespräche festgestellt werden konnte. Auch standen ein erheblicher Tatvorwurf, eine erstinstanzlich verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten sowie der Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe im Raum. Anlass zu einer besonderen Verfahrensbeschleunigung bestand demgegenüber nicht.

Ob das Landgericht diese Gesichtspunkte überhaupt gesehen und abgewogen hat, ist nicht erkennbar. Denn die Beschlüsse, durch welche die Verlesung der Zeugenaussagen angeordnet worden sind, enthalten sich jeglicher Begründung. Auch deshalb ist die Revision begründet (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1986 — 1 StR 571/85, juris; MüKo-StPO/Kreicker, a. a. 0., Rn. 92, m. w. N.). Denn das Ergebnis der Abwägung ist gem. § 251 Abs. 4 StPO in einem begründeten Beschluss niederzulegen und bekanntzugeben. Die Begründung darf sich hierbei nicht lediglich auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts beschränken, sondern muss die Tatsachen, welche die Verlesung rechtfertigen, sowie die das Gericht leitenden Erwägungen beinhalten (KK-StPO/Diemer, a.a.O., Rn. 31, m. w. N.).

Ob ein weiterer Verfahrensverstoß auch darin liegt, dass — wie von dem Angeklagten vorgebracht – auf seine Widersprüche gegen die Verlesung der Urkunden möglicherweise schon – mangels Beratung – keine ordnungsgemäßen Kammerbeschlüsse im Sinne von § 251 Abs. 4 StPO ergangen sind, kann nach alledem dahinstehen.“

Abwägung Tier-/Betriebsgefahr, oder: Welchen Seitenabstand muss ich zu einem Pony einhalten?

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Urheber Ganida

Folgender Sachverhalt lag dem OLG Celle, Urt. v. 10.04.2018 – 14 U 147/17 -, in dem das OLG über Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, bei dem das Pony der Klägerin verletzt und infolgedessen eingeschläfert wurde,  zugrunde:

Am 20.04.2011 ritt die damals 13-jährige Tochter der Klägerin, die Zeugin T. M., zwischen 11:00 Uhr und 12:00 Uhr auf der 6-jährigen Ponystute „Sunny Surprise“ der Klägerin auf der rechten Fahrbahnseite der Verlängerung des S.weges in S., OT E. Bei der Verlängerung des S.weges handelt es sich um eine einspurige Fahrbahn mit Randstreifen auf beiden Seiten.
Der Zeugin T. M. kam der Beklagte zu 1 mit einem Lkw (Sattelzugmaschine mit Auflieger) der Beklagten zu 2, der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist, entgegen. Die Zeugin M. parierte ihr Pferd zum Halten durch und stellte es auf dem aus ihrer Sicht rechten Seitenstreifen leicht schräg mit dem Kopf des Pferdes in Richtung Fahrbahn, als sich der Lkw näherte. Dabei blieb sie auf dem Pferd sitzen.

Der Beklagte zu 1 verlangsamte seine Geschwindigkeit und passierte Pferd und Reiterin, wobei er den Lkw ganz nach rechts auf der asphaltierten Fahrbahn lenkte. Als der Lkw Pferd und Reiterin etwa zur Hälfte passiert hatte, scheute das Pferd. Ob es zu einer Berührung mit dem Lkw kam, steht im Streit. Jedenfalls verletzte sich das Pferd schwer, weshalb es in der Folge eingeschläfert wurde.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin neben der Erstattung von Behandlungskosten insbesondere den Wert des Pferdes ersetzt.
Erstinstanzlich hat sie die Ansicht vertreten, der Beklagte zu 1 hätte den Seitenstreifen, der auch befahrbar gewesen sei, nutzen müssen, um ein gefahrloses Passieren durch die Reiterin zu ermöglichen. Stattdessen sei er ohne den notwendigen Mindestabstand von 1,50 bis 2,00 Metern an der Reiterin vorbeigefahren. Außerdem hat die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1 habe beim Vorbeifahren Gas gegeben, wodurch sich das Pferd erschreckt habe. Es sei sodann durch die Berührung mit dem Lkw schwer verletzt worden. Es habe keine Aussicht auf Heilung bestanden, weshalb es tierschutzgerecht zu euthanasieren gewesen sei. Das Pony habe einen Verkehrswert von 10.000 Euro gehabt.“

Das LG ist von einer Haftungsverteilung „halbe/halbe“ ausgegangen. Das OLG hat das gehalten. Es hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

1. Sowohl beim Passieren als auch beim Begegnen eines Reiters sollte ein Fahrzeug – abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls – einen Seitenabstand von wenigstens 1,50 m bis etwa 2,00 m einhalten.

2. Auch wenn das Bankett nicht zur Fahrbahn gehört, kann es die konkrete Verkehrslage als sachgerechte und vernünftige Maßnahme erscheinen lassen, das Bankett mitzubenutzen, um z. B. den gebotenen Seitenabstand zu einem Reiter einhalten zu können.

Die Begegnung der besonderen Art – Zusammenstoß Pkw/Pferd, oder Halbe/halbe

PferdeköpfeIn meinem samstäglichen „Kessel Buntes“ weise ich heute zunächst hin auf das OLG Celle, Urt. v. 20.01.2016 – 14 U 128/13. Das verhält sich zur Abwägung von Betriebsgefahr eines PKW gegenüber der von einem geführten Pferd ausgehenden Tiergefahr, wenn keinem der beiden Beteiligten zusätzlich ein Verschulden nachgewiesen werden kann. Gestritten worden ist in dem Verfahren um die Einstandspflicht der Beklagten für die der Klägerin bei einem Unfallereignis durch ihr Pferd zugefügten Verletzungen. Die Klägerin war durch ihr scheuendes Pferd zu Boden gerissen und mittels Huftritten ins Gesicht schwer verletzt worden.

Das OLG nimmt umfangreich zur den Haftungsgrundlage der Beteiligten Stellung. Darauf will ich hier nicht näher eingehen, insoweit ist Selbststudium angesagt. Ergebnis insoweit:

  • Haftung der Beklagten aus Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG. Keine Unabwendbarkeit für den Beklagten; keine Haftung der Beklagten aus Verschulden.
  • Haftung der Klägerin ebenfalls nur aus Gesichtspunkten der Gefährdungshaftung (§ 833 BGB). Ein Mitverschulden haben die Beklagten nicht bewiesen.

Und auf der Grundlage zur Haftungsquote:

Unter Maßgabe der vorstehenden Ausführungen ist eine Haftungsabwägung gemäß §§ 9, 17 Abs. 4 StVG, § 254 BGB vorzunehmen. Dabei sind die den Parteien jeweils anzulastenden Verursachungsbeiträge dahingehend zu gewichten, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1 und Abs. 4 StVG, § 254 Abs. 1 BGB). Auf Seiten der Beklagten ist eine Haftung aus Betriebsgefahr gemäß § 7 Abs. 1 StVG zu berücksichtigen und auf Seiten der Klägerin eine Haftung aus Tiergefahr gemäß § 833 BGB. In beiden Fällen handelt es sich um verschuldensunabhängige reine Gefährdungshaftungstatbestände. Es erscheint dem Senat angebracht, eine Haftungsquote von 50 % zu 50 % anzunehmen.

Dabei war zu berücksichtigen, dass sich vorliegend das einem Pferd wesensimmanent anhaftende Gefahrenpotential und die damit verbundenen weitaus geringeren Möglichkeiten, auf es steuernd einzuwirken, ausgewirkt hat. Demgegenüber steht die besondere Gefährlichkeit eines Kraftfahrzeugs, die sich aus seiner Masse, seiner technischen Einrichtungen und seiner Geschwindigkeit zusammensetzt und im zugrundeliegenden Fall das Scheuen des Pferdes verursacht hat. Beide Verursachungsbeiträge wiegen nach Auffassung des Senats in etwa gleich schwer. Motorbetriebene Kraftfahrzeuge sind typischerweise geeignet, geräuschempfindliche Tiere, wie Pferde, die zudem besonders auf Bewegungen in ihrem Umfeld zu reagieren, zu erschrecken, vor allem, wenn diese Gefährte auf sie zukommen. Umgekehrt sind auch Pferde, die an Straßenverkehr gewöhnt sind, nicht davor gefeit, ausnahmsweise schreckhaft auf Motoren- und Fahrgeräusche zu reagieren, insbesondere dann, wenn etwas geschieht, was sie nicht erwarten, wie hier der – als solcher nicht vorwerfbare – Abbiegevorgang des Beklagten zu 2) auf ein Feld, der überdies zu einer Veränderung der Geräuschkulisse geführt hat. Aus Sicht des Senats haben weder die Betriebsgefahr für das Fahrzeug noch die Tiergefahr für das klägerische Pferd in größerem Umfange zur Schadensverursachung beigetragen als der jeweils andere Teil. Vielmehr stehen sich die Gefährdungstatbestände in etwa gleichgewichtig gegenüber, sodass eine Haftungsquote von 50 % zu 50 % für materielle Schäden bzw. die Berücksichtigung eines 50 %-igen Mithaftungsanteils der Klägerin für deren immateriellen Schaden geboten ist. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt im vorliegenden Fall erheblich von dem von der Klägerin als Vergleich herangezogenen, der Entscheidung des OLG Köln (NZV 1992, 487 ff.) zugrundeliegenden Geschehen. Dort war der Autofahrer innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und hat eine Quietschgeräusche auslösende Notbremsung vorgenommen (juris Rdnr. 6). Damit traf den dortigen Beklagten zum einen ein unfallursächliches Mitverschulden, zum anderen wurde durch die Fahrweise und die dabei entstandene Geräuschkulisse unmittelbar auf das Verhalten des Pferdes eingewirkt. Selbst unter diesen Umständen hat das OLG Köln die Tiergefahr nicht vollständig zurücktreten lassen (jeweils Rdnr. 9).“

Strafzumessung: „die Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände“

In tatrichterlichen Strafzumessungserwägungen findet man häufig die Wendung, dass die Strafzumessung unter „Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände“ erfolgt ist. Wird so argumentiert/begründet, dann muss aber auch eine Abwägung erkennbar sein bzw. es müssen für und gegen den Angeklagten sprechende Umstände angeführt werden, soll nicht diese Wendung eine bloße Floskel darstellen. Wo Abwägung drauf steht, muss also auch Abwägung drin bzw. erkennbar sein. Das gilt vor allem auch für belastende/strafschärfende Umstände, und zwar vor allem dann, wenn die Strafe am oberen Rand des Strafrahmens festgesetzt wird. So der BGH, Beschl. v. 13.08.2013 – 2 StR 180/13.

Im zugrundeliegenden Verfahren hatte das LG den Angeklagten u.a. wegen Totschlags verurteilt und eine Einzelfreiheitsstrafe von neun Jahren festgesetzt. Dazu der BGH, Beschluss:

a) Das Landgericht hat die gegen den Angeklagten verhängte Einzelfreiheitsstrafe von neun Jahren dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen; einen minder schweren Fall des Totschlags hat es unter Berücksichtigung von Tatbild und Täterpersönlichkeit verneint. Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich um ein situatives Tatgeschehen und keine von langer Hand geplante Tat gehandelt hat, der Angeklagte bei der Tat stark erregt war und er alters- und krankheitsbedingt besonders haftempfindlich und nicht vorbestraft ist. Strafschärfungsgründe führt die Strafkammer nicht auf.

b) Diese Ausführungen sind – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 3. August 2011 – 2 StR 207/11, Rn. 5 juris; BGH, Beschluss vom 17. Juli 2009 – 5 StR 241/09, NStZ-RR 2009, 336, jeweils mwN) – lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer stützt sich zur Begründung der im anwendbaren Strafrahmen gefundenen Strafe ausschließlich auf Strafmilderungsgründe. Eine Abwägung „aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände“ (UA S. 52) findet gerade nicht statt. Damit ist aber nicht erkennbar begründet, warum sich die Strafe am oberen Rand des zur Verfügung stehenden Strafrahmens von elf Jahren drei Monaten bewegt.