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Zweimal Entbindungsantrag abgelehnt – Besorgnis der Befangenheit begründet

M.E. werden in der Praxis die Vorschriften der §§ 73, 74 OWiG häufig dazu missbraucht, eine Rücknahme des Einspruchs „anzuregen“ bzw. dessen Verwerfung vorzubereiten, indem nicht selten begründete Entbindungsanträge des Betroffenen abgelehnt werden mit der Begründung, die Anwesenheit des Betroffenen in der HV sei erforderlich. Zu der Problematik, wann das der Fall ist, oder wann der Betroffene von seiner Anwesenheitspflicht entbunden werden muss, gibt es eine umfangreiche oberlandesgerichtliche Rechtsprechung, die in Zusammenhang mit dem sog. Verwerfungsurteil steht.

Sehr schön jetzt dazu ein Beschl. des AG Recklinghausen v. 30.08.2010 – 29 OWi-56 Js 81/10-12/10. Dort hatte der Betroffene Einspruch eingelegt, bei dem es offenbar erkennbar nur um die Frage der Videomessung ging, also eine Rechtsfrage. Im Übrigen war aber wohl damit zu rechnen, dass der Betroffene zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen pp. keine Angaben machen würde. Jedenfalls hatte er zwei Entbindungsanträge gestellt, die das AG abgelehnt hat. Dagegen dann der Befangenheitsantrag, der beim AG dann durchging. Das AG führt aus:

Hat der Betroffene durch zwei Anträge auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen zu erkennen gegeben, dass er von der Möglichkeit, sich nicht zur Sache einzulassen, Gebrauch machen will und ist in der Hauptverhandlung nur noch eine Rechtsfrage zu erörtern, erscheint die Aufrechterhaltung der Anordnung des persönlichen Erscheinens des 570 km entfernt wohnenden Betroffenen aus Sicht eines Außenstehenden unverhältnismäßig und geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter zu begründen.“

M.E. zutreffend.

Der befangene LOStA

Ich schöpfe mal wieder aus meiner Fundgrube Forum bei LexisNexis Strafrecht. Ein Kollege teilt dort mit:

“ Hallo, in dieser Woche bleibt mir auch gar nichts erspart  🙁 In einer HV vor dem AG tritt der LOStA als Sitzungsvertreter auf. Es geht um ein Strafbefehlsverfahren wegen BtM. Mdt. ließ sich vertreten, da er seit 2 Wochen neuen Arbeitsplatz als Bauhelfer hat und keinen Urlaub bekommt, außerdem dem neuen Arbeitsgeber nicht gleich von einer Drogenanklage erzählen wollte.
Das Gericht zeigte hierfür Verständnis. Der LOStA meinte, der Angekl. habe offensichtlich keinerlei Interesse an der HV, was Einfluss auf die Strafzumessung nehmen könnte, und außerdem könne er auch anders blablabla, dann bleibe es nicht bei den 40 TS, sondern es gäbe eine Freiheitsstrafe.
In seinem Schlussvortrag wertete er allen Ernstes zu Ungunsten des Angekl., dass er der HV fern blieb. Zitat: „Dem Angekl. ist es offensichtlich lieber, auf der Baustelle Bierkisten rumzutragen.“
Ich habe mich in meinem Schlussvortrag auf den Hinweis beschränkt, dass ich die abschätzende Äußerung des LOStA über den Arbeitsplatz des Angekl. ungehörig finde.“

Dem Kollegen ging es um die „Ablehnung“ des LOStA, woran man ja nun wirklich denken kann. Die Frage hat sich aber wohl erledigt, da das Verfahren beendet ist. Zuständig dürfte aber der General sein (vgl. § 147 GVG).

Im Übrigen: „Ungehörig“ finde ich noch sehr maßvoll.

Ach so: Man fragt sich, warum ist ein LOStA beim AG. Dazu gleich mehr.

Der BGH, der Beweisantrag und der Auslandszeuge aus Litauen

Im BGH-Beschl. v. 28.04.2010 – 1 StR 644/09 –  hat der BGH zum Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen Stellung genommen. In einem Verfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung hatte der Angeklagte den Antrag gestellt, einen litauischen Finanzbeamten zu vernehmen, und zwar unter Beifügung einer Reihe CMR-Frachtbriefe „den Sachbearbeiter des Kreisfinanzamtes K. , zuständig für die Firma Il V. …. als Zeugen zu vernehmen.“ Er werde bekunden, dass die aus den Frachtbriefen ersichtlichen Waren von der genannten Firma ordnungsgemäß gemeldet und versteuert wurden. In der Begründung des Antrags ist ausgeführt, der Angeklagte habe die bei der Großhandelsfirma bestellten Waren lediglich als „Durchgangsposten“ angenommen und sodann einem Spediteur der litauischen Firma weitergegeben. Die Ware sei dann tatsächlich in Litauen eingeführt, angemeldet und versteuert worden. Eine Umsatzsteuerpflicht bestehe in Deutschland insoweit nicht.

Die Strafkammer hat den Antrag durch einen auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützten Beschluss zurückgewiesen. Der BGH hat das beanstandet:

„Es trifft zu, dass die Zurückweisung eines Beweisermittlungsantrags nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Revision nur dann begründet, wenn dadurch die Aufklärungspflicht verletzt wurde. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn das Gericht den Antrag (zu Unrecht) für einen Beweisantrag hielt und ihn nach den hierfür geltenden Regeln beschieden hat (BGH StV 1996, 581; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 23 jew. m.w.N.). Hier hat jedoch die Strafkammer rechtsfehlerfrei den in Rede stehenden Antrag als Beweisantrag angesehen.

Grundsätzlich sind bei einem auf die Vernehmung eines Zeugen gerichteten Beweisantrag Name und (hier unproblematisch) Anschrift des Zeugen zu nennen. Dies ist aber nicht in jedem Fall zwingend erforderlich. Es genügt viel-mehr, wenn die zu vernehmende Person derart individualisiert ist, dass eine Verwechslung mit anderen nicht in Betracht kommt. Die Nennung eines Namens ist in diesem Zusammenhang dann entbehrlich, wenn der Zeuge unter Berücksichtigung des Beweisthemas über seine Tätigkeit insbesondere in einer Behörde zu individualisieren ist (vgl. BGH VRS 25, 426, 427; BayObLG b. Rüth DAR 1980, 269; OLG Köln NStZ-RR 2007, 150; einschränkend <obiter dictum> BGHSt 40, 3, 7; vgl. auch Becker in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 244 Rdn. 105; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 244 Rdn. 21 jew. m.w.N.). Hier ist der Sachbearbeiter eines bestimmten Finanzamts für im Detail gekennzeichnete steuerrechtlich erhebliche Vorgänge im Geschäftsbetrieb einer bestimmten Firma als Zeuge benannt. Die Strafkammer hat durch die Behandlung dieses Antrags als Beweisantrag der Sache nach zum Ausdruck gebracht, den Anforderungen an die Kennzeichnung des Beweismittels in einem Beweisantrag sei hier Genüge getan. Dies ist jedenfalls vertretbar und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.

d) Die Strafkammer hat die auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützte Ablehnung des Beweisantrags damit begründet, dass „die Vernehmung des Zeugen nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts nicht erforderlich erscheint. Die Kammer unterstellt als wahr, dass ein Mitarbeiter des Finanzamtes K. die im Beweisantrag … genannten Angaben machen würde.“

Weitere Ausführungen enthält der Beschluss nicht. In den Urteilsgründen ist dann im Einzelnen dargelegt, warum die Strafkammer davon ausgeht, dass tatsächlich keine Lieferungen nach Litauen erfolgt sind.

2. Zu Recht rügt die Revision die Begründung des Beschlusses.

Über die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts hinaus ergibt der genannte Beschluss, dass die Strafkammer offenbar erwartet, dass der Zeuge die in sein Wissen gestellten Behauptungen zwar bestätigen werde, diese Angaben jedoch wahrheitswidrig seien. Eine solche Prognose hinsichtlich des Inhalts der zu er-wartenden Aussage und dessen Bewertung als unwahr kann Grundlage der Ab-lehnung eines Beweisantrags gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO sein (vgl. BGHSt 40, 60, 62). Der hierfür erforderliche Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) muss jedoch die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem tatsächlichen Kern verdeutlichen. Die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrages ist nicht nur gegebenenfalls Grundlage einer revisionsrechtlichen Überprüfung der Ablehnung, sondern sie hat auch die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag sieht, damit er sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage ein-stellen kann, die durch die Antragsablehnung entstanden ist (BGHSt 40, 60, 63 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird der Beschluss der Strafkammer nicht gerecht, weil er nicht konkretisiert ist.“

Ergebnis: Insoweit Aufhebung des Urteils des LG.

Schnell ist das scharfe Schwert der Verspätung gezückt…

Immer wieder machen die AG im OWi-Verfahren bei der Ablehnung eines Beweisantrages vom scharfen Schwert der Ablehnung wegen Verspätung (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) Gebrauch (es ist ja so einfach :-(), ohne dabei zu bedenken, dass das nur dann sticht, wenn die Hauptverhandlung ausgesetzt – nicht nur unterbrochen – werden muss.

Dass es auf die Aussetzung ankommt, hat das OLG Hamm jetzt gerade einer Amtsrichterin noch einmal ins Stammbuch geschrieben (vgl. Beschl. v. 04.05.2010 – 2 RBs 35/10). Allerdings hat deren Fehler (?) dem Betroffenen nicht viel gebracht. Denn der Verteidiger hatte die Rechtsbeschwerde/Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet. Aus ihr muss sich nämlich ergeben, dass es nicht zur Aussetzung gekommen wäre. Dennoch: Das OLG hat aufgehoben, weil das AG auch den Rechtsfolgenausspruch, vor allem das Fahrverbot nicht genügend begründet hatte. Also: Wenigstens insoweit noch einmal. Und die Uhr tickt…

Gut Ding will Weile haben

könnte man über den Beschluss des OLG Hamm vom 28.03.2010 – 3 RBs 28/09 schreiben, den mir heute ein Kollege hat zukommen lassen.

Nach der ersten Durchsicht dachte ich zunächst: Ei, ein Knaller, da schon wieder eine Messfahrzeugproblematik. Die war aber offenbar an mir vorbei gegangen bzw. mir aus letzter Zeit nicht bewusst. Bei näherem Hinsehen stellte ich dann fest, dass es sich  „nur“ um die alte, vom AG Lüdinghausen  „aufgedeckte“ 2007er CAN-Bus-Problematik handelt. Also kein Knaller. Aber dann: M.E. doch berichtenswert, weil man sich die Verfahrensdaten mal anschauen muss:

  • 31.01.2007: Tat
  • 06.11.2008: amtsgerichtliche Entscheidung
  • 27.01.2009: Verwerfungsantrag der GStA (= Verfahren ist beim OLG)
  • 28.03.2010: Entscheidung des OLG: Aufhebung und Zurückverweisung

Den Betroffenen wird dieser Zeitablauf freuen, denn das vom AG verhängte Fahrverbot wird wohl kaum noch einmal verhängt werden dürfen/können.

Die Frage, die sich im Übrigen stellt: Warum dauert das Verfahren so/zu lange; dass es zu lange gedauert hat, hat das OLG selbst erkannt, da es die Frage der Verfahrensverzögerung erörtert, aber noch nicht für kompensationswürdig hält, „wegen der zu entscheidenden Rechtsfragen“.  Aber, was war denn Dramatisches zu entscheiden?. Dass ein Beweisantrag nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG nur wegen Verspätung abgelehnt werden darf, wenn die Aufklärungspflicht die Beweiserhebung nicht gebietet, hatte der Senat doch schon 2004 entschieden. Das ist also nichts Neues. Und sonst? Schwierige Rechtsfragen kann man dem Beschluss nicht entnehmen. Damit bleibt es für mich im Dunklen, warum es so lange gedauert hat.

Es kann natürlich sein – und das würde das OLG retten – wenn die Antwort auf die Anfrage an das IM NRW, die der Senat am 28.04.2009 gestellt hat – jedenfalls verstehe ich den Beschluss so – so/zu lange hat auf sich warten lassen, dass erst im März 2010 eine Entscheidung des OLG möglich war. Aber das hätte man wahrscheinlich geschrieben. :-). Nichts desto trotz: Den Betroffenen wird das alles freuen, weil: Gut Ding will (eben) Weile haben; oder: Das Fahrverbot dürfte sich durch Zeitablauf erledigt haben.