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StPO I: Vorbefassung = Befangenheit eines Schöffen, oder: Was bringt die neuere EGMR – Rechtsprechung?

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Auch heute gibt es hier – trotz der Hitze – drei Entscheidungen, und zwar aus dem Bereich der StPO – Thematik: Befangenheit.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 07.06.2022 – 5 StR 460/21 – zur sog. Vorbefassung eines Schöffen. Der Angeklagte hatte einen Schöffen wegen (Vorbefassung“ abgelehnt (§§ 24 ff. StPO). Das LG war dem Antrag nicht gefolgt. Die entsprechende Verfahrensrüge hatte beim BGH keinen Erfolg. Sie war schon unzulässig. In dem Zusammenhang macht der BGH Ausführungen zu den Anforderungen an die Vorbefassung, auch im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des EGMR:

„… 2. Die Revision trägt zudem entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO keine Tatsachen vor, bei deren Vorliegen die Besorgnis der Befangenheit gegen den abgelehnten Schöffen begründet wäre.

a) Der Befangenheitsantrag wird darauf gestützt, dass die Vorbefassung auch eines Schöffen zwar keine Befangenheit begründe, vielmehr konkrete Umstände des Einzelfalls hinzutreten müssten, wobei das Vorliegen solcher Umstände aber behauptet wird. Außer dem Verweis auf eine Vorbefassung, die sich daraus ergebe, dass der Angeklagte des früheren Verfahrens wegen der Taten verurteilt worden sei, die auch dem Angeklagten zur Last gelegt werden, und dem darauf beruhenden „weitergehenden Kenntnisstand“ des Schöffen werden aber keine Tatsachen geltend gemacht, die solche Umstände belegen. Vor allem fehlt es am Vortrag des früheren Urteils.

b) Dessen hätte es aber bedurft (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, NStZ 2018, 550; vgl. zur Unzulässigkeit schon des Antrags gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO BGH, Beschlüsse vom 18. November 2008 – 1 StR 541/08, NStZ-RR 2009, 85; vom 19. April 2018 – 3 StR 23/18, NStZ-RR 2018, 252; Urteil vom 23. Januar 2019 – 5 StR 143/18, NStZ-RR 2019, 120). Denn hierzu gilt:

Eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters, soweit sie nicht gesetzliche Ausschlussgründe erfüllt, ist regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520; vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, NStZ 2018, 550; vgl. auch EGMR, Urteil vom 10. August 2006 – Nr. 75737/01, StraFo 2006, 406). Dies gilt auch für die Verurteilung eines Mittäters, selbst wenn die Schilderung des Tatgeschehens auch Handlungen des Ablehnungsberechtigten einschließt. Dabei gelten bei Schöffen grundsätzlich keine anderen Maßgaben für die Unvoreingenommenheit als bei Berufsrichtern (BGH, Urteil vom 17. Juli 1996 – 5 StR 121/96, BGHSt 42, 191,193 f.). Etwas anderes gilt nach innerstaatlicher Rechtsprechung nur dann, wenn besondere Umstände hinzutreten, die die Besorgnis rechtfertigen, der Richter sei nicht bereit, sich von seiner bei der Vorentscheidung gefassten Meinung zu lösen, etwa wenn er unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den Angeklagten geäußert hat (BGH, Beschlüsse vom 27. April 1972 – 4 StR 149/72, BGHSt 24, 336, 338; vom 10. Januar 2012 – 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520 f.; vom 8. Mai 2014 – 1 StR 726/13; vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, NStZ 2018, 550; vgl. auch EGMR aaO).

c) Auch die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Befangenheit bei Vorbefassung (Urteil vom 16. Februar 2021 – Nr. 1128/17, NJW 2021, 2947) führt nicht zu demgegenüber herabgesetzten Vortragserfordernissen. Denn auch der Gerichtshof betont, dass es für Zweifel an der Unparteilichkeit – die er unter dem Aspekt des Art. 6 Abs. 1 EMRK prüft – nach wie vor nicht ausreiche, dass der Richter frühere Entscheidungen wegen derselben Strafsache erlassen oder in einem gesonderten Strafverfahren gegen Mitbeschuldigte verhandelt habe. Die objektiv gerechtfertigte Besorgnis der Befangenheit (vgl. zur Prüfung nach einem subjektiven und objektiven Ansatz EGMR, Urteil vom 2. Februar 2017 – Nr. 10211/12, 27505/14; vom 16. Februar 2021 – Nr. 1128/17, NJW 2021, 2947) könne aber darin begründet liegen, dass der Richter in einem früheren Urteil umfangreiche Tatsachenfeststellungen getroffen habe, die die Schuld des jetzigen Angeklagten vorwegnehmen, und er mithin eine vorgefasste Meinung über seine Schuld habe. Dies könne zum Beispiel in Formulierungen zum Ausdruck kommen, die über die zur rechtlichen Einstufung der Tat des Mittäters erforderlichen Feststellungen hinausgingen.

Selbst wenn bei der danach erforderlichen Abwägung einzustellen sein sollte, dass Schöffen sich nicht so gut von früheren Eindrücken freimachen könnten wie Berufsrichter (vgl. hierzu EGMR aaO Rn. 51), kann in Ermangelung des Vortrags des früheren Urteils eine Prüfung nach diesen Maßgaben nicht erfolgen. Auf der Grundlage des derart mangelhaften Vortrags ergibt sich schon kein Anhalt dafür, dass sich der Schöffe in dem früheren Verfahren überhaupt mit einer Einbindung des hiesigen Angeklagten befasst hat. Die dort verurteilten Taten werden als Handel mit Betäubungsmitteln beschrieben, die Feststellungen werden nur dahin wiedergegeben, dass Lieferant der gehandelten Betäubungsmittel ein „Verkäufer aus den Niederlanden mit dem Spitznamen ‚H. ‘ – bei dem es sich möglicherweise um einen Bu.     handele – “ sei, was eine Bewertung von Tatbeiträgen des Angeklagten nicht nahelegt. Eine Prüfung, ob das frühere Urteil die Schuld des Angeklagten vorwegnehmende Feststellungen enthielt, ist damit nicht möglich.

3. Die erhobene Verfahrensrüge hätte auf der Grundlage des Revisionsvorbringens auch in der Sache keinen Erfolg, da keine Umstände vorgetragen sind, aus denen die Besorgnis der Befangenheit des Schöffen hätte resultieren können. Allein die Vorbefassung mit dem Verfahrensgegenstand reicht dabei angesichts des vorstehend Dargelegten nicht aus.“

Haft I: Anordnung von Hauptverhandlungshaft, oder: Nicht nach Ablehnung des beschleunigten Verfahrens

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Ich stelle dann heute hier im Blog seit längerer Zeit mal wieder (drei) Haftentscheidungen vor.

Den Opener mache ich mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 17.11.2021 – 1 Ws 437/21, der eine Problematik der sog. Hauptverhandlungshaft (§ 127b StPO) zum Gegenstand hat.

Es geht umd drei Beschuldigten, georgische Staatsangehörige mit jeweils dem Status eines Asylbewerbers. Die Beschuldigten sind dringend verdächtig, in den Geschäftsräumen einer Firma 30 Packungen Zigaretten im Wert von insgesamt 343,90 Euro entwendet zu haben. Unter dem 14.07.2021 hatte die Staatsanwaltschaft die Anordnung von Hauptverhandlungshaft gegen die zu diesem Zeitpunkt weiterhin in Polizeigewahrsam befindlichen Beschuldigten beantragt. Mit jeweils gleichlautenden Beschlüssen vom selben Tage hatte das AG den Erlass von Haftbefehlen gemäß § 127b Abs. 1 StPO gegen die Beschuldigten abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine „sofortige Verhandlung“ aufgrund der Arbeitsauslastung des Gerichts und der Gesamtumstände des Verfahrens nicht möglich sei. Der Unterzeichner sei überwiegend austerminiert und auch aus persönlichen Gründen gehindert, im beschleunigten Verfahren zu terminieren und zu entscheiden. Im Übrigen sei auch die personelle Ausstattung des Gerichts mit Protokollkräften nicht oder kaum in der Lage eine derartige Verhandlung innerhalb der kurzen Frist zu realisieren. Auch die „Corona-Bestimmungen“ des Gerichts würden eine kurzfristige Verhandlung erschweren, da nur unter Zurückstellung von Bedenken eine Verhandlung mit mindestens zehn Beteiligten durchzuführen sei.

Das LG hat die sofortige Beschwerde verworfen. Dagegen die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die beim OLG keinen Erfolg hatte:

„3. Indessen fehlt es an der weiter erforderlichen Voraussetzung, dass eine unverzügliche Entscheidung im beschleunigten Verfahren wahrscheinlich ist (§ 127b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 StPO).

Dabei kann dahinstehen, ob der Erwartung der Durchführung der Hauptverhandlung binnen einer Woche nach der Festnahme (§ 127b Abs. 2 Satz 1 StPO) tatsächlich die in den ablehnenden Entscheidungen des Amtsgerichts und den angefochtenen Beschlüssen des Landgerichts angeführten Gründe, namentlich die Terminslage, anderweitige Verhinderung des zuständigen Richters und gerichtsorganisatorische Einschränkungen, entgegenstehen.

Denn eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren kann vorliegend nicht (mehr) ergehen. Das Amtsgericht hat nämlich mit Beschlüssen vom 14. Juli 2021 nicht allein die Anordnung der Hauptverhandlungshaft nach § 127b gegen die Beschuldigten abgelehnt, sondern auch den gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 14. Juli 2021 auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist gemäß § 419 Abs. 2 Satz 2 StPO unanfechtbar und hat zur Folge, dass über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden (§ 419 Abs. 3 StPO) und die Sache gegebenenfalls im Regelverfahren fortzusetzen ist. Die Wiederholung des Antrags auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren ist ausgeschlossen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 419 Rz. 9 a.E.).

Zur Sicherung der Durchführung des danach allein noch möglichen Regelverfahrens darf aber die Haft nach § 127b Abs. 2 StPO nicht angeordnet werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O, § 127b Rz. 9; LR-Gärtner, StPO, 27. Aufl., § 127b Rz. 12).“.

Ich denke, vom beschleunigten Verfahren werden wir bei Anhalten der Corona-Proteste und der „Spaziergänge“ ggf. in nächster Zeit noch mehr hören. Und bitte: Nein, das sind dann keine „Standgerichte“.

Beweis I: Abgelehntes Sachverständigengutachten, oder: Wahrscheinlichkeitsaussage und Überzeugung

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So, und dann am 2. Arbeitstag des neuen Jahres geht es dann „normal“ weiter, wie ich gestern schon angekündigt hatte. Ich beginne heute mit „Beweisfragen“. Und: Ja, die Beiträge sind vorbereitet. Schließlich habe ich hier auf Borkum „Staatsbesuch“.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 07.12.2021 – 5 StR 215/21 – zur Ablehnung eines Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens wegen Ungeeignetheit. Der Angeklagte hatte die Ablehnung beim BGH gerügt, ohne Erfolg:

„2. Auch die Beanstandung der Revision, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO die beantragte Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens als völlig ungeeignetes Beweismittel abgelehnt, erweist sich als unbegründet.

Zwar ist es entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts grundsätzlich richtig, dass ein Sachverständigengutachten nicht schon dann als ungeeignetes Beweismittel anzusehen ist, wenn darin zwar keine sicheren und eindeutigen Beweisergebnisse erzielt werden, die enthaltenen Ausführungen aber gleichwohl die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen können (vgl. dazu in freilich anderen Konstellationen BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 284/11, NStZ 2012, 345; Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 StR 516/14, NStZ 2016, 116). Bringt das Tatgericht jedoch zum Ausdruck, dass es eine allenfalls geringgradige Wahrscheinlichkeitsaussage nicht für geeignet hält, seine Überzeugung zu beeinflussen, begegnet es keinen durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken, wenn es ein beantragtes Sachverständigengutachten mangels ausreichend aussagekräftiger und nicht weiter ermittelbarer Anknüpfungstatsachen als völlig ungeeignetes Beweismittel ansieht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 1999 – 3 StR 166/99; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 239).

So verhält es sich hier: Dem Landgericht lag die zu untersuchende Unterschrift lediglich in Kopie vor, die zudem mit nur einer einzigen Originalschriftprobe der mittlerweile Verstorbenen verglichen werden sollte. Wegen des Fehlens des Originals bestanden nach den von eigener, hinreichend dargelegter Sachkunde der Strafkammer getragenen Ausführungen in dem den Beweisantrag ablehnenden Beschluss wesentliche Untersuchungsdefizite, weshalb die Schriftprobe „einer Erhebungs- und Bewertungsmöglichkeit […] nur eingeschränkt oder gar nicht zugänglich“ war. Die Verstorbene konnte auch keine weiteren Schriftproben mehr anfertigen, so dass weitere Anknüpfungstatsachen durch einen Sachverständigen nicht zu ermitteln waren.

Zudem könnte der Senat das Beruhen des Urteils auf einem etwaigen Rechtsfehler ausschließen, weil die vermeintlich gefälschte Urkunde in der Beweiswürdigung des Landgerichts lediglich ein untergeordneter Aspekt für die Annahme eines auf Pflegebetrügereien ausgerichteten Verhaltensmusters der Angeklagten war.“

Pflichti I: Rechtsanwalt kann nur an 3 von 30 HV-Tagen, oder: Bestellung zu Recht abgelehnt

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Heute dann noch einmal in 2021 ein „Pflichti-Tag“, wahrscheinlich zum letzten Mal in diesem Jahr.

Den Beginner macht der BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – StB 35/21 – zur Ablehnung der Beiordnung der Rechtsanwalts, der seine Bestellung beantragt hatte. Das OLG hatte abgelehnt, der BGH hat das „gehalten“.

„1. Gemäß § 142 Abs. 5 StPO ist dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. Ein innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht. Ein solcher ist unter anderem dann gegeben, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

Die mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Ver-teidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2128, 2130) ausdrücklich benannten Ablehnungsgründe der fehlenden oder nicht rechtzeitigen Verfügbarkeit regeln nach Verständnis des Gesetzgebers die Fälle, in denen der Verteidiger zum einen – unter Anknüpfung an die Rechtsprechung zur bisherigen Rechtslage – etwa wegen anderweitiger Termine gar nicht und zum anderen nicht früh genug verfügbar ist. Was nicht rechtzeitig ist, soll sich danach richten, wann die Handlung vorgenommen werden soll, wegen derer seine Mitwirkung erforderlich ist. Eine kurze Wartezeit soll insoweit einzuräumen sein, ein Anspruch auf Verschiebung hingegen nicht bestehen (s. BT-Drucks. 19/13829 S. 42 f.).

Bereits zuvor war in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Vorsitzender den Antrag auf Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwalts zurückweisen darf, wenn dieser an geplanten Terminen nicht teilnehmen kann, die zur Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes mit Blick auf inhaftierte Mitangeklagte geboten sind (s. BVerfG, Beschluss vom 2. März 2006 – 2 BvQ 10/06, NStZ 2006, 460, 461; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2008 – 2 BvR 1146/08, BayVBl. 2009, 185 Rn. 10 ff.; BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17, juris Rn. 57 ff.; Beschluss vom 9. Januar 2007 – 3 StR 465/06, juris).

2. Nach diesen Maßstäben stand Rechtsanwalt S. für die Hauptverhandlung nicht zur Verfügung.

Die Anklage richtet sich gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte, von denen sich einer nach mehrmonatiger Auslieferungshaft seit dem 6. Mai 2021 in Untersuchungshaft befindet. Der Vorsitzende des Oberlandesgerichts hat mit Verfügung vom 22. September 2021 sämtliche Verteidiger gebeten, in einer vorbereiteten tabellarischen Übersicht ihre Verfügbarkeit an dreißig Terminen zwischen dem 26. Oktober und 23. Dezember 2021 mitzuteilen sowie etwaige Verhinderungsgründe konkret zu benennen. Rechtsanwalt S. hat lediglich drei Termine als ihm möglich markiert. Der Vorsitzende hat an dem Tag, an dem auch über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Beiordnung von Rechtsanwalt P. als Pflichtverteidiger entschieden worden ist, 15 Haupt-verhandlungstermine ab dem 28. Oktober 2021 bestimmt. An zwei dieser Termine kann Rechtsanwalt S. laut seiner Mitteilung teilnehmen.

Damit scheidet eine Verteidigung des Angeklagten durch Rechtsanwalt S. aus. Dies gilt bereits deshalb, weil er innerhalb des für die Hauptverhandlung vorläufig vorgesehenen Zeitraums lediglich an drei Tagen verfügbar ist und der Vorsitzende, dem die Terminierung obliegt (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 12. November 2020 – StB 34/20, StV 2021, 144 Rn. 5; vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 18), ersichtlich mehr Terminstage für erforderlich hält. Dabei ist nicht mehr entscheidend, dass die dem Verteidiger möglichen Tage nicht einmal in einem die Höchstdauer der Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO wahrenden Zeitraum lägen. Die vom Beschwerdeführer in den Raum gestellte Durchführung der Hauptverhandlung ab Januar 2022 kommt nicht in Betracht, da sich ein Mitangeklagter in Untersuchungshaft befindet und sich diese dadurch ohne sonstigen Grund um mehr als zwei Monate verlängerte.“

Na, den Beschluss werden wir demnächst öfter in Ablehnungsbeschlüssen lesen. Drei von 30 = 10 % ist vielleicht wirklich ein wenig viel. Zudem haben hier die Belange des inhaftierten Mitangeklagten eine Rolle gespielt. Aber damit ist nicht geklärt, wann nicht mehr abgelehnt werden darf und wie es mit den Bemühungen des Gerichts ist, andere Termine auf die Beine zu stellen.

Ablehnung I: Befangenheit von Verfassungsrichtern, oder: Besuch bei/Mittagessen mit Angela Merkel

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Heute im Kessel Buntes dann mal zwei Entscheidungen zur Befangenheit, aber eben nicht im Straf- und Bußgeldverfahren.

Zunächst der BVerfG, Beschl. v. 20.07.20212 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 – zur Befangenheit von Verfassungsrichtern. Die Entscheidung und das Verfahren sind ja auch shcon durch die Presse gegangen. Es handelt sich um das Organstreitverfahren der AfD wegen der Äußerungen von A. Merkel in Zusammenhang mit der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. In dem Verfahren hatte die AfD ein Ablehnungsgesuch gegen die Mitglieder des 2. Senats des BVerfG gestellt. Begründung: Besuch einer Delegation des BVerfG bei der Kanzlerin mit Mittagessen bei A. Merkel. Das BVerfG hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen.

Ich beschränke mich hier auf die PM des BVerfG Nr. 63/2021 vom 21.07.2021, in der es heißt:

„Unzulässiges Ablehnungsgesuch gegen Mitglieder des Zweiten Senats des BVerfG

Das BVerfG hat ein Ablehnungsgesuch der Partei Alternative für Deutschland (AfD) gegen die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats in zwei von der AfD gegen die Bundesregierung beziehungsweise die Bundeskanzlerin gerichteten Organstreitverfahren verworfen.

Das Ablehnungsgesuch, welches die Antragstellerin im Wesentlichen mit dem Besuch einer Delegation des Bundesverfassungsgerichts bei der Bundesregierung am 30. Juni 2021 begründet, ist offensichtlich unzulässig, da es sich auf eine gänzlich ungeeignete Begründung stützt.

Die Veröffentlichung des Beschlusses über das Ablehnungsgesuch erfolgt gesondert.

Sachverhalt:

Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2021 hat die Antragstellerin sämtliche Mitglieder des Zweiten Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung ihres Ablehnungsgesuchs trägt sie im Wesentlichen vor, dass ausweislich der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 54/2021 vom 1. Juli 2021 eine Delegation des Bundesverfassungsgerichts unter Leitung des Präsidenten und der Vizepräsidentin am 30. Juni 2021 zu einem Treffen mit den Mitgliedern der Bundesregierung nach Berlin gereist sei. Auf Einladung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel habe ein gemeinsames Abendessen mit der Bundesregierung stattgefunden. Die Teilnahme an einem Abendessen mit den Antragsgegnerinnen der von ihr angestrengten Organstreitverfahren nur wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung begründe die Besorgnis der Befangenheit gegen alle teilnehmenden Richterinnen und Richter des Zweiten Senats. Zudem hat die Antragstellerin auch die Mitglieder des Ersten Senats, die an dem Abendessen teilgenommen haben, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, sofern diese gemäß § 19 Abs. 1 BVerfGG über die Ablehnung der Mitglieder des Zweiten Senats oder gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG in den Organstreitverfahren entscheiden sollten.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Das Ablehnungsgesuch gegen die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats ist offensichtlich unzulässig.

1. Offensichtlich unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch vor allem dann, wenn es nicht begründet wird oder sich auf eine gänzlich ungeeignete Begründung stützt. Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters oder einer Richterin des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters oder der Richterin zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter oder die Richterin tatsächlich parteilich oder befangen ist oder sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters oder der Richterin zu zweifeln.

2. Der Vortrag der Antragstellerin ist offensichtlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richterinnen und Richter zu begründen.

Das Bundesverfassungsgericht ist Teil der rechtsprechenden Gewalt und zugleich oberstes Verfassungsorgan. Als solches ist es in das grundgesetzliche Gewaltenteilungsgefüge eingebunden und nimmt an der Ausübung der Staatsgewalt teil. Das Verhältnis der obersten Verfassungsorgane ist – auch jenseits der eigentlichen Ausübung ihrer jeweiligen Kompetenzen – auf gegenseitige Achtung, Rücksichtnahme und Kooperation angelegt. Die regelmäßigen Treffen des Bundesverfassungsgerichts mit der Bundesregierung zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch sind im Sinne eines „Dialogs der Staatsorgane“ Ausdruck dieses Interorganrespekts. Gleiches gilt für die regelmäßig stattfindenden Besuche des Bundespräsidenten beim Bundesverfassungsgericht sowie die Treffen des Bundesverfassungsgerichts mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages. Die Treffen im Rahmen dieses Dialogs oberster Verfassungsorgane sind gänzlich ungeeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts zu begründen.

Etwas Anderes folgt nicht daraus, dass zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Treffens die vorliegenden Organstreitverfahren gegen die Bundeskanzlerin beziehungsweise die Bundesregierung anhängig waren. Dagegen spricht bereits, dass das Gericht permanent mit Verfahren befasst ist, welche das Handeln der Bundesregierung oder anderer oberster Verfassungsorgane betreffen. Führte allein dies dazu, dass von Zusammenkünften im Rahmen des institutionalisierten Interorganaustauschs abgesehen werden müsste, würde dieser Austausch unmöglich. Zudem käme darin ein Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, das dem grundgesetzlich und einfachrechtlich vorausgesetzten Bild des Verfassungsrichters widerspricht.

Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass allein die zeitliche Nähe des Treffens ohne irgendeinen inhaltlichen Bezug zur mündlichen Verhandlung dazu führen könnte, dass die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr über die innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigt, über die Gegenstände der vorliegenden Organstreitverfahren unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden. Soweit die Antragstellerin anzudeuten scheint, dass die Einladung der Bundeskanzlerin gerade aus Anlass der vorliegenden Organstreitverfahren ausgesprochen worden sei, handelt es sich schließlich um eine Mutmaßung ohne sachlichen Hintergrund.

3. Bei offensichtlicher Unzulässigkeit sind die abgelehnten Richterinnen und Richter zur Abgabe einer dienstlichen Erklärung nicht verpflichtet und von der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen. Einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen die Richterinnen und Richter des Ersten Senats bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.“