Und die zweite Entscheidung kommt dann – wie angekündigt – auch aus Sachsen-Anhalt. Es handelt sich um den OLG Naumburg, Beschl. v. 14.08.2025 – 1 Ws 187/25 (RB-Vollzug). In dem gibt es für JVA und StVK einen Rüggel.
Es geht um Folgendes: In der JVA Burg gibt es eine Anstaltsverfügung vom 25.102024, die auch in der Praxis ausgeübt wird, wonach eingehende Post für Gefangene in deren Abwesenheit zur Verhinderung des Einschleusens von Suchtmitteln geöffnet und kopiert wird und den Gefangenen die Kopien auszuhändigen und das Original zur Habe zu nehmen. Die JVA hat diese Anordnung mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt sowie Gesundheitsfürsorgeaspekten begründet. Hintergrund sei die massive Zunahme des Konsums neuer psychoaktiver Stoffe (npS) unter den Gefangenen. Diese würden in flüssiger Form auf Papier aufgebracht und dann über die gewöhnliche Gefangenenpost in die Haftanstalt eingeschleust. Der Konsum dieser Stoffe habe zuletzt vermehrt zu gesundheitsgefährdenden Ausfallerscheinungen sowie gesteigerter Aggressivität bei mehreren Gefangenen geführt.
Dagegen hat sich der Gefangene gewehrt. Damit hatte er weder bei der JVA noch bei der StVG Stendal Erfolg. Dann aber beim OLG Naumburg:
„2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gemäß § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG.
Die Gründe der angefochtenen Entscheidung werden den gesetzlichen Anforderungen nicht vollumfänglich gerecht.
In dem revisionsähnlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahren nimmt das Rechtsbeschwerdegericht lediglich eine Rechtskontrolle auf der Grundlage der in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Tatsachenfeststellungen vor. Ein Rückgriff auf weitere, ggf. neue Tatsachenbehauptungen der Verfahrensbeteiligten ist dem Senat nicht möglich. Aus diesem Grund muss das erstinstanzliche Gericht in dem Beschluss nach § 115 StVollzG die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte so vollständig wiedergeben, dass eine hinreichende Überprüfung des Beschlusses im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 6. Mai 2021, 3 Ws 89/21 (StrVollz), Rn. 11 m.w.N., zitiert nach juris). Dabei haben sich die notwendigen Feststellungen in ihrem Umfang insbesondere an den Voraussetzungen der zugrundeliegenden Rechtsgrundlagen zu orientieren (vgl. OLG Celle, a.a.O. Rn.13).
Nach diesen Maßgaben ist der angefochtene Beschluss nicht ausreichend begründet und lässt einige naheliegende Fragen bzw. Aspekte unerörtert.
Nach § 38 Abs. 1 JVollzGB I LSA haben Gefangene das Recht, grundsätzlich unbeschränkt Schreiben abzusenden und zu empfangen. Durch diese Norm soll der schriftliche Gedanken-austausch mit Personen außerhalb der Vollzugsanstalt gewährleistet werden.
Das Landgericht hat die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung zutreffenderweise an der Generalklausel des § 4 Abs. 3 Satz 2 JVollzGB I LSA gemessen und eine Anwendung der §§ 40 Abs. 2, 41, 42 JVollzGB I LSA zur Rechtfertigung der Maßnahme ausgeschlossen (vgl. für das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz mit umfassender Begründung: OLG Celle, a.a.O. Rn.15 ff. sowie im Anschluss Patzak, NStZ 2023, 187, 188 f. und Bode, JR 2023, 219, 223).
Nach der Generalklausel des § 4 Abs. 3 Satz 2 JVollzGB I LSA können dem Gefangenen, soweit das Gesetz keine besondere Regelung enthält, Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerlässlich sind. Sie müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Anordnung stehen und dürfen den Gefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen, § 4 Abs. 3 Satz 3 JVollzGB I LSA.
Der Rückgriff auf die Generalklausel ist in der vorliegenden Konstellation nicht durch die Bestimmungen der §§ 38 ff. JVollzGB I LSA gesperrt.
Aus dem aus § 4 Abs. 3 Satz 1 JVollzGB I LSA folgenden Enumerationsprinzip ergibt sich, dass die Gefangenen ausschließlich den im JVollzGB I LSA ausdrücklich genannten Beschränkungen unterliegen. Eine Ausnahme dieses Grundsatzes enthält allein die Generalermächtigung in § 4 Abs. 3 S. 2 JVollzGB I LSA, wonach Beschränkungen, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerlässlich sind und nicht an späterer Stelle des JVollzGB I LSA spezialgesetzlich geregelt wurden (vgl. BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, 21. Ed., JVollzGB I LSA § 4 Rn. 6). Da nicht alle Situationen, die in einer Anstalt zu Gefährdungen der Sicherheit oder Ordnung führen können, und auch nicht alle künftigen Inhalte verfahrenssichernder Anordnungen vorhersehbar sind, bedarf es dieser vollzugrechtlichen Generalklausel (LSALT-Drs. 6/3799, 158).
Insoweit stellt sich die Frage, ob die Behandlung der Eingangspost in den §§ 38 ff. JVollzGB I LSA abschließend geregelt ist – was einen Rückgriff auf die Generalklausel ausschlösse – oder ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt und die Anwendung möglich ist (vgl. zur entsprechenden Regelung des § 4 StVollzG: Arloth/Krä, a.a.O., § 4 Rn 5). Die Vorschriften zum Schriftverkehr der Gefangenen regeln den gedanklichen Austausch und stellen damit in erster Linie auf den gedanklichen Inhalt der jeweiligen Schreiben ab. Vorliegend geht es demgegenüber um Gefahrenstoffe, nämlich npS, die aller Wahrscheinlichkeit nach über das verwendete Briefpapier in die Anstalt eingebracht werden, ohne dass diese Stoffe in irgendeinem Zusammenhang mit dem gedanklich vermittelten Austausch steht (vgl. umfassend OLG Celle, a.a.O. Rn.17). Insoweit handelt es sich um eine von den § 38 ff. JVollzGB I LSA nicht erfasste Konstellation, die bei der Abfassung des Gesetzes bzw. seiner letztmaligen Änderung nicht mitgedacht wurde, so dass die angefochtene Maßnahme auf § 4 Abs. 3 Satz 2 JVollzGB I LSA gestützt werden könnte.
Soweit der Landesgesetzgeber im Rahmen der aktuell anstehenden Novellierung der Justizvollzugsgesetze beabsichtigt, durch eine entsprechende Absatzeinfügung in § 42 Abs. 1 Nr. 1a JVollzGB I LSA eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für die Anordnung zum Kopieren der Gefangenenpost zu schaffen, streitet dieser Umstand gleichsam dafür, dass erst jetzt ein entsprechender Regelungsbedarf und damit eine Regelungslücke erkannt wurde, die zukünftig aus Klarstellungserwägungen durch eine ausdrückliche Eingriffsnorm geschlossen werden soll und die bis zum möglichen Inkrafttreten der Gesetzesänderung durch die Generalklausel des JVollzGB I LSA auszufüllen ist.
An Eingriffe, die allein von der Generalklausel erfasst werden, sind indes hohe Anforderungen zu stellen und sie unterliegen einer „besonders strengen Prüfung der Mittel-Zweck-Relation“. Dieser Umstand findet seinen Ausdruck in dem Begriff der Unerlässlichkeit, der entsprechend eng zu interpretieren ist und nicht als bloße Erforderlichkeit verstanden werden darf. Soll eine Maßnahme auf die Generalermächtigung gestützt werden, ist zunächst eine „reale Gefähr-dung“ der Sicherheit bzw. eine schwerwiegende Störung der Ordnung der Anstalt von ausreichendem Gewicht Voraussetzung, die jeweils auf konkrete Tatsachen gestützt sein müssen (vgl. BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, 21. Ed., JVollzGB I LSA § 4 Rn. 7 m.w.N.).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 2 JVollzGB I LSA unterliegen uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung. Es besteht kein Beurteilungsspielraum der Vollzugsbehörde. Auf der Rechtsfolgenseite hingegen obliegt ihr eine Ermessensentscheidung, bei der sie die Anforderungen an die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt mit den Interessen des Gefangenen abzuwägen hat. Diese Ermessensentscheidung ist im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar, namentlich dahingehend, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die richtigen Wertungsmaßstäbe angewendet hat, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie die Grenzen ihres Ermessen eingehalten hat (vgl. Arloth/Krä, a.a.O., § 115 StVollzG Rn. 15 f. m.w.N.).
Der Sachverhalt ist daher von Amts wegen soweit aufzuklären, dass das Gericht in die Lage versetzt wird, diese Voraussetzungen zu prüfen. Im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG gilt der Untersuchungsgrundsatz (vgl. OLG Celle, a.a.O., Rn. 19).
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit hat die Strafvollstreckungskammer den verfassungs-rechtlichen Schutz des Briefverkehrs durch Art. 10 GG nicht ausreichend gewürdigt, zumal dieser eine wichtige Form der Kontakthaltung für den Gefangenen darstellt und auch für seine Resozialisierung von besonderer Bedeutung ist.
Dies gilt umso mehr, als die in Frage stehende Allgemeinverfügung keine konkreten Verdachtsmomente gegen einen Gefangenen bzw. eine umgrenzte Gruppe verlangt und kein Rückgriff auf eine spezielle, bereichsspezifische Eingriffsgrundlage möglich ist, sondern ledig-lich auf die Generalklausel des § 4 Abs. 3 Satz 2 JVollzGB I LSA abgestellt werden kann (so für § 3 NJVollzG: OLG Celle, a.a.O., Rn. 23). Die erforderliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist hier im Lichte der besonderen Bedeutung des Brief- und Postgeheimnisses nach Art. 10 GG vorzunehmen. Gleichsam ist zu beachten, dass Eingriffe gegenüber Nichtstörern als Adressaten nur ausnahmsweise, als ultima ratio erfolgen dürfen (vgl. zu § 4 StVollzG: OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2013, III-1 Vollz (Ws) 695/12, Rn. 8, zitiert nach juris).
Eine Einschränkung im Rahmen einer Allgemeinverfügung erfordert mithin wegen der von ihr ausgehenden, tiefgreifenden Eingriffe in die Rechte aller in der Anstalt untergebrachten Gefangenen neben dem Vorliegen einer – von der Strafvollstreckungskammer nachvollziehbar angenommenen – schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt auch die Feststellung, dass dieser mit milderen, ggf. auch personal- oder kostenintensiven Mitteln, nicht begegnet werden kann und dass sie in ihrer konkreten Durchführung auf das notwendige Maß beschränkt wird.
Der Senat verkennt nicht, dass sich in der angefochtenen Entscheidung nachvollziehbare und umfangreiche Ausführungen, anhand deren das Vorliegen einer Gefahr für die Sicherheit und/oder schwerwiegende Störung der Ordnung der Anstalt nachvollzogen werden kann, fin-den. Indes mangelt es an ausreichenden Feststellungen, um die Geeignetheit und die Verhält-nismäßigkeit der Maßnahme (Kopieren der gesamten Eingangspost und Übergabe der Ablichtungen bei Verwahrung der Originalschreiben bis zur Haftentlassung) prüfen zu können.
Es fehlen vor allem vertiefende Ausführungen zur Möglichkeit des flächendeckenden Einsatzes des Drogendetektors IONSCAN 600 auch in der Justizvollzugsanstalt Burg. Dies wäre indes vor dem Hintergrund des Eingriffs in den durch Art. 10 GG verfassungsrechtlich geschützten Briefverkehr unbedingt erforderlich gewesen, um eine umfassende Prüfung der Ver-hältnismäßigkeit der Maßnahme zu ermöglichen. Insoweit ist von besonderer Bedeutung, dass die Kontrolle der Eingangspost mittels dieses, auch an Flughäfen zum Erkennen von Spreng-stoffen und Betäubungsmitteln eingesetzten Gerätes das Postgeheimnis weniger tangieren dürfte, da der Inhalt der Briefsendung nicht zwangsläufig der Wahrnehmung Dritter ausgesetzt wird, weil die Probenentnahme auch ohne direkten Blick bzw. Zugriff auf den schriftlichen Inhalt möglich erscheint.
Zudem könnte dabei auch die in anderen Bundesländern angewandte Methode der Proben-entnahme mittels eines Lochentwertungsgerätes in Betracht gezogen werden, was die Beprobung jeglichen Schriftwechsels gänzlich ohne Inhaltswahrnehmung erlauben würde.
Soweit sich die Strafvollstreckungskammer hinsichtlich der Möglichkeit der Erfassung des In-halts der Briefe durch die mit dem Kopieren betrauten Bediensteten darauf zurückgezogen, dass diese überhaupt kein Interesse an eben jenem Inhalt hätten, trägt diese Argumentation der Bedeutung des Briefgeheimnisses nicht ausreichend Rechnung.
Die Verhältnismäßigkeitsprüfung sollte – wenn auch in untergeordneter Bedeutung – den konkreten finanziellen Beschaffungsaufwand für eine notwendige Anzahl von IONSCAN-Geräten in Relation zum derzeitigen Personal- und Materialaufwand für das obligatorische Kopieren der Originalpost berücksichtigen.
Auch sind der konkrete Reinigungsaufwand nach jeder Beprobung und die damit unter Um-ständen verbundenen Verzögerungen der Postweiterleitung – deren Umfang nicht zuletzt in die Abwägung miteinzubeziehen sind – in den Blick zu nehmen.
Gleiches gilt für mögliche Erfahrungen in anderen Bundesländern zum Einsatz des vorgenannten Gerätes, wobei auch die Anzahl der bislang in allen Justizvollzugseinrichtungen Sachsen-Anhalts dokumentierten npS-Vorfälle und die dort mittels IONSCAN erfolgten Positivtestungen in den Überlegungen zum Tragen kommen sollten.
Schließlich lässt der angefochtene Beschluss Ausführungen zur Effektivität der ergriffenen Maßnahme für die Verhinderung des Einschleusens von Suchtstoffen in die Vollzugseinrichtung im Verhältnis zum flächendeckenden Einsatz von Drogenscannern, da letztere im Gegensatz zum generellen Zurückhalten der Originalpost eine eindeutige Zuordnung von Absendern und Empfängern inkriminierter Briefsendungen ermöglichen, vermissen. Die Abwägung kann jedenfalls nicht mit der Begründung zugunsten der bisher ergriffenen Maßnahmen aus-fallen, dass in der Justizvollzugsanstalt Burg nicht ausreichend Scanner und Personal zur Verfügung stehen.“


