Immer wieder müssen sich die Gerichte mit der Frage der Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens befassen. So jetzt auch noch einmal das LG Lüneburg, im LG Lüneburg, Beschl. v. 22.07.2024 – 111 Qs 46/24, in dem das LG eine Ergänzung in der amtsgerichtlichen Entscheidung vorgenommen hat.
Folgender Sachverhalt: Gegen die Beschuldigte war als Gesellschafterin einer GbR nach einer Steuerprüfung vom 12.03.2019 wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung für die Jahre 2015 – 2017 ein Strafverfahren durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen eingeleitet und am 13.03.2019 die Bekanntgabe hierüber angeordnet worden. Die Beschuldigte wurde mit Schreiben vom 21.02.2020, ihr zugestellt am 26.02.2020 über die Einleitung des Strafverfahrens unterrichtet. Am 13.04.2023 wurde sie wegen einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO angeschrieben.
Daraufhin meldete sich Rechtsanwalt R 1 unter dem 24.04.2023 als Verteidiger und beantragte in der Folgezeit mit mehreren Schreiben Fristverlängerung zur Stellungnahme, die ihm antragsgemäß bis zum 30.06.2023 gewährt wurde. Eine Stellungnahme ging nicht ein. Mit Schreiben vom 5.02.2024 wurde die Beschuldigte erneut wegen einer Zustimmung zu einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO angeschrieben, was einen weiteren Fristverlängerungsantrag zur Stellungnahme bis zum 11.03.2024 zur Folge hatte, der nicht gewährt wurde. Mit Abschlussvermerk vom 28.02.2024 hat das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen das Verfahren an die Staatsanwaltschaft zwecks Antrag auf Erlass eines Strafbefehls unter Hinweis auf die am 14.3.2024 eintretende Verjährung abgegeben. Die Staatsanwaltschaft leitete die Akten erst am 13.03.2024 an das AG weiter. Trotz des Vermerks EILT SEHR! SOFORT! auf der Übersendungsverfügung lagen die Akten erst am 15.03.2024 der zuständigen Richterin vor, die den Strafbefehl antragsgemäß erließ. Hiergegen wendete sich die Beschuldigte fristgerecht mit ihrem Einspruch vom 6.04.2024 durch den nunmehr mandatierten Rechtsanwalt R 2, der beantragte, das Verfahren wegen Verjährung einzustellen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass Anordnung und Bekanntgabe betreffend die Einleitung des Strafverfahrens eine Einheit bilden, weshalb die Verjährung letztmalig am 12.03.2019 unterbrochen wurde und am 12.03.2024 endete.
Das Verfahren wurde mit Beschluss des AG vom 040.7.2024 wegen des Verfahrenshindernisses der Verjährung gemäß § 206a StPO „auf Kosten der Staatskasse“ eingestellt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschuldigte mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 07.07.2024 und legt sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung ein, weil der Beschluss sich nicht zu den notwendigen Auslagen der Beschuldigten verhält. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, weil ein hinreichender oder erheblicher Tatverdacht gegen die Beschuldigte fortbestehe, weshalb das Gericht gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO davon absehen könne, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Der Ergänzungsantrag hatte Erfolg:
„Zwar kann das Gericht gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn der Beschuldigte wegen einer Straftat nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Bei der Ausübung des dadurch eröffneten Ermessens über eine Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ist aber dem Ausnahmecharakter von § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO grundsätzlich Rechnung zu tragen. War das Verfahrenshindernis bei Klageerhebung (der ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gleichsteht) bereits eingetreten, soll es deshalb bei der regelmäßigen Kostenfolge nach § 467 Abs. 1 StPO bleiben, es sei denn, eine solche Lösung erscheine grob unbillig, etwa weil der Eintritt des Verfahrenshindernisses auf ein vorwerfbares Verhalten des Angeklagten zurückzuführen ist. Tritt das Verfahrenshindernis erst im Laufe des Verfahrens ein, werden die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse seit der Entstehung des Hindernisses aufgebürdet. Im Rahmen der Ermessenentscheidung kann darüber hinaus Berücksichtigung finden, ob das Verfahrenshindernis von vornherein erkennbar war, oder ob es als Ergebnis einer langwierigen Aufklärung des Sachverhaltes erst später zutage trat. Zu beachten ist dabei stets, dass nach der Intention des Gesetzgebers die Möglichkeit der vom Regelfall abweichenden Kostenentscheidung nur für seltene Ausnahmefälle eröffnet sein sollte (OLG Celle, StraFo 2013, 5667, vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 67. Aufl., StPO Rn. 18 zu § 467 StPO).
Nach diesen Grundsätzen hat die Landeskasse die notwendigen Auslagen der Beschuldigten zu tragen. Die zeitliche Verzögerung, die im Wesentlichen zur Verjährung beigetragen hat, beruhte darauf, dass das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen das Verfahren nach Ablauf der zuletzt gewährten Stellungnahmefrist für den Verteidiger am 30.06.2023 bis zum 05.02.2024 nicht weiter gefördert hat, obwohl es zu dem Zeitpunkt keine Veranlassung mehr für weitere Ermittlungen sah. Das Verfahrenshindernis war bereits zu diesem Zeitpunkt erkennbar und seit dem 28.02.2024 auch aktenkundig gemacht. Dass die Strafverfolgungsbehörden die Verjährung aufgrund der internen Abläufe nicht mehr rechtzeitig unterbrechen konnten, kann der Beschuldigten nicht angelastet werden.“
Eine zutreffende Entscheidung, die ohne viele Worte noch einmal den Grundsatz der Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens betont, nämlich: In der Regel sind die dem Beschuldigten entstandenen Auslagen nach § 467 Abs. 1 StPO zu erstatten, es sei denn eine Ausnahme – hier wäre es ggf. § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO gewesen – greift.