Und im Mittagsposting dann der OLG Braunschweig, Beschl. v. 05.10.2023 – 1 Ws 206/23 – (nochmals) zum Verzicht des Verurteilten auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen im Verfahren zur Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung.
Der Verurteilte ist wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Nach vollständiger Verbüßung dieser Strafe wird die Sicherungsverwahrung seit dem 23.08.2015 vollstreckt.
Zur Vorbereitung der Entscheidung über die weitere Fortdauer der SV holte die Strafvollstreckungskammer ein forensisch-psychiatrisches Gutachten eine Sachverständigen ein. Dieses Sachverständigengutachten datiert vom 26.06.2023. Der Verurteilte sollte am 20.07.2023 durch die StVK persönlich angehört werden. Zu diesem Termin war zunächst – auch der Sachverständige geladen worden. Unter dem 12.07.2023 vermerkte ein Mitglied der StVK, dass der Verteidiger in einem Telefonat vom selben Tage auf eine Anhörung des Sachverständigen im Termin am 20.07.2023 verzichtet habe. Mit jeweiliger E-Mail vom selben Tage verzichteten auch die JVA und die StA auf eine Anhörung des Sachverständigen. Daraufhin lud die StVK den Sachverständigen vom Anhörungstermin ab. Der Verurteilte teilte mit Schreiben vom 19.07.2023 mit, dass er an der Anhörung am 20.07.2023 nicht teilnehmen wolle. Am 20.07.2023 wurde der Anhörungstermin ohne den Verurteilten und ohne den Sachverständigen durchgeführt. Im Anhörungstermin erklärte der Verteidiger, dass der Verurteilte auf seine Nachfrage, ob er auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichte, nicht reagiert habe; aus seiner Sicht sei die mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht erforderlich.
Die StVG hat die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen die sofortige Beschwerde, die Erfolg hatte:
„1. Die angefochtene Entscheidung leidet an einem wesentlichen Verfahrensfehler, der zu ihrer Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer zwingt. Denn der mit der Begutachtung des Beschwerdeführers beauftragte Sachverständige Dr. med. B. wurde unter Verstoß gegen §§ 463 Abs. 3 Satz 3, 454 Abs. 2 Satz 3 StPO am 20. Juli 2023 nicht mündlich zur Frage der Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angehört.
Die Verpflichtung zur mündlichen Anhörung dient nicht nur der Verwirklichung des Anspruchs des Verurteilten auf rechtliches Gehör, sondern soll vor allem die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorbereiten und ihre materielle Richtigkeit (gestützt auf aktuelles, geprüftes Expertenwissen) gewährleisten (KG Berlin, Beschluss vom 16. September 2019, 2 Ws 144/19 – 121 AR 205/19, juris, Rn. 4). Die mündliche Erörterung eines solchen Gutachtens in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten gibt diesen Gelegenheit, das Sachverständigengutachten eingehend zu diskutieren, das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen und zu dem Gutachten Stellung zu nehmen (KG Berlin, a.a.O. m.w.N.).
Zwar bietet § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO die Möglichkeit, von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen abzusehen, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich darauf verzichten. Der erforderliche Verzicht muss aber eindeutig erklärt werden; das bloße Schweigen auf eine Zuschrift des Gerichts genügt nicht (KG Berlin, a. a. O., Rn. 8; KG Berlin, Beschluss vom 22. November 2013, 2 Ws 558/13 – 141 AR 616/13, juris, Rn.10; OLG Hamm, Beschluss vom 30. August 2018, III-3 Ws 363/18, juris, Rn. 12).
Eine solche ausdrückliche Verzichtserklärung liegt hier nur von dem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft vor. Die zudem notwendige ausdrückliche Verzichtserklärung des Verurteilten ist hingegen nicht erteilt worden.
Dem bloßen Schweigen des Verurteilten auf die Nachfrage des Verteidigers, ob er auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichte, kann eine solche ausdrückliche Verzichtserklärung nicht entnommen werden, da dieses – wie auch das ebenfalls unzureichende Schweigen auf eine gerichtliche Anfrage – bereits keine eindeutige Erklärung darstellt.
Auch die Mitteilung des Verurteilten vom 19. Juli 2023 kann nicht als Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen aufgefasst werden. Der Verurteilte hat darin nur mitgeteilt, dass er nicht an der Anhörung am 20. Juli 2023 teilnehmen wolle. Zu der Anhörung ist der Verurteilte dann auch tatsächlich nicht erschienen. In der Ablehnung der Teilnahme an dem Anhörungstermin kann ein ausdrücklicher Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen aber nicht erblickt werden (OLG Braunschweig, Beschluss vom 28. September 2023, 1 Ws 165/23, nicht veröffentlicht), da sie sich zu einer solchen gerade nicht ausdrücklich verhält. Dazu, ob er auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichten wolle, ist der Verurteilte im Vorfeld der Anhörung nur seitens des Verteidigers befragt worden. Indes hat er auf diese Befragung, wie bereits dargetan, nicht reagiert. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es mangels eindeutiger Reaktion des Verurteilten auf die Nachfrage des Verteidigers ausgeschlossen, seiner Weigerung zur Teilnahme an der – ohne den Sachverständigen stattfindenden – Anhörung die Erklärung eines Verzichts auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen zu entnehmen.
Da der Verteidiger seine Erklärung als Verfahrensbeteiligter und nicht im Namen des Verurteilten vorgenommen hat, kann auch dessen Erklärung jene des Verurteilten nicht ersetzen (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. März 2006, 1 Ws 105/06, juris, Rn. 13; Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 454 Rn. 64).“