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StPO III: Verwertbarkeit einer Bild-Ton-Aufzeichnung, oder: Ist der Zeuge ordnungsgemäß belehrt?

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Und als dritte StPO-Entscheidung dann noch das BGH, Urt. v. 14.12.2022 – 6 StR 340/21 – u.a. zur Verfahrensrüge betreffend eine Bild-Tonaufzeichnung und zu deren Verwertbarkeit.

Das LG hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit der Anklage hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, seinen im Jahre 2013 geborenen Sohn J. im Zeitraum 01.01.2017 bis 30.01.2020 im elterlichen Schlafzimmer sowie in einer Gartenlaube aufgefordert zu haben, am Penis des Angeklagten zu manipulieren, wobei der Junge dem jeweils bis zum Samenerguss nachgekommen sei.

Die Strafkammer hat zu den Anklagevorwürfen keine näheren Feststellungen getroffen. Der Angeklagte hat sich auf sein Schweigerecht berufen. Sein Sohn als einziger unmittelbarer Tatzeuge hat in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert. Die Bild-Ton-Aufzeichnung seiner ermittlungsrichterlichen Videovernehmung hat die Strafkammer als unverwertbar angesehen.

Gegen den Freispruch hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Sie hat ihre Verfahrensrüge u.a. auf die unzutreffende Annahme eines Beweisverwertungsverbotes gestützt und insoweit die Aufklärungsrüge erhoben. Die Revision hatte keinen Erfolg:

„Den erhobenen Verfahrensrügen bleibt der Erfolg versagt.

1. Die auf die unzutreffende Annahme eines Beweisverwertungsverbotes gestützte Aufklärungsrüge (Verfahrensrüge II.1.a) ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

a) Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde der sechsjährige Zeuge J.G. am 21. Februar 2020 ermittlungsrichterlich vernommen; hiervon wurde eine Bild-Ton-Aufzeichnung gefertigt. Der mit Blick auf ein – irrtümlich angenommenes – gemeinsames Sorgerecht des Angeklagten und der Kindsmutter bestellte Ergänzungspfleger hatte tags zuvor schriftlich gegenüber dem Amtsgericht erklärt, dass das Kind von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch machen werde. Zu Beginn der Vernehmung wurde der Zeuge richterlich auf seine Wahrheitspflicht hingewiesen und ferner wie folgt belehrt: „Und wenn wir jetzt Fragen stellen nach deinem Papa und du sagst, ach, das will ich lieber nicht beantworten, dann sagst du mir das. Dann sagst du mir, das will ich lieber nicht erzählen, okay?“. Anschließend sagte der Zeuge zur Sache aus. Der Verteidiger konnte mittels elektronischer Nachrichten an der Vernehmung aus einem Nebenzimmer mitwirken, in das die Vernehmung audio-visuell übertragen wurde.

Die Kindsmutter, die Zeugin G., erklärte im August 2020 im Rahmen eines familiengerichtlichen Verfahrens zu Protokoll, mit der Verwertung der Bild-Ton-Aufzeichnung der ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch das Landgericht einverstanden zu sein. In der Hauptverhandlung vor der Strafkammer wiederholte sie dieses Einverständnis. Dort berief sich indes J.G. nach Belehrung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Sodann wurde er gefragt, ob er mit Blick auf die fehlerhafte Belehrung bei seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung „bei ordnungsgemäßer Belehrung zu einer Aussage bereit gewesen wäre“.

b) Die Beschwerdeführerin trägt die für eine revisionsgerichtliche Prüfung des Geschehens erforderlichen Tatsachen nicht vollständig vor (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

aa) Nach dem Beschwerdevorbringen wäre die Bild-Ton-Aufzeichnung wegen einer rechtsfehlerhaften Belehrung des Zeugen durch den Ermittlungsrichter grundsätzlich unverwertbar.

(1) Zwar steht die nachträgliche Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts der Verwertung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer früheren richterlichen Vernehmung nach § 255a Abs. 2 StPO grundsätzlich nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2019 − 5 StR 555/19, NStZ 2020, 181; nicht tragend bereits BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 – 3 StR 185/03, BGHSt 49, 72, 83; Beschluss vom 15. Juli 2016 – GSSt 1/16, BGHSt 61, 221, 239; BeckOK StPO/Berg, 45. Ed., § 255a Rn. 11 mwN; LR/Mosbacher, 27. Aufl., § 255a Rn. 21; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 52 Rn. 94). Die vernehmungsersetzende Vorführung dieses Beweissurrogats nach § 255a Abs. 2 StPO setzt aber eine vorangegangene ordnungsgemäße Beweiserhebung unter Wahrung der wesentlichen Verfahrensvorschriften voraus (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 255a Rn. 9; KMR/R. Fischer, StPO, 107. Lfg., § 255a Rn. 44; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 255a Rn. 8a). Bei einer richterlichen Zeugenvernehmung, welche in Bild und Ton aufgezeichnet wird (§ 58a StPO), sind deshalb namentlich die rechtlich geschützten Belange des Beschuldigten, etwa seine Gelegenheit zur Mitwirkung (vgl. § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO; BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 – 3 StR 185/03, aaO S. 82 f.; im Einzelnen KMR/R. Fischer, aaO Rn. 45 ff.), zu wahren. Dies gilt gleichermaßen für Zeugenrechte (vgl. BeckOK StPO/Berg aaO; KK-StPO/Diemer aaO). Denn die rechtlichen Maßgaben des § 255a Abs. 2 StPO stehen im regelungssystematischen Zusammenhang mit § 58a StPO. Dieser ermöglicht unter näher bestimmten Voraussetzungen eine Videodokumentation der Vernehmungsinhalte und ergänzt insoweit die Übrigen – unbeschränkt fortgeltenden – Verfahrensregeln über richterliche Zeugenvernehmungen etwa im Ermittlungsverfahren (vgl. §§ 162, 48 ff. StPO).

Ist die gebotene ordnungsgemäße Zeugenbelehrung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO versehentlich unterblieben, kann die Bild-Ton-Aufzeichnung grundsätzlich nicht vernehmungsersetzend eingeführt werden. Über § 255a Abs. 2 StPO kann die aufgezeichnete ermittlungsrichterliche Vernehmung – als Beweissurrogat – eine unmittelbare Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung aus Gründen des Opferschutzes ersetzen. Die Vernehmung durch den Ermittlungsrichter (§ 162 StPO) erweist sich damit gleichsam als vorverlagerter Teil der Hauptverhandlung (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 – 3 StR 185/03, aaO S. 81 f.). Für diese ist anerkannt, dass eine Zeugenaussage bei versehentlich unterbliebener Zeugenbelehrung oder Einholung einer Zustimmung nach § 52 Abs. 2 StPO – im selben Umfang wie bei § 252 StPO – weder verlesen noch verwertet werden darf (vgl. BGH, Urteile vom 2. März 1960 – 2 StR 44/60, BGHSt 14, 159, 160; vom 10. Februar 2021 – 6 StR 326/20, NStZ-RR 2021, 142, 143). Dies gilt gleichermaßen, wenn die aufgezeichnete ermittlungsrichterliche Vernehmung (§ 58a StPO) die Zeugenvernehmung über § 255a Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung als deren vorverlagerter Teil ersetzen soll. Auch dann fehlt es wegen des Belehrungsmangels an einer wirksamen Disposition des Zeugen im Rahmen der richterlichen Vernehmung über sein Recht aus § 52 Abs. 1 StPO und mithin an einem ordnungsgemäß vorangegangenen Verfahren (vgl. aber zur fehlenden Zustimmung des gesetzlichen Vertreters – nicht tragend – BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 – 3 StR 185/03, aaO S. 82 f.).

(2) Hier reichte die dem Zeugen erteilte Belehrung nicht aus, um den Weg zu einer Vorführung der aufgezeichneten Zeugenvernehmung (§ 255a Abs. 2 StPO) zu öffnen. Die Belehrung nach § 52 Abs. 3 StPO erweist sich bereits mit Blick auf den Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 StPO als mangelhaft. Die gewählten Formulierungen legen – auch eingedenk der gebotenen und hier ersichtlich vorgenommenen kindgerechten Fassung – nahe, dass der Zeuge zwar die Antworten auf einzelne Fragen (vgl. § 55 StPO), nicht aber – wie ihm gesetzlich garantiert – die Aussage vollständig verweigern kann. Überdies fehlte es an dem Hinweis an den Zeugen, dass er sein Recht auf Verweigerung des Zeugnisses auch ungeachtet der vom Ergänzungspfleger erteilten Zustimmung ausüben kann.

bb) Der Senat kann die Verwertbarkeit des Beweismittels anhand des Revisionsvortrags allerdings nicht abschließend beurteilen. Die Verwertbarkeitsfrage könnte nämlich anders zu bewerten sein, wenn der Zeuge die Verwertung der Angaben mit der Folge der Heilung des Verfahrensfehlers genehmigt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 208; Beschlüsse vom 10. Februar 2015 – 1 StR 20/15, NStZ 2015, 232; vom 25. August 2020 – 2 StR 202/20, NStZ 2021, 58). Hierzu schweigt die Revision; die ohne nähere Erörterungen zusammengestellten Auszüge aus der Sitzungsniederschrift ersetzen den notwendigen Revisionsvortrag nicht.“

StPO II: Umfang eines Auskunftsverweigerungsrechts, oder: Verdacht für frühere falsche Verdächtigung

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Bei der zweiten StPO-Entscheidung des 6. Strafsenats, die ich vorstelle, handelt es sich um das BGH, Urt. v. 14.12.2022 – 6 StR 338/22. Ergangen ist das Urteil in einem Verfahren wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln u.a.

Das LH hat den Angeklagten wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln verurteilt. Im Übrigen
hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Teilfreispruch sowie die unterbliebene Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel blieb ohne Erfolg, weil die StA nach Auffassung des BGH die Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet hatte:

„Nach den Feststellungen erwarb der – insoweit geständige – Angeklagte einige Tage vor dem 23. September 2020 zum Eigenkonsum von einem unbekannt gebliebenen Lieferanten 20 g Marihuana und 2 g Methamphetamin (Fall 26 der Anklageschrift). Von den weiteren Anklagevorwürfen, von August 2019 bis April 2020 in 25 Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, indem er jeweils 10 g Methamphetamin an den Zeugen H. gewinnbringend verkauft habe, hat das Landgericht ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen (Fälle 1 bis 25 der Anklageschrift). Zur Begründung hat es namentlich ausgeführt, dass H. und der Angeklagte zwar langjährige Bekannte gewesen seien, die gelegentlich unentgeltlich Betäubungsmittel für den Eigenkonsum ausgetauscht hätten. Feststellungen zu Verkaufsgeschäften des Angeklagten hätten sich mit Blick auf das Bestreiten des Angeklagten, die umfassende Auskunftsverweigerung (§ 55 StPO) des einzigen unmit-
telbaren Belastungszeugen H. sowie dessen teilweise widersprüchlichen und insgesamt nicht glaubhaften Angaben im Ermittlungsverfahren aber nicht treffen lassen.

II.

Den Verfahrensrügen, mit denen die Staatsanwaltschaft einerseits eine Verletzung der Aufklärungspflicht und andererseits die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags beanstandet, bleibt der Erfolg versagt.

1. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin liegt ihnen folgendes Verfahrens-
geschehen zugrunde:

Das Landgericht ordnete die Vorführung des Zeugen H. an, der rechtskräftig wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 25 Fällen, nach vorangegangenem Erwerb vom Angeklagten (entspricht den Fällen 1 bis 25 der Anklageschrift), verurteilt worden war. Zum zweiten Hauptverhandlungstermin erschien der Zeuge, berief sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht und wurde sodann „im allseitigen Einvernehmen“ entlassen. Am folgenden Sitzungstag beanstandete der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft die Anordnung des Vorsitzenden, wegen eines vermeintlich umfassenden Auskunftsverweigerungsrechts von „der Vernehmung des Zeugen … abzusehen“. Überdies beantragte er für den Fall, dass „das Gericht entgegen der bisherigen Anordnung von einem Nichtbestehen eines umfassenden Auskunftsverweigerungsrechts des Zeugen“ ausgehen sollte, dessen erneute Ladung und Vernehmung. Das Gericht bestätigte die sachleitende Anordnung und zugleich die Bewertung, dass dem Zeugen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zustehe.

2. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO), mit der die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 55 Abs. 1, § 244 Abs. 2 StPO von der Sachvernehmung des Zeugen H. abgesehen, bleibt ohne Erfolg.

a) Die Verfahrensbeanstandung ist bereits nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

aa) Denn eine zulässig erhobene Aufklärungsrüge setzt voraus, dass der Revisionsführer eine bestimmte Beweistatsache und die für die Beweiseignung und -bedeutung im Zeitpunkt der Hauptverhandlung wichtigen Umstände angibt, aufgrund derer sich das Tatgericht zu der vermissten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 15. September 1998 – 5 StR 145/98, NStZ 1999, 45; vom 18. Juli 2019 – 5 StR 649/18, Beschlüsse vom 18. August 1993 – 3 StR 469/93, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7; vom 1. Juli 2010 – 1 StR 259/10, NStZ-RR 2010, 316).

bb) Daran fehlt es hier. Die zusammenfassende Würdigung der Zeugenaussagen von H. und R. im Beschluss der Strafkammer ersetzt die notwendige vollständige Mitteilung ebenso wenig wie die in Bezug genommenen Chatnachrichten.

Auch die Berücksichtigung der Urteilsgründe, die der Senat auf die erhobene Sachrüge hin zur Kenntnis nimmt, ändert an der Unvollständigkeit des Rügevorbringens nichts (vgl. BGH, Urteile vom 20. März 1990 – 1 StR 693/89, BGHSt 36, 384, 385; vom 26. Mai 1992 – 5 StR 122/92, NJW 1992, 2304, 2305; vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 205). Zwar werden dort Angaben des Zeugen H. wiedergegeben. Eine revisionsgerichtliche Überprüfung anhand dieser Zusammenfassung und eingedenk der nur unvollständig mitgeteilten Chatinhalte wird
hier aber nicht ermöglicht.

b) Die Verfahrensrüge wäre vor dem Hintergrund des mitgeteilten Verfahrensgeschehens und eingedenk des begrenzten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteile vom 28. November 1997 – 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 326; vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 148) auch unbegründet. Die Strafkammer hat den Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts nicht verkannt. Zwar ist in § 55 StPO nur von der Auskunftsverweigerung auf einzelne Fragen die Rede. Jedoch kann ein Zeuge die Auskunft dann insgesamt verweigern, wenn seine Aussage mit seinem etwaigen strafbaren Verhalten in so engem Zusammenhang steht, dass eine Trennung nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 1987 – I BGs 286/87, StV 1987, 328, 329; Urteil vom 9. Juli 1991 – 1 StR 312/91, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 1). Von einem solchen Zusammenhang ging die Strafkammer in rechtlich nicht zu beanstandender Weise aus. Sie hat konkrete Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass der Zeuge im Fall einer Aussage in der Hauptverhandlung Verdachtsmomente für eine frühere falsche Verdächtigung des Angeklagten (§ 164 StGB) liefern würde. Hierfür hat sie insbesondere auf aussageimmanente Widersprüche und auf Inhalte von Chatnachrichten abgehoben, die sich teilweise als unvereinbar mit seinen Angaben erwiesen hätten.

3. Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerdeführerin auch, dass die Strafkammer ihren hilfsweise gestellten „Beweisantrag“ auf Vernehmung des Zeugen H. nicht beschieden habe.

a) Schon die prozessuale Bedingung, an welche die Beschwerdeführerin ihr
Beweiserhebungsbegehren selbst geknüpft hat, war nicht eingetreten. Nach Ansicht
der Strafkammer stand dem Zeugen nämlich ein umfassendes Aussageverweige-
rungsrecht nach § 55 StPO zu.

b) Überdies handelte es sich hier – mangels einer konkreten Beweisbehauptung – nicht um einen förmlichen Beweisantrag (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO), sondern lediglich um eine, nach Sachaufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) zu behandelnde, Beweisanregung. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass in der Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zugleich ein „Widerruf“ des von diesem zuvor erklärten Einverständnisses nach § 245 Abs. 1 Satz 2 StPO gesehen werden könnte. Denn die Prozesserklärung, nicht mehr an dem zuvor erteilten, freilich aber unwiderruflichen Einverständnis mit dem Absehen von der Beweiserhebung festhalten zu wollen, genügt den gesetzlichen Anforderungen eines Beweisantrags nicht
(aA Krehl in: KK-StPO, 9. Aufl., § 245 Rn. 22; Sättele in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 5. Aufl., § 245 Rn. 18), weil hiermit jedenfalls keine hinreichend konkrete Tatsache unter Beweis gestellt wird, auf welche die gesetzlichen Ablehnungsgründe sinnvoll angewendet werden könnten (Becker in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 245 Rn. 38; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 245 Rn. 14; Arnoldi, NStZ 2018, 305, 308).“

Pflichti II: Geht eine „kostenneutrale“ Umbeiordnung?, oder: Ja, aber Verzicht muss erklärt werden

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Im zweiten Posting dann wieder einmal etwas zur sog. Kostenneutralen Umbeiordnung, und zwar der LG Braunschweig, Beschl. v. 22.12.2022 – 4 Qs 371/22. Das AG hatte „umbeigeordnet“, allerdings “ mit der Maßgabe, dass der Landeskasse durch die Umbeiordnung keine Mehrkosten entstehen“. Dagegen wendet sich der „umbeigeordnete“ Rechtsanwalt mit Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde ist ferner auch begründet.

Die angegriffene gerichtliche Bestimmung, dass für den Beschwerdeführer ein Anspruch auf die bereits entstandenen Verteidigerkosten nicht besteht, findet keine Stütze im Gesetz und ist daher aufzuheben.

Der Wechsel des Pflichtverteidigers ist nunmehr seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 10.12.20218 (BGBl. I S. 2128) gesetzlich in § 143 a StPO geregelt. Der hiesige Fall des einverständlichen Pflichtverteidigerwechsels wurde durch das genannte Gesetz zwar nicht explizit geregelt, soll aber nach den von der Rechtsprechung entwickelten Maßgaben weiterhin möglich sein (vgl. BT-Drucks. 19/13829, 47).

Nach diesen Maßgaben ist dem Wunsch des Beschuldigten auf Wechsel des Pflichtverteidigers nachzukommen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die Bestellung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden (vgl. OLG Stuttgart BeckRS 2017, 130397; KG NStZ 2017,305; 1993, 201; OLG Saarbrücken BeckRS 2016, 18697, OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; OLG Braunschweig BeckRs 2015,15078). Der Begriff der Mehrkosten erfasst nur solche Gebührenpositionen, die durch eine neue Bestellung doppelt entstehen würden (Grund- und Verfahrensgebühr), nicht dagegen Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder (vgl. OLG Celle, BeckRS 2019, 7185). Die erforderliche Kostenneutralität ist gewahrt, wenn der neue Verteidiger auf die bisher für die Pflichtverteidigung angefallenen Gebühren (Grund- und Verfahrensgebühr) verzichtet (vgl. Krawczyk, BeckOK StPO, 37. Edition, Sand 01.07.2020, § 143a Stpo, Rn. 33 ff. m.w.N.).

Diesen Voraussetzungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, sodass sie keinen Bestand haben kann. Einen Verzicht auf die bereits Rechtsanwalt pp. entstandenen Gebühren hat der Beschwerdeführer nicht erklärt. Er wurde diesbezüglich auch nicht durch das Amtsgericht angehört.

Eine gerichtliche Kompetenz, die Gebühren des neuen Pflichtverteidigers nach Pflichtverteidigerwechsel zu begrenzen, besteht nicht. Vorliegend wäre das Amtsgericht gehalten gewesen, vor der Entscheidung über den Pflichtverteidigerwechsel eine Stellungnahme vom Beschwerdeführer im Hinblick auf die Kostenneutralität des Pflichtverteidigerwechsels einzuholen. Dass dies nicht erfolgt ist, kann nicht zu Lasten des Beschwerdeführers gehen.“

Pflichti I: Zweimal zu den Beiordnungsgründen, oder: Persönlichkeitsstörung/Borderline und schwieriges IfSG

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Am letzten Tag des Monats Januar – ich bin dann doch erstaunt, wie schnell die zeit an uns – zumindest an mir 🙂 – vorbeirauscht – dann noch einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigung.

Hier stelle ich zunächst zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen vor, und zwar:

Ist beim Beschuldigten eine Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typ, im Sinne der Ziffer F60.31G nach ICD-10-Klassifikation, attestiert ist Unfähigkeit zur Selbstverteidigung im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO zu bejahen. Insofern kommt es nicht darauf an, ob konkret kognitive Einschränkungen vorliegen, die im Sinne einer verminderten Aufnahmefähigkeit die Verteidigungsfähigkeit einschränken. Vielmehr genügt, dass die Prädisposition keine positive Prognose für ihre fortdauernde Verteidigungsfähigkeit zulässt.

Der Begriff der schwierigen Rechtslage ist weit auszulegen, da entscheidend ist, ob die Rechtslage für einen Laien schwierig ist. Dies ist sie zumindest dann der Fall, wenn eine Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur streitig ist oder wenn sie Abgrenzungs- oder Subsumtionsprobleme bereitet, so bei ungeklärten Fragen des materiellen oder formellen Rechts. Die Rechtslage rund um die neuen Strafvorschriften des IfSG ist danach nicht einfach.

StPO II: BGH zur Vernehmung eines Auslandszeugen, oder: Beweisantrag zur Erforschung der Wahrheit?

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – 4 StR 263/22 – nimmt der BGH zum Antrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen Stellung.

Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und seine Ehefrau wegen Beihilfe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG hatte sie ein Erbbaurecht an einer unbewohnten Doppelhaushälfte erworben, damit ihr Ehemann dort in Absprache mit ihr eine Cannabisplantage anlegen konnte. Durch zwei Ernten habe der Ehemann insgesamt 279.000 EUR eingenommen. Das Erbbaurecht hat das LG als Tatmittel eingezogen. Die Revision der Angeklagten hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg. Diese war darauf gestützt worden, dass das LG einen Beweisantrag auf Vernehmung eines „Auslandszeugen“ abgelehnt hat. Nach Darstellung des Angeklagten will er das Haus lediglich von 2016 bis 2019 renoviert haben. Anfang 2019 habe sein Schwager das Haus gemietet und dann wohl an Niederländer untervermietet. Diese hätten wohl die Plantage anlegt. Die Polizei hatte in dem Haus DNA-Spuren von drei Personen gefunden, die in einer niederländischen Datenbank erfasst waren. Eine von ihnen war wegen Btm-Delikten vorbestraft. Der Antrag auf Vernehmung dieser Zeugen in Deutschland oder dem Nachbarland hatte das LG abgelehnt.

Der BGH führt aus – ist ein bisschen mehr 🙂 :

„3. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Das Landgericht hat den Antrag mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt und dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt.

a) Der Antrag ist entgegen der Auffassung des Landgerichts als Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO zu qualifizieren. Zur bestimmten Bezeichnung konkreter Tatsachen reichte es vorliegend aus, die unter Beweis gestellten Tätigkeiten der Zeugen als „Aufbauen“ der Plantage sowie als „Einbringen“ der Cannabis-Pflanzen zu benennen. Angesichts eines unter Beweis gestellten komplexen, mehraktigen Tuns der Zeugen sind solche schlagwortartigen Verkürzungen zulässig, wenn sie – wie hier – den zu beweisenden Vorgang in seinen entscheidungserheblichen Umrissen hinreichend deutlich werden lassen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2007 – 4 StR 100/07; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 98; Bachler in BeckOK-StPO, 45. Ed., § 244 Rn. 17). Eine umfangreiche Beschreibung der Tätigkeiten war damit ebenso wenig erforderlich wie die – hier ohnehin kaum mögliche – Zuordnung einzelner Teilakte zu bestimmten Zeugen. Einer genaueren zeitlichen Eingrenzung der Tätigkeiten als auf den im Beweisantrag angegebenen Zeitraum zwischen dem 1. Februar und 30. Juni 2019 bedurfte es ebenfalls nicht, da sie von anderen Lebenssachverhalten bereits dadurch unterschieden werden konnten, dass sie sich auf den Aufbau einer bestimmten, im Beweisantrag bezeichneten und durch die in Bezug genommenen Lichtbilder näher dokumentierten Plantage bezogen.

b) Die (vom Landgericht hilfsweise ausgeführte) Ablehnung des Antrags als Beweisantrag ist ebenfalls rechtsfehlerhaft.

aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich mithin – insoweit nicht anders als bei Annahme eines bloßen Beweisermittlungsantrags – nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2016 – 2 StR 383/15, NStZ 2017, 96; Beschluss vom 19. Januar 2010 – 3 StR 451/09, jeweils mwN). Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen.

In die gebotene Abwägung hat das Tatgericht – vor dem Hintergrund der bisherigen Beweislage – des Weiteren die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen einzustellen. Dabei kommt der Aussage ein besonderes Gewicht zu, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 4 StR 392/20; Beschluss vom 12. Juli 2018 – 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06; Becker in LR-StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357). Bei der Bemessung des Beweiswertes der Aussage ist das Tatgericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 4 StR 392/20; Beschluss vom 12. Juli 2018 – 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; vgl. näher Thörnich, Der Auslandszeuge im Strafprozess, 2020, S. 547 ff.).

Neben der antizipierenden Würdigung des Inhalts einer Aussage des Zeugen kann die Ablehnung eines auf Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteten Beweisantrags im Einzelfall auch dadurch gerechtfertigt sein, dass der Beweiswert des Zeugen wegen der voraussichtlichen Unergiebigkeit seiner Aussage oder der Unerreichbarkeit des Zeugen gering ist. Hierzu zählen grundsätzlich auch solche Fallgestaltungen, in denen der Aufenthalt eines Zeugen zwar bekannt, aber damit zu rechnen ist, dass er entweder einer Ladung nicht folgen oder im Falle seines Erscheinens keine Angaben zur Sache machen werde. Dies gilt insbesondere für Zeugen, die der Beteiligung an der Tat verdächtig sind und denen deswegen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 4 StR 392/20; Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 401/13; Beschluss vom 25. April 2002 – 3 StR 506/01; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357).

Auch hierbei handelt es sich aber um Gesichtspunkte, die nicht isoliert gewürdigt werden dürfen, sondern lediglich im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung im Einzelfall unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung finden können, wobei der Bedeutung und dem Beweiswert des Zeugenbeweises vor dem Hintergrund der bisherigen Beweisaufnahme der zeitliche und organisatorische Aufwand einer Aufklärungsmaßnahme und die damit verbundenen Nachteile durch die Verzögerung des Verfahrens gegenüberzustellen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2002 – 3 StR 506/01, NStZ 2002, 653, 654 mwN; zur erforderlichen Gesamtwürdigung auch BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 StR 336/13, NStZ 2014, 469, 471; zur Abwägung bei besonderer Beweislage auch BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 401/13, NStZ 2014, 51).

bb) In dem für die Ablehnung eines auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteten Beweisantrags erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 Satz 1 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen schließlich so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen, und das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 4 StR 392/20; Beschluss vom 12. Juli 2018 – 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357).

cc) Diesen Maßstäben entspricht der von der Revision angegriffene Ablehnungsbeschluss in mehrfacher Hinsicht nicht.

(1) Er ist ermessensfehlerhaft, weil das Landgericht die Ablehnung allein auf die Annahme gestützt hat, eine Vernehmung der Zeugen wäre voraussichtlich unergiebig, jedenfalls aber nicht beweiskräftig. Die erforderliche Gesamtwürdigung, ob es die Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses gebot, trotz eines möglicherweise geringen Beweiswerts ihrer Aussagen die Aussagebereitschaft der Zeugen freibeweislich zu ermitteln und sie gegebenenfalls zu vernehmen, fehlt vollständig.

(2) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht etwaigen Aussagen der Zeugen eine erhebliche Beweisbedeutung abgesprochen hat, begegnen zudem auch für sich genommen rechtlichen Bedenken. Nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft ist zum einen die Annahme des Landgerichts, der Beweiswert einer Aussage der benannten Zeugen wäre wegen der diesen drohenden Gefahr, sich selbst der Strafverfolgung auszusetzen, gering. Denn ein solcher Schluss wäre jedenfalls dann nicht ohne weiteres zu ziehen, wenn die Zeugen die im Antrag enthaltenen Beweisbehauptungen bestätigen und damit eine eigene Strafbarkeit einräumen sollten. Zum anderen lassen die Gründe des Ablehnungsbeschlusses besorgen, dass das Landgericht das Ziel der beantragten Beweisaufnahme verkannt und ihre Bedeutung für eine Entlastung des Angeklagten unterschätzt hat, indem es offenbar zugrunde gelegt hat, die Verteidigung wolle nachweisen, dass die benannten Zeugen dem Angeklagten in dem genannten Zeitraum beim Aufbau der Plantage geholfen hätten. Eine solche Auslegung findet in der Antragsbegründung jedoch keine Stütze und liegt auch mit Blick auf das Einlassungsverhalten und die Interessenlage des Angeklagten nicht nahe: Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung die ihm vorgeworfenen Taten bestritten, seinen „Besitz“ an dem Plantagengrundstück ab dem 1. Februar 2019 mit Blick auf die Vermietung in Abrede gestellt und weiter – vom Hörensagen – die Nutzung des Hauses durch Personen aus den Niederlanden in diesem Zeitraum behauptet. Der Nachweis, dass er die Hilfe Dritter in Anspruch genommen habe, hätte ihn von den Tatvorwürfen nicht entlastet, sondern ihn unter Umständen sogar dem Verdacht einer bandenmäßigen Begehung der Straftaten (§ 30a Abs. 1 BtMG) ausgesetzt. Daher waren die drei Zeugen naheliegend nicht als Helfer, sondern als mögliche Alternativtäter der dem Angeklagten seit dem 1. Februar 2019 vorgeworfenen Taten benannt. Ihre Aussagen waren im Fall der Bestätigung der so verstandenen Beweisbehauptungen grundsätzlich geeignet, den Angeklagten zu entlasten und die für seine Täterschaft sprechenden Indizien zu entkräften.“