Schlagwort-Archive: Auslandszeuge

StPO II: BGH zur Vernehmung eines Auslandszeugen, oder: Beweisantrag zur Erforschung der Wahrheit?

Bild von Mohamed Hassan auf Pixabay

In der zweiten Entscheidung des Tages, dem BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – 4 StR 263/22 – nimmt der BGH zum Antrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen Stellung.

Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und seine Ehefrau wegen Beihilfe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG hatte sie ein Erbbaurecht an einer unbewohnten Doppelhaushälfte erworben, damit ihr Ehemann dort in Absprache mit ihr eine Cannabisplantage anlegen konnte. Durch zwei Ernten habe der Ehemann insgesamt 279.000 EUR eingenommen. Das Erbbaurecht hat das LG als Tatmittel eingezogen. Die Revision der Angeklagten hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg. Diese war darauf gestützt worden, dass das LG einen Beweisantrag auf Vernehmung eines „Auslandszeugen“ abgelehnt hat. Nach Darstellung des Angeklagten will er das Haus lediglich von 2016 bis 2019 renoviert haben. Anfang 2019 habe sein Schwager das Haus gemietet und dann wohl an Niederländer untervermietet. Diese hätten wohl die Plantage anlegt. Die Polizei hatte in dem Haus DNA-Spuren von drei Personen gefunden, die in einer niederländischen Datenbank erfasst waren. Eine von ihnen war wegen Btm-Delikten vorbestraft. Der Antrag auf Vernehmung dieser Zeugen in Deutschland oder dem Nachbarland hatte das LG abgelehnt.

Der BGH führt aus – ist ein bisschen mehr 🙂 :

„3. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Das Landgericht hat den Antrag mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt und dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt.

a) Der Antrag ist entgegen der Auffassung des Landgerichts als Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO zu qualifizieren. Zur bestimmten Bezeichnung konkreter Tatsachen reichte es vorliegend aus, die unter Beweis gestellten Tätigkeiten der Zeugen als „Aufbauen“ der Plantage sowie als „Einbringen“ der Cannabis-Pflanzen zu benennen. Angesichts eines unter Beweis gestellten komplexen, mehraktigen Tuns der Zeugen sind solche schlagwortartigen Verkürzungen zulässig, wenn sie – wie hier – den zu beweisenden Vorgang in seinen entscheidungserheblichen Umrissen hinreichend deutlich werden lassen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2007 – 4 StR 100/07; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 98; Bachler in BeckOK-StPO, 45. Ed., § 244 Rn. 17). Eine umfangreiche Beschreibung der Tätigkeiten war damit ebenso wenig erforderlich wie die – hier ohnehin kaum mögliche – Zuordnung einzelner Teilakte zu bestimmten Zeugen. Einer genaueren zeitlichen Eingrenzung der Tätigkeiten als auf den im Beweisantrag angegebenen Zeitraum zwischen dem 1. Februar und 30. Juni 2019 bedurfte es ebenfalls nicht, da sie von anderen Lebenssachverhalten bereits dadurch unterschieden werden konnten, dass sie sich auf den Aufbau einer bestimmten, im Beweisantrag bezeichneten und durch die in Bezug genommenen Lichtbilder näher dokumentierten Plantage bezogen.

b) Die (vom Landgericht hilfsweise ausgeführte) Ablehnung des Antrags als Beweisantrag ist ebenfalls rechtsfehlerhaft.

aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich mithin – insoweit nicht anders als bei Annahme eines bloßen Beweisermittlungsantrags – nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2016 – 2 StR 383/15, NStZ 2017, 96; Beschluss vom 19. Januar 2010 – 3 StR 451/09, jeweils mwN). Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen.

In die gebotene Abwägung hat das Tatgericht – vor dem Hintergrund der bisherigen Beweislage – des Weiteren die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen einzustellen. Dabei kommt der Aussage ein besonderes Gewicht zu, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 4 StR 392/20; Beschluss vom 12. Juli 2018 – 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06; Becker in LR-StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357). Bei der Bemessung des Beweiswertes der Aussage ist das Tatgericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 4 StR 392/20; Beschluss vom 12. Juli 2018 – 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; vgl. näher Thörnich, Der Auslandszeuge im Strafprozess, 2020, S. 547 ff.).

Neben der antizipierenden Würdigung des Inhalts einer Aussage des Zeugen kann die Ablehnung eines auf Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteten Beweisantrags im Einzelfall auch dadurch gerechtfertigt sein, dass der Beweiswert des Zeugen wegen der voraussichtlichen Unergiebigkeit seiner Aussage oder der Unerreichbarkeit des Zeugen gering ist. Hierzu zählen grundsätzlich auch solche Fallgestaltungen, in denen der Aufenthalt eines Zeugen zwar bekannt, aber damit zu rechnen ist, dass er entweder einer Ladung nicht folgen oder im Falle seines Erscheinens keine Angaben zur Sache machen werde. Dies gilt insbesondere für Zeugen, die der Beteiligung an der Tat verdächtig sind und denen deswegen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 4 StR 392/20; Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 401/13; Beschluss vom 25. April 2002 – 3 StR 506/01; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357).

Auch hierbei handelt es sich aber um Gesichtspunkte, die nicht isoliert gewürdigt werden dürfen, sondern lediglich im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung im Einzelfall unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung finden können, wobei der Bedeutung und dem Beweiswert des Zeugenbeweises vor dem Hintergrund der bisherigen Beweisaufnahme der zeitliche und organisatorische Aufwand einer Aufklärungsmaßnahme und die damit verbundenen Nachteile durch die Verzögerung des Verfahrens gegenüberzustellen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2002 – 3 StR 506/01, NStZ 2002, 653, 654 mwN; zur erforderlichen Gesamtwürdigung auch BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 StR 336/13, NStZ 2014, 469, 471; zur Abwägung bei besonderer Beweislage auch BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 401/13, NStZ 2014, 51).

bb) In dem für die Ablehnung eines auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteten Beweisantrags erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 Satz 1 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen schließlich so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen, und das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 4 StR 392/20; Beschluss vom 12. Juli 2018 – 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357).

cc) Diesen Maßstäben entspricht der von der Revision angegriffene Ablehnungsbeschluss in mehrfacher Hinsicht nicht.

(1) Er ist ermessensfehlerhaft, weil das Landgericht die Ablehnung allein auf die Annahme gestützt hat, eine Vernehmung der Zeugen wäre voraussichtlich unergiebig, jedenfalls aber nicht beweiskräftig. Die erforderliche Gesamtwürdigung, ob es die Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses gebot, trotz eines möglicherweise geringen Beweiswerts ihrer Aussagen die Aussagebereitschaft der Zeugen freibeweislich zu ermitteln und sie gegebenenfalls zu vernehmen, fehlt vollständig.

(2) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht etwaigen Aussagen der Zeugen eine erhebliche Beweisbedeutung abgesprochen hat, begegnen zudem auch für sich genommen rechtlichen Bedenken. Nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft ist zum einen die Annahme des Landgerichts, der Beweiswert einer Aussage der benannten Zeugen wäre wegen der diesen drohenden Gefahr, sich selbst der Strafverfolgung auszusetzen, gering. Denn ein solcher Schluss wäre jedenfalls dann nicht ohne weiteres zu ziehen, wenn die Zeugen die im Antrag enthaltenen Beweisbehauptungen bestätigen und damit eine eigene Strafbarkeit einräumen sollten. Zum anderen lassen die Gründe des Ablehnungsbeschlusses besorgen, dass das Landgericht das Ziel der beantragten Beweisaufnahme verkannt und ihre Bedeutung für eine Entlastung des Angeklagten unterschätzt hat, indem es offenbar zugrunde gelegt hat, die Verteidigung wolle nachweisen, dass die benannten Zeugen dem Angeklagten in dem genannten Zeitraum beim Aufbau der Plantage geholfen hätten. Eine solche Auslegung findet in der Antragsbegründung jedoch keine Stütze und liegt auch mit Blick auf das Einlassungsverhalten und die Interessenlage des Angeklagten nicht nahe: Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung die ihm vorgeworfenen Taten bestritten, seinen „Besitz“ an dem Plantagengrundstück ab dem 1. Februar 2019 mit Blick auf die Vermietung in Abrede gestellt und weiter – vom Hörensagen – die Nutzung des Hauses durch Personen aus den Niederlanden in diesem Zeitraum behauptet. Der Nachweis, dass er die Hilfe Dritter in Anspruch genommen habe, hätte ihn von den Tatvorwürfen nicht entlastet, sondern ihn unter Umständen sogar dem Verdacht einer bandenmäßigen Begehung der Straftaten (§ 30a Abs. 1 BtMG) ausgesetzt. Daher waren die drei Zeugen naheliegend nicht als Helfer, sondern als mögliche Alternativtäter der dem Angeklagten seit dem 1. Februar 2019 vorgeworfenen Taten benannt. Ihre Aussagen waren im Fall der Bestätigung der so verstandenen Beweisbehauptungen grundsätzlich geeignet, den Angeklagten zu entlasten und die für seine Täterschaft sprechenden Indizien zu entkräften.“

StPO II: Beteiligung an „Blutrache-Messerattacke?, oder: Die (abgelehnte) Ladung des Auslandszeugen

In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 16.02.2022 – 4 StR 392/20 – hat der BGh noch einmal zum Auslandzeugen Stellung genommen. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem dem Angeklagten ein versuchter Mord zur Last gelegt worden ist. Der Angeklagte hat dann mit seiner Verfahrensrüge in der Revision die fehlerhafte Ablehnung von zwei Beweisanträgen gerügt und dazu folgende Verfahrensgeschehen vorgetragen:

Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung bestritten, sich an dem ihm zur Last gelegten (Messer)Angriff, bei dem es vermutlich um Blutrache ging, beteiligt zu haben. Er sei zwar am Tattag in Bielefeld, dem Tatort gewesen, habe die von ihm verlangte Beteiligung aber u.a. gegenüber einem Onkel F. abgelehnt und sich vom späteren Tatort entfernt.

Die Verteidigerin des Angeklagten hat in der Hauptverhandlung beantragt, den mit einer Anschrift in der Türkei benannten F. „unter Zusicherung freien Geleits“ als Zeugen zu vernehmen. Der Antrag hatte unter anderem die Beweisbehauptung zum Gegenstand, der Angeklagte habe sich an der Tat nicht beteiligt. Bereits zuvor hatte das LG ein Rechtshilfeersuchen an die türkischen Polizeibehörden gestellt, um die Anschrift des F. in der Türkei zu ermitteln und um ihn befragen zu lassen, ob er „zu einer Aussage bereit sei“. Auf dieses Ersuchen teilte die türkische Polizei die Anschrift des Zeugen sowie das Protokoll einer Vernehmung mit, demzufolge der Zeuge auf die Frage nach seiner Aussagebereitschaft erklärt habe, dass „er in dieser Angelegenheit nicht als Zeuge antreten möchte“.

Das LG lehnte den Beweisantrag nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ab. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte:

„2. Die nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig ausgeführte Verfahrensrüge ist begründet. Das Landgericht hat die Beweisanträge mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt.

a) Bei der Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, ist das Gericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags, als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; einschränkend Frister in SK-StPO, 5. Aufl., § 244 Rn. 240). In dem hierfür erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 Satz 1 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen und das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 359).

Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357).

Die Möglichkeit, nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen abzulehnen, erfasst nicht nur Fälle der voraussichtlichen Unergiebigkeit der Zeugenaussage oder der Unerreichbarkeit des Zeugen, sondern – als Unterfall der Unerreichbarkeit – grundsätzlich auch solche Fallgestaltungen, in denen der Aufenthalt eines Zeugen zwar bekannt, aber damit zu rechnen ist, dass er entweder einer Ladung nicht folgen oder im Falle seines Erscheinens keine Angaben zur Sache machen werde. Dies gilt insbesondere für Zeugen, die der Beteiligung an der Tat verdächtig sind und denen deswegen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 401/13; Beschluss vom 25. April 2002 – 3 StR 506/01; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357).

b) Diesen Maßstäben entsprechen die Ablehnungsbeschlüsse schon deshalb nicht, weil sie bereits im Ausgangspunkt die erforderliche Gesamtwürdigung vermissen lassen, ob die Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO die beantragte Vernehmung des Zeugen gebot. Das Landgericht hat seine Prüfung ausschließlich auf einen einzigen Gesichtspunkt, nämlich die mutmaßliche Aussagebereitschaft des Zeugen bezogen. Dadurch hat es sich den Blick für die Frage verstellt, welches Gewicht seiner Aussage in der Beweiswürdigung gegebenenfalls zuzumessen wäre und welche Anstrengungen demnach zu unternehmen waren, um seine Vernehmung herbeizuführen. Für ein erhebliches Gewicht der Aussage sprach, dass der Angeklagte die Tatbeteiligung bestritt und unmittelbare Tatzeugen ihn nicht als Täter identifizieren konnten. Der Beweis seiner Täterschaft stützte sich allein auf – allerdings ihrerseits gewichtige – Indizien, namentlich auf seine Anwesenheit in Bielefeld zur Tatzeit, das von der Polizei aufgezeichnete Telefonat mit seinem Vater und das Motiv der Rache für die Ermordung seines Bruders. Damit konnte die Aussage des F. als eines mutmaßlichen, am Tatort handelnden Mittäters für eine Belastung oder Entlastung des Angeklagten von zentraler Bedeutung sein, da sie möglicherweise geeignet war, seine Täterschaft zu beweisen oder die für seine Täterschaft sprechenden Indizien zu entkräften, etwa die Existenz oder die Anwesenheit des unbekannt gebliebenen „A. “ am Tatort.

Soweit das Landgericht die Ablehnung der Vernehmung allein damit begründet hat, der Zeuge habe bei der türkischen Polizei angegeben, er wolle „in dieser Angelegenheit nicht als Zeuge antreten“, ist dies auch für sich genommen ermessensfehlerhaft, da das Landgericht aus der Erklärung des Zeugen zu weit gehende Schlussfolgerungen gezogen hat und damit bei seiner Entscheidung von einer falschen Voraussetzung ausgegangen ist. Es hat zu Unrecht angenommen, der Zeuge sei unter keinen Umständen bereit, vernommen zu werden, und damit unerreichbar. Denn der herangezogenen Erklärung des Zeugen gegenüber der türkischen Polizei im Rahmen des Rechtshilfeersuchens ließ sich ein derart weitreichender Bedeutungsgehalt nicht entnehmen. Der Zeuge war auf Ersuchen des Landgerichts lediglich pauschal nach seiner Aussagebereitschaft gefragt worden, ohne über die rechtlichen Bedingungen einer Zeugenaussage aufgeklärt worden zu sein. Insbesondere war er weder über die Möglichkeit freien Geleits gemäß Art. 12 Abs. 1 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens (EuRHÜbk) unterrichtet worden, noch über Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte. Angesichts der an ihn gerichteten unspezifischen Frage nach der Bereitschaft, als Zeuge auszusagen, ließ die Antwort offen, ob der Zeuge sich als mutmaßlicher Mittäter auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO oder mit Blick auf seine Verwandtschaft zum Angeklagten und zum Mitangeklagten S. auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO berufen wollte, oder ob er – nicht fernliegend – zu einer Zeugenaussage in Deutschland deshalb nicht bereit war, weil er in Unkenntnis des Rechtsinstituts des freien Geleits damit rechnete, bei der Einreise verhaftet zu werden.

c) Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Würdigung der Beweise gelangt wäre, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellten Umstände bestätigt hätte. Er hebt das angefochtene Urteil daher auf.“

Ablehnung der Vernehmung des Auslandszeugen; oder: Keine Einzelbetrachtung, sondern Gesamtschau

© Dan Race Fotolia .com

In der zweiten BGH-Entscheidung des heutigen Tages, dem BGH, Beschl. v. 12.07.2018 – 3 StR 144/18 -, geht es um einen Auslandszeugen. Das LG hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Dagegen die Revision mit der Verfahrensrüge, mit der die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) wegen der unterbliebenen Vernehmung von zwei Auslandszeugen beanstandet wird. Die hat dann beim BGH Erfolg:

b) Der Ablehnungsbeschluss hält rechtlicher Überprüfung am Maßstab des § 244 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 StPO nicht stand.

aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Mit dieser Vorschrift sind die Möglichkeiten zur Ablehnung eines solchen Beweisantrags nur um den schmalen Bereich erweitert, den die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht zulassen, obwohl die Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) die Beweiserhebung nicht gebietet (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 12). Bei der Prüfung der Aufklärungspflicht hat das Tatgericht namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist es von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit und darf es seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie die zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht bestätigen werde oder dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigt, ist eine Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14 mwN; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13).

In dem hierfür erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen, und dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Ablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (siehe nur BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14 mwN).

Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann, insbesondere wenn er nur zu Beweisthemen benannt ist, die lediglich indiziell relevant sind oder die Sachaufklärung sonst nur am Rand betreffen. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (siehe nur BGH aaO; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 357 mwN).

bb) An diesen Grundsätzen gemessen hat das Landgericht die Ablehnung nicht ausreichend begründet. Es hat die zu erwartenden Aussagen der Tante des zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten, der Zeugin L. , in deren Wohnung sich der Angeklagte nach dem Inhalt des Beweisantrags aufgehalten haben soll, und eines Bekannten, des Zeugen K. , der für den Angeklagten bei therapeutischen Behandlungen durch die vernommene Ärztin S. übersetzt haben soll, nicht in der erforderlichen Gesamtwürdigung den bisherigen Beweisergebnissen gegenübergestellt; es hat sich stattdessen auf die Begründung beschränkt, dass das Gegenteil der behaupteten Tatsache, nämlich die Anwesenheit des (maskierten) Angeklagten am Tatort in Ku. , bereits bewiesen sei. Dabei würde es auch bleiben, wenn die beiden Zeugen die Anwesenheit des Angeklagten in Polen zur Tatzeit bestätigen würden. Die für seine Überzeugungsbildung maßgeblichen Beweisergebnisse, namentlich die belastenden Zeugenaussagen der beiden Mittäter D. und T. sowie die Aussage des geschädigten Wei. , dass sich die Statur des Täters mit der des Angeklagten vereinbaren lässt, hat das Landgericht für sich genommen rechtsfehlerfrei ausführlich gewürdigt; auch hat es nachvollziehbar dargelegt, warum es der Alibi-Zeugin S. nicht geglaubt hat.

Bei dieser Einzelbetrachtung hätte das Landgericht indes nicht stehenbleiben dürfen. Es hätte in einer – wie stets in einer Beweisaufnahme erforderlichen – Gesamtschau darlegen müssen, warum die – zulässigerweise zu prognostizierenden – Aussagen der beiden weiteren aufgebotenen Entlastungszeugen nichts an den bisherigen Beweisergebnissen, auch am Beweiswert der Aussage der bereits vernommenen Alibi-Zeugin ändern würden. Eine solche Gesamtwürdigung war hier unerlässlich, weil der Beschwerdeführer eine Haupttatsache in das Zeugnis der beiden Auslandszeugen gestellt hat: Das Gelingen dieses Alibibeweises hätte den Schuldvorwurf unmittelbar entfallen lassen. Die Beweislage ist in diesem Fall durch die Würdigung von Zeugenaussagen geprägt; außerhalb der Aussagen liegende objektive Umstände wie etwa Tatortspuren hat das Landgericht nicht festgestellt (dazu BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14). Dieser nicht einfachen, eher nicht gesichert erscheinenden Beweislage hat das Landgericht mit der gegebenen Begründung nicht im notwendigen Maße Rechnung getragen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 – 2 StR 383/15, NStZ 2017, 96, 97 f.). Nach alledem bleibt nach dem Inhalt des Ablehnungsbeschlusses letztendlich offen, warum es das Gericht für ausgeschlossen gehalten hat, dass die Aussagen der Zeugen L. und K. – auch unter nochmaliger Würdigung der Angaben der bereits vernommenen Zeugin S. – die Aussagen der beiden Mittäter entkräften konnten (vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62 f.).“

Wer kennt ihn nicht? Den Auslandszeugen?

© Dan Race - Fotolia.com

© Dan Race – Fotolia.com

Wer kennt ihn nicht? Den Auslandszeugen? Er geistert durch viele Lehrbücher und wird gern als Beispiel bzw. Instrument der Verfahrensverzögerung angeführt, zu dem Verteidiger (nur) greifen, wenn es darum geht, das Verfahren zu verschleppen. Nun, sicherlich wird es solche Fälle auch geben, aber es gibt eben auch die anderen, in denen der Antrag auf Vernehmung des Auslandszeugen ohne „böse Absicht“ gestellt wird. Um einen Auslandszeugen ging es dann auch im BGH, Beschl. v. 13.03.4014 – 4 StR 445/13. Da hatte der Verteidiger des Angeklagten am 14. Verhandlungstag den Antrag, eine in c./Tschechien zu la- dende Zeugin B. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass sich der Angeklagte am Tattag in C. befunden habe. Das LG hatte abgelehnt. Der BGH hat das „gehalten“:

b) Diese Verfahrensweise hält rechtlicher Überprüfung stand.

aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 2 StPO). Dabei ist das Gericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags, als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116, 117; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349, 350; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; weitere Nachweise bei Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 356). In dem hierfür er-forderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller mög-lich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen und das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010 – 1 StR 644/09, wistra 2010, 410, 411; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 359).

Den Anforderungen wurde nach Auffassung des BGH der Ablehnungsbeschluss gerecht. „Geschadet“ hat auch nicht, dass das LG in seinem Ablehnungsbeschluss formuliert hatte, „dass der Beweisantrag zu einem späten Zeitpunkt („erst jetzt benannte Auslandszeugin“) gestellt worden ist“. Dazu der BGH:

…“macht dies seine Entscheidung nicht rechtsfehlerhaft. Zwar hatte sich der Angeklagte – wie sich aus den auf die Sachrüge hin zu beachtenden Urteilsgründen ergibt – bis zur Antragstellung noch nicht zum Tatvorwurf geäußert, sodass aus dem Umstand, dass die dem Beweisbegehren zugrunde liegende Alibibehauptung nicht früher aufgestellt worden ist, keine Schlüsse zu seinem Nachteil gezogen werden durften (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2009 – 3 StR 80/09, NStZ 2009, 705; Beschluss vom 23. Oktober 2001 – 1 StR 415/01, NStZ 2002, 161, 162; Urteil vom 25. April 1989 – 1 StR 97/89, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 10; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 213; Rose, NStZ 2012, 18, 24), doch vermag der Senat auszuschließen, dass es sich bei dieser Erwägung um einen die Ablehnungsentscheidung tragenden Gedanken handelt.

Der (ungeliebte) Auslandszeuge

entnommen wikimedia.org User: Bernina, de: User:axpde

entnommen wikimedia.org User: Bernina, de: User:axpde

Beweisanträge auf Vernehmung von Zeugen, die im Ausland wohnen, sind bei den Gerichten „unbeliebt“, was sicherlich mit den mit einer Vernehmung dieser Zeugen verbundenen Schwierigkeiten zu tun hat – Ladung des Zeugen im Wege der Rechtshilfe, Vernehmung ggf. im Ausland usw. Die Gerichte gehen daher wegen des damit verbundenen Zeitverlustes nicht selten auch davon aus, dass die entsprechenden Beweisanträge (auch) der Verzögerung des Verfahrens dienen. Die StPO „hilft“ bei der Behandlung/Bescheidung solcher Anträge mit § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO. Danach kann ein solcher Beweisantrag aus den gleichen Gründen wie die Einnahme eines Augenscheins abgelehnt werden. Maßstab ist also die Aufklärungspflicht des Gerichts. Das hat jetzt der BGH im BGH, Beschl. v. 23.10.2013 – 5 StR 401/13 – noch einmal verdeutlicht.

Da war der Angeklagte u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden. Das LG hatte in der Hauptverhandlung einen Beweisantrag des Angeklagten abgelehnt. Das war – so der BGH auf die Verfahrensrüge – rechtsfehlerhaft:

1. Die Revision rügt zu Recht, das Landgericht habe gegen § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO verstoßen. Dem liegt folgendes zugrunde: a) Nach den landgerichtlichen Feststellungen, die im Wesentlichen auf den Angaben des Mitangeklagten K. beruhen, verkaufte diesem der – die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestreitende – Angeklagte seit Mai 2008 „Speed“ zunächst zum Eigenverbrauch. Um seine hierdurch alsbald entstandenen Schulden zu tilgen, erhielt K. bereits seit Juni 2008 mehrfach „Speed“ vom Angeklagten, um es für ihn weiter zu verkaufen. Im Zeitraum von August 2008 bis Januar 2009 transportierte K. darüber hinaus sechs Mal jeweils mehrere Kilogramm Amphetamin nach Deutschland; dieses hatte er zuvor in Polen von B. und G. erhalten. Diese Lieferanten des Angeklagten W. sind u.a. deswegen von der Staatsanwaltschaft W. beim Bezirksgericht P. angeklagt worden, haben die Vorwürfe in ihrer jeweiligen polnischen Beschuldigtenvernehmung jedoch bestritten bzw. hierzu geschwiegen.

Am 17. von insgesamt 45 Hauptverhandlungstagen stellte die Verteidigung des Angeklagten den Beweisantrag, B. und G. als Zeugen insbesondere dazu zu vernehmen, dass sie mit dem Angeklagten aus-schließlich über Goldgeschäfte gesprochen, ihn aber nicht mit Amphetamin versorgt hätten. Am 25. Verhandlungstag lehnte das Landgericht die beantragten Beweiserhebungen gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ab. Selbst wenn die genannten Zeugen von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) keinen Gebrauch machen und die in ihr Wissen gestellten Tatsachen bekunden sollten, würde es nicht den Schluss ziehen, dass der Angeklagte durch den Mitangeklagten K. zu Unrecht belastet worden sei.

b) Diese Verfahrensweise hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Zwar hat das Landgericht bei seiner ablehnenden Entscheidung zu-treffend als maßgebendes Kriterium angesehen, ob die Aufklärungspflicht die Erhebung der beantragten Beweise erfordert; es war bei dieser Prüfung vom Verbot der Beweisantizipation befreit (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60). Es durfte daher den zu erwartenden Beweiswert der beiden Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses würdigen und hierbei auch berücksichtigen, dass ihnen jeweils ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zustehen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2000 – 1 StR 325/00, NJW 2001, 695). Es hat aber der vorliegend besonders schwierigen Beweislage bei seiner Abwägung nicht im notwendigen Maße Rechnung getragen:

Das Landgericht hätte berücksichtigen müssen, dass nicht nur die gegen den Angeklagten generell, sondern auch die wegen ihrer Lieferantenstellung bei den sechs Einfuhrtaten gegen die benannten Zeugen in Polen erhobenen Vorwürfe im Wesentlichen auf den Angaben des Mitangeklagten K. beruhten und sonstige, namentlich „objektive“ Indizien gerade für die am schwersten wiegenden Taten des Angeklagten fehlten. Dies gilt auch deshalb, weil sich die Zeugen zwar in Polen zunächst in Untersuchungshaft befanden, dann aber aus Gründen entlassen wurden, die ungeklärt geblieben sind und die das Landgericht zu ermitteln unterlassen hat. Darüber hinaus hätte das Landgericht dem Umstand größere Bedeutung zumessen müssen, dass sich der Mitangeklagte K. lediglich im Ermittlungsverfahren ausführlich zu den Taten und den beiderseits der deutsch-polnischen Grenze Beteiligten, in der Hauptverhandlung jedoch nur noch über eine durch seine Verteidigung verlesene Erklärung geäußert hat. Dieser lag im Übrigen eine Verständigung zugrunde, deren Grundlage aber nachträglich entfiel, weil der Mitangeklagte K. „entgegen seiner vorherigen Zusage nicht mehr bereit war, Fragen des Gerichts zu seiner schriftlichen Einlassung zu beantworten“ (UA S. 13). In der Folge konnte insbesondere auch die Verteidigung ihn nicht mehr „konfrontativ“ befragen (vgl. Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK). Angesichts des sich daraus ergebenden Beweiswertdefizites, auf das auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 23. August 2013 maßgeblich abgestellt hat, war die Beweislage nicht derart sicher (vgl. zu dieser Konstellation BGH, Urteil vom 5. Februar 1997 – 2 StR 551/96, NStZ 1997, 286), dass es zum Versuch weiterer Aufklärung durch eine zeugenschaftliche Einvernahme B. s und G. ‘ nicht gedrängt hätte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 3 StR 274/09, BGHSt 55, 11, 23).