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StPO III: Ehefrau „zieht“ Zeugnisverweigerungsrecht, oder: Angaben im Gewaltschutzverfahren verwertbar?

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Und im dritten Posting dann der angekündigte OLG-Beschluss, und zwar der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.01.2024 – 1 ORs 36 SRs 752/23.

Der Angeklagte ist wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt worden. Nach den Feststellungen dess LG verpasste der Angeklagte am 06.01.2021 seiner vom ihm getrenntlebenden Ehefrau im Rahmen eines Streits in deren Wohnung mehrere Faustschläge ins Gesicht und drohte mit einem großen Messer damit, diese umzubringen.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Mit der rügt der Angeklagte verfahrensrechtlich insbesondere die Verwertung der Angaben der in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machenden Ehefrau gegenüber der Rechtspflegerin beim Amtsgericht B. vom 07.01.2021 zur Begründung ihres Antrags auf Erlass einer Gewaltschutzanordnung nach § 1 GewSchG. Bei Antragstellung bezog sich die Ehefrau des Angeklagten auf das Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung vom 06.01.2021 und übergab zur Glaubhaftmachung eine Kopie des polizeilichen Vernehmungsprotokolls, dessen inhaltliche Richtigkeit sie an Eides statt versicherte.

Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Verfahrensrüge war nach Auffassung des OLG zwar zulässig, aber unbegründet:

„1. Die Verfahrensrüge gem. § 252 StPO ist in zulässiger Weise erhoben. Sie genügt den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. So teilt der Revisionsführer zur Begründung seiner Rüge der Verletzung von § 252 StPO die frühere polizeiliche Aussage der Zeugnisverweigerungsberechtigten und ihre nunmehrige Aussageverweigerung ebenso mit wie den genauen Inhalt und die näheren Umstände der von der Kammer verwerteten Angaben der Zeugin aus Anlass der Stellung des Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz sowie das Beruhen des Urteils hierauf. Der Zulässigkeit der Rüge nicht entgegen steht, dass die Art und Weise der Einführung der von der Kammer verwerteten Aussage der Geschädigten durch Verlesung von Teilen aus den Akten des Gewaltschutzverfahrens in der Antragsschrift unerwähnt bleiben, denn die Verlesung und Verwertung dieser Aktenteile nach erfolgter Zeugnisverweigerung ergibt sich schon aus den schriftlichen Urteilsgründen, welche der Senat auf die Sachrüge zur Kenntnis nimmt, weshalb der mangelhafte Vortrag der Revision unschädlich ist (BGH NJW 1990, 1859). Unerheblich ist, dass die Antragsschrift den Inhalt des aus dem Protokoll ersichtlichen Hinweises der Kammer, dass die Angaben der Zeugin im Gewaltschutzverfahren keinem Beweisverwertungsverbot gemäß § 252 StPO unterliegen, nicht mitteilt, denn der Erfolg der Verfahrensrüge kann durch den (in Abwesenheit der Zeugin) erteilten Hinweis der Kammer zu ihrer Rechtsansicht nicht negativ beeinflusst werden.

2. Die Rüge ist indes unbegründet, da die Angaben der Geschädigten zur Begründung ihres Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz keinem Verwertungsverbot gem. § 252 StPO unterliegen.

Das Verwertungsverbot gem. § 252 StPO bezieht sich auf Aussagen des Zeugen im Rahmen einer Vernehmung, welche vor der Hauptverhandlung stattgefunden hat, etwa im Rahmen einer polizeilichen, auch informatorischen Befragung. Der Vernehmungsbegriff ist weit auszulegen und erfasst – unabhängig davon, ob die Angaben förmlich protokolliert oder nur in einem internen Vermerk festgehalten werden – alle Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen auf Grund einer offen von einem staatlichen Organ durchgeführten Befragung (BGH NJW 2005, 765 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden im Wege einer entsprechenden Anwendung der Norm auch frühere vernehmungsbasierte Aussagen eines Zeugnisverweigerungsberechtigten in einem Zivilrechtsstreit oder in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfasst, die geeignet sind, einen Angehörigen zu belasten, und der Zeuge sich in einer Lage befindet, die derjenigen des Zeugen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vergleichbar ist (vgl. BGH NJW 1990, 1859 mwN). Das Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 252 StPO soll den Zeugen vor Konflikten schützen, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN).

Unabhängig von der jeweils zugrundeliegenden Prozessordnung bleibt für eine Verwertung im Strafverfahren aber erkennbar stets maßgeblich, ob die Angaben des Zeugnisverweigerungsberechtigten im Zuge einer amtlich initiierten Vernehmung erfolgten (BGH NJW 1990, 1859; OLG Hamburg, Beschl. v. 8.3.2018 – 1 Ws 114/17, BeckRS 2018, 3916). Angaben, die der Zeuge außerhalb einer Vernehmung gemacht hat, unterliegen dem (erweiterten) Verwertungsverbot grundsätzlich nicht. Darunter fallen Angaben gegenüber Dritten (BGH NJW 1952, 153), spontane Aussagen (BGH NStZ 1992, 247; NStZ 2007, 652; OLG Hamm NStZ 2012, 53), nach denen er nicht gefragt wurde, wie etwa eine Strafanzeige (BGH NJW 1956, 1886) oder die Bitte um polizeiliche Hilfe (BGH NStZ 1986, 232) bzw. im Rahmen eines polizeilichen Notrufs (OLG Hamm NStZ 2012, 53; BeckRS 2014, 19563). Demgemäß sind auch die Angaben der Geschädigten gegenüber dem Familiengericht zur Erwirkung einer Schutzanordnung nach dem GewSchG verwertbar, da sich die Zeugin von sich aus an das Amtsgericht gewandt und ihren Ehemann belastende Angaben zur Begründung ihres Antrags gemacht hat (OLG Hamburg aaO; BeckOK StPO/Ganter StPO § 252 Rn. 15 mwN), und über welchen ohne mündliche Verhandlung und weitere Befragung der Antragstellerin nach Aktenlage aufgrund summarischer Prüfung vom Gericht entschieden wurde (§ 51 Abs. 2 S. 2, § 3, § 214 FamFG; BeckOK FamFG/Schlünder FamFG, Ed. 1.11.2023, § 214 Rn. 2 ff.).

Eine vernehmungsähnliche Situation entsteht auch – wie die Revision meint – nicht dadurch, dass die Zeugin das – für sich unverwertbare – Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung der Rechtspflegerin vorgelegt, zum Gegenstand ihres Vortrags zur Antragsbegründung gemacht und dessen inhaltliche Richtigkeit an Eides statt versichert hat. Denn auch die Vorlage des Protokolls erfolgte aus freien Stücken und diente ersichtlich lediglich der Verfahrensvereinfachung. Dass die Zeugin insofern „unfrei“ handelte, als sie zur Verhinderung weiterer Übergriffe ihres gewalttätigen Ehemanns eine Schutzanordnung erwirkte, bleibt für die Frage der Verwertbarkeit ihrer Angaben im Strafverfahren ohne Belang. Denn § 252 StPO, der nach seinem Wortlaut eine Vernehmung oder eine vernehmungsähnliche Situation voraussetzt, enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz dahingehend, dass jedwede den Angehörigen belastende Angaben (etwa auch die in höchster Not gegenüber dem Hausmitbewohner gemachten Angaben, bei welchem die Zeugin unmittelbar nach der Tat um Schutz suchte) vom Zeugen bis zur Hauptverhandlung oder einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht für eine Verwertung gesperrt werden können (vgl. BGH NStZ 1986, 232 (Mitteilungen im Rahmen eines Hilfeersuchens gegenüber einer Mitarbeiterin der Familienhilfe)). Hierdurch wird auch nicht – wie die Revision meint – „in gewisser Weise durchaus besserwisserisch“ der wiederhergestellte Familienfriede „torpediert“. Gewalt in der Ehe ist keine Privatangelegenheit, sondern unabhängig vom Strafantrag der Geschädigten bei Vorliegen eines hier von der Staatsanwaltschaft bejahten öffentlichen Interesses zu verfolgen.“

Na ja, ist Mainstream, aber: Es bleibt allerdings ein gewisses Unbehagen. Denn was heißt in solchen Situationen „aus freien Stücken“? und greift nicht gerade auch hier der Sinn und Zweck des § 252 StPO, der den Zeugen vor Konflikten schützen soll/will, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN). M.E. hätte man hier an der Vorlage des – unverwertbaren – polizeilichen Vernehmungsprotokolls ansetzen können, das über den Umweg (freiwillige [?]) Vorlage bei der Rechtspflegerin dann Akteninhalt geworden ist, und auf das sich AG und LG, was sich allerdings aus den Beschlussgründen des OLG nicht ergibt – im Zweifel auch gestützt hat.

StPO II: Polizei ist nach einem Jahr neues Recht neu, oder: Kein BVV, nicht so schlimm, kann passieren……

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Und im zweiten Posting kommt dann hier der BGH, Beschl. v. 07.12.2023 – 2 StR 49/23.

Das LG hatte die Angeklagten u.a. wegen erpresserischen Menschenraubs iverurteilt. Dagegen haben die Angeklagten Revision eingelegt, die sie – bis auf einen – auch mit der Verfahrensrüge begründet haben. Ohne Erfolg:

„1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen der Erfolg versagt. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge der Angeklagten R., A. , C. und B., die Angaben des als Beschuldigten vernommenen B. seien unverwertbar, weil ihm entgegen § 141a Satz 1, § 141 Abs. 2, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen am 13. November 2020 kein Pflichtverteidiger bestellt worden war. Sie greift im Ergebnis nicht durch.

Zwar ist dem Mitangeklagten B. im Rahmen seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung entgegen § 141a Satz 1, § 141 Abs. 2, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO kein Pflichtverteidiger bestellt worden; auch greifen die Ausnahmetatbestände gemäß § 141a Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO nicht. Daraus aber folgt – entgegen der Ansicht der Revisionen – kein Verwertungsverbot.

Nach dem Willen des Gesetzgebers führt ein Verstoß gegen die genannten Vorschriften nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot. Vielmehr gelangen die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung, wonach anhand der Umstände des Einzelfalls unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Ein Verwertungsverbot ist nur bei schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen anzunehmen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind (BT-Drucks. 19/13829, S. 39; vgl. auch Meyer/Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 141a Rn. 11). Eine solche Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor.

Das Landgericht hat in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Beschluss zutreffend in den Blick genommen, dass das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse – wie hier – bei einem Delikt schwerer Kriminalität besonders hoch ist, die Beschuldigtenvernehmung nicht unter bewusster Umgehung des § 141a StPO durchgeführt wurde, sondern die seit dem 13. Dezember 2019 geltende Neuregelung lediglich aufgrund eines Versehens nicht zur Anwendung gelangte, weil die beteiligten Ermittlungsbeamten irrtümlich davon ausgingen, dass eine Vernehmung eines unverteidigten Beschuldigten weiterhin zulässig sei, wenn dieser Beschuldigte hiermit einverstanden sei, und damit der festgestellte Verstoß von geringerem Gewicht ist.“

Na ja, nach fast einem Jahr Geltungsdauer der gesetzlichen Neuregelungen gehen die Polizeibeamten nich davon aus, dass „eine Vernehmung eines unverteidigten Beschuldigten weiterhin zulässig sei, wenn dieser Beschuldigte hiermit einverstanden sei“ und der BGH sagt: Ist nicht so schlimm, kann passieren.

StPO I: Übernahme/Verweisung von Verfahren, oder: Wenn (dann) der Eröffnungsbeschluss fehlt

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ich stelle heute drei StPO-Entscheidungen vor, und zwar zweimal BGH, einmal OLG.

Ich beginne mit einem Klassiker, nämlich dem nach einer Übernahme/Verbindung von Verfahren fehlenden Eröffnungsbeschluss. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 30.01.2024 – 5 StR 577/23.

Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe verurteilt. Dagegen die Sachrüge, die teilweise Erfolg hat. Der BGH hat in einem der „Verurteilungsfälle“ aufgehoben und das Verfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er dann die Jugendstrafe aufgehoben:

„1. Die Verurteilung im Fall II.2 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt.

a) Die Staatsanwaltschaft hat im Fall II.2 der Urteilsgründe Anklage zum Amtsgericht und nachfolgend im Fall II.1 Anklage zum Landgericht erhoben. Die Strafkammer hat am 25. Januar 2023 in der bei ihr anhängigen Sache die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen. Das Amtsgericht hatte keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen, als das Landgericht mit Beschluss vom 1. Februar 2023 das beim Amtsgericht anhängige – sowie ein weiteres – Verfahren übernommen und die Sachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Nach Beginn der Hauptverhandlung hat die Strafkammer das Verfahren nach § 270 Abs. 1 StPO an die Jugendkammer verwiesen, weil der Angeklagte bei Tatbegehung noch Heranwachsender gewesen sei. Mit Beschluss vom 14. April 2023 hat die Jugendkammer unter anderem die Besetzung mitgeteilt; ferner hat der Vorsitzende am gleichen Tag den Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen beider Anklagevorwürfe verurteilt.

b) Hinsichtlich der Tat II.2 ist die Hauptverhandlung ohne Eröffnungsbeschluss durchgeführt worden. Eine dahingehende Entscheidung ist weder ausdrücklich noch konkludent ergangen. Insbesondere kommt dem Übernahme- und Verbindungsbeschluss der Strafkammer vom 1. Februar 2023 eine solche Wirkung nicht zu. Dies kann zwar ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn das übernehmende Gericht die Eröffnungsvoraussetzungen erkennbar selbst geprüft hat und sich seiner eigenen Eröffnungsentscheidung bewusst war (vgl. MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 207 Rn. 30 mwN). Dass die Strafkammer hier aber selbst nicht von einer bereits ergangenen, sondern von einer noch vorzunehmenden Eröffnungsentscheidung ausgegangen ist, zeigt sich darin, dass die Vorsitzende in nachfolgenden Verfügungen wiederholt die angeordnete Wiedervorlage der Akten um den Zusatz „(Eröffnung verbundene Sache)“ ergänzt hat.

c) Der Eröffnungsbeschluss ist auch nicht im weiteren Verfahren wirksam nachgeholt worden.

Die Verweisung durch die große Strafkammer an die Jugendkammer nach § 270 Abs. 1 StPO kann diesen nicht nach § 270 Abs. 3 StPO ersetzen. Dafür wäre erforderlich gewesen, dass das verweisende Gericht – anders als hier – die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft hat. Denn der Verweisungsbeschluss kann nur an die Stelle eines früheren Eröffnungsbeschlusses treten, einen solchen aber nicht ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 1987 – 3 StR 493/87, NStZ 1988, 236).

Auch der Beschluss der Jugendkammer vom 14. April 2023 stellt keine Eröffnungsentscheidung für Fall II.2 dar. Die Mitteilung der Gerichtsbesetzung, die Anordnung der Aufrechterhaltung des im Zusammenhang mit Fall II.1 ergangenen Untersuchungshaftbefehls und die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO betreffend eine weitere Tat geben keinen Anhalt dafür, dass die Jugendkammer im Fall II.2 eine eigene Eröffnungsentscheidung hat treffen wollen.

2. Es fehlt mithin an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss als Prozessvoraussetzung für das Hauptverfahren. Das Urteil ist daher entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO) und das Verfahren nach § 354 Abs. 1 StPO mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO einzustellen, soweit es Fall II.2 betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2021 – 3 StR 492/20 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 206a Rn. 6a, § 349 Rn. 29, 29a, § 354 Rn. 6).“

Wie gesagt: Klassiker. Solche Dinge muss man als Verteidiger prüfen und den Finger in die Wunde legen. Zwar muss das Revisionsgericht von Amts wegen prüfen, ob die Eröffnungsvoraussetzung Eröffnungsbeschluss gegeben ist, aber besser man legt ggf. den Finder in der Wunde. Dann wird das Verfahrenshindernis nicht „übersehen“.

Noch einmal: Verbindung und Erstreckungsantrag, oder: Nicht mehr erforderlich, aber empfehlenswert

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Und im zweiten Posting dann eine Entscheidung des LG Osnabrück zu einer Frage, die an sich keine Frage mehr ist bzw. mehr sein sollte. Nämlich die Frage nach dem Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVg – also Erstreckung und die Frage: Muss ggf. ausdrücklich erstreckt werden.

Aus dem dazu vorliegenden LG Osnabrück, Beschl. v. 27.12.2023 – 1 Qs 70/23 – ergibt sich folgender Sachverhalt: Die StA führte gegen die Beschuldigte zunächst ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs unter dem Aktenzeichen Az_1 sowie ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Betrugs unter dem Aktenzeichen Az_2. Der Kollege meldete sich mit Schriftsatz vom 05.05.2023 in beiden Verfahren für die Beschuldigte als Verteidiger und beantragte gleichzeitig in beiden Verfahren die Bestellung als Pflichtverteidiger.

Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 10.08.2023 wurden die Verfahren Az_1 und Az_2 verbunden, wobei das Verfahren Az_1 führt. Mit Beschluss des AG vom 15.08.2023 wurde der Beschuldigten in dem Verfahren Az_1 Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt.

Mit Schriftsatz vom 29.09.2023 beantragte die Beschuldigte, ohne ihren ursprünglichen Beiordnungsantrag ausdrücklich zurückzunehmen, – ggfs. nur deklaratorisch feststellend – die mit Beschluss vom 15.08.2023 erfolgte Pflichtverteidigerbestellung und die Wirkungen dieser Beiordnung auch auf das verbundene Ermittlungsverfahren Az_2 zu erstrecken. Das AG war dann ganz „clever“ und dann den ursprünglichen Antrag der Beschuldigten vom 05.05.2023 auf Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger im Verfahren Az_2 zurückgewiesen, da eine nachträgliche rückwirkende Bestellung für ein mittlerweile zu einem anderen Verfahren hinzuverbundenes Verfahren unzulässig sei. Den Antrag vom 29.09.2023 hat das AG hingegen „übersehen“, also nicht beschieden.

Gegen den Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Beschuldigten. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

Die gemäß §§ 304, 311 StPO zulässige, sofortige Beschwerde ist begründet.

„Der beschiedene Antrag vom 05.05.2023 hat sich durch die Verbindung der Sache 320 Js 16679/23 mit dem hiesigen Ermittlungsverfahren erledigt. Einer ausdrücklichen Rücknahme bedurfte es nicht. Die Beschuldigte hat durch die Formulierung ihres Antrags in dem Schriftsatz vom 29.09.2023 hinreichend deutlich gemacht, dass sie nicht länger eine Entscheidung über ihren ursprünglichen Antrag begehrte. Sie hat vielmehr einen an die vollzogene Verbindung der beiden Ermittlungsverfahren angepassten Antrag gemäß § 48 Abs. 6 RVG gestellt.

Gemäß § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erhält der beigeordnete Verteidiger die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung. Es war lange Zeit umstritten, ob ein anwaltlicher Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in Verfahren, die vor der Beiordnung hinzuverbunden wurden, bereits unmittelbar aus § 48 Abs. 6 S. 1 RVG folgt oder es hierzu eines Gerichtsbeschlusses gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG bedurfte (vgl. BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt, 62. Ed. 01.12.2023, RVG § 48 Rn. 128).

Mit der zum 01.01.2021 erfolgten Ergänzung von § 48 Abs. 6 S. 3 RVG mit dem KostRÄG vom 21.12.2020 (BGBl. 1 3229) hat der Gesetzgeber nun klargestellt, dass der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auf die Fälle der nach der Beiordnung oder Bestellung erfolgten Verfahrensverbindungen beschränkt ist. Damit ist zugleich klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Beiordnung nach der Verbindung nicht erforderlich ist, weil § 48 Abs. 6 S. 1 StPO unmittelbar gilt (vgl. BeckOK RVG a. a. O. Rn. 129).

So liegt der Fall hier. Denn die Beiordnung erfolgte am 15.08.2023 und somit zeitlich nach der Verfahrensverbindung vom 10.08.2023. Aus anwaltlicher Vorsicht ist ein Antrag auf deklaratorische Feststellung der Erstreckung, wie er hier gestellt worden ist, jedoch zulässig, weil auf diese Weise ein etwaiger Streit im Kostenfestsetzungsverfahren um die Notwendigkeit eines Gerichtsbeschlusses vermieden wird.

Inwieweit dem Verteidiger eine Vergütung der Höhe nach zusteht, muss der Prüfung im Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten bleiben. Denn Voraussetzung dafür, dass der Anwalt neben den Gebühren im führenden Verfahren auch weitere Gebühren für seine Tätigkeiten in dem hinzuverbundenen Verfahren erhalten kann, ist, dass er in dem hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung tatsächlich tätig geworden ist (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 16.05.2017 — 1 Ws 95/17, BeckRS 2017, 122061 Rn. 20, beck-online).“

Alles richtig gemacht, und zwar sowohl der einsendende Kollege als auch das LG Osnabrück, was da ja nicht unbedingt selbstverständlich ist :-). Denn:

Mit dem KostRÄndG v. 21.12.2020 hat sich ab 01.01.2021 der Streit um die Anwendung und Auslegung von § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG erledigt (s. meine Beiträge u.a. in RVGreport 2020, 402, 403 f.; und in StraFo 2021, 8, 10). Man muss also darauf achten, dass zunächst verbunden wird und dann die Bestellung zum Pflichtverteidiger erfolgt. Dann ist ein besonderer Erstreckungsantrag nicht erforderlich. Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen nach der Bestellung erst (hinzu)verbunden wird.

Zutreffend ist auch die Art und Weise des Vorgehens des Kollegen, der auf deklaratorischer Feststellung bestanden hat. Liegt die vor, erspart das ggf. lange und unnütze Diskussionen und Streit mit dem Festsetzungsbeamten im Festsetzungsverfahren.

Und: Zutreffend ist auch der Hinweis des LG darauf, dass die Höhe der dem Rechtsanwalt zustehenden Vergütung erst im Kostenfestsetzungsverfahren geklärt wird. Denn Voraussetzung für das Entstehen der anwaltlichen Gebühren in allen verbundenen Verfahren über § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG ist, dass der Rechtsanwalt in den jeweiligen Verfahren auch tätig geworden ist. Es werden keine Gebühren ohne Tätigkeit verdient. Insoweit reichen aber minimale Tätigkeiten für das Entstehen von im Zweifel zumindest Grundgebühr Nr. 4104 VV RVG und Verfahrensgebühr aus. Ausreichend ist insoweit aber schon ein Antrag des Rechtsanwalts im ursprünglichen Verfahren auf Akteneinsicht, aber auch (nur) der Antrag, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen. Damit dürften hier Grundgebühr und Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG auch im Verfahren Az_2 entstanden sein.

Beweis III: Vorsorglich gestellter Beweisantrag, oder: Anforderungen an die Verfahrensrüge

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Und dann zum Tagesschluss die angekündigte Entscheidung des KG. Es geht in dem KG, Beschl. v. 02.02.2024 – 3 ORbs 9/24 – 122 Ss 6/24 – um die Anforderungen an eine Verfahrensrüge in Bezug auf einen nicht beschiedenen „vorsorglich“ gestellten Beweisantrag.

Dazu das KG:

„Die durch die Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe entgegen §§ 77 Abs. 3 OWiG, 244 Abs. 6 Satz 1 StPO einen Beweisantrag nicht beschieden, ist unzulässig (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Der Antrag, die Urheberin der vorgenannten Bescheinigung als Zeugin zu vernehmen, ist nur „vorsorglich“ gestellt worden. Die Rechtsbeschwerde hätte daher – innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist – vortragen müssen, unter welcher Bedingung die Antragstellung erfolgte und warum diese Bedingung eingetreten ist, sodass die Ablehnung nur durch einen Beschluss unter den Voraussetzungen der §§ 77 OWiG, 244 Abs. 3 StPO erfolgen durfte (vgl. BGH NStZ 2021, 382 und zuvor BGH NStZ-RR 1999, 1 bei Miebach/Sander; BGH NStZ-RR 2013, 349). Dies gilt umso mehr, als das Beweisbegehren bei verständiger, jedenfalls naheliegender Würdigung daran geknüpft war, dass der bescheinigte Inhalt vom Tatgericht nicht geglaubt wird. Tatsächlich hat das Tatgericht den bescheinigten Inhalt aber zumindest als wahr unterstellt, hieran aber nicht die vom Betroffenen gewünschte Schlussfolgerung geknüpft, er werde auch im Falle eines nur einmonatigen Fahrverbots entlassen.

Im nachgereichten Schriftsatz bekundet die Verteidigung, der Beweisantrag sei an die Bedingung geknüpft gewesen, dass das Amtsgericht auf das verwirkte Regelfahrverbot erkennen werde. Diese Tatsachenerklärung zu einer erhobenen Verfahrensrüge ist verspätet (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 Satz 1 StPO). Auf die inhaltlich bestehenden Zweifel, dass dem Beweisantrag ein solcher Erklärungsgehalt tatsächlich beikommt und dieser auch erkennbar geworden ist, kommt es daher nicht an.“