Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

StPO I: Durchsuchungsbeschluss im Kipo-Verfahren, oder: Nachbesserung durch das Beschwerdegericht

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und dann stelle ich heute StPO-Entscheidungen aus der Instanz vor.

Na ja, nicht ganz/nur aus der Instanz, denn die erste Entscheidung stammt vom VerfGH Sachsen. Der hat im VerfGH Sachsen, Beschl. v. 24.10.2024 – Vf. 24-IV-23 – erneut zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Durchsuchungsanordnung Stellung genommen. Folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung, Erwerbs und Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das AG den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Durchsuchungsbeschluss In der Begründung heißt es, der Beschuldigte sei Mitglied einer Gruppe des Messengers „WhatsApp“ gewesen, in der kinderpornographische Inhalte versandt worden seien und habe in der Zeit, in der er Mitglied gewesen sei, Dateien (Bilder und Videos) mit kinder- und jugendpornographischen Inhalten empfangen. Der Beschwerdeführer habe sich aktiv an der Gruppe beteiligt. Dagegen die Beschwerde des Beschuldigten. Das LG hat die  Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass dem Beschwerdeführer der Tatverdacht des Sichverschaffens kinder- und jugendpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 3, § 184c Abs. 3 StGB zur Last liege.

Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg:

„…..

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts und der diesen abändernde Beschluss des Landgerichts gerecht. Der Durchsuchungsbeschluss begegnet in der Gestalt, den er durch den landgerichtlichen Beschluss erhalten hat, in formeller Hinsicht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (aa). Die fachgerichtliche Annahme eines Anfangsverdachts ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (bb). Zudem hält die angegriffene Maßnahme einer Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stand (cc).

aa) Der Durchsuchungsbeschluss in der Gestalt, den er durch die landgerichtliche Entscheidung erhalten hat, beschreibt den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tatvorwurf hinreichend und bezeichnet das zu durchsuchende Objekt und die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so, wie es nach Lage der Dinge geschehen konnte. Die vorgenommene Umschreibung reicht aus, um den mit dem Vollzug des Beschlusses betrauten Beamten aufzuzeigen, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten, und damit den Zweck der Durchsuchungsanordnung – die Begrenzung des Zugriffs auf Beweisgegenstände bei der Vollziehung der Durchsuchung– zu erfüllen (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – Vf.56-IV-23 [HS]/Vf. 57-IV-23 [e.A.]; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. März 2003 – 2 BvR 180/03 – juris Rn. 2).

bb) In der Gestalt der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts liegt dem Durchsuchungsbeschluss auch eine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung des Anfangsverdachts zugrunde.

Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Für die Annahme eines solchen Anfangsverdachts genügen konkrete, tatsächliche Anhaltspunkte, die es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde (vgl. Peters in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl., § 152 Rn. 35, 38; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 1994 – 2 BvR 1912/93 – juris Rn. 4; Beschluss vom 23. Juli 1982, NStZ 1982, 430). Auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, die Maßnahme vom Vorliegen eines erhöhten Verdachtsgrads abhängig zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 – juris Rn. 15; Beschluss vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 – juris Rn. 5). Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung des behördlichen Eingriffs oder dessen nachträgliche Kontrolle zuständige Richter zu prüfen. Hierzu gehört eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Einzelfall (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 – juris Rn. 18; Beschluss vom 28. April 2003, BVerfGK 1, 126 [131]). Eine ins Einzelne gehende Nachprüfung des vom Fachgericht angenommenen Anfangsverdachts ist hingegen nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes. Sein Eingreifen ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 2 BvR 1188/18 – juris Rn. 43; Beschluss vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 – juris Rn. 24; Beschluss vom 8. Januar 2015 – 2 BvR 2419/13 – juris Rn. 17).

Es kann dahinstehen, ob die rechtliche Bewertung des Amtsgerichts, der dem Durchsuchungsbeschluss zugrundeliegende Lebenssachverhalt sei als Verbreitung kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 StGB strafbar, zutreffend war. Jedenfalls ist es nicht objektiv willkürlich, dass das Landgericht in seiner Beschwerdeentscheidung diese rechtliche Bewertung abänderte und annahm, es liege ein Anfangsverdacht für ein Sichverschaffen von kinder- und jugendpornographischen Inhalten gemäß § 184b Abs. 3, § 184c Abs. 3 StGB vor. Im Beschwerdeverfahren sind zwar Prüfungsmaßstab und die Heilungsmöglichkeit des Beschwerdegerichts bei der Überprüfung einer durch Vollzug erledigten Durchsuchung beschränkt, weil dieses keine eigene Entscheidung über die Durchsuchungsanordnung trifft. So können Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde andernfalls unterlaufen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 2023 – 2 BvR 2180/20 – juris Rn. 29; Beschluss vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 – juris Rn. 4). Doch kann das Beschwerdegericht Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nachbessern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 2023 – 2 BvR 2180/20 – juris Rn. 29 m.w.N.). Dies umfasst auch Indiztatsachen, die den Anfangsverdacht belegen, weil diese für Zwecke der Begrenzung der Vollziehung der Maßnahme nicht immer erforderlich sind und folglich im Durchsuchungsbeschluss selbst nicht notwendigerweise genannt werden müssen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. April 2003, BVerfGK 1, 126 [131]). Die vom Landgericht für seine abweichende rechtliche Bewertung angeführten tatsächlichen Umstände – das Einstellen derartiger Inhalte in den Gruppenchat und die aktive Beteiligung des Beschwerdeführers an diesem Chat – sind bereits im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts wiedergegeben. Indem das Landgericht den der Verdachtsannahme zugrundliegenden Lebenssachverhalt lediglich einer anderen rechtlichen Würdigung unterzog, hat es die Grenzen der Heilungsmöglichkeiten im Beschwerdeverfahren nicht überschritten.

Auch in der Sache sind die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei der landgerichtlichen Bewertung der Tatsachenbasis ist ein willkürliches Überspannen der Anforderungen an einen Anfangsverdacht, der gerade noch nicht einen die Anklageerhebung rechtfertigenden Verdachtsgrad erreicht haben muss (vgl. Peters in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl., § 152 Rn. 35), nicht festzustellen. Die Annahme des Landgerichts, es liege im Bereich des Möglichen, dass der Beschwerdeführer von den inkriminierten Dateien Kenntnis erlangt und diese gebilligt habe, ist nicht schlechterdings unhaltbar. Rein spekulativen Charakter hat diese Annahme angesichts der aktiven Beteiligung des Beschwerdeführers am Chat, nachdem bereits inkriminierte Dateien geteilt worden waren, nicht.

cc) Die fachgerichtliche Bewertung, die angeordnete Durchsuchung stehe in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat sowie zu der Stärke des Tatverdachts und sei für die Ermittlungen notwendig, widerspricht ebenfalls nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen.“

KCanG I: Erneut „alte“ Überwachungserkenntnisse, oder: Einige OLG für, einige gegen Verwertbarkeit

Bild von Couleur auf Pixabay

Und dann heute nach längerer Zeit mal wieder einige Entscheidungen zum KCanG.

Ich beginne mit einer Zusammenstellung der mir vorliegenden Rechtsprechung der OLG zu den Auswirkungen des KCanG auf die Verwertbarkeit „alter“ EncroChat-ANOM_Überwachungsdaten. Dazu habe ich hier vier Entscheidungen, und zwar:

Für eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

Vergehen nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG rechtfertigen als „schwere Straftaten“ weiterhin die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO (§ 100a Abs. 2 Nr. 7a StPO). Sie gehören indes nicht zu den Delikten, die als „besonders schwere Straftaten“ nach § 100b Abs. 2 StPO die Anordnung einer Online-Durchsuchung erlauben würden. Das hat aber keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit von vor dem Inkrafttreten des KCanG durch eine EncroChat-Maßnahme gewonnene Daten.

Zur – bejahten _ Verwertbarkeit von EncroChat- und SkyECC-Daten nach Einführung des KCanG.

Gegen eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

1. Erkenntnisse aus der Auswertung des über den Kryptomessenger-Dienst ANOM geführten Chatverkehrs sind unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO verwertbar. Eine Beweisverwertung derart erlangter Daten ist demnach stets unzulässig, sofern diese den Kernbereich privater Lebensführung i. S. v. § 100d Abs. 2 S. 1 StPO betreffen. Darüber hinaus dürfen die Erkenntnisse in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung des Verdachts einer Katalogtat i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Ferner sind die einschränkenden Voraussetzungen des § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO zu beachten, wonach die Straftat auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein muss.

2. Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Katalogtat i. S. v. § 100b StPO erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Verwendung der Beweisergebnisse abzustellen. Vor dem 01.04.2024 im Zuge der Überwachung der „ANOM“-Chats erlangte Erkenntnisse sind demnach nur verwertbar, wenn die betreffenden Delikte auch im Verwertungszeitpunkt noch den Anforderungen des § 100e Abs. 6 StPO genügen, wenn sie also auch nach Inkrafttreten des KCanG zum 01.04.2024 noch als Katalogtaten i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO einzustufen sind.

Der Senat hält auch in Anbetracht der zwischenzeitlich zur Frage der Verwertbarkeit der bei dem Krypto-Dienstanbieter EncroChat in Frankreich gesicherten und den deutschen Strafverfolgungsbehörden übermittelten Daten ergangenen, in der Sache divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, dass diese Daten nur in denjenigen Fällen verwertbar sind, in denen sich der Tatvorwurf auf eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO bezieht. Hiervon nicht umfasst sind Straftaten gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 KCanG, also Fälle wie– das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG und die Abgabe von Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG.

Edit: Die Entscheidung des OLG Hamm muss man genau lesen. Das hatte ich erst nicht, habe ich dann aber auf netten Hinweis noch einmal getan und dann den Beitrag und die Überschrift etwas abgeändert

StPO III: Wirksames Einverständnis mit formloser Einziehung, oder: Einziehung beim sog. „Hawala-Banking“

Bild von Alexa auf Pixabay

Und als dritte Entscheidung der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 17.10.2024 – 12 Qs 33/24 – , der zu den Grenzen der Wirksamkeit des Einverständnisses mit der formlosen Einziehung im laufenden Ermittlungsverfahren Stellung nimmt.

In dem Fall hatte die Polizei nach einer Überprüfung des Beschuldigten aufgrund telefonisch eingeholter staatsanwaltschaftlicher Anordnung beim Beschuldigten vorgefundenes Bargeld in Höhe von insgesamt 142.295 EUR und dessen Mobiltelefone sicher gestellt. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth leitete dann gegen den Beschuldigten alsbald ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche ein.

Das AG hat die Beschlagnahme des Bargeldes gem. §§ 111b, 111j Abs. 1 Satz 1 StPO angeordnet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, die Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist begründet.

1. Die Beschwerde ist zulässig erhoben. Allerdings verweist die Staatsanwaltschaft in ihrer Zuleitungsverfügung darauf, dass sich der Beschuldigte unwiderruflich mit der formlosen Einziehung des Bargeldes einverstanden erklärt habe. Wäre diese Erklärung wirksam, könnte sich der Beschuldigte mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht mit Erfolg gegen die Beschlagnahme beschweren. Das ist jedoch nicht der Fall.

Richtig ist, dass ein Beschuldigter bereits im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung wirksam erklären kann, mit der formlosen Einziehung eines bei ihm sichergestellten Gegenstandes einverstanden zu sein. Diese Erklärung beinhaltet jedoch nicht den unwiderruflichen Verzicht auf Herausgabeansprüche (so noch BayObLG, Beschluss vom 08.07.1996 – 4 St RR 76/96, juris Rn. 8 ff.), sondern stellt lediglich eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung des Angeklagten – einen Antrag – an den Justizfiskus dar, diesem das Eigentum an dem sichergestellten Gegenstand zu übertragen, der vom Staat erst angenommen werden muss (BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – 5 StR 198/18, juris Rn. 15 ff.).

a) Hier ist schon kein wirksamer Antrag abgegeben worden. Es liegt ein vom Beschuldigten unterschriebenes Sicherstellungsprotokoll vor, das mehrere, von der Polizeibeamtin … am Computer vorgenommene Einträge und Ankreuzungen enthält. Der mit „Einverständnis des Betroffenen mit“ überschriebene Block besteht aus fünf Zeilen, in denen einzelne Maßnahmen aufgeführt sind und die jeweils mit anzukreuzenden Kästchen mit „ja“ und „nein“ abschließen. Bei der Maßnahme „Sicherstellung“ ist ein „nein“, bei der Maßnahme „unwiderrufliches Einverständnis des Betroffenen mit der formlosen Einziehung“ ist ein „ja“ angekreuzt. Diese beiden Ankreuzungen sind in sich widersprüchlich, weil danach der Beschuldigte einerseits zum Ausdruck gebracht haben soll, dagegen zu sein, dass die Polizei das Geld vorläufig an sich nimmt (Sicherstellung nein), andererseits aber dafür zu sein, das Eigentum an dem Geld aufzugeben (Einziehung ja). In sich widersprüchliche, perplexe Erklärungen sind nichtig (vgl. nur HK-BGB/Schulze, 12. Aufl., § 133 Rn. 14; Jauernig/Mansel, BGB, 19. Aufl., § 133 Rn. 2).

Hielte man diesen Widerspruch im Wege der Auslegung gleichwohl für auflösbar, bliebe das Ergebnis gleich. Denn dann spräche alles dafür, die Bejahung der Einziehung als ein Versehen und damit nicht maßgeblich zu werten. In den weiteren polizeilichen Vermerken findet sich nämlich kein Widerhall eines Einziehungseinverständnisses und ein solcher wäre auch völlig lebensfremd. Nach Lage der Dinge und nach den zur Herkunft des Geldes vorgebrachten Erklärungen gäbe es für den Beschuldigten keinen nachvollziehbaren Grund, unmittelbar nach seiner Kontrolle einfach so auf 142.295 € zu verzichten. Beurteilte man, dies nur am Rande bemerkt, das polizeiliche Formular rein nach zivilrechtlichen Maßstäben, hielte die dortige Einziehungsregelung § 305c Abs. 1 BGB kaum stand.

Auf die vom Verteidiger namens des Beschuldigten erklärte Anfechtung seiner Willenserklärung (§§ 119, 123, 142 Abs. 1, § 143 BGB) kommt es aus Sicht der Kammer nach allem nicht mehr an.

b) Es fehlt auch eine Annahme vonseiten der Staatsanwaltschaft. In der Hauptverhandlung, in der sich der Angeklagte mit der formlosen Einziehung einverstanden erklärt, kann der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft eine korrespondierende Willenserklärung mit Wirkung für den Fiskus auch konkludent abgeben (BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – 5 StR 198/18, juris Rn. 23 ff.). Die dort geltenden Maßstäbe sind auf den hiesigen Fall aber nicht übertragbar. Eine Hauptverhandlung findet statt, nachdem das Ermittlungsverfahren durchgeführt, auf dessen Grundlage eine Anklage erhoben und vom Gericht zugelassen wurde. Dann ist nach übereinstimmender Auffassung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts eine tatsachenbasierte, überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit gegeben, die es rechtfertigt, mit dem Einverständnis des Angeklagten einen in dessen Eigentum stehenden (Vermögens)Gegenstand endgültig in die staatliche Sphäre zu überführen. Anders hier: Das Ermittlungsverfahren befindet sich an seinem Anfang, die Verdachtslage ist derzeit eher dünn und der Angeklagte ist mit der Weggabe der erheblichen Geldsumme nicht einverstanden. Hinzu kommt, dass es nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Staatsanwaltschaft gehört, losgelöst von den Ergebnissen ihrer Ermittlungen, Einnahmen zu generieren. Es wäre rechtsstaatlich mehr als befremdlich, würde man der Staatsanwaltschaft unterstellen – und ihr Verhalten entsprechend auslegen –, sie wolle, gleichgültig wie der Fall liegt, den Fiskus einfach nur auf Kosten derer bereichern, derer sie habhaft wird.

Dies vorweg geschickt ist festzustellen, dass eine ausdrückliche Annahmeerklärung der Staatsanwaltschaft der Akte nicht zu entnehmen ist. Der Hinweis in der Beschwerdevorlage ist im Lichte der vorstehenden Ausführungen nicht als Annahme auszulegen, auch deshalb nicht, weil er nicht gegenüber dem Beschuldigten oder dessen Verteidiger abgegeben wurde (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Insgesamt dürfte im Stadium des noch laufenden Ermittlungsverfahrens für die Bejahung einer konkludenten Annahmeerklärung der Staatsanwaltschaft, wenn überhaupt, nur in besonderen Konstellationen ein Anwendungsfall zu finden sein – bei Bargeld in erheblicher Höhe jedenfalls nicht.

2. In der Sache hat die Beschwerde Erfolg, die Beschlagnahme war aufzuheben.

Die Beschlagnahme gem. § 111b StPO darf angeordnet werden, um Gegenstände für eine etwaige spätere Einziehung zu sichern. Es handelt sich dabei um eine vorläufige Maßnahme im Ermittlungsverfahren, weshalb deren Anordnungsvoraussetzungen deutlich geringer sind als diejenigen im späteren gerichtlichen Einziehungsverfahren. Es reicht der Anfangsverdacht einer Straftat sowie eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass eine Einziehung des zu beschlagnahmenden Gegenstandes erfolgen wird (BGH, Beschluss vom 12.07.2007 – StB 5/07, juris Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 111b Rn. 5, 6). An letzterem fehlt es.

a) Es besteht zwar der auf Tatsachen gestützte Anfangsverdacht einer Straftat (§ 152 Abs. 2 StPO).

aa) Nach gegebenem Ermittlungsstand liegt ein von den Ermittlungsbehörden noch vertretbar bejahter (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 27.05.2022 – 12 Qs 24/22, juris Rn. 20) Anfangsverdacht dahingehend vor, dass der Beschuldigte Geldgeschäfte in Form des sog. Hawala-Bankings betreibt und hierzu Bargeld von Kunden entgegennimmt und an sie auszahlt, was gem. § 63 Abs. 1 Nr. 4 ZAG strafbar wäre, weil der Beschuldigte offensichtlich über keine Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG und keine Registrierung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 ZAG verfügt.

bb) Der Anfangsverdacht für die im angegriffenen Beschluss genannte Geldwäsche gem. § 261 StGB ist demgegenüber nicht begründet. Dafür, dass die möglicherweise vom Beschuldigten im Rahmen des Hawala-Banking eingesammelten Gelder ihrerseits aus rechtswidrigen Taten stammen, fehlen Anhaltspunkte. Die schlichte Behauptung leichtfertiger Geldwäsche (§ 261 Abs. 6 StGB) ohne eine tatsächliche Stütze hierfür wäre nicht tragfähig, weil das Hawala-Banking auch, und wohl überwiegend, legalen Zwecken dienen kann (vgl. Eggers/van Cleve, NZWiSt 2020, 426, 427). Rechtlich stünde, nimmt man den ZAG-Verstoß als hier mögliche Straftat an, zudem § 261 Abs. 7 StGB einer Strafbarkeit wegen Geldwäsche nach Lage des Falls entgegen.

b) Auf dieser Grundlage besteht allerdings keine ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass eine Einziehung des beschlagnahmten Geldes erfolgen kann.

aa) Sofern eine Strafbarkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 ZAG inmitten steht, sind die beim Beschuldigten sichergestellten mutmaßlichen Kundengelder des Hawala-Bankings als Tatobjekte i.S.d. § 74 Abs. 2 StGB zu werten (BGH, Beschluss vom 28.06.2022 – 3 StR 403/20, juris Rn. 38). Bei diesen kommt die Einziehung nur dann in Betracht, wenn eine in § 74 Abs. 2 StGB genannte sondergesetzliche Ermächtigung besteht, was im Fall des ZAG-Verstoßes gerade nicht der Fall ist (vgl. BGH, aaO, Rn. 40).

Für eine tatsächliche Differenzierung dahingehend, dass es sich bei einem Teil des beschlagnahmten Geldes um Provisionen für den Beschuldigten handeln könnte, die nach §§ 73, 73c StGB als Taterträge eingezogen werden könnten (vgl. BGH, aaO, Rn. 34), fehlt es an Indizien.

bb) Eine Einziehung des Geldes als Beziehungsgegenstand (§ 261 Abs. 10 StGB) oder nach den §§ 73 ff., §§ 74 ff. StGB scheidet aus, sofern man die Geldwäsche als hier mögliche Straftat ansähe. Denn für die fehlt es derzeit an einem greifbaren Anfangsverdacht.

cc) Aus diesem Grund ist auch nicht damit zu rechnen, dass eine erweiterte selbständige Einziehung (§ 76a Abs. 4 StGB) in Betracht kommen könnte. Nach dieser Norm kann Vermögen von letztlich unklarer Herkunft unabhängig vom Nachweis einer konkreten rechtswidrigen Tat und von einem subjektiven Verfahren eingezogen werden (vgl. Fischer, 71. Aufl., StGB, § 76a Rn. 9). Allerdings setzt die Vorschrift zumindest den Verdacht einer Katalogtat nach § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB voraus. Zu diesen zählt zwar die Geldwäsche (§ 76a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchstabe f StGB), nicht jedoch die Straftat nach dem ZAG.“

StPO I: Unterjährige Änderung der Gerichtsbesetzung, oder: Wirksamkeitsvoraussetzungen

Bild von Janos Perian auf Pixabay

Und ab heute läuft es hier wieder normal. Urlaub ist vorbei.

Ich mache dann noch einmal einen StPO-Tag. den starte ich mit derm BayObLG, Beschl. v. 14.10.2024 – 206 StRR 320/24 – zur Wirksamkeit der unterjährigen Änderung eines Geschäftsverteilungsplanes. In der Revision hatte der Angeklagte die Unwirksamkeit der Änderung geltend gemacht. Mit Erfolg. Das BayObLG sieht mit „einigen Bauschschmerzen“ die Verfahrensrüge als zulässig erhoben an – bitte selbst lesen und die richtigen Schlüsse daraus ziegen – und führt dann zu Begründetheit aus:

„4. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Die Übertragung des den Angeklagten betreffenden Verfahrens auf die 7. Strafkammer ist nicht gesetzmäßig erfolgt. Das erkennende Gericht war nicht zur Verhandlung und Entscheidung im vorliegenden Verfahren berufen. Es liegt der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung vor, § 338 Nr. 1 StPO.

a) Der Senat geht von folgendem Prozessgeschehen aus:

Bei Vorlage der Berufungen gegen das Urteil des Amtsgerichts Freising vom 4. April 2023 an das Landgericht Landshut als Berufungsgericht mit Eingang am 8. August 2023 (Rev.Begr. S. 42, Bl. 1121 d.A.) war die 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut gemäß dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Geschäftsverteilungsplan für die Sache zuständig. Mit Datum vom 17. Oktober 2023 wurde seitens des Präsidiums der 15. Nachtrag zur richterlichen Geschäftsverteilung bei dem Landgericht Landshut für das Geschäftsjahr 2023 beschlossen, der unter Ziff. „I. Feststellung“ folgende Formulierung enthält:

„1. Die dritte Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) ist wegen mehrerer Anklagen der Europäischen Staatsanwaltschaft überlastet (vgl. Belastungsanzeige vom 10.03.2023). Es wird eine weitere Wirtschaftsstrafkammer (7. Strafkammer) eingerichtet.
2. Staatsanwältin als Gruppenleiterin Z. ist mit Wirkung vom 01.11.2023 zur Vorsitzenden Richterin am Landgericht ernannt worden. […]
(Beschluss S. 1; Rev.Begr. S. 78).

Unter II. Nr. 1 heißt es:
„Vorsitzende Richterin am Landgericht Z. wird Vorsitzende der 7. Strafkammer.“ (Beschluss S. 2, Rev.Begr. S.79).

II. Nr. 17 enthält folgende Regelung:

„Alle anhängigen Berufungsverfahren der 6. Strafkammer, die am 01.11.2023 noch anhängig sind und bei denen in der 6. Strafkammer noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist, werden der 7. Strafkammer übertragen.“ (Beschluss S. 10, Rev.Begr. S. 87)

Das gegenständliche Berufungsverfahren wurde entsprechend dieser Regelung auf die 7. Strafkammer übergeleitet und von dieser weitergeführt. Das angefochtene Berufungsurteil wurde von der 7. Strafkammer erlassen.

b) Die Revision rügt zu Recht, dass der Präsidiumsbeschluss vom 17. Oktober 2023 jedenfalls in Ansehung der Übertragung der gegenständlichen Berufungssache auf die 7. Strafkammer den Anforderungen des § 21e Abs. 1, Abs. 3 GVG an eine unterjährige Änderung von Geschäftsaufgaben nicht standhält.

aa) Gemäß § 21e Abs. 1 GVG ist die Verteilung der richterlichen Geschäfte vor dem Beginn eines Geschäftsjahres für dessen Dauer zu bestimmen. Änderungen während des laufenden Geschäftsjahres haben dem Maßstab des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG zu entsprechen. Dies ist der Fall, wenn sie aus den im Gesetz genannten Gründen, beispielsweise wegen der Überlastung eines Spruchkörpers, nötig werden.

(1) § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG muss im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2GG eng ausgelegt und entsprechend angewendet werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1976, 5 StR 314/76, NJW 1976, 2029; s. auch Beschluss vom 21. April 2022, StB 13/22, BeckRS 2022,12653 Rn. 14 m.w.N.), denn eine Änderung im laufenden Geschäftsjahr birgt stets Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters in sich.

Dies gilt in besonderem Maße für die Überleitung bereits anhängiger Verfahren, bei denen schon eine anderweitige Zuständigkeit begründet war. Deshalb ist es in solchen Fällen geboten, die Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, umfassend und nachvollziehbar zu dokumentieren und den Verfahrensbeteiligten – jedenfalls auf Verlangen – zur Kenntnis zu bringen, um den Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung auszuschließen (BGH BeckRS 2022, 12653 Rn. 14; Urteil vom 9. April 2009, 3 StR 376/08, NJW 2010, 625 Rn. 11; Beschluss vom 22. März 2016, 3 StR 516/15, NStZ 2016, 562; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005, 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690). Der Änderungsgrund muss im Beschluss des Präsidiums oder einem Protokoll der entsprechenden Präsidiumssitzung festgehalten werden, damit überprüfbar ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die nur ausnahmsweise zulässige Änderung der Geschäftsverteilung vorlagen (BGH NStZ 2016, 562).

(2) Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Präsidiums vom 17. Oktober 2023 bereits deshalb nicht, weil die erforderliche Dokumentation derjenigen Gründe fehlt, die das Präsidium zur Änderung der Geschäftsverteilung im hier maßgeblichen Punkt veranlasst haben. Es kann deshalb nicht beurteilt werden, ob die Überleitung des den Angeklagten betreffenden anhängigen Berufungsverfahrens von der 6. auf die 7. Strafkammer rechtmäßig war.

(i) Das Präsidium hat im Änderungsbeschluss (lediglich) festgestellt, Anlass für die Änderung der Geschäftsverteilung sei die Überlastung der 3. Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer; es werde eine weitere Wirtschaftsstrafkammer (7. Strafkammer) eingerichtet (Beschluss unter „I.“ Rev.Begr. S. 78). Dem lag eine Überlastungsanzeige der 3. Strafkammer (bereits vom 10. März 2023) zugrunde (Bezugnahme im Beschluss a.a.O.; Anzeige der Vorsitzenden der 3. Strafkammer vom 10. März 2023, Rev.Begr. S. 98 f.). Von einer Überlastung der 6. Strafkammer ist das Präsidium ersichtlich nicht ausgegangen. Weder im Beschluss noch in einer sonst dokumentierten Stellungnahme – die auch nachträglich zum Zweck der Heilung noch möglich gewesen wäre (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. 2023, § 21e GVG Rn. 15; BGH Beschluss vom 25. März 2021, 3 StR 10/20, BeckRS 2021, 13180 Rn. 39) – findet sich ein diesbezüglicher Hinweis. Aus der Verfügung des Vorsitzenden der 6. Strafkammer vom 16. August 2023 zu den gegenständlichen Verfahrensakten, die dahin lautet, eine „derzeitige“ Terminierung sei wegen der Belastung der Kammer nicht möglich, sie werde „nach Bewältigung der aktuellen Auslastung“ erfolgen (Rev.Begr. S. 45; Bl. 1124 d.A.), ergibt sich nichts anderes. Ausweislich der Verfügung ist diese lediglich den Verfahrensbeteiligten, nicht aber dem Präsidium des Landgerichts zugeleitet worden, die demzufolge eine Überlastung der 6. Strafkammer auch nicht dokumentiert hat. Im Übrigen ergibt sich aus der Verfügung auch inhaltlich keine dauerhafte Überlastung der 6. Strafkammer im Sinne des § 21e Abs. 3 GVG, allenfalls eine „derzeitige“ Auslastung mit anderen Verfahren; eine Terminierung nach deren Bewältigung wurde in Aussicht gestellt.

(ii) Der Generalstaatsanwaltschaft ist einzuräumen, dass als weiterer Änderungsgrund gemäß § 21e Abs. 3 GVG in Betracht kommt, dass die Neubildung eines Spruchkörpers (7. Strafkammer) eine Neuverteilung von Geschäftsaufgaben erforderlich gemacht haben kann (vgl. dazu KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, § 338 Rn. 30). Gleichwohl ist auch insoweit lediglich dokumentiert, dass infolge des außergewöhnlichen Geschäftsanfalls in der 3. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) der neu geschaffenen Kammer neben neu eingehenden Verfahren auch ein Teil der dort bereits anhängigen Wirtschaftsstrafsachen übertragen wird. Die Zuweisung auch anderer Verfahren, hier von bereits anhängigen Berufungsverfahren in allgemeinen Strafsachen, entbehrt einer Begründung. Dieser Mangel betrifft auch die Frage, aus welchen Gründen insoweit eine Umverteilung zum 1. November 2023 noch im laufenden Geschäftsjahr nötig war.

(3) Das Revisionsgericht hat die aufgezeigten Mängel bei seiner rechtlichen Prüfung zu berücksichtigen. Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung des Präsidiums nach § 21 e Abs. 3 GVG nicht lediglich einer Vertretbarkeits – oder Willkürkontrolle, sondern ist einer vollständigen revisionsgerichtlichen Überprüfung unterworfen (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013, 2 StR 116/13, NStZ 2014, 226 Rn. 17; Urteil vom 7. April 2021, 1 StR 10/20, NStZ 2023, 122 Rn. 17, je m.w.N; für den verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab ebenso BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005, 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690).

Ob, wie es die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Vorlageschreiben vertritt (S. 6), abweichend hiervon eine Prüfung lediglich auf objektive Willkür vorzunehmen ist, wenn das Präsidium die Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG fehlerhaft beurteilt hat (angedeutet, aber letztlich offengelassen von BGH, Beschluss vom 21. April 2022, StB 13/22, BeckRS 2022, 12653 Rn. 25 und BGH, Beschluss vom 25. März 2021, 3 StR 10/20, BeckRS 2021, 13180 Rn. 44 ff.), bedarf keiner Entscheidung.

Die Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entlastung der 3. Strafkammer tatsächlich vorlagen, und nach welchem Maßstab dies zu überprüfen wäre, spielt für die hier maßgebliche Frage keine Rolle. Entscheidend ist, dass sich für die Regelung betreffend die 6. Strafkammer gar keine Begründung findet. Dem Senat ist es daher, unabhängig vom anwendbaren Prüfungsmaßstab, überhaupt nicht möglich nachzuvollziehen, aus welchen Gründen die Übertragung der bereits anhängigen Berufungssache erfolgt ist und nicht erst, ob das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG zutreffend bewertet wurde.

c) Zudem bestehen durchgreifende Rechtsbedenken gegen die Bestimmtheit der Geschäftsverteilung, soweit sie den Übergang von in der 6. Strafkammer bereits anhängiger Berufungsverfahren davon abhängig gemacht hat, dass diese „am 01.11.2023 noch anhängig sind und bei denen in der 6. Strafkammer noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist“ (II. Nr. 17 des Beschlusses, Rev.Begr. S. 87).

aa) Sämtliche Regelungen eines Geschäftsverteilungsplanes, der die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper ergänzt, müssen die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen. Sie müssen also im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache „blindlings“ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegte Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016, 2 BvR 2023/16, BeckRS 2016,111809 Rn. 25; BGH BeckRS 2022, 12653 Rn. 11). Es muss im Vorhinein so genau wie möglich feststehen, welcher Richter für welches Verfahren im Einzelfall berufen ist (Münchener Kommentar zur StPO/Schuster, § 21e GVG Rn. 29 m.w.N.). Soweit bereits anhängige Verfahren von einer Neuverteilung bestehender Zuständigkeiten erfasst werden, sind diese Voraussetzungen nur dann erfüllt, wenn die Neuverteilung durch den Geschäftsverteilungsplans selbst erfolgt, nicht aber, wenn sie im Einzelfall sowohl die Neuverteilung als auch die Beibehaltung bestehender Zuständigkeiten ermöglichen und dabei die konkreten Zuständigkeiten von Beschlüssen einzelner Spruchkörper abhängig machen (BVerfG a.a.O. Rn. 26).

bb) Diesem Maßstab wird die gegenständliche Regelung nicht gerecht.

(1) Nach dem Inhalt der am 17. Oktober 2023 vom Präsidium beschlossenen Klausel sollte der Übergang bereits anhängiger Berufungsverfahren von zwei Voraussetzungen abhängig sein, die, so jedenfalls der Wortlaut, am 1. November 2023 noch vorliegen sollten: die Sache sollte noch anhängig und noch nicht (für die Zukunft) terminiert sein. Jedenfalls hinsichtlich der zweiten Voraussetzung lag es demnach in der Hand des Vorsitzenden der 6. Strafkammer, im verbleibenden Zeitraum zwischen dem 17. und dem 31. Oktober 2023 die Voraussetzungen für den Übergang des Verfahrens eintreten zu lassen oder zu verhindern, je nachdem, ob er die Sache noch terminieren oder dieses unterlassen würde. Damit handelt es sich um eine Bestimmung, die die Begründung einer konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Zuständigkeit in unzulässiger Weise in die Entscheidungsgewalt eines Spruchkörpers gelegt hat, der gerade Adressat der generell-abstrakten Zuständigkeit sein sollte (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 31 für eine Regelung, die den Übergang von Verfahren an die Frage knüpft, ob bis zum Stichtag das Hauptverfahren noch eröffnet wird).

(2) Die Generalstaatsanwaltschaft weist zwar in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf hin, dass Regelungen in einem Geschäftsverteilungsplan ebenso wie abstrakt-generelle Gesetze der Auslegung, auch im Lichte des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, zugänglich sind (Vorlageschreiben S. 7). Der Senat sieht jedoch keinen Spielraum für eine Interpretation dahingehend, dass es für die Frage, ob das Verfahren schon terminiert sei, auf den Tag des Präsidiumsbeschlusses ankommen solle, und deshalb kein Spielraum für eine Manipulation bis zum Stichtag 1. November 2023 gegeben sei. Die Bestimmung im Präsidiumsbeschluss stellt das Datum „01.11.2023“ den erst danach genannten beiden Voraussetzungen für einen Übergang der Sache voran, was dafür spricht, dass auch beide auf diesen Termin in der Zukunft bezogen sind. Auch aus der verwendeten Zeitform lassen sich keine abweichenden Schlüsse ziehen. Beide Voraussetzungen sind, nach Nennung des künftigen Stichtags, im Präsens formuliert („noch anhängig sind“; „noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist“); für eine differenzierende Auslegung dahin, dass sich diese Klauseln auf unterschiedliche Daten beziehen könnten, sieht der Senat keinen ausreichenden Anhalt. Lediglich ergänzend sei bemerkt, dass auch der Vorsitzende der 6. Strafkammer selbst die Regelung dahin ausgelegt hat, dass er den Übergang der Sache durch eigene Terminierung noch verhindern könne, denn unter dem 26. Oktober 2023 hat er verfügt, dass ihm eine „Terminierung dieses Verfahrens […] vor dem 01.11.2023 nicht mehr möglich“ sei (Rev.Begr. S. 46; Bl. 1125 d.A.).

d) Wegen der aufgezeigten Verstöße gegen § 21e Abs. 3 GVG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt sich die Überleitung des gegenständlichen Verfahrens von der ursprünglich zuständigen 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut auf die 7. Strafkammer als unzulässig dar. Das erkennende Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 1 StPO vor.“

StPO II: Mal wieder Klageerzwingungsantrag unzulässig, oder: Die Zulässigkeitshürden liegen hoch

Und dann als zweite Entscheidung der OLG Brandenburg. Beschl. v. 08.08.2024 – 2 Ws 88/24 – zu den Anforderungen eines sog. Klageerzwingungsantrages (§ 172 StPO). Auch immer wieder eine „beliebte“ Thematik.

Das OLG hat den Antrag als unzulässig angesehen:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, weil er nicht der gesetzlichen Formvorschrift des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO genügt.

Danach ist ein Antrag gemäß § 172 Abs. 2 StPO ist nur dann zulässig gestellt, wenn in ihm die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage bzw. die Anordnung der Aufnahme von Ermittlungen begründen sollen, und die Beweismittel angegeben werden (§ 172 Abs. 3 Satz 1 StPO). Nach der ständigen Rechtsprechung auch des Senats bedeutet dieses Formerfordernis, dass ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht nur eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des zugrunde liegenden Sachverhaltes enthalten muss, sondern die Sachdarstellung auch in groben Zügen den Gang der Ermittlungen, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe deren behaupteter Unrichtigkeit wiederzugeben hat. Dadurch soll der jeweils erkennende Senat in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vornehmen zu können (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl. § 172 Rn. 27a/27b m.w.N.). Eine Bezugnahme auf beigefügte Schriftstücke bedeutet eine Umgehung der Formvorschrift des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, wenn erst durch die Kenntnisnahme vom Inhalt der Anlagen die erforderliche geschlossene Sachdarstellung erreicht wird (OLG Düsseldorf StV 1983, 498; KG NStE StPO § 172 Nr. 28).

Ferner muss dem Antrag nach Maßgabe des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO zu entnehmen sein, dass die Fristen gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO und § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO eingehalten worden sind (BVerfG, NJW 1988, 1773). Das Oberlandesgericht ist zu einer Sachentscheidung nur berechtigt, wenn auch die zweiwöchige Frist der Beschwerde gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft eingehalten wurde (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. Januar 2019, 4 Ws 223/18, BeckRS 2019, 782, Rn. 3 m. w. N.; Senat, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 2 Ws 97/22 [S]; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 67. Aufl. § 173 Rn. 27b m. w. N.). Da das Antragsvorbringen das Gericht in die Lage versetzen soll, ohne Rückgriff auf die Akten oder Anlagen eine Schlüssigkeitsprüfung der Erfolgsaussicht des Begehrens in formeller und materieller Hinsicht vorzunehmen, ist auch die Zulässigkeit der Vorschaltbeschwerde vollständig darzulegen.

Den danach geltenden Anforderungen wird die Antragsbegründung nicht gerecht.

Ob eine Frist gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO in Lauf gesetzt worden und eine solche gewahrt worden ist, lässt sich der Antragsschrift nicht hinreichend konkret entnehmen, denn darin werden lediglich die Daten eines Bescheids der Staatsanwaltschaft (22. Januar 2024) sowie der Einlegung einer Beschwerde (10. Februar 2024) mitgeteilt (S. 4). Ob die Beschwerde innerhalb einer laufenden Frist rechtzeitig angebracht wurde, ergibt sich daraus nicht.

Darüber hinaus ist der Antrag jedenfalls deshalb unzulässig, wie er den Inhalt der (Vor)Ermittlungen und die Gründe für die Ablehnung eines Tatverdachtes nur oberflächlich schildert und der Senat auf Grundlage dieses nur lückenhaften Vorbringens ohne Rückgriff auf den Akteninhalt oder Anlagen zum Schriftsatz nicht hinreichend zu überprüfen vermag, ob ein Tatverdacht zu Unrecht verneint worden ist. Insbesondere werden die Aussage der als Zeugen vernommenen Polizisten („Name 01“) und („Name 02“), die Auswertung des Funkverkehrs, der Bericht über waffen- und munitionstechnische Untersuchungen vom 12. April 2023, sowie der Inhalt des Bescheids der Staatsanwaltschaft vom 22. Januar 2024 zum Vorliegen einer Notwehrlage nur unzureichend – und nicht wie geboten dem wesentlichen Inhalt nach – dargetan. Zur gebotenen Darstellung des Verfahrensganges und der angefochtenen Entscheidungen genügt es nicht, nur auf einzelne Erkenntnisse aus Zeugenbefragungen und Würdigungen der Ermittlungsbehörden einzugehen, etwa diejenigen, die das Antragsbegehren stützen. Vielmehr ist das gesamte für die objektive und subjektive Tatseite bedeutsame Ermittlungsergebnis einschließlich der Tatsachen, die dem Antragsbegehren den Boden entziehen könnten, mitzuteilen (OLG Koblenz NStZ-RR 2007, 317). Daran fehlt es.“

Nichts Neues. Und auch nicht neu ist <<Werbemodus an>, dass die mit dem Klageerzwingungsverfahren zusammenhängenden Fragen eingehend von mir sowohl in Burhoff (Hrsg. Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 3. Aufl., 2024, als auch in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl., 2025, behandelt sind. Die Bücher sind natürlich neu 🙂 und man kann sie hier bestellen. Und das erklärt auch das Bild zu dem Posting 🙂 . Wenn man die (abgebildete) Trilogie bestellt, spart man übrigens recht ordentlich .<<Werbemodus aus>>.