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Ein aufwirbelnder Stein im Baustellenbereich, oder: Unabwendbares Ereignis?

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Wer kennt es nicht? Man fährt mit seinem Pkw, der wird von einem vor einem fahrenden Kfz aufgewirbelten Stein/Gegenstand getroffen. Ein Verkehrsvorgang, der im Bereich von Straßenbaustellen häufig anzutreffen ist. Mit der sich daraus ergebenden haftungsrechtlichen Problematik setzt sich das LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 30.03.2017 – 2 S 2191/16 -, auseinander. Die Klägerin fuhr mit ihrem Pkw in einem Baustellenbereich hinter dem Lkw der Beklagten. Obwohl in dem befahrenen Bereich der Baustelle nicht mit auf der Fahrbahn liegenden Steinen zu rechnen war, da dort keine Arbeiten durchgeführt wurden –  der Schadensfall ereignete sich neben den eigentlichen Fahrspuren, wo Arbeiten neben der Fahrbahn nicht durchgeführt wurden bzw. werden konnten – wurde durch den Lkw ein auf der Straße liegender Stein aufgewirbelt und hat den Pkw der Klägerin getroffen und beschädigt.

Das AG hatte der Klage stattgegeben. Das LG weist sie ab. Es geht (hier) von einem unabwendbaren Ereignis und damit von der Anwendung des § 17 Abs. 3 StVG aus:

„4. Nicht beantwortet hat das AG aber die Frage, ob die Haftung der Beklagten nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen ist, weil der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Das ist hier der Fall.

a) Als unabwendbar gilt ein Ereignis dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1, 2 StVG liegt nicht nur bei absoluter Unvermeidbarkeit des Unfalls vor, sondern auch dann, wenn dieser bei Anwendung der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus, so dass der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, sich wie ein “Idealfahrer” verhalten haben muss (BGH NJW 1998, 2222). Damit verlangt § 17 Abs. 3 S. 1, 2 StVG, dass der “Idealfahrer” in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (BGH VersR 2006, 369). Für die Unabwendbarkeit im Rahmen des § 17 Abs. 3 StVG ist derjenige beweisbelastet, der sich auf sie beruft (OLG München, Urt. v. 12.08.2011 – 10 U 3150/10 -, juris mwN), hier also die Beklagten.

Ein solch unabwendbares Ereignis kann vorliegen, wenn ein auf der Straße liegender Stein von den Rädern eines LKW aufgewirbelt und auf ein nachfolgendes Fahrzeug geschleudert wird (z.B. LG Heidelberg NZV 2012, 299; AG Buchen r+s 2016, 362 m.w.N.; vgl. auch BGH VersR 1974, 1030). Bei der dahingehenden Würdigung des maßgeblichen Schadensablaufs ist aber auch zu berücksichtigen, dass in einem Baustellenbereich, in dem mit dem Vorhandensein lose herumliegender Steine zu rechnen ist, ein Kraftfahrer einer durch seine Fahrweise bedingten möglichen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durch wesentliche Herabsetzung der Geschwindigkeit Rechnung tragen muss. Anders hingegen mag es sich verhalten, wenn eine Gefährdung Dritter durch einen hochgeschleuderten Stein nicht voraussehbar war. Das könnte dann zu bejahen sein, wenn ein Kraftfahrer auf einer gut ausgebauten, mit Asphalt versehenen Straße fährt, zumal wenn diese als Fernverkehrsstraße dient, auf der hohe Geschwindigkeiten eingehalten zu werden pflegen und eingehalten werden dürfen, und wenn kein Anhaltspunkt für das Herumliegen loser Steine besteht (BGH VersR 1974, 1030).

b) Für den Streitfall ist zunächst davon auszugehen, dass sich nach den Feststellungen des AG (Gründe unter I.2.) der Unfall in einem Baustellenbereich ereignete. Bei diesen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts handelt es sich ungeachtet dessen, dass sie sich in den Entscheidungsgründen befinden, um Tatbestandsangaben, deren Unrichtigkeit grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO geltend gemacht werden kann, das im Streitfall jedoch nicht durchgeführt worden ist (vgl. BGH NJW 2001, 448). Daran ändert auch nichts, dass schriftsätzlich durch keine der beiden Parteien vorgetragen worden war, dass sich der Unfall in einem Baustellenbereich ereignet habe. Nach alledem geht das diesbezügliche Bestreiten der Beklagten im Schriftsatz vom 04.01.2017 ins Leere.

Da die Darlegungs- und Beweislast für die Unabwendbarkeit des Schadenseintritts bei den Beklagten liegt, wären diese im Weiteren gehalten gewesen vorzutragen, dass gleichwohl keine Anhaltspunkte für das Herumliegen loser Steine bestanden (vgl. BGH VersR 1974, 1030). Indes haben die Beklagten in erster Instanz tatsächlich vorgetragen, dass “der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs nicht erkennen konnte, dass ein Stein auf der Fahrbahn lag” (Klageerwiderung S. 2 u.). Dem ist die Klägerin im Weiteren nicht entgegengetreten, so dass diese Tatsache als unstreitig zu würdigen ist (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Dies bedeutet, dass davon auszugehen ist, dass sich der Unfall zwar in einem Baustellenbereich ereignete, es dort aber gleichwohl keine Anhaltspunkte für Steine auf der Fahrbahn gab. Diese beiden Feststellungen stehen nicht im Widerspruch zueinander. Zum einen sind die Bauarbeiten im fraglichen Bereich neben den noch zum Verkehr freigegebenen Spuren durchgeführt worden – das ist eine allgemeinkundige Tatsache i.S.d. § 291 ZPO (vgl. BGH NJW 2007, 3211) – so dass nicht zwingend mit einer Verschmutzung der Fahrbahn zu rechnen war. Zum anderen ereignete sich der Schadensfall nach Angaben der Klägerin und der Zeugin B im einspurigen Brückenbereich neben den eigentlichen Fahrspuren, wo Arbeiten neben der Fahrbahn nicht durchgeführt wurden bzw. werden konnten.

Damit war also in dem streitgegenständlichen Baustellenbereich nicht mit dem Vorhandensein lose herumliegender Steine zu rechnen und eine Gefährdung Dritter durch einen hochgeschleuderten Stein nicht voraussehbar. Dann aber können sich die Beklagten zu Recht auf einen Haftungsausschluss nach § 17 Abs. 3 StVG wegen eines unabwendbaren Ereignisses berufen. Die Klage war deshalb abzuweisen.“

U-Bahnhaltestelle: 2 x/Grobreinigung und 1x/Woche Nassreinigung reicht….

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Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht eines Verkehrsbetriebes im Bereich einer U-Bahn-Haltestelle nimmt der LG Nürnberg, Beschl. v. 12.10.2015 – 16 S 4311/15 – Stellung. Es handelt sich um einen sog. Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO, der leider keinen konkreten Sachverhalt enthält. Es ist aber wohl davon auszugehen, dass der Kläger an einer U-Bahn-Haltestelle in Nürnberg gestürzt ist, sich verletzt hat und nun über einen Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht vom Verkehrsbetrieb Schadensersatz verlangt. Diese hat geltend gemacht, dass sie ein Reinigungsunternehmen beauftragt hatte, im Bereich der U-Bahn-Haltestelle zwei Tagesreinigungen und eine wöchentliche nächtliche Nassreinigung vorzunehmen. Dem LG Nürnberg genügt das:

Anerkannt ist, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Verkehrssicherungspflichten denjenigen treffen, der eine Gefahrenlage für den öffentlichen Verkehr schafft oder unterhält (vgl. nur Mergner/Matz, NJW 2014, 186 ff. mit zahlreichen Nachweisen). Die Verkehrssicherungspflicht erstreckt sich insbesondere auf den dem öffentlichen Verkehr zugänglichen Bereich von Flächen und Räumen, einschließlich des Zu- und Abgangsbereichs (Palandt-Sprau, BGB, 74. Aufl. 2015, § 823, 199 m.w.N.). Besteht Publikumsverkehr, gelten strenge Sicherheitsstandards (Palandt-Sprau, a.a.O.). Gesteigerte Anforderungen bestehen auch bei Bahnsteigen und Haltestellen (Palandt-Sprau, a.a.O., Rdnr. 226 a.E.).

Den genannten strengen Anforderungen wurde die Beklagte durch die Beauftragung eines Reinigungsunternehmens mit mindestens zwei Tagesreinigungen und einer wöchentlichen nächtlichen Nassreinigung auch gerecht. Im Unterschied zu der berufungsklägerseits zitierten Rechtsprechung des OLG Hamm (Az. 9 U 187/12; veröffentlich in NJW-RR 2013, 1242  handelt es sich vorliegend nicht um einen Unfall in einem Baumarkt oder einem Lebensmittelmarkt. Daher sind die vom OLG Hamm postulierten Prüfintervalle auf den streitgegenständlichen Sachverhalt nicht anwendbar. Im Gegensatz zu Verbrauchermärkten werden an U-Bahnhöfen keine Waren ein-, um- oder ausgepackt. Der Bereich der Haltestelle dient lediglich dem Ein- und Aussteigen von Fahrgästen. Dem Umstand, dass es gelegentlich zu Verschmutzungen des Bodens und damit zu einer erhöhten Rutschgefahr kommen kann, begegnet die Beklagte dadurch, dass sie täglich zweimal den Bahnhof durch eine Reinigungsfirma beaufsichtigen lässt. Servicekräfte können ferner auch telefonisch über konkrete Verschmutzungen informiert werden.“

Also: Schön aufgepasst. Und: Na ja, so sauber wie auf dem Bild ist es in U-Bahnen ja nun selten…

Auf den Hund gekommen… Verwertbarkeit von Mantrailereinsätzen

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Schon etwas älter ist das Urteil, auf das ich jetzt bei Jurion Strafrecht gestoßen bin, und zwar das LG Nürnberg, Urt. v. 13.12.2012, 13 KLs 372 Js 9454/12. Ein Hinweis/Posting ist es aber dennoch noch wert. Denn wann stößt man schon mal auf eine Entscheidung, die sich zu den Ergebnissen von Mantrailereinsätzen, also dem Einsatz von Spurensuchhunden, und deren Verwertbarkeit als Beweismittel verhält.Daher lesens- udn empfehlenswert für alle die, die mit solchen Beweismitteln zu tun haben.

Das LG Nürnberg kommt zu folgendem Leitsatz:

Ergebnisse von Mantrailereinsätzen (Einsatz von Spurensuchhunden) können als alleiniges Beweismittel für die Anwesenheit von Verdächtigen am Tatort jedenfalls nur bei Einhaltung folgender Voraussetzungen verwertbar sein:

  1. Nur Einsatz von Hunden, die die jeweils einschlägige PSH-Prüfungsstufe der Polizei absolviert haben.
  2. Die verwendete Geruchsspur muss eindeutig nachvollziehbar einer konkreten Person zuzuordnen sein. Als Spurenträger sollten daher nur Abstriche unmittelbar vom Körper der betreffenden Person verwendet werden. Zusätzlich muss die Gewinnung des Spurenträgers in einem Protokoll dokumentiert werden.
  3. Jeweils zwei Suchhunde müssen unabhängig voneinander und ohne Beteiligung des jeweils anderen Hundeführers dieselbe Spur suchen. Nur bei einem identischen Ergebnis ist die erforderliche Objektivierbarkeit gegeben.
  4. Jeder Einsatz ist vollständig zu filmen, um eine nachträgliche Nachvollziehung durch das Gericht und einen Sachverständigen zu ermöglichen.

Schöne Checkliste, die man abarbeiten kann.

Nachträgliche Pflichtverteidigerbeiordnung – LG Nürnberg gewährt eine Art Vertrauensschutz

In der Praxis gibt es immer wieder Ärger um eine nachträgliche Pflichtverteidigerbeiordnung. Die Obergerichte lehnen diese i.d.R. ab, wenn das Verfahren rechtskräftig beendet ist. Die Landgerichte sind da häufig großzügiger. So jetzt auch das LG Nürnberg in einem Fall, in dem das AG die Beiordnung vor der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO „übersehen“ hatte. Das LG führt in seinem Beschluss v. 19.01.2010 – 13 Qs 5/10 aus:

Wenn – wie im vorliegenden Fall – aus den Umständen der Ermittlung des Aufenthalts des Angeschuldigten und der Mitteilung, dass sich dieser in Strafhaft befindet und der Auskunft aus dem Bundeszentralregister dem Gericht bekannt ist, dass der Betroffene in absehbarer Zeit sich nicht auf freiem Fuß befinden wird und in dieser Situation das Gericht sich entscheidet, die Anklage zuzustellen und gar selbst noch darauf hinweist, dass ein Pflichtverteidiger zu bestellen sei, und damit kundtut, dass eine Sachbehandlung nach § 154 StPO gerade nicht erwogen wird, umgehend ein Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger gestellt wird und dieser — aus aus der Akte nicht nachvollziehbaren Gründen — nicht beachtet wird, kann der Antrag nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 II StPO — auf Anregung des Verteidigers hin — nicht abgelehnt werden mit der Begründung — aus ex- post-Sicht -, es hätte gar keine Hauptverhandlung stattfinden sollen.“

Natürlich eine ganze Reihe von Besonderheiten, aber eine Konstellation, die in der Praxis gar nicht so selten ist. Zu der Frage der nachträglichen Beiordnung. s. auch noch LG Halle.