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OWi II: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: „Geschwindigkeitstrichter“ übersehen?

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch aus Bayern, und zwar handelt es sich um den BayObLG, Beschl. v. 17.02.2025 – 201 ObOWi 26/25 -, den ich heute wegen der Ausführungen des BayObLG zum Vorsatz vorstelle. Wegen der anderen Frage komme ich auf die Entscheidung nochmals zurück.

Das AG hat den Betroffenen wegen „fahrlässiger“ Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 90 km/h verurteilt. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.  Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil im Tenor dahingehend zu berichtigen, dass der Betroffene der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schuldig ist und im Übrigen zu verwerfen.

Das BayObLG kommt dem Antrag nach:

„c) Soweit das Amtsgericht in seinen Gründen von vorsätzlichem Verhalten des Betroffenen ausgegangen ist, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Annahme eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes erfordert grundsätzlich, dass sich der Täter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auch bewusst ist. Dies gilt insbesondere für den auf einer Bundesautobahn begangenen Verstoß, weil dort für Pkw keine allgemeine Höchstgeschwindigkeit besteht (§ 3 Abs. 3 Nr. 2c, § 18 Abs. 5 StVO). Insoweit ist erforderlich, dass der Betroffene die Beschränkung der Geschwindigkeit durch Verkehrszeichen tatsächlich wahrgenommen hat (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.10.2012 – 2 SsBs 76/12 bei juris = ZfSch 2013, 471). Denn einen Erfahrungssatz, wonach gut sichtbare Verkehrszeichen immer gesehen werden, gibt es nicht (OLG Bamberg, Beschl. v. 26.04.2013 – 2 Ss OWi 349/12, bei juris = DAR 2014, 38).

Der Tatrichter muss die Möglichkeit, dass der Betroffene ein solches Verkehrszeichen übersehen hat, aber auch nur dann in Rechnung stellen und in den Urteilsgründen erörtern, wenn hierfür Anhaltspunkte vorliegen oder der Betroffene dies im Verfahren konkret einwendet (OLG Celle, Beschl. v. 28.10.2013 – 322 SsRs 280/13 bei juris = NZV 2014, 232). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Da die Geschwindigkeitsüberschreitung im Baustellenbereich stattfand und der Betroffene vor der Messung viermal doppelseitig aufgestellte Verkehrszeichen passiert hatte, mit denen die zulässige Höchstgeschwindigkeit sukzessive auf 80 km/h herabgesetzt wurde (Geschwindigkeitstrichter), drängte sich im Gegenteil der Schluss, dass er die Begrenzung auch bemerkt hatte, geradezu auf.

Es entspricht weiterhin der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen um mehr als 40% regelmäßig von vorsätzlicher Tatbegehung des Betroffenen ausgegangen werden kann, wenn dieser, wie hier, die zulässige Höchstgeschwindigkeit kannte (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 10.07.2023 – 201 ObOWi 621/23 bei juris m.w.N.). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ausnahmekonstellation sind nicht ersichtlich.

d) Richtig ist, dass der Betroffene laut des Tenors des ihm zugestellten Urteils nur wegen fahrlässigen Verhaltens verurteilt wurde. Der Senat berichtigt insoweit den Schuldspruch.

Bei einer Abweichung des Urteilstenors von der rechtlichen Würdigung liegt ein Widerspruch innerhalb der schriftlichen Urteilsgründe vor, der auf die Sachrüge hin zu beachten ist. Der Senat sieht insoweit keinen Anlass, von Amts wegen nachzuprüfen, welcher Tenor verkündet wurde, denn eine zulässige Verfahrensrüge ist nicht erhoben worden (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2020 – 5 StR 189/20; v. 27.01.2021 – 6 StR 399/20; u.v. 03.05.2019 – 3 StR 462/18 jew. bei juris m.w.N.).

Vielmehr kann er auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen selbst auf den zutreffenden und rechtsfehlerfrei begründeten schwereren Schuldspruch erkennen, ohne durch das Verschlechterungsverbot gehindert zu sein (BGH, Beschl. v. 23.06.2020 a.a.O.).“

Ein aufwirbelnder Stein im Baustellenbereich, oder: Unabwendbares Ereignis?

entnommen wikimedia.org

Wer kennt es nicht? Man fährt mit seinem Pkw, der wird von einem vor einem fahrenden Kfz aufgewirbelten Stein/Gegenstand getroffen. Ein Verkehrsvorgang, der im Bereich von Straßenbaustellen häufig anzutreffen ist. Mit der sich daraus ergebenden haftungsrechtlichen Problematik setzt sich das LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 30.03.2017 – 2 S 2191/16 -, auseinander. Die Klägerin fuhr mit ihrem Pkw in einem Baustellenbereich hinter dem Lkw der Beklagten. Obwohl in dem befahrenen Bereich der Baustelle nicht mit auf der Fahrbahn liegenden Steinen zu rechnen war, da dort keine Arbeiten durchgeführt wurden –  der Schadensfall ereignete sich neben den eigentlichen Fahrspuren, wo Arbeiten neben der Fahrbahn nicht durchgeführt wurden bzw. werden konnten – wurde durch den Lkw ein auf der Straße liegender Stein aufgewirbelt und hat den Pkw der Klägerin getroffen und beschädigt.

Das AG hatte der Klage stattgegeben. Das LG weist sie ab. Es geht (hier) von einem unabwendbaren Ereignis und damit von der Anwendung des § 17 Abs. 3 StVG aus:

„4. Nicht beantwortet hat das AG aber die Frage, ob die Haftung der Beklagten nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen ist, weil der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Das ist hier der Fall.

a) Als unabwendbar gilt ein Ereignis dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1, 2 StVG liegt nicht nur bei absoluter Unvermeidbarkeit des Unfalls vor, sondern auch dann, wenn dieser bei Anwendung der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus, so dass der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, sich wie ein “Idealfahrer” verhalten haben muss (BGH NJW 1998, 2222). Damit verlangt § 17 Abs. 3 S. 1, 2 StVG, dass der “Idealfahrer” in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (BGH VersR 2006, 369). Für die Unabwendbarkeit im Rahmen des § 17 Abs. 3 StVG ist derjenige beweisbelastet, der sich auf sie beruft (OLG München, Urt. v. 12.08.2011 – 10 U 3150/10 -, juris mwN), hier also die Beklagten.

Ein solch unabwendbares Ereignis kann vorliegen, wenn ein auf der Straße liegender Stein von den Rädern eines LKW aufgewirbelt und auf ein nachfolgendes Fahrzeug geschleudert wird (z.B. LG Heidelberg NZV 2012, 299; AG Buchen r+s 2016, 362 m.w.N.; vgl. auch BGH VersR 1974, 1030). Bei der dahingehenden Würdigung des maßgeblichen Schadensablaufs ist aber auch zu berücksichtigen, dass in einem Baustellenbereich, in dem mit dem Vorhandensein lose herumliegender Steine zu rechnen ist, ein Kraftfahrer einer durch seine Fahrweise bedingten möglichen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durch wesentliche Herabsetzung der Geschwindigkeit Rechnung tragen muss. Anders hingegen mag es sich verhalten, wenn eine Gefährdung Dritter durch einen hochgeschleuderten Stein nicht voraussehbar war. Das könnte dann zu bejahen sein, wenn ein Kraftfahrer auf einer gut ausgebauten, mit Asphalt versehenen Straße fährt, zumal wenn diese als Fernverkehrsstraße dient, auf der hohe Geschwindigkeiten eingehalten zu werden pflegen und eingehalten werden dürfen, und wenn kein Anhaltspunkt für das Herumliegen loser Steine besteht (BGH VersR 1974, 1030).

b) Für den Streitfall ist zunächst davon auszugehen, dass sich nach den Feststellungen des AG (Gründe unter I.2.) der Unfall in einem Baustellenbereich ereignete. Bei diesen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts handelt es sich ungeachtet dessen, dass sie sich in den Entscheidungsgründen befinden, um Tatbestandsangaben, deren Unrichtigkeit grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO geltend gemacht werden kann, das im Streitfall jedoch nicht durchgeführt worden ist (vgl. BGH NJW 2001, 448). Daran ändert auch nichts, dass schriftsätzlich durch keine der beiden Parteien vorgetragen worden war, dass sich der Unfall in einem Baustellenbereich ereignet habe. Nach alledem geht das diesbezügliche Bestreiten der Beklagten im Schriftsatz vom 04.01.2017 ins Leere.

Da die Darlegungs- und Beweislast für die Unabwendbarkeit des Schadenseintritts bei den Beklagten liegt, wären diese im Weiteren gehalten gewesen vorzutragen, dass gleichwohl keine Anhaltspunkte für das Herumliegen loser Steine bestanden (vgl. BGH VersR 1974, 1030). Indes haben die Beklagten in erster Instanz tatsächlich vorgetragen, dass “der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs nicht erkennen konnte, dass ein Stein auf der Fahrbahn lag” (Klageerwiderung S. 2 u.). Dem ist die Klägerin im Weiteren nicht entgegengetreten, so dass diese Tatsache als unstreitig zu würdigen ist (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Dies bedeutet, dass davon auszugehen ist, dass sich der Unfall zwar in einem Baustellenbereich ereignete, es dort aber gleichwohl keine Anhaltspunkte für Steine auf der Fahrbahn gab. Diese beiden Feststellungen stehen nicht im Widerspruch zueinander. Zum einen sind die Bauarbeiten im fraglichen Bereich neben den noch zum Verkehr freigegebenen Spuren durchgeführt worden – das ist eine allgemeinkundige Tatsache i.S.d. § 291 ZPO (vgl. BGH NJW 2007, 3211) – so dass nicht zwingend mit einer Verschmutzung der Fahrbahn zu rechnen war. Zum anderen ereignete sich der Schadensfall nach Angaben der Klägerin und der Zeugin B im einspurigen Brückenbereich neben den eigentlichen Fahrspuren, wo Arbeiten neben der Fahrbahn nicht durchgeführt wurden bzw. werden konnten.

Damit war also in dem streitgegenständlichen Baustellenbereich nicht mit dem Vorhandensein lose herumliegender Steine zu rechnen und eine Gefährdung Dritter durch einen hochgeschleuderten Stein nicht voraussehbar. Dann aber können sich die Beklagten zu Recht auf einen Haftungsausschluss nach § 17 Abs. 3 StVG wegen eines unabwendbaren Ereignisses berufen. Die Klage war deshalb abzuweisen.“