Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

StPO II: Durchsuchung und Beschlagnahme, oder: Durchsuchung im Zimmer des erwachsenen Kindes

Bild von Nikin auf Pixabay

Im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen des LG Nürnberg-Fürth zu Fragen in Zusammenhang mit der Durchsuchung. Von beiden stelle ich nur die Leitsätze vor, den Rest überlasse ich dem Selbststudium. Hier sind dann:

Ist die Durchsuchungsanordnung mangels ausreichender Begründung rechtwidrig, hindert das die spätere Beschlagnahme der bei der Durchsuchung sichergestellten Unterlagen nicht, wenn die Ermittlungsakte bei Erlass der Durchsuchungsanordnung einen hinreichenden Tatverdacht belegte. Insoweit besteht kein Beweisverwertungsverbot.

Der auf § 102 StPO gestützte Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Beschuldigten rechtfertigt regelmäßig auch die Durchsuchung eines vom erwachsenen Kind des Beschuldigten bewohnten Zimmers, das Teil der Wohnung ist.

 

StPO I: Durchsicht von Datenträgern beim Dritten, oder: Voraussetzungen der vorläufigen Sicherstellung

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Heute dann vor Weihnachten noch einmal StPO-Entscheidungen, und zwar dreimal etwas zur Durchsuchung, einmal zur Terminierung.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 24.10.2023 – StB 59/23 – zu folgendem Sachverhalt:

Der GBA führt gegen zahlreiche Personen aus dem Umfeld eines gesondert verfolgten R. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und anderer Straftaten. Bei den Ermittlungen ist bekannt geworden, dass eine Vielzahl weiterer – derzeit zumeist noch nicht bekannter – Personen als Mitglieder oder Unterstützer der Gruppierung in Betracht kommt. Vor diesem Hintergrund hat der Generalbundesanwalt das vorliegende, gegen unbekannt gerichtete Ermittlungsverfahren eingeleitet (2 BJs 21/23-5).

Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des BGH mit Beschl. v. 20.03.2023 die Durchsuchung der Person des Betroffenen, seiner Wohnräume in N. und der von ihm genutzten Fahrzeuge angeordnet. Auf weiteren Antrag des GBA vom 22.03.2023 hat der Ermittlungsrichter des BBGH am selben Tag mündlich ergänzend entschieden, dass die Durchsuchung an der neuen Anschrift des Betroffenen in Se. zu vollziehen ist.

Am 22.03.2023 gegen 06:15 Uhr hat sich der Betroffene an einen in O. wohnhaften Zeugen gewandt und diesem drei Koffer sowie drei Taschen mit der Bemerkung übergeben, er müsse diese bei ihm „zwischenlagern“, da die Polizei gerade bei ihm durchsuche. Der Zeuge hat diese Gegenstände einige Stunden später der Polizei übergeben. Die vorgenannten sechs Behältnisse enthielten insgesamt 71 Messer teils mit zugehörigen Messertaschen und -etuis, Bargeld im Umfang von über 175.000 EUR, zahlreiche Schmuckstücke, Unterlagen, Dokumente und weitere Gegenstände. Sie sind durch die Polizei gemäß § 94 StPO sichergestellt worden.

Nachfolgend ist am selben Tag die Durchsuchung des Betroffenen, seiner Wohnräume und Fahrzeuge vollzogen worden. Dabei sind zwei Laptops, ein Tablet, eine Festplatte, ein USB-Stick, eine SD-Karte, eine Drohne und ein Navigationsgerät vorläufig zur Durchsicht gemäß § 110 Abs. 1 StPO sichergestellt worden; die Durchsicht dauert noch an.

Um die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen wird gestritten. Die Rechtsmittel/Beschwerden des Betroffenen hatten keinen Erfolg:

„1. a) Die Beschwerde ist zulässig, soweit das Rechtsmittel sich gegen die richterliche Bestätigung der noch nicht erledigten vorläufigen Sicherstellung der Datenträger zum Zwecke der Durchsicht richtet; denn die angefochtene Entscheidung betrifft insoweit die Durchsuchung im Sinne des § 304 Abs. 5 StPO (s. BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2021 – StB 21/21, NStZ 2021, 623 Rn. 6; vom 20. April 2023 – StB 5/23, juris Rn. 5).

b) Soweit der Betroffene mit seiner Beschwerde die Herausgabe der Messersammlung begehrt, ist das Rechtsmittel durch den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 21. September 2023 wegen prozessualer Überholung unstatthaft geworden. Sowohl seine Umdeutung in eine Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss als auch eine Feststellung der Rechtswidrigkeit der prozessual überholten Bestätigung der Sicherstellung scheiden aus.

aa) Dadurch, dass der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 21. September 2023 die einstweilige Beschlagnahme der Messer gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 108 StPO, § 53 Abs. 1 Nr. 21, § 42a Abs. 1 WaffG gerichtlich bestätigt hat (1 BGs 1222/23), hat er einen Beschluss gefasst, der seinerseits nach § 304 Abs. 1 und 5 StPO beschwerdefähig ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 2022 – StB 17/22, BGHR StPO § 304 Abs. 5 Rechtsschutzbedürfnis 2 Rn. 12; vom 20. Mai 2021 – StB 21/21, NStZ 2021, 623 Rn. 6; vom 31. Juli 2018 – StB 4/18, juris Rn. 10). Dieser Beschluss ist maßgebend; denn der nach § 98 Abs. 1 StPO zuständige Richter ist regelmäßig sachverhaltsnäher als das Beschwerdegericht. Seine Entscheidung ist zudem aktueller; sie kann auch – wie hier – spätere tatsächliche Entwicklungen berücksichtigen. Denn die neuerliche Beschlagnahme durch den Generalbundesanwalt beruht sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht auf einer neuen Grundlage. Die Annahme prozessualer Überholung in dieser Konstellation entspricht zudem der Rechtslage im Haftrecht; auch hier kann der Beschuldigte nur die jeweils letzte Haftentscheidung anfechten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2021 – 2 BvR 575/21, juris Rn. 65; BGH, Beschluss vom 21. April 2016 – StB 5/16, juris Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 117 Rn. 8 mwN). Außerdem kann so der Gefahr sachlich widersprechender Entscheidungen begegnet werden, die im Fall der Konkurrenz zwischen Beschwerde und erneuter richterlicher Entscheidung über die gerichtliche Beschlagnahme nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO eintreten könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 2022 – StB 17/22, BGHR StPO § 304 Abs. 5 Rechtsschutzbedürfnis 2 Rn. 12 mwN).

bb) Eine Umdeutung des insoweit prozessual überholten Rechtsmittels gegen die Bestätigung der Sicherstellung mit Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 14. Juli 2023 in eine Beschwerde gegen die richterliche Beschlagnahmebestätigung mit Beschluss vom 21. September 2023 scheidet aus. Gemäß § 304 Abs. 1 StPO ist eine Beschwerde nur gegen eine im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung bereits erlassene Entscheidung statthaft. Zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde am 22. August 2023 war die vorgenannte richterliche Entscheidung jedoch noch nicht existent (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1999 – StB 9/99, BGHR StPO § 98 Abs. 2 Bestätigung 1).

cc) Ein rechtliches Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der prozessual überholten Bestätigung mit Beschluss vom 14. Juli 2023 besteht nicht (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 66. Aufl., Vor § 296 Rn. 18, 18a; KK-StPO/Greven, 9. Aufl., § 98 Rn. 28). Denn der Betroffene kann Beschwerde gegen die Bestätigung vom 21. September 2023 einlegen und dadurch die Rechtmäßigkeit des Vorgehens überprüfen lassen.

2. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet. Die Voraussetzungen für die richterliche Bestätigung betreffend die Durchsicht der Datenträger gemäß § 94 Abs. 1, § 98 Abs. 2 Satz 2 (entsprechend), §§ 102, 110 Abs. 1, 3 und 4, § 162 Abs. 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO lagen und liegen vor.

Rechtsgrundlage für die vorläufige Sicherstellung der elektronischen Speichermedien sowie der Papiere zum Zwecke der Durchsicht ist § 110 Abs. 1 und 3 StPO. Da das Verfahren im Stadium der Durchsicht noch einen Teil der Durchsuchung nach § 102 oder § 103 StPO bildet, kommt es für die Rechtmäßigkeit der richterlichen Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Durchsuchung im Zeitpunkt der Entscheidung noch vorliegen. Sind diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Durchsicht dagegen nicht mehr gegeben, dann ist auch sie als Teil der Durchsuchung nicht mehr zulässig (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2018 – 2 BvR 708/18, NJW 2018, 3571 Rn. 25; vom 18. Juni 2008 – 2 BvR 1111/08, juris Rn. 5; BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2021 – StB 21/21, BGHR StPO § 98 Abs. 2 Bestätigung 2 Rn. 12 mwN; vom 20. April 2023 – StB 5/23, juris Rn. 7). Es muss also weiterhin ein Anfangsverdacht bestehen und die Durchsicht zur Auffindung von Beweismitteln geeignet und verhältnismäßig sein. Hierzu im Einzelnen:

a) Gegen die gesondert Verfolgten lag und liegt ein die Durchsuchung nach § 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht vor.

aa) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, BVerfGK 9, 149, 153; BGH, Beschlüsse vom 6. September 2023 – StB 40/23, juris Rn. 14; vom 20. April 2023 – StB 5/23, juris Rn. 9; vom 20. Juli 2022 – StB 29/22, NStZ 2022, 692 Rn. 6).

bb) Gemessen hieran lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses sachlich zureichende Gründe für die Anordnung derselben vor. Wie der Senat bereits vielfach entschieden hat, bestand der Anfangsverdacht, dass die gesondert Verfolgten sich an einer terroristischen Vereinigung als Mitglied gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB beteiligten und durch dieselbe Handlung (§ 52 Abs. 1 StGB) ein hochverräterisches Unternehmen gemäß § 83 Abs. 1 StGB vorbereiteten bzw. die terroristische Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 StGB unterstützten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zu diesem Ermittlungskomplex ergangenen Beschlüsse des Senats vom 11., 12. und 13. Juli 2023 Bezug genommen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2023 – AK 35/23, juris Rn. 5 ff. [vorgesehen für BGHSt]; vom 12. Juli 2023 – AK 38/23, juris Rn. 5 ff.; vom 13. Juli 2023 – AK 21/23, juris Rn. 4 ff.). An der Verdachtslage hat sich bis zum jetzigen Zeitpunkt nichts geändert.

b) Es lagen auch hinreichende Tatsachen dafür vor, dass bei dem Betroffenen bestimmte Beweismittel im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO aufgefunden werden konnten.

aa) Eine Ermittlungsdurchsuchung, die eine nichtverdächtige Person betrifft, setzt nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO Tatsachen dahin voraus, dass sich das gesuchte Beweismittel in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Es müssen konkrete Gründe im Zeitpunkt der Anordnung, mithin aus ex ante-Sicht dafür sprechen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. August 2019 – 2 BvR 1684/18, NJW 2019, 3633 Rn. 35; BGH, Beschlüsse vom 6. September 2023 – StB 40/23, juris Rn. 16; vom 20. April 2023 – StB 5/23, juris Rn. 19; vom 18. November 2021 – StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 11; vom 5. Juni 2019 – StB 6/19, juris Rn. 18; vom 13. Juni 1978 – StB 51/78, BGHSt 28, 57, 59), dass der gesuchte Beweisgegenstand in den Räumlichkeiten des Unverdächtigen gefunden werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03, BVerfGK 1, 126, 132 f.; BGH, Beschlüsse vom 20. April 2023 – StB 5/23, juris Rn. 19 mwN; vom 15. Oktober 1999 – StB 9/99, BGHR StPO § 103 Gegenstände 1).

Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Es lagen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung dafür vor, dass sich Beweismittel, die in dem anhängigen Ermittlungsverfahren von Bedeutung sein können, beim Beschwerdeführer befinden. Ausweislich der bisherigen Ermittlungsergebnisse bestand Kontakt zwischen dem Betroffenen, auf den im Nationalen Waffenregister drei Waffen registriert sind, und dem gesondert verfolgten W.    , der mit hoher Wahrscheinlichkeit Mitglied des Führungsstabs des militärischen Arms der terroristischen Vereinigung war. Ferner kommunizierte der Betroffene mit dem gesondert verfolgten Ri.   , der hochwahrscheinlich die Funktion des Referatsleiters in der für die Beschaffung von militärischen Ausrüstungsgegenständen gegründeten Abteilung der Gruppierung ausübte. Zudem wurde bei der gesondert verfolgten   Pe.             eine vom Betroffenen unterzeichnete Verschwiegenheitsverpflichtung aufgefunden. Aufgrund dieser Umstände lag eine Auffindewahrscheinlichkeit für Gegenstände vor, die zu einer weiteren Aufklärung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts, insbesondere zur Organisation, Struktur und Zielsetzung der Vereinigung beitragen konnten. Hierzu zählten auch elektronische Kommunikationsmittel, die nicht nur Aufschluss über den Inhalt von Gesprächen zwischen den gesondert Verfolgten und dem Betroffenen erbringen konnten, sondern auch über (noch unbekannte) weitere Kontaktpersonen der Vereinigung.

bb) Die Durchsuchung bei einer nichtverdächtigen Person setzt nach § 103 StPO überdies voraus, dass hinreichend individualisierte (bestimmte) Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden. Diese Gegenstände müssen im Durchsuchungsbeschluss so weit konkretisiert werden, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können (BGH, Beschluss vom 21. November 2001 – StB 20/01, BGHR StPO § 103 Gegenstände 2). Ausreichend ist dafür allerdings, dass die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind; nicht erforderlich ist, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. September 2023 – StB 40/23, juris Rn. 16; vom 20. April 2023 – StB 5/23, juris Rn. 21; vom 20. Juli 2022 – StB 29/22, NStZ 2022, 692 Rn. 14; vom 28. Juni 2018 – StB 14/18, juris Rn. 16; vom 15. Oktober 1999 – StB 9/99, BGHR StPO § 103 Gegenstände 1, jeweils mwN).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss ebenfalls gerecht. Es wurden die zu sichernden Gegenstände, insbesondere elektronische Kommunikationsmittel, Dokumente und Unterlagen, auch in elektronischer Form, Waffen und militärische Ausrüstungsgegenstände dahin konkretisiert, dass diese mit der terroristischen Vereinigung in Zusammenhang stehen mussten. Durch diese Einschränkung der möglicherweise aufzufindenden Beweismittel war den durchsuchenden Beamten hinreichend deutlich aufgezeigt, worauf sie ihr Augenmerk zu richten hatten.

c) Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses ergibt sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 2 und 6, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.

d) Die Durchsuchungsanordnung entspricht auch unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Betroffenen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

aa) Sie war zur weiteren Aufklärung einer Beteiligung bislang unbekannt gebliebener Personen an dem Tatgeschehen geeignet, da unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen, insbesondere von elektronischen Kommunikationsmitteln, führen wird, die nicht nur eine inhaltliche Kommunikation zwischen den gesondert Verfolgten und dem Betroffenen nachweisen oder widerlegen, sondern auch Aufschluss über weitere Kontaktpersonen der Vereinigung erbringen können.

bb) Die Anordnung der Durchsuchung steht zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftat. Die von der in Rede stehenden Gruppierung ausgehende Gefahr ist erheblich. Dies zeigt sich insbesondere an den konkreten vielfältigen Vorbereitungshandlungen einiger Mitglieder der Vereinigung für eine bewaffnete Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Gruppe von bis zu 16 Personen, vornehmlich aus den Reihen aktiver oder ehemaliger Angehöriger des Kommando Spezialkräfte oder anderer Spezialeinheiten der Bundeswehr sowie Polizei, und dem geplanten sowie in Teilen bereits umgesetzten Aufbau von militärischen „Heimatschutzkompanien“ im gesamten Bundesgebiet.

e) Die vorläufige Sicherstellung der bei der Wohnungsdurchsuchung aufgefundenen elektronischen Speichermedien, Dokumente, Urkunden und sonstigen Unterlagen sowie ihre Durchsicht sind von § 110 Abs. 1 und 3 StPO gedeckt.

aa) Die vorläufige Sicherstellung der in der angefochtenen Entscheidung bezeichneten Gegenstände hält sich in den Grenzen des Durchsuchungsbeschlusses des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs. Denn dieser nannte als Zweck der Durchsuchung unter anderem die Sicherstellung von Dokumenten und Unterlagen auch in elektronischer Form, die unter anderem Aufschluss über Kontakte des Betroffenen mit Mitgliedern der terroristischen Vereinigung geben.

bb) Die Asservate durften aus der Wohnung des Betroffenen zur Auswertung mitgenommen werden, weil die Durchsicht auf Beweisrelevanz im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung vor Ort nicht möglich war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 2248/00, NJW 2002, 1410, 1411; BGH, Beschlüsse vom 20. April 2023 – StB 5/23, juris Rn. 28; vom 20. Mai 2021 – StB 21/21, BGHR StPO § 98 Abs. 2 Bestätigung 2 Rn. 11; vom 5. Juni 2019 – StB 6/19, juris Rn. 17; vom 5. August 2003 – StB 7/03, NStZ 2003, 670 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 66. Aufl., § 110 Rn. 2a). Auch zum jetzigen Zeitpunkt bestehen zureichende Anhaltspunkte dafür, dass die (weitere) Untersuchung der Asservate zur Auffindung beweisrelevanter Daten oder Inhalte führen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2021 – StB 21/21, NStZ 2021, 623 Rn. 12). In welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des Materials notwendig ist, wie sie im Rahmen von § 110 StPO im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, unterliegt zunächst der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die hierbei einen eigenverantwortlichen Ermessenspielraum hat (BGH, Beschlüsse vom 20. April 2023 – StB 5/23, juris Rn. 28; vom 5. August 2003 – StB 7/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 3 mwN). Eine Überschreitung des Ermessenspielraums der Ermittlungsbehörde – auch in zeitlicher Hinsicht – ist entgegen dem Vorbringen des Betroffenen aufgrund der Anzahl der aufgefundenen Speichermedien derzeit noch nicht gegeben.

Corona I: Durchsuchung beim „Querdenker-Lehrer“, oder: Man hätte ja auch mal fragen können

Bild von Gordon Johnson auf Pixabay

Und dann heute drei Entscheidungen, die mit dem zweiten Sonderthema der letzten Zeit zu tun haben. Corona. Allerdings werden derzeit kaum noch Entscheidungen zur Verstößen gegen die Corona-VO veröffentlicht, sondern mehr Entscheidungen zu anderen Fragen, die zumindest ihren Ausgang in der Pandemie und deren Auswirkungen haben. Und davon habe ich hier auch noch drei, die ich heute vorstelle.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 15.11.2023 – 1 BvR 52/23. Gegenstand des Verfahrens ist ein Durchsuchungsbeschluss des AG Heilbronn

Der Beschwerdeführer ist verbeamteter Lehrer im Schuldienst des Landes Baden-Württemberg. Die StA führte gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung. Sie warf ihm vor, am 19.06.2021 als Teilnehmer einer Kundgebung von sogenannten Querdenkern zwei dort eingesetzte Polizeibeamte als „Scheißkerle“ und „Prügelbullen“ bezeichnet zu haben. In der nach Gewährung von Akteneinsicht mit Schreiben vom 19.11.2021 durch seinen Verteidiger abgegebenen Stellungnahme beantragte dieser die Einstellung des Verfahrens. Es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht. In Rahmen der Stellungnahme teilte der Verteidiger u.a. auch mit, der Beschwerdeführer sei „Beamter im aktiven Dienst“.

Nach Eingang der Stellungnahme beantragte die StA beim AG den Erlass einer Durchsuchungsanordnung zur Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers. Das AG ordnete daraufhin die Durchsuchung u.a. der Person und der Wohnung des Beschwerdeführers an. Der Beschwerdeführer habe mit einer empfindlichen Geldstrafe zu rechnen. Die Durchsuchung sei zur Ermittlung der Tagessatzhöhe erforderlich, da der Beschwerdeführer keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht habe. Die Maßnahme stehe in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts.

Der Beschluss wurde am 14.01.2022 vollzogen. Nachdem dem Beschwerdeführer von dem den Einsatz leitenden Polizeibeamten „die weitere Vorgehensweise“ erklärt worden war, gewährte er den Beamten Eintritt in seine Wohnung. Unter deren Aufsicht suchte er seine drei jüngsten Bezügemitteilungen sowie eine Einkommensteuererklärung heraus und händigte diese den Beamten aus. Weitere Durchsuchungsmaßnahmen wurden daraufhin nicht mehr durchgeführt.

Rechtsmittel gegen den Durchsuchungsbeschluss und die – maßnahme blieben beim AG und LG erfolglos. Im Verfahren ist dann vom AG auf Antrag der StA ein Strafbefehl erlassen worden, gegen den Einspruch eingelegt wurde, In der Hauptverhandlung ist dann das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden.

Der Beschwerdeführer hat sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss gewendet und eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 13, Art. 103 Abs. 1 und 2 GG. § 102 StPO gerügt. Er hat insbesondere geltend gemacht, dass die Durchsuchungsanordnung jedenfalls unverhältnismäßig gewesen sei. Als mildere Mittel gegenüber einer Durchsuchung wären Anfragen bei der Besoldungsstelle, beim Beschwerdeführer oder bei dessen Verteidiger in Betracht gekommen.

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg:

„2. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig erhoben ist, ist sie auch begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.

a) Zwar war die Durchsuchung entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich seine Einkommensverhältnisse ermittelt werden sollten. Nach § 1603 Satz 1 StPO haben sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – unabhängig davon, ob der Erlass eines Strafbefehls beantragt oder Anklage erhoben werden soll – auch auf Umstände zu erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind; dazu zählen – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist – nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe. Durchsuchungen bei Beschuldigten nach § 102 StPO zur Ermittlung dieser Umstände sind verfassungsrechtlich daher nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 – 2 BvR 983/94 u.a. -, Rn. 12 f.).

b) Allerdings war die Anordnung der Durchsuchung hier unverhältnismäßig.

aa) Eine Durchsuchung greift in die durch Art. 131 GG grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Dem erheblichen Eingriff entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Januar 2016 – 2 BvR 1361/13 -, Rn. 12; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2023 – 2 BvR 1844/21 -, Rn. 46). Dabei ist es grundsätzlich Sache der ermittelnden Behörden, über die Zweckmäßigkeit und die Reihenfolge vorzunehmender Ermittlungshandlungen zu befinden. Ein Grundrechtseingriff ist aber jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des in diesem Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachts (vgl. BVerfGK 11, 88 <92>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2018 – 2 BvR 2993/14 -, Rn. 25) oder zur Schwere der Straftat steht.

bb) Die Anordnung der Durchsuchung war danach unangemessen. Den Ermittlungsbehörden standen naheliegende und grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung, die ohne greifbare Gründe unterblieben sind. Ob diese hier ebenso wirksam gewesen wären wie eine Wohnungsdurchsuchung, also mildere Mittel im technischen Sinne dargestellt hätten (vgl. dazu BVerfGE 126, 112 <144 f.>; 155, 238 <280 Rn. 105>; stRspr), kann im Streitfall dahinstehen. Denn angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung beim Beschwerdeführer jedenfalls außer Verhältnis zur Schwere der hier verfolgten Straftat.

(1) Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer insoweit freiwillige Angaben verweigert hätte und seine Befragung daher aussichtslos gewesen wäre, lagen nicht vor. Zwar hatte sich der Beschwerdeführer im Rahmen der ihm von der Staatsanwaltschaft nach § 163a Abs. 1 Satz 2 StPO eingeräumten Möglichkeit, sich zu dem Tatvorwurf schriftlich zu äußern, darauf beschränkt, das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts zu bestreiten. Allein daraus konnte jedoch nicht geschlossen werden, dass er auf konkrete Nachfrage hin freiwillige Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert hätte, denn Angaben dazu waren zu diesem Zeitpunkt aus seiner Sicht nicht veranlasst gewesen und mussten dem Ziel seiner ersten Einlassung, eine Verfahrenseinstellung zu erreichen, widersprechen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlusts, die nur durch eine Wohnungsdurchsuchung hätte abgewendet werden können, bestand nicht.

Eine Nachfrage beim Beschwerdeführer hätte daher im Streitfall aus der ex ante-Perspektive mit einer realistischen Wahrscheinlichkeit zu den auch mittels einer Wohnungsdurchsuchung zu erlangenden Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen geführt. Im Hinblick auf diese insofern naheliegende und gegenüber einer Wohnungsdurchsuchung grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahme stellt sich die Durchsuchungsanordnung daher jedenfalls angesichts der geringen Schwere der vorgeworfenen Straftat als unangemessen dar.

(2) Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen (vgl. dazu Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 160 Rn. 18; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, § 40 Rn. 16 <1. Mai 2023>). Nachdem der Wohnort des Beschwerdeführers bekannt war und dieser sich dahingehend eingelassen hatte, er sei „Beamter im aktiven Dienst“, wäre dessen Besoldungsstelle unschwer in Erfahrung zu bringen gewesen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15 -, Rn. 23). Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften eines Beschuldigten zu erlangen. § 40 Abs. 3 StGB erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15 -, Rn. 22) – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 – 2 BvR 983/94 u.a. -, Rn. 3 und 13), wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 1 StR 147/17 -, Rn. 10 ff.). Hinzu kommt, dass es sich bei der Festlegung der Tagessatzhöhe um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung handelt, der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belässt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 1 StR 147/17 -, Rn. 7). Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur dann verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 1 Ws 15/07 u.a. -, Rn. 8; Thüringer OLG, Beschluss vom 12. Februar 2009 – 1 Ss 160/08 -, Rn. 15; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 23. November 2009 – 1 Ss 104/09 -, Rn. 15).

Hätten sich Staatsanwaltschaft und Amtsgericht mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, hätten darüber hinaus durch eine Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin-Abfrage) aber auch die Bankkonten und Bankdepots in Erfahrung gebracht werden können, bezüglich derer der Beschwerdeführer wirtschaftlich Berechtigter ist (vgl. § 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Kreditwesengesetz). Durch Anfragen bei den entsprechenden Banken und Instituten hätten Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers angefordert werden können. Auch insoweit hätte es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung im Grundsatz um eine grundrechtsschonende Maßnahme gehandelt. Zwar stellen eine BaFin-Abfrage und anschließende Bankanfragen angesichts des Umfangs der damit verbundenen Erhebung gegebenenfalls auch sensibler Daten einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar (vgl. BVerfGE 118, 168 <185 f.>). Bankanfragen werden dennoch meist weniger grundrechtsintensiv als die Anordnung einer einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellenden Wohnungsdurchsuchung sein (zur Verhältnismäßigkeit einer BaFin-Abfrage zur Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch beim Verdacht nur geringfügiger Straftaten vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Februar 2015 – 4 Ws 19/15 -, Rn. 8 und 11; Sackreuther, in: BeckOK StPO, § 160 Rn. 20 <1. April 2023>).“

Wenn man es liest, mag man es nicht glauben. Bei einem Beamten wird zur Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse die Durchsuchung angeordnet? Und das, obwohl man ja nun wohl gerade bei einem Beamten durch die einfache Einsicht in Besoldungstabellen, die frei zugänglich sind, das Monatseinkommen ohne weiteres ermitteln kann? Auf die Idee kommt die StA nicht, das AG auch nicht und das LG macht sich offenbar insoweit auch keine Gedanken. Selbst der GBA sieht bei einem verbeamteten Lehrer diese Möglichkeit nicht bzw. nur eingeschränkt. Daher muss es dann das BVerfG richten und den beteiligten Stellen erklären, wie man die wirtschaftlichen Verhältnisse aufklärt bzw. hätte aufklären können und müssen. Wie gesagt: Nur schwer verständlich.

Ich vermute einen ganz anderen Grund, nämlich die Durchsuchung als Retourkutsche für den offenbar der „Querdenker-Szene“ angehörenden oder mit ihr sympathisierenden Lehrer. Aber: So kann man doch nicht mit diesen Leuten umgehen. Das ist/war doch nur Wasser auf deren Mühlen. Unfassbar.

Pflichti III: Fahrerlaubnisentziehung beim Kraftfahrer, oder: Pflichtverteidiger trotz Betreuer

© santi_ Fotolia.com

Und dann zum Tagesschluss hier noch zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen (§ 140 Abs 1 oder 2 StPO), allerdings jeweils nur die Leitsätze, und zwar:

Droht dem Beschuldigten im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis der Verlust des Arbeitsplatzes und wäre er daran gehindert, den ausgewählten Beruf bis zu einem etwaigen Wiedererwerb der Fahrerlaubnis auszuüben, wiegt die zu erwartende Rechtsfolge schwer, so dass dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist.

Die Tatsache, dass dem Angeklagten ein Betreuer bestellt ist, ändert nichts an der Voraussetzung des § 140 Abs. 2 StPO, da sich die Aufgaben eines Betreuers und die eines Verteidigers grundlegend unterscheiden.

Pflichti II: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Petitionsausschuss empfiehlt Prüfung der Frage

Bild von megapixel.click – betexion – photos for free auf Pixabay

Und im zweiten Posting dann eine Entscheidung des LG Halle zur „Dauerbrennerproblematik“ der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger. Um die Frage wird ja nach wie vor heftig gestritten, wobei die wohl h.N. inzwischen davon ausgeht – was m.E. auch richtig ist -, dass die nachträgliche/rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers zumindest dann zulässig ist, wenn der Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1 oder 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.

So jetzt dann auch noch einmal das LG Halle im LG Halle, Beschl. v. 21.11.2023 – 3 Qs 109/23 -, in dem das LG seine bisherige Rechtsprechung in der Frage bestätigt hat. Wegen der Einzelheiten der Begründung der Entscheidungen verweise ich auf den verlinkten Volltext. Die stelle ich nicht mehr ein, da ich über die Problemati in der letzten Zeit ja schon häufiger berichtet habe.

In meinen Postings habe ich auch immer wieder darauf hingewiesen, dass der Streit in der Rechtsprechung: Nachträgliche Bestellung zulässig ja oder nein?, letztlich wohl nicht eine Frage ist, die die Rechtsprechung (abschließend) entscheiden kann/wird, sonder m.E. der Gesetzgeber an der Stelle tätig werden muss. Sonst wird sich dieses Hin und Her und das Kleben – vor allem der Obergerichte – an alten Zöpfen, nämlich an Rechtsprechung aus der Zeit vor der Neuregelung der §§ 140 ff. StPO nie ändern/enden.

Und an der Stelle habe ich jetzt ein wenig Hoffnung, dass sich vielleich etwas bewegt. Denn es hat im Bundestag eine Petition gegeben, mit der der Petent gefordert hat, gesetzlich zu regeln, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch nach Abschluss des Strafverfahrens erfolgen kann, sofern die Beiordnung rechtzeitig beantragt worden war. Auf die hat mich der Kollege M. Höpfner aus Berlin hingewiesen. Diese Petition ist im Petitionsausschuss des Bundestages beraten worden. Und der Ausschuss hat empfohlen, die Petition der Bundesregierung, und zwar dem BMJ – zu überweisen. Wer Interesse an der Beschlussempfehlung hat, der Kollege hatte sie mir zur Verfügung gestellt. Ich habe sie hier eingestellt. Im Übrigen verweise ich auf die BT-Drucks. 20/9210.

Ich bin gespannt, was „unser (?) BMJ M. Buschmann macht. Im Zweifel wahrscheinlich (leider) gar nichts. Denn in der „Beschlussempfehlung“ heißt es (schon):

„Der Petitionsausschuss weist allerdings darauf hin, dass der BGH bislang noch nicht Gelegenheit gehabt hat, darüber zu entscheiden, ob und wie sich die Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung auf seine bisherige Rechtsprechung auswirkt. Angesichts dessen hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuwarten“

Also: Abwarten? Na ja, der Petitionssausschuss hat zumindest ein wenig Druck gemacht, wenn es in der Beschlussempfehlung heißt:

„Demgegenüber ist der Petitionsausschuss der Ansicht, dass die überragende Bedeutung, die dem Recht auf ein faires Verfahren Zukommt, sowie das mit dem Gesetz zur Neuregelung. des Rechts der notwendigen Verteidigung verfolgte Ziel, auch mittellosen. Beschuldigten einen frühzeitigen Zugang zum Recht zu Bewähren, hinreichend Anlass geben, unter eben diesen Gesichtspunkten die Notwendigkeit der vom Petenten geforderten gesetzlichen Klarstellung zumindest zu prüfen.

Anderenfalls wäre unter Umständen eine Beeinträchtigung des notwendigen Rechts auf Verteidigung allein deshalb zu besorgen, weil die Frage nicht bzw. nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes höchstrichterlich geklärt wird.“