Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

Verkehrsrecht III: Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Dichtes Auffahren des Hintermannes

Und als dritte Entscheidung dann der KG, Beschl. v. 02.08.2023 – 3 ORbs 158/23 – 122 Ss 71/23. Am Aktenzeichen erkennt man, dass die Entscheidung ein OWi-Verfahren betrifft.

Es geht um eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Die Polizei Berlin hat mit Bußgeldbescheid v gegen den Betroffenen wegen einer innerörtlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um 38 km/h (erlaubt: 50 km/h) eine Geldbuße von 260 Euro verhängt und ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. Dagegen der Einspruch. Das AG hat dann in seinem Urteil nur eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 25 km/ für erwiesen angesehen. In der Beweiswürdigung heißt es insoweit:

„Auf dem Tatvideo ist zu erkennen, dass der Betroffene zunächst gleichbleibend mit einer Geschwindigkeit von etwa 75 Stundenkilometern auf der äußerst rechten Fahrspur fährt, als ein in der mittleren Fahrspur fahrendes Klein-fahrzeug in dem Moment in die rechte Fahrspur wechseln wollte, als sich der Betroffene mit seinem Fahrzeug auf Höhe dieses Fahrzeugs befand, musste das Kleinfahrzeug ruckartig in die mittlere Fahrspur zurücklenken und der Betroffene sein Fahrzeug kurz abbremsen. Dabei ist zu erkennen, dass das messende Polizeifahrzeug so dicht auf den vom Betroffenen geführten PKW auffährt, dass zwar noch das Kennzeichen zu erkennen ist, nicht jedoch der untere hintere Karosserieabschluss des Fahrzeugs des Betroffenen. Nach einem Abbremsen beschleunigte der Betroffene dann das Fahrzeug und fährt über die mittlere in die äußerst linke Fahrspur ein, wobei er das Fahrzeug stark beschleunigt. Ebenfalls ist auf dem Tatvideo zu erkennen, dass die Beschleunigung vom Messwert 1.540 bis 1.600 Meter andauert und der Betroffene sodann die von ihm gefahrene Geschwindigkeit verringert, ohne das Fahrzeug abzubremsen. Während des Spurwechsels von der äußerst rechten in die äußerst linke Fahrspur und eine kurze Fahrtstrecke auf der äußerst linken Fahrspur verringert sich der Abstand des hinterherfahrenden Fahrzeugs nicht. Erst als der Betroffene das Fahrzeug ohne Abbremsung des Fahrzeugs die Geschwindigkeit verringert und schließlich in die äußerste rechte Fahrbahn wechselt, wird der Abstand zum Polizeifahrzeug deutlich größer.“

Dagegen die Rechtsbeschwerder der Amtsanwaltschaft, die beim KG Erfolg hatte:

„1. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils enthalten keinerlei Ausführungen zur inneren Tatseite. Ob sich dies im hier gegebenen Fall einer innerorts fahrlässig begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung bereits als durchgreifender und zur Aufhebung des Urteils führender Rechtsfehler erweist, kann offenbleiben. Denn auch die Beweiswürdigung ist unzureichend.

2. So stehen die Feststellungen im Widerspruch zu den erhobenen Beweisen. Während es bei den Feststellungen heißt, der Betroffene habe die zulässige Geschwindigkeit „um 25 Stundenkilometer“ überschritten, heißt es bei der Beweiswürdigung, der Betroffene habe, ausgehend von einer Geschwindigkeit von 75 km/h, noch „weiter beschleunigt“ (UA S. 3). Bei den Feststellungen, jedenfalls aber bei der Beweis-würdigung, müsste sich somit der über 75 km/h liegende Wert finden, den das Amtsgericht für objektiv erwiesen erachtet. Dies gilt auch für den Fall, dass das Amtsgericht diesen Wert für „nicht vorwerfbar“ (UA S. 4) hält. Denn nur, wenn die vom Betroffenen tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit mitgeteilt wird, kann das Rechtsbeschwerdegericht die Würdigung des Tatrichters überprüfen, ob der Wert auch „vorwerfbar“ ist.

3. Auch bleibt gänzlich unklar, auf welcher Grundlage das Amtsgericht zum Ergebnis gekommen ist, dass der Betroffene die zulässige Geschwindigkeit um – nur – 25 km/h überschritten hat. Aus der Beweiswürdigung ergibt sich, dass der Betroffene von einem Polizeifahrzeug verfolgt worden ist; offenbar ist die Geschwindigkeit also durch Nachfahren bestimmt worden.

a) Das Amtsgericht teilt nicht mit und nimmt für seine schriftlichen Urteilsgründe da-mit nicht in Anspruch, dass die Geschwindigkeit durch ein zugelassenes und geeichtes Messgerät bestimmt worden ist. Dem Urteil ist weder die Bezeichnung eines bestimmten Messverfahrens zu entnehmen noch die Veranschlagung eines bei diesem Messverfahren angezeigten Toleranzabzugs. Die Beweiswürdigung kann damit auch die Vereinfachungen, die für standardisierte Messverfahren gelten (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 1167/20 – [juris]), nicht beanspruchen. Die Beweise müssen somit in einer Weise dargelegt und gewürdigt werden, die es dem Rechtsbeschwerdegericht erlaubt, die Überzeugungsbildung des Tatgerichts nachvollziehen (vgl. Senat DAR 2015, 99). Dies ist hier nicht geschehen.

b) Die Beweiswürdigung enthält schon keine Angaben zur Messstrecke. Zwar ist der rechtlichen Würdigung zu entnehmen, dass es eine „Gesamtmessstrecke von ca. 1.600 Metern“ (UA S. 4) gegeben habe. Allerdings enthält das Urteil keine konsistenten Angaben zu dem vom verfolgenden Polizeifahrzeug während des gesamten Messvorgangs eingehaltenen Abstand (vgl. zum sog. Verfolgungsabstand grundlegend Senat DAR 2015, 99). Die Beweiswürdigung enthält lediglich eine kurze Sequenz dazu, dass das Polizeifahrzeug einmal dicht aufgefahren sei und dass sich der Abstand später „nicht verringert“ habe (UA S. 3). Zur Höhe des festgestellten Bruttowerts, also dem auf dem Tachometer des Polizeifahrzeugs abgelesenen Wert, verhält sich das Urteil ebenso wenig wie zum abgezogenen Toleranzwert. Auch ver-schweigt das Urteil, ob der Tacho des verfolgenden Fahrzeugs geeicht war, was in aller Regel von Bedeutung für den zu veranschlagenden Toleranzabzug ist. Die An-forderungen an einen durch Nachfahren gewonnen Nachweis der Geschwindigkeit verfehlt das Urteil damit auf ganzer Linie.

4. Fehl geht auch die im Rahmen der rechtlichen Würdigung dargestellte Überlegung, eine – möglicherweise tatsächlich festgestellte, aber im Urteil nicht belegte – Geschwindigkeitsüberschreitung von 38 km/h sei dem Betroffenen „nicht vorzuwerfen“, weil „diese lediglich über eine Geschwindigkeit [gemeint offenbar: Strecke] von nicht einmal 200 Metern bei einer Gesamtmessstrecke von ca. 1600 Metern andauerte“ und der Betroffene sich bedrängt gefühlt habe (UA S. 5). Möchte das Amtsgericht hier andeuten, der Betroffene sei mit der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 38 km/h wegen dichten Auffahrens des nachfolgenden Polizeifahr-zeugs gerechtfertigt oder entschuldigt, so hat es nicht nur das äußere Geschehen aufzuklären und darzustellen, sondern auch die subjektive Seite mitzuteilen und zu erörtern. Denn einen Rechtssatz, eine Annäherung des nachfolgenden Fahrzeugs erlaube eine – zumal drastische – Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, gibt es nicht. Hält das Amtsgericht eine Geschwindigkeitsüberschreitung gleich-wohl für „nicht vorwerfbar“, so hat es die konkreten Umstände in tatsächlicher Hin-sicht darzustellen und in rechtlicher Hinsicht einzuordnen. Dies gilt umso mehr, als hier wohl die Überschreitung um 25 km/h für „vorwerfbar“ gehalten wird, nicht aber die überschießenden 13 km/h. Im Übrigen lassen weder die Feststellungen noch die Beweiswürdigung einen örtlichen, zeitlichen oder gar inneren Zusammenhang zwischen einem „dichten“ Auffahren des Polizeifahrzeugs und der erheblichen Geschwindigkeit des Betroffenen erkennen.“

Und dann – unschön für den Betroffenen – noch:

„5. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, und die Sache ist zu neuer Ver-handlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Informatorisch teilt der Senat mit, dass die Messung hier offenbar mit einem als standardisiert anerkannten Messverfahren (ProVida mit Auswertung durch ViDistA, vgl. Senat VRR 2022, Nr. 3 [Volltext bei juris]) vorgenommen wurde und die festgestellte Durchschnittsgeschwindigkeit über 271 Meter 88 km/h betrug. Bereits bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40% kommt, sofern nicht besondere Umstände eine ab-weichende Wertung veranlassen, regelmäßig nur Vorsatz in Betracht (ständige Rspr. des Senats, vgl. zuletzt VRR 2019, Nr. 8 [Volltext bei juris] m. Anm. Krenberger, jurisPR-VerkR 2/2020 Anm. 5).“

Verkehrsrecht I: Lebenslange Fahrerlaubnissperre, oder: Erforderlichkeit einer eingehenden Begründung

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und heute dann drei verkehrsrechtliche Entscheidungen.

Ich mache den Opener mit dem BGH, Beschl. v. 18.07.2023 – 4 StR 42/23. Das LG hatte gegen den Angeklagten eine lebenslange Sperre für die (Wieder)Erteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Dem BGH hat das nicht gefallen:

„Die Anordnung einer lebenslangen Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gemäß § 69a Abs. 1 Satz 2 StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Eine solche bedarf stets besonders sorgfältiger Prüfung und erschöpfender Begründung. Sie setzt voraus, dass eine Sperre von fünf Jahren zur Abwendung der vom Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Bei charakterlichen Mängeln – wie vorliegend – kommt sie in der Regel nur bei Fällen schwerster Verkehrskriminalität in Betracht; so z.B. bei chronischer Trunkenheitsdelinquenz und sonsti-ger auf fest verwurzeltem Hang beruhender Verkehrsdelinquenz, bei mehreren Vorstrafen und mehrfacher Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1961 – 4 StR 546/60, BGHSt 15, 393, 398; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 5 RVs 176/18, SVR 2019, 268, 269 f.; OLG Köln, Be-schluss vom 18. Mai 2001 – Ss 102/01, NJW 2001, 3491, 3492; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 69a Rn. 22 a).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Denn sie lassen schon nicht erkennen, ob sich das Landgericht der vorgenannten besonderen Begründungserfordernisse, die an die Verhängung einer lebenslangen Sperre gestellt werden, bewusst war. Auch fehlt eine solche eingehende Begründung. Das Urteil erschöpft sich in der Ausführung, dass wegen der seit Jahren eingeschliffenen und einer therapeutischen Einwirkung kaum zugänglichen dissozialen Einstellungs- und Verhaltensmuster des Angeklagten – auch in der anstehenden mehrjährigen Haftzeit – das Ende seiner fehlenden Eignung innerhalb der gesetzlichen Höchstfrist einer zeitigen Sperre von fünf Jahren nicht ab-sehbar und somit nicht zu erwarten sei, dass die Anordnung der gesetzlichen Höchstfrist zur Abwehr der von ihm drohenden Gefahren ausreichen werde. Indes hätte es angesichts fehlender erheblicher Vorverurteilungen des vergleichs-weise jungen Angeklagten wegen Verkehrsdelikten sowie mangels wiederholter Entziehungen der Fahrerlaubnis insoweit näherer Ausführungen bedurft.“

Rechtsfolgen III: Doppelverwertungsverbot bei OWi’s, oder: Eine „Gesamtgeldbuße“ gibt es nicht

© Gina Sanders – Fotolia.de

Und als letzte Entscheidung dann der KG, Beschl. v. 18.08.2023 – 3 ORbs 172/23 – 122 Ss 40/23, also Bußgeldverfahren. Das AG hat die Betroffene wegen vier tateinheitlich begangener Verstöße gegen das ProstSchG zu einer Geldbuße von 1.000 EUR und wegen eines weiteren Verstoßes gegen die GewO zu einer Geldbuße von 200 EUR verurteilt und daraus eine „Gesamtgeldbuße“ von 1.200 EUR gebildet. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

Das KK moniert zunächst nicht ausreichende Feststellungen des AG und beanstandet die amtsgerichtliche Beweiswürdigung. Insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext. Zu den Rechtsfolgen führt es dann aus:

„3. Schließlich ist auch die Rechtsfolgenbemessung zu beanstanden.

a) Indem das Amtsgericht ausführt, der Verstoß sei „als erheblich einzustufen, da mit der Erlaubnispflicht für das Prostitutionsgewerbe und den dafür bestehenden Schutzvorschriften der illegalen Prostitution und sexuell übertragbaren Krankheiten vorgebeugt werden soll“ (UA S. 5), bewertet es einen Umstand als belastend, der nicht die Tatausführung betrifft, sondern bereits Grundlage der Bußgeldnorm ist. Dies stellt einen Verstoß gegen den auch im Bußgeldverfahren anzuwendenden Rechtsgedanken des § 46 Abs. 3 StGB dar (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 05.12.2013 – 3 Ss OWi 1470/13 und 01.02.2017 – 3 Ss OWi 80/17 [beide juris]; Mitsch in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 17 Rn. 36). Das Doppelverwertungsverbot soll verhindern, dass Umstände, die bereits zum Tatbestand der Bußgeldnorm gehören oder, wie hier, das generelle gesetzgeberische Motiv für die Bußgelddrohung darstellen, bei der Bemessung der Geldbuße noch einmal herangezogen werden.

b) Als problematisch muss auch der im Tenor benutzte Terminus der „Gesamtgeldbuße“ gelten. Nach dem im Bußgeldrecht geltenden Kumulationsprinzip ist keine „Gesamtgeldbuße“ festzusetzen (vgl. OLG Karlsruhe VRS 108, 63; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 20 Rn. 2). Jedenfalls fehlerhaft ist vor diesem Hintergrund die Begründung der Bildung einer einheitlichen „Gesamtgeldbuße“, nach der „die Geldbuße … in der Höhe für fünf begangene Verstöße, davon vier in Tateinheit, angemessen und sachgerecht“ erschien (UA S. 5).“

OWi I: Hier mal wieder Fortbildung durch das OLG, oder: Die Grundsätze der Lichtbildidentifizierung

Heute will ich dann mal wieder drei OLG-Entscheidungen zu OWi-Fragen vorstellen, die bei mir in den letzten Tagen eingetrudelt sind. Alle drei Entscheidungen enthalten aber nichts Neues, sondern behandeln Fragen, die in der Rechtsprechung der OLG schon länger geklärt sind.  Was mich bei solchen Entscheidungen immer wundert, ist der Umstand, dass diese „alte“ Rechtsprechung offenbar aber nicht bei allen AG angekommen bzw. dort bekannt ist, ich will nicht behaupten, dass man sie kennt, aber nicht beachtet.

Ein „schönes“ Beispiel ist der gleich die erste Entscheidung, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.07.2023 – 1 ORBs 77/23. Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 600,00 EUR verurteilt und ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die beim OLG Erfolg hat. Dem OLG reichen die Ausführungen des AG zur Täteridentifizierung nicht:

„Das zulässige Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge (jedenfalls vorläufig) Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die zugleich erhobene Verfahrensrüge nicht bedarf. Das Urteil unterliegt der Aufhebung, weil die Beweiswürdigung zur Identität des Betroffenen mit dem bei Begehung des Verkehrsverstoßes abgelichteten Fahrzeugführer lückenhaft ist und deshalb revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhält.

1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts soll der Betroffene am mit einem PKW der Marke pp. statt der mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach Abzug der an-zurechnenden Toleranz mit einer Geschwindigkeit von 172 km/h befahren haben. Seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen stützt das Amtsgericht auf folgende Erwägungen:

„Auf den Lichtbildern Seiten I, II und 1 ist das vom System PoliScan Speed gemachte Foto zu sehen, auf dem der PKW und der Fahrzeugführer gut zu erkennen sind. Der Auswerterahmen des Messgeräts liegt ordnungsgemäß auf der Front des Fahrzeuges auf und erfasst sowohl das Kennzeichen, als auch einen Teil der Fahrbahn. Auf der Ausschnittsvergrößerung, auf der der Fahrzeugführer zu erkennen ist, war der Betroffene zwanglos als Fahrzeugführer zu erkennen. Hohe Stirn, rundes Gesicht, relativ große Ohren sind die Kennzeichen, die der Fahrzeugführer aufweist, aber auch der Betroffene. Der Betroffene war für den erkennenden Richter so eindeutig zu identifizieren, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens hierzu nicht bedurfte.“

Zur Sache selbst heißt es im Rahmen der Beweiswürdigung weiter:

„Nach dem in der Hauptverhandlung verlesenen Messprotokoll Blatt 3 der Akten, wurde die Messstelle ordnungsgemäß eingerichtet und es ergaben sich keine Be-sonderheiten. Nach der Übersicht der zur Tatzeit geltenden Geschwindigkeitsbegrenzung auf der variablen Anzeige Blatt 4 der Akten waren zur Tatzeit 100 km/h an der Messstelle erlaubt, wie auch sonst die gesamte Zeit, was die Frage aufwirft, welchen Sinn eigentlich die variable Anzeige hat. Das Gerät war jedenfalls geeicht., Blatt 5 der Akten, in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen. Eine Dienstanweisung zur Einrichtung der Messstelle gab es auch, Blatt 6 der Akten, in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen. Die Standorte der Verkehrszeichen ergeben sich aus der Aufstellung Blatt 7 der Akten, in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen, danach gab es ein Verkehrszeichen in Höhe des Kilometers 90.3 und in Höhe des Kilometers 89,2, der Standort des Messgeräts, war dann in Höhe des Kilometers 87.982. Das ist in Ordnung.”

2. Die vorstehend wiedergegebenen Ausführungen lassen nicht in der erforderlichen Weise erkennen, ob das Amtsgericht sich rechtsfehlerfrei von der Täterschaft des Betroffenen überzeugt hat.

a) Zwar hat über die Frage der Identifizierung eines Betroffenen als die auf dem Messfoto abgebildete Person allein der Tatrichter zu entscheiden. Indes müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Messfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (BGHSt 41, 376, 382).

Zur Erfüllung dieser Anforderungen kann der Tatrichter in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG wegen der Einzelheiten verweisen. Die Verweisung muss deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (BGH a. a. 0.; OLG Düsseldorf NZV 1994, 202; Thür. OLG NZV 2008, 165). Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind darüberhinausgehende Ausführungen zur konkreten Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich, wenn das Foto — weil es die einzelnen Gesichtszüge erkennen lässt — zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet ist (BGHSt 41, 376, 383; Thür. OLG a.a.O.).

Sieht der Tatrichter hingegen von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er – wie hier – die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. Das Urteil muss dann Ausführungen zur Bildqualität, insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere ldentifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung dessen Ergiebigkeit ermöglicht wird (BGHSt 41, 376, 384 f.).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen genügt das Urteil den Darlegungserfordernissen nicht. Es enthält weder eine wirksame Bezugnahme auf die in den Akten befindliche Kopie des Radarfotos im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG noch eine Beschreibung, die dem Senat die Prüfung ermöglicht, ob diese Kopie für eine Identifizierung geeignet ist.

c) Die Bezugnahme auf ein Radarfoto muss in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (BGHSt 41, 376, 382). Das muss nicht in *der Weise geschehen; dass die Vorschrift des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO angeführt und ihr Wortlaut verwendet wird, obwohl sich dieses Vorgehen als die kürzeste und deutlichste Form der Verweisung aufdrängt (Senat NZV 2007, 254, 255); OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238 jeweils m.w.N.). Den Gründen muss aber eindeutig zu entnehmen sein, dass nicht nur der Vorgang der Beweiserhebung beschrieben, sondern durch die entsprechenden Ausführungen das Foto zum Bestandteil der Urteilsurkunde gemacht werden soll (Senat a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

Hier verweist das angefochtene Urteil weder ausdrücklich auf § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, noch verwendet es den Wortlaut dieser Vorschrift. Den Gründen kann auch sonst nicht entnommen werden, dass das Foto durch Bezugnahme Teil der Urteilsurkunde sein soll. Die bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten — hier: „Seiten 1, II und 1″ — reicht dazu in der Regel nicht aus (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. [2023], § 267 Rn. 8 m.w.N.). Zwar mag im Einzelfall aus der Angabe der Blattzahl darauf geschlossen werden können, dass der Tatrichter das Rechtsmittelgericht dazu auffordern wollte, sich durch die Betrachtung der an entsprechender Stelle zu findenden Abbildung einen eigenen Eindruck zu verschaffen, weil die Angabe der Fundstelle sonst keinen Sinn machen würde (so BGH Beschluss vom 28. Januar 2016 — 3 StR 425/15). Ein solches Bewusstsein kann dem Tatrichter aber nicht unterstellt werden, wenn — wie im angefochtenen Urteil — auch die Fundstellen einer Vielzahl in der Hauptverhandlung verlesener Urkunden angegeben werden, die keinesfalls durch Bezugnahme Bestandteil der Urteilsgründe werden können.

d) Die Ausführungen zum Vergleich des Betroffenen mit der auf dem Lichtbild abgebildeten Person sind für den Senat nicht nachvollziehbar, weil sie sich in einer Aufzählung dreier wenig markanter, vom Tatrichter für übereinstimmend erachteter physiognomischer Merkmale erschöpfen, im Übrigen aber weder Aufschluss über die Bildqualität geben noch die erforderliche ausführliche Beschreibung der auf dem Foto erkennbaren IdentifizierungsMerkmale der abgelichteten Person enthalten.

Aufgrund dieser nur lückenhaften Ausführungen vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob die Verurteilung des Betroffenen zu Recht erfolgt ist.“

Also kleine Fortbildung des OLG in Sachen Identifizierung anhand eines Lichtbildes. Und zur Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verspätung legt das OLG dann noch einen drauf:

„4. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich ergänzend darauf hin, dass auch die mit der Verfahrensrüge beanstandete Behandlung des Beweisbegehrens rechtlichen Bedenken begegnet.

Die Ablehnung von Beweisanträgen nach § 77 Abs. 2 Nr. 2, § 244 Abs. 3, Abs. 4 S. 1 StPO hat auch im Bußgeldverfahren durch begründeten Gerichtsbeschluss zu erfolgen, wobei sich die Begründung nicht auf eine Wiedergabe des Gesetzestextes beschränken darf (BGH Beschl. v. 24.10.1979, NStZ 1981, 96 [Pf/M]; OLG Köln VRS 74, 372; 75, 119; VRS 88, 203). Mindestvoraussetzung ist, dass der Antragsteller über die zur Ablehnung führenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Gerichts aufgeklärt und dadurch in die Lage versetzt wird, die weitere Verfolgung seiner Rechte entsprechend einzurichten. (st. Rspr., vgl. etwa BGHSt. 19, 24, 26 = NJW 1963, 1788; BGH NStZ 1983, 568; OLG Düsseldorf NJW 1970, 625; OLG Köln VRS 39, 70; KG VRS 39, 434; OLG Koblenz VRS 52, 206). Darüber hinaus muss die Begründung auch so beschaffen sein, dass sie im Falle der Rechtsbeschwerde dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung der Entscheidung ermöglicht (BGHSt. 2, 284, 286 = NJW 1952, 714; BayObLG DAR 1974 187 [Rü]).

Bei der Zurückweisung eines Beweisantrages wegen verspäteten Vorbringens (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) ist im Beschluss zu begründen, weshalb nach Auffassung des Gerichts für die späte Antragstellung kein verständiger Grund vorliegt. Zur rechtlichen Überprüfung des Beschlusses ist in der Begründung auch mitzuteilen, in welchem Verfahrensstadium der Antrag gestellt worden ist. Schließlich muss der Beschluss darlegen, dass und weshalb eine Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde und dass diese Folge bei rechtzeitigem Vorbringen vermieden worden wäre.“

Vielleicht hat es ja geholfen…..

StPO III: Unglaubhafte bestreitende Einlassung, oder: „Wenn es stimmt, hättest du dich eher eingelassen.“

Smiley

Und dann noch der BGH, Beschl. v. 27.04.2023 – 5 StR 52/23 – mit einer „klassischen“ Problemati, bei der man sich wieder mal fragt: Warum?

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung  verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen die Revision des Angeklagten, die ein Selbstläufer ist/war. Der BGH hat aufgehoben:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts sprach die Geschädigte den Angeklagten am 6. September 2021 auf die Zahlung seiner Schulden in Höhe von zwei Euro an. Um sie zum Forderungsverzicht zu bewegen, sprühte er ihr unvermittelt Pfefferspray ins Gesicht und forderte sie vergeblich zum Weggehen auf. Daraufhin versetzte er ihr mit der Metallschnalle seines Ledergürtels mehrere Schläge auf Kopf und Oberkörper; sie erlitt eine Platzwunde am Hinterkopf und Schwellungen an den Händen. Nach dem letzten Schlag hielt der Angeklagte es für möglich, alles getan zu haben, um die Geschädigte endgültig zum Verzicht auf ihre Forderung zu bewegen. Dies war aber entgegen seiner Erwartung nicht der Fall.

Der Angeklagte hat angegeben, er habe keine Schulden bei der Geschädigten gehabt, vielmehr habe sie ihm seinen Rucksack weggenommen. Als er sich diesen zurückholen wollte, habe sie ihn geschubst und geschlagen, so dass er zu Boden gegangen sei. Um ihre Angriffe abzuwehren, habe er sie mit dem Gürtel geschlagen.

Das Landgericht hat diese bestreitende Einlassung als unglaubhaft angesehen. Denn für den Fall, dass seine Schilderung zuträfe, sei zu erwarten gewesen, dass er diese bereits zu einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens zu seiner Verteidigung gemacht hätte und nicht erst, nachdem er sich bereits seit über drei Monaten in Untersuchungshaft befunden hatte.

Diese Erwägung verstößt gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Diesem kann der Zeitpunkt, zu dem er erstmals eine entlastende Einlassung vorbringt, nicht zum Nachteil gereichen.

Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus einer durchgängigen noch aus einer anfänglichen Aussageverweigerung eines Angeklagten – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem er sich erstmals einlässt – nachteilige Schlüsse gezogen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2022 – 1 StR 139/22 Rn. 12; vom 23. März 2021 – 3 StR 68/21 Rn. 11, jeweils mwN).

Dem Urteil lässt sich entnehmen, dass der Angeklagte sich erstmals gegenüber dem Sachverständigen geäußert hat. Dass er nicht schon früher geltend gemacht hat, in Notwehr gehandelt zu haben, darf deshalb bei der Bewertung seiner Aussage keine Berücksichtigung finden. Dieser Rechtsfehler ist auf die Sachrüge hin zu beachten (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 3 StR 344/15, NStZ 2016, 220).

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung der Einlassung des Angeklagten zu einer anderen, dem Angeklagten günstigeren Überzeugung vom Tatablauf gelangt wäre (§ 337 Abs. 1 StPO).“

Oh Mann.