StPO III: Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung, oder: Eingeschränkte Schuldfähigkeit/Blutprobe

Und dann noch eine Entscheidung aus dem Berufungsverfahren, und zwar der

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Das AG hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung für wirksam erachtet und  die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen. Mit seiner unbeschränkten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und äußert Zweifel an seiner Schuldfähigkeit. Die Revision hatte Erfolg:

„Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten hat bereits deshalb einen vorläufigen Erfolg, weil das Landgericht mangels hinreichender Feststellungen des Amtsgerichts zur Alkoholisierung des Angeklagten nicht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung ausgehen durfte (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2022 – 203 StRR 481/22-, juris).

Für eine rechtsfehlerfreie Prüfung der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB ist der Tatrichter nach der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich verpflichtet, die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (BAK) des Täters für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu errechnen, sobald und soweit die Schuldfähigkeit durch Alkoholmissbrauch eingeschränkt oder ausgeschlossen gewesen sein könnte (Senat a.a.O. Rn. 6; BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 StRR 20/01 -, juris Rn. 9). Bei einem erkennbar alkoholisierten Täter hat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit die Berechnung der BAK zur Tatzeit vorauszugehen, um den Grad der Alkoholisierung auf einer hinreichenden Faktenbasis einschätzen zu können (Senat a.a.O. m.w.N.).

Die danach gebotene Feststellung des Blutalkoholwerts hat das Amtsgericht versäumt und eine Schuldunfähigkeit ohne tragfähige Tatsachengrundlage ausgeschlossen, obwohl sich der Angeklagte auf einen „Filmriss“ berufen hat. Das Landgericht hätte daher nicht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgehen dürfen und das Urteil des Amtsgerichts umfassend im Schuldspruch mit eigenen Feststellungen zur Frage der Schuldfähigkeit überprüfen müssen (vgl. Senat a.a.O. Rn. 4, 9; BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 StRR 20/01 –, juris Rn. 6 ff., 9). Die bisherigen Feststellungen tragen auch keine Verurteilung wegen Vollrausches nach § 323a StGB, so dass der Senat offen lassen kann, ob in diesem Fall die Beschränkung der Berufung wirksam wäre.

Die neue Strafkammer wird – gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von sachverständiger Hilfe – die tatsächlichen Grundlagen, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit mit Blick auf den der Tat vorangegangenen Alkoholkonsum von Bedeutung sind, zu klären und hierzu Feststellungen zu treffen haben (vgl. Senat a.a.O. Rn. 6).

Sollte ein Blutprobe-Blutalkoholkonzentrationswert fehlen, rechtfertigt dies nicht, von Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration abzusehen (Senat a.a.O.). Vielmehr ist der Alkoholgehalt der insgesamt konsumierten Alkoholmenge anhand von Trinkmengenangaben des Angeklagten und möglicher Zeugen festzustellen und sodann die Tatzeit – BAK zu ermitteln (vgl. Senat a.a.O.; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 5 StR 57/09 –, juris Rn. 8; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 20 Rn. 14). Die entsprechenden Anknüpfungstatsachen sind im Urteil darzulegen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2003 – 2 StR 209/03 –, juris Rn. 6). Anschließend hat eine Gesamtbewertung der Umstände des Tatgeschehens und der Persönlichkeitsverfassung des Täters vor, während und nach der Tat zu erfolgen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1991 – 1 StR 482/91 –, juris Rn. 8). Dem festgestellten BAK – Wert kommt dabei die Bedeutung eines gewichtigen Beweisanzeichens zu (vgl. Fischer a.a.O. Rn. 17, 23). Entziehen sich die Angaben des Angeklagten zum Alkoholkonsum sowohl zeitlich als auch mengenmäßig jedem Versuch einer Eingrenzung, so bedarf es der Berechnung der Blutalkoholkonzentration ausnahmsweise nicht. In einem solchen Fall kann sich die Beurteilung der Schuldfähigkeit nur nach psychodiagnostischen Kriterien richten, wobei die Hinzuziehung eines Sachverständigen regelmäßig geboten sein wird (vgl. Senat a.a.O. m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 6. März 2003 – 1St RR 13/03 –, juris Rn. 17; Fischer a.a.O. Rn. 26).“

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