Archiv der Kategorie: Urteil

Strafe I: Drei neuere Entscheidungen vom BGH, oder: Strafzumessungslotterie

Bild von gouv auf Pixabay

Und dann mal wieder etwas zur Strafzumessung. Hier zunächst ein paar BGH-Entscheidungen:

„Zwar begegnet die in allen verfahrensgegenständlichen Fällen strafschärfend berücksichtigte Erwägung, der Angeklagte habe „die für das Rechtsgut der Volksgesundheit riskante Einfuhrfahrt angetreten […], ohne die Art der Ware zu prüfen“, obwohl hierzu Anlass und unschwer Gelegenheit bestand, rechtlichen Bedenken. Denn sie umschreibt einen Fahrlässigkeitsvorwurf, für dessen schulderhöhende Berücksichtigung hier kein Raum war.

Zwar darf in Fällen, in denen der Täter eine Rauschgiftmenge einführt, die tatsächlich größer ist, als er sich vorgestellt hat, die von seinem Vorsatz nicht umfasste Mehrmenge tatschulderhöhend gewertet und strafschärfend berücksichtigt werden, wenn ihm insoweit Fahrlässigkeit zur Last liegt (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2019 ? 5 StR 325/19, Rn. 13; Urteil vom 10. Februar 2011 ? 4 StR 576/10, Rn. 9; Urteil vom 6. September 1995 ? 2 StR 310/95, StV 1996, 90; Urteil vom 21. April 2004 ? 1 StR 522/03, Rn. 13). Nach den bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Feststellungen war der bedingte Vorsatz des Angeklagten aber jeweils auf die gesamte transportierte Rauschgiftmenge bezogen, so dass ein Fahrlässigkeitsvorwurf ausschied.“

Zwar begegnet die strafschärfende Berücksichtigung der Tatfolgen für die Angehörigen des Tatopfers teilweise rechtlichen Bedenken. Denn lediglich im Hinblick auf die zur Tatzeit noch kleinen Kinder der Getöteten lassen die Urteilsgründe eine einzelfallbezogene Differenzierung nach der Bedeutung des Vorhandenseins der getöteten Bezugsperson für die konkreten Angehörigen erkennen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582); hinsichtlich der beiden Nebenklägerinnen, auf die das Schwurgericht ebenfalls abgestellt hat, fehlt es hingegen an entsprechenden Feststellungen. Der Senat schließt aber mit Blick auf das konkrete Tatbild und die Strafbemessung in ihrer Gesamtheit aus, dass die verhängte Strafe hierauf beruht.

„Das Landgericht hat das straffreie Vorleben des Angeklagten weder bei der Strafrahmenwahl noch bei der Strafzumessung im engeren Sinne erkennbar berücksichtigt. Insoweit handelt es sich jedoch um einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. März 2022 – 6 StR 61/22 und vom 6. Juni 2023 – 4 StR 133/23, jeweils mwN).

Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, denn der Senat kann trotz der maßvollen Strafen nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne den Rechtsfehler auf noch niedrigere Freiheitsstrafen erkannt hätte. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt (§ 353 Abs. 2 StPO).“

Mal kann er ausschließen, mal nicht 🙂 . Lotterie beim BGH. 🙂

Urteilsgründe: Handel mit Betäubungsmitteln, oder: Allein Besitz von Feinwaage u.a. reicht nicht

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und dann als letzte Entscheidung noch etwas aus dem BtM-Bereich, und zwar das AG München, Urt. v. 10.4.2024 – 1015 Ds 373 Js 146518/23 jug. Vorgeworfen worden ist der m Angeklagten ein Verstoß gegem das BtMG/KCanG. Das AG hat ihn frei gesprochen:

„Der Angeklagte wurde von der Staatsanwaltschaft mit unveränderter zugelassener Anklageschrift vom 30.11.23 folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

„1.Am 15.03.2023 gegen 18:51 Uhr bewahrte der Angeklagte in der pp-, München, 2,87 Gramm Marihuana und 2,22 Gramm Tabak-Marihuana-Gemisch zusammen mit einer Feinwaage und diversen Druckverschlusstüten wissentlich und willentlich auf. Dabei plante der Angeklagte, durch einen späteren Verkauf Gewinn zu erzielen.

Das Betäubungsmittel hatte mindestens einen Wirkstoffgehalt von 5 % THC.

Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.

Bei Tatbegehung besaß der Angeklagte die gemäß § 3 JGG erforderliche Reife, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“

Dem Angeklagten wurde deshalb vorgeworfen, sich eines vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß §§ 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage I zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, Fassung vor dem 01.04.24 bzw. §§ 1 Nr. 8, 2 I Nr. 1, 34 I Nr. 1, 2 u. 12 KCanG, ab dem 01.04.24 strafbar gemacht zu haben.

Dem gegenüber hat das Gericht folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Angeklagte hatte in seinem Zimmer die unter Nr. 1 angegebenen Mengen an Marihuana und Tabak-Marihuana-Gemisch sowie die Druckverschlusstüten und die Feinwaage. Der Angeklagte hat angegeben, die Druckverschlusstüten hätten sich dort befunden, weil er wisse, dass beim Transport von Marihuana der Geruch verräterisch sei. Deshalb würde er, wenn er Marihuana in der Hosen- oder Jackentasche mitnehme, dieses in Druckverschlusstüten verpacken.

Diese seien nicht einzeln zu erwerben deswegen habe sich eine solche Menge dort befunden. Weiter hat er angegeben, dass er die Feinwaage in seinem Besitz gehabt habe, weil er zum Teil geringere Mengen habe abwiegen wollen. Diese beiden Angaben sind nicht zu widerlegen. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte eine Feinwaage und diverse Druck-verschlusstüten bei sich zuhause aufbewahrt, reicht nicht aus, um davon auszugehen, dass er auch mit Marihuana Handel getrieben habe.

Der Angeklagte konnte daher nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit des vorsätzlichen unerlaubten Handelns mit Cannabis in Form von Marihuana nach dem Konsumcannabisgesetz überführt werden. Er war daher freizusprechen. Der Freispruch erfolgte aus tatsächlichen Gründen.“

Urteilsgründe II: Verurteilung wegen KiPo-Verbreitens, oder: Wesentliche Inhalte der KiPo-Schriften im Urteil?

Bild von Hans Braxmeier auf Pixabay

Die zweite Entscheidung, den OLG Celle, Beschl. v. 27.05.2024 – 1 ORs 13/24 – hatte ich schon mal vorgestellt, und zwar wegen der vom OLG angesprochenen Frage in Zusammenhang mit dem KCanG. Hier kommt sie jetzt noch einmal, und zwar wegen der Ausführungen des OLG bei einer Verurteilung wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften u.a.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Verbreitens kinderpornographischer Inhalte in sechs Fällen sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte verurteilt. Gegen das Urteil hatten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft beschränkte diese in ihrer schriftlichen Berufungsbegründung und der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch. Das LG hat die Beschränkungen für wirksam gehalten und die Rechtsmittel jeweils verworfen.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zur Sache, die das Landgericht aufgrund der erfolgten Berufungsbeschränkungen seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, lauten wie folgt:

„1.- 6.
Mit Hilfe seines Computers oder Mobiltelefons hielt der Angeklagte in dem Zeitraum vom 02.11.2020 bis zum 26.06.2021 insgesamt mindestens 34 Bilddateien, auf denen unter anderem ein entblößtes männliches Genital, jeweils mit einem ausgedruckten Bild, auf dem der sexuelle Missbrauch eines unter 14 Jahre alten Mädchens oder in grob anreißerischer (pornographischer) Weise eine sexuelle Handlung von, an oder vor einem Kind, ein zumindest teilweise unbekleidetes Kind in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung oder in sexuell aufreizender Weise das unbekleidete Geschlechtsteil bzw. Gesäß eines Kindes dargestellt ist, sowie der Bundespersonalausweis des Angeklagten zu sehen ist, über einen Verweisungslink auf das Tauschbörsenprogramm „pornopics“ im Internet zum Download bereit und zwar
1. am 02.12.2020 insgesamt elf solche Dateien,
2. am 03.12.2020 insgesamt zwölf solche Dateien,
3. am 19.12.2020 insgesamt sechs solche Dateien,
4. am 08.03.2021 insgesamt drei solche Dateien,
5. am 22.06.2021 eine solche Datei,
6. am 26.06.2021 eine solche Datei.
7. Der Angeklagte ließ sich mithilfe seines Computers oder Mobiltelefons
a) Dateien mit Bildern oder Videos, auf denen der sexuelle Missbrauch von unter 14 Jahre alten Mädchen oder in grob anreißerischer (pornographischer) Weise eine sexuelle Handlung von, an oder vor einem Kind, ein zumindest teilweise unbekleidetes Kind in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung oder in sexuell aufreizender Weise das unbekleidete Geschlechtsteil bzw. Gesäß eines Kindes dargestellt ist,
b) Dateien mit Bildern, auf denen in grob anreißerischer (pornographischer) Weise sexuelle Handlungen von, an oder vor Mädchen oder Jungen zwischen der Vollendung des 14. und 18. Lebensjahres oder zumindest teilweise unbekleidete Jugendliche in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung dargestellt sind,
von anderen Internetnutzern übermitteln oder lud solche Dateien aus dem Internet herunter und speicherte diese auf einer Festplatte, die er in seinem Keller in einer Metallbox verwahrte, sodass anlässlich einer Durchsuchung am 27.09.2021 bei ihm 2.384 kinderpornographische Mediendateien sowie 120 jugendpornographische Dateien aufgefunden wurden. Zusätzlich wurden in der Metallbox vier weitere, ausgedruckte kinderpornographische Bilder in DIN-A4-Format aufgefunden.“

Dagegen die Revision, die erfolgreich war. Dem OLG reichen nämlich diese amtsgerichtlichen Feststellunge nicht:

„….. Ob das Berufungsgericht zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 S. 1 StPO und damit von einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist, ist im Rahmen einer zulässigen Revision auf die Sachrüge von Amts wegen zu prüfen (vgl. etwa BayOLG, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – 202 StRR 74/23, juris Rn. 3; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juni 2020 – (4) 161 Ss 65/20 (86/20), juris Rn. 24). Eine wirksame Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch setzt voraus, dass das angefochtene Urteil seine Prüfung ermöglicht; dies ist dann nicht der Fall, wenn die Feststellungen zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und deshalb keine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts bilden können (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 – 2 StR 288/19, juris Rn.9; BayOLG, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – 202 StRR 74/23, juris Rn. 4; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juni 2020 – (4) 161 Ss 65/20 (86/20), juris Rn. 26; jeweils mwN). Die Urteilsfeststellungen müssen insbesondere auch erkennen lassen, durch welche Tatsachen die gesetzlichen Merkmale der Straftat als verwirklicht angesehen worden sind (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Mai 2023 – 1 ORs 85/23, juris Rn. 6).

Im Falle einer Verurteilung nach §§ 184b, 184c StGB müssen die Urteilsgründe die wesentlichen Inhalte der kinder- bzw. jugendpornografischen Schriften bzw. Abbildungen wiedergeben; hierzu gehört zumindest eine Beschreibung der Art der sexuellen Handlung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2023 – 5 StR 55/23, juris Rn. 3 und vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12; OLG Oldenburg aaO Rn. 10). Zwar ist es beim Vorliegen einer großen Menge von Video- und Bildaufnahmen nicht erforderlich, in den Urteilsgründen jede einzelne zu beschreiben; zumindest für eine exemplarische Auswahl der Aufnahmen sind aber konkrete Feststellungen zu den abgebildeten sexuellen Handlungen von, an oder vor Kindern oder Jugendlichen geboten (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12; OLG Oldenburg aaO).

Solche sind jedoch – auch in Form einer grundsätzlich möglichen Bezugnahme auf in den Akten befindliche Abbildungen gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12) – in den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils nicht zu finden. Das amtsgerichtliche Urteil belässt es bei den Feststellungen zur Sache vielmehr im Wesentlichen bei der Wiedergabe des Gesetzeswortlauts, ohne die Tatbestandsvoraussetzungen der angewandten Normen durch entsprechende tatsächliche Feststellungen auszufüllen. Der Inhalt der maßgeblichen Dateien wird – selbst für eine exemplarische Auswahl – nicht mitgeteilt. Es fehlen Angaben zum Geschlecht der jeweils Betroffenen sowie zu den jeweiligen Tatmodalitäten. Schließlich wird auch nicht dargelegt, aus welchen äußeren Merkmalen das Gericht auf ein bestimmtes Alter der auf den Bildern zu sehenden Personen schließt.

Wegen der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung hätte das Landgericht die notwendigen Feststellungen zum Schuldspruch in eigener Verantwortung treffen müssen. Dass dies nicht geschehen ist, begründet einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, so dass das angefochtene Urteil insgesamt der Aufhebung unterliegt.“

Urteilsgründe I: Feststellungen bei der Drogenfahrt, oder: Allein „Blutwirkstoffbefund“ reicht nicht

Bild von Annett_Klingner auf Pixabay

Und dann unter der „Oberrubrik“ StPO heute drei Entscheidungen, die sich mit den Anforderungen an die Urteilsgründe befassen.

In dem Zusammenhang stelle ich hier zunächst den BGH, Beschl. v. 24.04.2024 – 4 StR 90/24 – vor, er sich noch einmal zu den tatsächlichen Feststellungen bei einer Drogenfahrt äußert. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. es hat – soweit insoweit von Interesse – festgestellt, dass der Angeklagte vor Fahrantritt er Marihuana und Amphetamine konsumiert hatte. Aufgrund dessen übersah er einen an einer roten Ampel wartenden Pkw und fuhr auf dessen Heck auf, wodurch dem Geschädigten ein Schaden in Höhe von über 4.000 EUR entstand. Seine Fahruntüchtigkeit hätte der Angeklagte nach Auffassung des LG bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen. Der Geschädigte hatte den Angeklagten nach dem Unfall angesprochen und gefragt, was denn passiert sei, er werde die Polizei rufen. Der Angeklagte reagierte zunächst nicht, wirkte im weiteren Gesprächsverlauf schläfrig und hatte eine langsame Aussprache. Er bat den Geschädigten davon abzusehen, die Polizei hinzuzuziehen, worauf sich dieser angesichts des oberflächlich nur leichten Schadens zunächst einließ. Der Angeklagte ermöglichte die Feststellung seiner Personalien, indem er seinen Personalausweis übergab. Als der Geschädigte mangels von ihm weiter erbetener Herausgabe eines Führerscheins durch den Angeklagten doch die Polizei einschalten wollte, fuhr dieser mit seinem Pkw davon. Wenig später wurde er an seiner Wohnanschrift am Steuer des Fahrzeugs sitzend von der Polizei angetroffen, nachdem er soeben einen Joint konsumiert hatte. Die Polizei eröffnete ihm, ohne Fahrerlaubnis gefahren zu sein, woraufhin er unsinnige Bemerkungen abgab wie „Ja, und wer bestimmt das? Wem gehört die Schwerkraft?“.

Dem BGH haben die Feststellungen des LG für eine Veurteilung nach § 315c StGB nicht gereicht bzw. sie seien nicht ausreichend „belegt“:

Nichts Besonderes, aber mal wieder ein „Reminder“.

„b) Diese auch den Schuldspruch nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB im Fall II.1 a) der Urteilsgründe tragenden Feststellungen hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei belegt.

aa) Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 Rn. 9; Urteil vom 15. April 2008 – 4 StR 639/07 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98, BGHSt 44, 219, 221 ff.). Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2022 – 4 StR 231/22 Rn. 8; Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42, 44 ff.).

bb) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Das Landgericht hat die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten allein mit „dem in der Hauptverhandlung verlesenen chemisch-toxikologischen Gutachten“ sowie „den bestätigenden glaubhaften Angaben“ des Geschädigten begründet, der den Angeklagten als schläfrig, langsam sprechend und reaktionsarm beschrieben habe. Diese Beweiswürdigung ist in mehrfacher Hinsicht unzureichend. Mangels Mitteilung des Ergebnisses des chemisch-toxikologischen Gutachtens und der ihm zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen ist ungeachtet der Zeugenaussage schon nicht in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise belegt, dass der insoweit nicht geständige Angeklagte unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand. Zudem wäre hinsichtlich des Blutwirkstoffbefundes zu bedenken gewesen, dass der Angeklagte den Feststellungen zufolge noch nach dem Tatgeschehen Cannabis konsumierte.

Darüber hinaus hätte die Strafkammer näher darlegen und begründen müssen, welche Beweisbedeutung sie dem insgesamt festgestellten Nachtatverhalten des Angeklagten für dessen betäubungsmittelbedingte Fahruntüchtigkeit beigemessen hat. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung hätte das Landgericht zudem bedenken müssen, ob auch die Fahrweise des Angeklagten auf seine relative Fahruntüchtigkeit schließen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10). Insbesondere mit den näheren Gegebenheiten des Unfallereignisses und seines Zustandekommens hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Dies wäre jedoch auch deshalb erforderlich gewesen, weil der Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB zugleich voraussetzt, dass die eingetretene Gefährdung gerade Folge der betäubungsmittelbedingten Fahruntüchtigkeit ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2016 – 4 StR 317/16 Rn. 2; Beschluss vom 11. Februar 2014 ? 4 StR 520/13)…..“

OWi II: Fahreridentifizierung mit SV-Gutachten, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Im zweiten Posting dann etwas zur Urteilbegründung in den Indentifizierungsfällen, wenn das AG ein SV-Gutachten eingeholt hat. Dazu führt das OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.06.2024 – 1 ORbs 137/24 – aus:

„Das angefochtene Urteil weist durchgreifende, auf die Sachrüge hin beachtliche, Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf.

Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters. Das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht kann nur eingreifen, wenn sie rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist oder mit Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungssätzen nicht vereinbar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08. Juni 2017 – III-4 RVs 64/17 – m.w.N.).

Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil ist hinsichtlich der Täteridentifizierung lückenhaft. Folgt der Richter dem Gutachten eines Sachverständigen, hat er die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (BGHSt 39, 291, 297).

Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH NStZ 2000, 106 m. w. N.; OLG Bamberg, DAR 2010, 390). Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des anthropologischen Gutachtens im angegriffenen Urteil nicht.

Zwar sind keine Angaben zum Verbreitungs- oder Häufigkeitsgrad bestimmter morphologischer Merkmale erforderlich, wenn der Sachverständige – wie hier – keine Wahrscheinlichkeitsberechnung anstellt und daraus unmittelbar das Ergebnis des Gutachtens ableitet. Denn nur in diesem Fall bedarf es der Kenntnis der in die Berechnung eingestellten Rechengrößen, um die Richtigkeit der Berechnung überprüfen und die Berechnung nachvollziehen zu können (OLG Jena, VRS 122, 143 m. w. N.).

Jedoch muss der Tatrichter, der sich dem Sachverständigengutachten anschließt, zunächst die wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Sachverständigengutachtens mitteilen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 12. August 2008, 2 Ss (OWi) 148 B/08; Beschl. v. 22. Februar 2007, 2 Ss (OWi) 39 B/07), d. h. das ausgewertete Bildmaterial und die vom Sachverständigen dabei herausgearbeiteten morphologischen Merkmale, die er einem Vergleich unterzogen hat, sowie deren Anzahl. Sodann ist darzustellen, in welchem Maße der Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt, auf welche Art und Weise er diese ermittelt hat und welche Aussagekraft er ihnen beimisst, d. h. wie er die jeweilige Übereinstimmung bei der Beurteilung der Identität gewichtet hat (Senatsbeschluss vom 4. November 2010, (1 B) 53 Ss-OWi 505/10 (271/10)). In welcher Form diese Darstellung erfolgt, ist dabei unerheblich, sofern sich die vom Sachverständigen untersuchten Merkmalsprägungen – soweit das Gericht sie für ergebnisrelevant hält -, deren Gewichtung und das Ergebnis des Vergleichs daraus ablesen lassen (OLG Jena, a. a. O.).

Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des anthropologischen Gutachtens im angegriffenen Urteil nicht. Das Urteil enthält keine Feststellungen darüber, welche morphologischen Merkmale die Sachverständige untersucht hat. Aus der Angabe, dass 107 Merkmale bei dem Fahrer erkennbar waren, wobei die Merkmale der Nase, der Untergesichtsregion und des rechten Ohres beim Fahrer als stark charakteristisch hervorzuheben seien und dass Übereinstimmungen bei 65 der 65 untersuchten Gesichtsmerkmalen festgestellt worden seien und zugleich den Betroffenen ausschließende Merkmale nicht aufgefunden wurden, lässt auch in Verbindung mit dem Umstand, dass der Betroffene „sehr wahrscheinlich“ der Fahrer des Tatfahrzeugs gewesen sei, keinen Rückschluss auf die Geeignetheit dieser Anzahl von übereinstimmenden Merkmalen zur Identifizierung des Betroffenen zu. Im Übrigen stellt das Gericht nicht dar, zu welchem Ausprägungsgrad die Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt hat und welche Aussagekraft sie ihnen beimisst. Diese Ausführungen waren auch nicht entbehrlich.

Zwar hat die Bußgeldrichterin gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG wirksam auf das Beweisfotos Bezug genommen, indem sie im Rahmen der Nennung und Erörterung des der Täteridentifizierung dienenden Lichtbildes in den Urteilsgründen einen Klammerzusatz mit einer genauen Fundstelle in den Akten angefügt hat (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. Mai 2023 – 1 Ss (OWi) 47/22 –). Das Beweisfoto ist indes nicht, wie die Generalstaatsanwaltschaft meint, zur Identifizierung des Fahrers uneingeschränkt geeignet. Im Urteil wird zutreffend ausgeführt, dass das Beweisfoto für die Sachverständige zwar insgesamt zur Identifikation geeignet sei, weil es mehr als 20 Merkmale erkennen lasse, allerdings sei es von nur mäßiger Qualität. Darüber hinaus wird ein großer Teil der Stirn und des Haaransatzes des Fahrers von der Sonnenblende des Fahrzeuges verdeckt. Von einer uneingeschränkten Eignung zur Identifizierung des Fahrzeugführers kann hiernach gerade nicht ausgegangen werden, weshalb sich das Amtsgericht auch folgerichtig der Sachverständigen zur Identifizierung des Fahrzeugführers bedient hat.

Aufgrund der aufgezeigten Darstellungsfehler ist dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens und seines Beweiswertes nicht möglich.

Der Senat weist darauf hin, dass das Amtsgericht die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu einer vorsätzlichen Begehung der Ordnungswidrigkeit zu berücksichtigen haben wird.“

Ein zunächst mal schöner Erfolg, der Zeitgewinn bringt. Allerdings ist der letzte Sazu „unschön“. Da muss man sich überlegen, was man macht.