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KCanG II: „Neue“ „nicht geringe Menge“ liegt bei 75 g, oder: Fortbildung des AG Mannheim für den BGH?

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Und hier aber dann mal ein kleiner Lichblick in der „nicht geringen Menge-Diskussion“, und zwar das – rechtskräftige – AG Mannheim, Urt. v. 16.04.2024 – 2 Ls 801 Js 37886/23, das sich auch zur nicht geringen Menge verhält. Nach Auffassung des AG liegt der (jetzt) bei 75 g:

„2. Demgegenüber nicht erfüllt ist das Regelbeispiel des Handeltreibens mit einer „nicht geringen Menge“ Cannabis gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG.

Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des KCanG keine Bestimmung der „nicht geringen Menge“ vorgenommen, sondern die Festlegung des Grenzwertes bewusst der Rechtsprechung überlassen. Der Grenzwert der „nicht geringen Menge“ ist nach Auffassung des Gerichts im Regelungsregime des KCanG überschritten, wenn sich das Handeln des Täters auf eine Cannabismenge bezieht, welche mindestens 75 Gramm THC enthält. Dieser ist vorliegend mit 72,418 Gramm THC nicht erreicht.

a) Schon im Geltungsbereich des BtMG war die Festlegung des Grenzwertes der „nicht geringen Menge“ Cannabis der Rechtsprechung überlassen. Der Bundesgerichtshof hatte diesen Wert bei einer Wirkstoffmenge von mindestens 7,5 Gramm THC festgelegt (Urteil vom 18.07.1984 – 3 StR 183/84). Dem lag die Erwägung zugrunde, dass der Grenzwert für die „nicht geringe Menge“ eines bestimmten Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Intensität festzulegen ist. Maßgeblich ist danach zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Lässt sich eine solche Dosis – wie bei Cannabis – sachverständig nicht oder nicht hinreichend sicher feststellen, so errechnet sich der Grenzwert ausgehend von der Menge einer durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss der Droge gewöhnten Konsumenten als ein Vielfaches dieses Wertes, wobei das Maß der Vervielfachung nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst gesundheitsschädigenden Potentials zu bestimmen ist. Der Bundesgerichtshof ist insoweit -sachverständig beraten – davon ausgegangen, dass eine durchschnittliche Konsumeinheit Cannabis bei einer THC-Menge von 15 mg anzusetzen ist (vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 18.07.1984 3 StR 183/84; Hanseatisches OLG, a.a.O.).

Als Maß der Vervielfachung dieses Wertes hat der Bundesgerichtshof den Faktor 500 gewählt, wobei der Wahl dieses Faktors ein Abgleich mit der – als weitaus höher angenommenen und mit dem Faktor 150 bemessenen – Gefährlichkeit von Heroin zugrunde liegt. Daraus ergibt sich die Menge von 15 mg x 500 = 7,5 Gramm (vgl. BGH, Urteil vom 18.07.1984 – 3 StR 183/84; Hanseatisches OLG, a.a.O.).

b) Nach Auffassung des Gerichts ist der Grenzwert der „nicht geringen Menge“ im Lichte des KCanG neu zu bestimmen und auf 75 Gramm THC festzusetzen.

aa) Soweit das Hanseatische Oberlandesgericht sich in seiner genannten Entscheidung vom 09.04.2024 dafür ausgesprochen hat den Grenzwert wie bisher bei 7,5 Gramm THC zu belassen, überzeugt dies nicht.

(1) Das Oberlandesgericht hat hierbei wesentlich darauf abgestellt, dass angesichts der sich entsprechenden Wortlaute und Ziele der Regelungen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG kein Anlass bestünde, durch die Neuregelung in § 34 KCanG Veränderungen an dieser Grenzziehung vorzunehmen. Zwar lasse sich dem Gesetz aufgrund des herabgesetzten Strafrahmens entnehmen, dass der Gesetzgeber den Handel mit Cannabis in nicht geringer Menge nunmehr für weniger strafwürdig halte als vormals unter Geltung des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Daraus ergäben sich aber keine Folgerungen für die Frage, ab welcher Mengengrenze der Handel mit Cannabis der gegenüber dem Grundtatbestand verschärften Strafandrohung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG unterliegen solle. Soweit die Gesetzesbegründung die Erwartung an die Rechtsprechung formuliere, dass der konkrete Wert einer nicht geringen Menge „aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln“ sein werde, und dass man „im Lichte der legalisierten Mengen an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten“ könne, der Grenzwert also im Ergebnis „deutlich höher liegen [müsse] als in der Vergangenheit“ (BT-Drs. 20/8704, S. 132), folge der Senat dem nicht. Die Regierungsbegründung verhalte sich nicht klar dazu, worin die „geänderte Risikobewertung“ von Cannabis liege. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Festlegung der Grenze auf 7,5 Gramm THC beruhe auf einer bestimmten, auch sachverständig vermittelten Einschätzung der Menge einer Konsumeinheit und der Gefährlichkeit von Cannabis. Dass sich an diesen wissenschaftlichen Grundlagen der Einschätzung etwas geändert habe, sei weder dem KCanG selbst, noch den zur Auslegung heranzuziehenden Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Auch „im Lichte der legalisierten Mengen“ (BT-Drs. 20/8704, S. 132) müsse der durch den Bundesgerichtshof zum BtMG wirkstoffbezogen festgelegte Grenzwert von 7,5 Gramm THC für die „nicht geringe Menge“ an Cannabis nicht geändert, gar erhöht werden, um die mit dem KCanG bezweckte Entkriminalisierung des Besitzes von Cannabis zu erreichen. Der Gesetzgeber habe die Besitzmengen des KCanG gerade nicht wirkstoffbezogen festgelegt. In Anbetracht der vorkommenden Variationsbreite beim Wirkstoffgehalt würden in der Praxis regelmäßig (strafbare) Besitzmengen vorkommen, deren THC-Gehalt den Grenzwert von 7,5 Gramm THC unterschreiten, so dass gegen die vom Senat vorgenommene Grenzziehung nicht eingewandt werden könne, dass der Besitz einer gerade eben strafbaren Menge Cannabis -also geringfügig mehr als 60 Gramm – stets auch das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG verwirkliche.

(2) Dem kann nicht gefolgt werden. Richtig ist zwar, dass die Erwartung des Gesetzgebers, wo-nach eine Neufestlegung und deutliche Erhöhung des Grenzwertes geboten sei, im Gesetzes-wortlaut keinen Niederschlag gefunden hat. Gleichwohl ist die der Gesetzesbegründung eindeutig zu entnehmende gesetzgeberische Wertung, im Rahmen der Teillegalisierung des Besitzes von Cannabis auch die „nicht geringe Menge“ (deutlich) anzuheben, bei der Auslegung der Vorschrift und Bestimmung des Grenzwertes zu beachten:

„Der konkrete Wert einer nicht geringen Menge wird abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln sein. Im Lichte der legalisierten Mengen wird man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und wird der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit.“ (BT-Drs. 20/8704, S. 132).

Soweit das Hanseatische Oberlandesgericht im Weiteren darauf abstellt, dass aufgrund der vor-kommenden Variationsbreite beim Wirkstoffgehalt in der Praxis regelmäßig (strafbare) Besitz-mengen vorkommen würden, deren THC-Gehalt den Grenzwert von 7,5 Gramm THC unter-schreiten, vermag auch dies letztlich nicht zu überzeugen. Nach den dem Gericht vorliegenden statistischen Erhebungen des Bundeskriminalamtes für Baden-Württemberg lag der Wirkstoffge-halt im Jahr 2022 für Cannabisblüten im Mittelwert bei 14,3 Prozent, im Median bei 15,2 Prozent und bei Cannabisharz im Mittelwert bei 26,2 Prozent und im Median bei 29,6 Prozent verfügbarem THC. Dabei dürften die Zahlen bundesweit vergleichbar sein (vgl. die Informationen des Bun-desministeriums für Gesundheit, „Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz“, wonach laut den aktuellen Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden und dem Zoll der durchschnittliche THC-Gehalt von Cannabisblüten bei circa 14 Prozent, bei Cannabisharz bei circa 20 Prozent liege: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisgesetz; zuletzt abgerufen am 18.04.2024; vgl. zu früheren Zahlen auch: Patzak/Dahlenburg: „Die aktuellen Wirk-stoffgehalte von Cannabis“, NStZ 2022, 146, 147 ff.).

Somit zeigt sich, dass der bisherige Grenzwert von 7,5 Gramm THC schon bei dem Besitz einer gerade eben strafbaren Menge Cannabis von etwas über 60 Gramm mit einem durchschnittlichen THC-Gehalt von 14 Prozent überschritten würde, sodass das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zwar nicht stets, aber doch regelmäßig verwirklicht werden würde. Zudem wäre es widersprüchlich, wenn eine Cannabismenge von 50 Gramm mit leicht überdurchschnittlichen 15 Prozent Wirkstoff (entsprechend 7,5 Gramm verfügbares THC) zwar noch legal wäre und noch nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit darstellen würde (vgl. § 36 Abs. 1 Nr. 1 b)), zugleich jedoch die nicht geringe Menge THC überschritten wäre.

Schließlich lässt sich aus dem von der Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bezug genommenen Zweck des KCanG, lediglich den Konsumenten privilegieren zu wollen, ebenfalls keine tragfähige Begründung zur Beibehaltung des bisherigen Grenzwertes ableiten. Wenngleich das Handeltreiben mit Cannabis grundsätzlich – anders als der Besitz – ohne Mindestmenge strafbar bleibt, ist zu sehen, dass § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG hinsichtlich der „nicht geringen Menge“ ohne Differenzierung nach den unterschiedlichen Tatmodalitäten auf § 34 Abs. 1 KCanG verweist. Der festzulegende Grenzwert der „nicht geringen Menge“ wird daher wie schon bisher – für den Besitz wie das Handeltreiben gleichermaßen einheitlich gelten müssen. Für einen je nach Tatmodalität spezifisch festzulegenden Grenzwert findet sich jedenfalls weder im Gesetzeswortlaut, noch in der Gesetzesbegründung eine ausreichende Stütze. Wenn aber – wie aufgezeigt – die Beibehaltung des bisherigen Grenzwertes im Bereich des strafbaren Cannabisbesitzes zu einer gesetzgeberisch nicht intendierten, regelmäßigen Erfüllung des Regelbeispiels führt, wird dieser nicht mit Verweis auf die Tatmodalität des Handeltreibens einer An-passung entzogen werden können. Vielmehr muss der Grenzwert, wie vom Gesetzgeber vorgesehen, „im Lichte der legalisierten [Besitz-]Mengen“ einheitlich und damit auch für das Handeltreiben mit Cannabis erhöht werden.

bb) Nach Auffassung des Gerichts kann die Festlegung des Grenzwertes• der „nicht geringen Menge“ hierbei nicht losgelöst vom THC-Gehalt, allein anhand der (getrockneten) Cananbismenge erfolgen, sondern hat sich weiterhin am THC-Gehalt zu bemessen.

Für die vom Amtsgericht Karlsruhe in der Entscheidung vom 09.04.2024 (Az. 1 Ls 610 Js 32177/23) vorgenommene Grenzziehung ausschließlich auf Grundlage der Cannabismenge (wobei das Amtsgericht Karlsruhe die Grenze zur „nicht geringen Menge“ bei einer Überschreitung der nach § 3 KCanG erlaubten Menge um mehr als das 10-fache als überschritten ansieht) sprechen zwar die ausweislich der dortigen Pressemitteilung der Entscheidung zugrundeliegenden Praktikabilitätserwägungen. Demnach könne der Konsument die erlaubte Menge durch eigenes Abwiegen ohne Zuhilfenahme einer Laboruntersuchung zur Wirkstoffbestimmung selbst ermitteln.

Allerdings steht auch diesem Ansatz der eindeutige gesetzgeberische Wille entgegen; denn nach der Gesetzesbegründung ist „der konkrete Wert einer nicht geringen Menge […] abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt“ zu bestimmen. Zudem führt ein solcher Ansatz zu Wertungswidersprüchen: bestimmt man die Grenze zur „nicht geringen Menge“ unabhängig vom Wirkstoffgehalt, würde beispielsweise der Besitz von 501 Gramm Cannabis mit einem sehr geringen Wirkstoffgehalt von 1 Prozent, entsprechend 5,01 Gramm THC, dem Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 KCanG unterfallen, während der Besitz von 61 Gramm Cannabis mit einem hohen Wirk-stoffgehalt von 25 Prozent und damit mehr als der dreifachen THC-Wirkstoffmenge sich am untersten Rand der Strafbarkeit bewegen würde.

Dem Wirkstoffgehalt muss daher auch unter Geltung des KCanG maßgebliche Bedeutung für die Bemessung der „nicht geringen Menge“ zukommen.

cc) Diese ist nach Auffassung des Gerichts ab einem Wirkstoffgehalt von 75 Gramm THC über-schritten. Maßgebend hierfür sind die folgenden Überlegungen:

Die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 11.12.2023 – 1 StR 276/23) aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der „nicht geringen Menge“ eines Betäubungsmittels sind auf das Cannabis im Regelungsbereich des KCanG zu übertragen; der Grenzwert ist folglich weiterhin durch eine Multiplikation einer Einzeldosis (hier in Form einer durchschnittlichen Konsumeinheit) mit einer Maßzahl, in der die Wirkung und Gefährlichkeit der Droge zum Ausdruck kommen, festzulegen. Eine durchschnittliche Konsumeinheit Cannabis kann dabei weiterhin bei 15 mg THC angesetzt werden. Anzupassen ist indes das Maß der Vervielfachung, welches im Lichte der legalisierten Mengen zu erhöhen ist. Dabei erscheint der Faktor 10 zur bisherigen nicht geringen Menge von 7,5 Gramm THC sinnvoll und angezeigt.

Dies einerseits deshalb, weil die vom Bundesgerichtshof ursprünglich angesetzten 500 Konsum-einheiten schon bei der legalen Menge von 50 Gramm Cannabis mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von 14 Prozent (= 7,0 Gramm THC, entsprechend 467 Konsumeinheiten) nahezu erreicht und bei der gerade noch nicht strafbaren Menge von 60 Gramm Cannabis mit entsprechendem Wirkstoffgehalt (= 8,4 Gramm THC, entsprechend 560 Konsumeinheiten) indes bereits überschritten werden. Andererseits ist bei der Frage, um wie viel die Maßzahl zu erhöhen ist, zu-gleich zu beachten, dass der Anwendungsbereich der strafbaren „Normalmenge“ – also derjenigen Menge, die zwar § 34 Abs. 1 Nr. 1 b) KCanG, nicht aber § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG unterfällt – nicht zu eng gerät. In Anbetracht dessen ist die Maßzahl nunmehr mit dem Faktor 10 auf 5.000 Konsumeinheiten anzusetzen, sodass sich ein Grenzwert von 75 Gramm THC ergibt.“

Na, meine Damen und Herren aus dem 1., 5. und 6. Strafsenat und vom KG und OLG Hamburg. Kleine Fortbildung beim AG Mannheim gefällig? Vielleicht macht der Kollege Schöffenrichter das ja. Würde sich sicherlich lohnen :-).

Allerdings: Das Urteil ist zwar rechtskräftig, was mich schon wundert, aber: Ich glaube, es wird so ganz viele „Lichtblicke“ nicht (mehr) geben, nachdem der BGh die Pflöcke so tief eingehauen hat.

KCanG I: 6. Ss zur „neuen“ „nicht geringen Menge, oder: Auch du mein Sohn Brutus..

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Ich starte in die neue Woche mit Entscheidungen zum KCanG, leider nicht unbedingt Erfreuliches. Ich stelle hier zunächst den BGH, Beschl. v. 29.04.2024 – 6 StR 132/24 – vor. Der äußert sich noch einmal zur „neuen“ nicht geringen Menge.

„aa) Nach den Feststellungen verwahrte und verpackte der Angeklagte zum gewinnbringenden Verkauf 43,55 Gramm Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von 11,8 Gramm THC in seinem Zimmer, in dem sich griffbereit an der Rückseite des Kühlschranks eine geladene und funktionstüchtige Schreckschusspistole befand, bei der der Explosionsdruck nach vorn austritt. Die Strafkammer hat dieses Verhalten – im Urteilszeitpunkt zutreffend – als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG gewertet.

bb) Seit dem 1. April 2024 werden Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis nicht mehr vom Betäubungsmittelgesetz, sondern dem Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) erfasst. Dies ist hier das nach § 2 Abs. 3 StGB mildere Gesetz. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Strafkammer einen minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG angenommen hat. Der Senat kann ausschließen, dass der Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle nach § 34 Abs. 4 KCanG nicht zur Anwendung gelangt, obgleich dem Umstand, dass es sich bei Cannabis um eine „Droge mit geringem Gefährdungspotential“ handelt, unter dem KCanG keine strafmildernde Bedeutung (vgl. zum BtMG BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 – 3 StR 295/22, Rn. 30 mwN) beizumessen ist. Denn die Strafkammer hat die Anwendung des Sonderstrafrahmens des § 30a Abs. 3 BtMG nicht maßgeblich auf diesen Umstand gestützt, sondern mit zahlreichen weiteren Umständen begründet.

cc) Das vom Landgericht festgestellte Geschehen erfüllt den Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG.

Bei Haschisch handelt es sich um ein Produkt der Cannabispflanze, das nach den Begriffsbestimmungen des KCanG als „Cannabis“ erfasst wird (§ 1 Nr. 5 KCanG). Die Tathandlungen nach § 34 Abs. 1 KCanG hat der Gesetzgeber an die Begrifflichkeiten des BtMG angelehnt und hinsichtlich des Handeltreibens zudem auf die hierzu ergangene Rechtsprechung Bezug genommen (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 94). Der Verbrechenstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG ist § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nachgebildet (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 132). Soweit § 34 Abs. 4 KCanG das Handeltreiben mit einer nicht geringen Menge Cannabis verlangt, beträgt der Grenzwert der nicht geringen Menge des maßgeblichen Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (§ 1 Nr. 2 KCanG) 7,5 Gramm und ist hier überschritten (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24).“

Bitte nicht wundern und/bzw. nein, ich habe nichts vergessen. Das war es, was der 6. Strafsenat zur Frage der „neuen“ „nicht geringen Menge“. Praktisch nichts. Während der 1. und der 5. Strafsenat ja nun wenigstens ihre (falsche) Auffassung begründet haben, hält der 6. Strafsenat das nicht einmal mehr für nötig. Es wird auf den 1. Strafsenat verwiesen und das war es. Im Examen hätte ein Zitat nicht gereicht. Man ist schon erstaunt. Zudem hätte man ja schon gern gewusst, was der 6. Strafsenat an der Auffassung des 1. und des 5 Strafsenat so überzeugend findet.

Und: Das Gemunkel über die Absicht des 6. Strafsenats, dem Großen Senat vorzulegen, ist/war damit also eine Fehlmeldung. Man kann das Fazit ziehen, das neulich ein Kollege gezogen hat: „Der BGH negiert den Gesetzgeber so konsequent wie mich meine Frau, wenn sie richtig sauer auf mich ist. “

StGB III: (Erweiterte) Einziehung von Taterträgen, oder: Kontokorrentgutschrift und Ursprungsort

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Und dann habe ich hier noch zwei Entscheidungen zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB), und zwar:

Die Gutschrift auf einem im Kontokorrent geführten Girokonto stellt einen Gegenstand dar, der Grundlage für die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen sein kann.

Die Vorschrift des § 73a StGB ist wie seine Vorgängervorschrift § 73d StGB a.F. gegenüber § 73 StGB subsidiär und kann erst dann zur Anwendung gelangen, wenn nach Ausschöpfung aller zulässigen Beweismittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 73 StGB erfüllt sind. Dies schließt es aus, Gegenstände der erweiterten Einziehung zu unterwerfen, die der Angeklagte aus anderen, von der Anklageschrift nicht erfassten, aber konkretisierbaren Straftaten erlangt hat; denn diese Taten können und müssen zum Gegenstand eines gesonderten Strafverfahrens gemacht werden, in dem die Voraussetzungen des vorrangig anwendbaren § 73 StGB zu prüfen sind.

StGB II: Günstige Sozialprognose wegen der Therapie?, oder: Nur bei erfolgreichem Therapieabschluss

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Im zweiten Posting dann das BayObLG, Urt. v. 19.02.2024 – 203 StRR 571/23 – zur Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Diebstahls zu einer eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, die sich ihrem Inhalt nach ausschließlich gegen die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung richtete. Die Revision hatte Erfolg.

„2. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr wird gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Nach Absatz 2 der Vorschrift kann das Gericht unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.

b) Bei der insoweit anzustellenden Gesamtwürdigung, insbesondere der in § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Umstände, kommt dem Tatgericht ein weiter Bewertungsspielraum zu; dessen Entscheidung ist daher vom Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 28. März 2018 – 2 StR 516/17- und vom 12. Mai 2021 – 5 StR 120/20-, jeweils juris; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 3). Auch ein Bewährungsbruch schließt eine günstige Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht von vornherein aus (BGH, Urteil vom 14. April 2022 – 5 StR 313/21 –, juris Rn. 23 m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 6). Bei Straftätern, die in der Vergangenheit bereits eine längere Freiheitsstrafe verbüßt haben oder vorsätzliche Straftaten in der Bewährungszeit begehen, kommt es für die Annahme einer günstigen Legalprognose darauf an, ob sich in den Lebensverhältnissen des Angeklagten nach der Begehung der Taten Änderungen ergeben haben, die den Schluss zulassen, dass die Ursachen für die bisherige Delinquenz beseitigt sind (BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5).

Die Ausführungen des Landgerichts für seine Erwartung, der nach den Feststellungen erheblich vorbestrafte, unter laufender Bewährung stehende und strafhafterfahrene Angeklagte werde sich nunmehr schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), genügen den Anforderungen der Rechtsprechung nicht. Dass sich der Angeklagte am 28. Juni 2023, also knappe zwei Monate vor der anstehenden Berufungshauptverhandlung, auf eine von der Berufungskammer bezüglich ihrer Ausgestaltung nicht näher dargestellte stationäre Soziotherapie eingelassen hat, vermag eine günstige Legalprognose nicht zu stützen. Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung könnte eine Therapie nur dann eine positive Prognose rechtfertigen, wenn eine solche erfolgreich abgeschlossen wäre, nicht aber, wenn der Eintritt des erhofften Behandlungserfolgs im maßgeblichen Zeitpunkt des Endes der Hauptverhandlung noch völlig ungewiss ist; dies gilt auch dann, wenn aus der Sicht des Tatrichters gute Gründe dafür sprechen, dass die Therapie zukünftig eine positive Veränderung bei dem Angeklagten bewirken könnte (vgl. BayObLG, Urteil vom 2. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22 –, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Urteil vom 12. November 2013 – 3 Ss 106/13 –, juris; KG Berlin, Urteil vom 5. Oktober 2007 – (4) 1 Ss 307/07 (191/07) –, juris Rn. 6).

c) Da das angefochtene Urteil schon die Annahme einer günstigen Legalprognose nicht belegt, kommt es nicht mehr darauf an, dass sich die Kammer mit den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 und 3 StGB rechtsfehlerhaft in ungenügender Weise auseinandergesetzt hat.“

StGB I: Missbrauch im Arzt-Patienten-Verhältnis, oder: Berufsverbot?

entnommen wikimedi.org
Urheber Rieser Bauernmuseum Maihingen

Vor dem morgien Gebührenfreitag heute dann StGB-Entscheidungen, und zwar zu Nebenrechtsfolge,

Hier zunächst etwas vom BGH zum Berufsverbot (§ 70 StGB), und zwar der BGH, Beschl. v. 26.03.2024 – 4 StR 416/23. Das LG hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Ferner hat es ihm für die Dauer von fünf Jahren untersagt, den Beruf des Arztes auszuüben. Dagegen die Revision, die wegen des Berufsverbots Erfolg hatte:

„1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte ist von Beruf Arzt. Er absolvierte erfolgreich zwei Facharztausbildungen. Nachdem er seit 2006 – unter anderem als leitender Oberarzt – in verschiedenen Krankenhäusern tätig gewesen war, gründete er im Jahr 2018 eine eigene orthopädische Praxis. Am 16. Oktober 2020 suchte die unter Depressionen leidende Nebenklägerin wegen anhaltender starker Rückenschmerzen absprachegemäß die Praxis des Angeklagten auf und wurde zur manuellen Therapie in ein dafür vorgesehenes Behandlungszimmer geführt. Nach Schmerzmittelgabe mittels Injektion massierte der Angeklagte die auf der Seite liegende und ihm den Rücken zuwendende Nebenklägerin am Gesäß, nachdem er hierzu ihre Hose ein Stück heruntergezogen hatte. Anschließend verließ er den Raum. Nach einer Weile kehrte er zurück, zog die in unveränderter Position liegende Nebenklägerin an ihrer Hüfte zu sich an den Rand der Liege und trat so dicht an sie heran, dass die Nebenklägerin – hiervon völlig überrascht – seinen erigierten Penis spürte. Nach einem erneuten kurzzeitigen Verlassen des Behandlungszimmers zog der Angeklagte die Nebenklägerin, die in der Zwischenzeit versucht hatte, von der Kante der Liege abzurücken, wieder zu sich heran. Er öffnete seine Hose und drückte seinen erigierten Penis zwischen die Pobacken der perplexen Nebenklägerin. Anschließend schob er ihren Slip zur Seite und begann Stoßbewegungen zu vollziehen. Sodann zog der Angeklagte ihr Bein hoch und rieb seinen Penis bis zur Ejakulation zwischen den Gesäßhälften der Nebenklägerin, die das Geschehen „wie paralysiert“ weitestgehend wort- und regungslos über sich ergehen ließ. Der Angeklagte setzte sich dabei über den entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin hinweg und hatte zudem erkannt, dass diese wegen der „Überrumpelung“ in der Behandlungssituation zu keiner Abwehr in der Lage war.

2. Der Maßregelausspruch hat keinen Bestand, weil das Landgericht bei der Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 70 Abs. 1 StGB nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt hat.

a) Das Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis, vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll. Es darf nur dann verhängt werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird. Voraussetzung hierfür ist, dass eine – auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte – Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat(en) das Tatgericht zu der Überzeugung führt, dass die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2023 – 2 StR 144/23 Rn. 5; Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 StR 418/18 Rn. 8, jew. mwN). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass an die Annahme einer weiteren Gefährlichkeit im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB ganz besonders strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn der Täter erstmalig wegen einer Anlasstat straffällig wird; insbesondere ist zu prüfen, ob bereits die Verurteilung zur Strafe den Täter von weiteren Taten abhalten wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 296/12 Rn. 7; Beschluss vom 12. September 1994 – 5 StR 487/94, NStZ 1995, 124).

b) Zur Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht ausgeführt, dass es auch künftig zu vergleichbaren Kontakten mit psychisch labilen Patientinnen kommen werde, bei denen das Risiko einer Aufdeckung und Aburteilung etwaiger Sexualstraftaten reduziert erscheinen könnte. Im Lichte der festgestellten Tatmodalitäten und der Persönlichkeit des Angeklagten lägen daher zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung ähnlich erhebliche Rechtsgutsverletzungen in der Zukunft nahe.

Damit hat das Landgericht maßgebliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen. So hat es nicht bedacht, dass der Angeklagte zur Zeit der Begehung der hier abgeurteilten Tat strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war. Das Landgericht lässt weiter unerörtert, dass gegen ihn mit dem angefochtenen Urteil eine empfindliche Freiheitsstrafe verhängt worden ist und es daher naheliegt, dass die Verurteilung und die (bevorstehende) Vollstreckung den Angeklagten bereits nachhaltig beeindrucken. Auch hat es insoweit nicht in den Blick genommen, wie der 50 Jahre alte und seit 2006 als Arzt tätige Angeklagte seinen Beruf im Übrigen ausgeübt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 StR 418/18 Rn. 8).“