Archiv der Kategorie: StPO

OWi II: Fahreridentifizierung mit SV-Gutachten, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Im zweiten Posting dann etwas zur Urteilbegründung in den Indentifizierungsfällen, wenn das AG ein SV-Gutachten eingeholt hat. Dazu führt das OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.06.2024 – 1 ORbs 137/24 – aus:

„Das angefochtene Urteil weist durchgreifende, auf die Sachrüge hin beachtliche, Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf.

Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters. Das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht kann nur eingreifen, wenn sie rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist oder mit Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungssätzen nicht vereinbar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08. Juni 2017 – III-4 RVs 64/17 – m.w.N.).

Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil ist hinsichtlich der Täteridentifizierung lückenhaft. Folgt der Richter dem Gutachten eines Sachverständigen, hat er die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (BGHSt 39, 291, 297).

Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH NStZ 2000, 106 m. w. N.; OLG Bamberg, DAR 2010, 390). Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des anthropologischen Gutachtens im angegriffenen Urteil nicht.

Zwar sind keine Angaben zum Verbreitungs- oder Häufigkeitsgrad bestimmter morphologischer Merkmale erforderlich, wenn der Sachverständige – wie hier – keine Wahrscheinlichkeitsberechnung anstellt und daraus unmittelbar das Ergebnis des Gutachtens ableitet. Denn nur in diesem Fall bedarf es der Kenntnis der in die Berechnung eingestellten Rechengrößen, um die Richtigkeit der Berechnung überprüfen und die Berechnung nachvollziehen zu können (OLG Jena, VRS 122, 143 m. w. N.).

Jedoch muss der Tatrichter, der sich dem Sachverständigengutachten anschließt, zunächst die wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Sachverständigengutachtens mitteilen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 12. August 2008, 2 Ss (OWi) 148 B/08; Beschl. v. 22. Februar 2007, 2 Ss (OWi) 39 B/07), d. h. das ausgewertete Bildmaterial und die vom Sachverständigen dabei herausgearbeiteten morphologischen Merkmale, die er einem Vergleich unterzogen hat, sowie deren Anzahl. Sodann ist darzustellen, in welchem Maße der Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt, auf welche Art und Weise er diese ermittelt hat und welche Aussagekraft er ihnen beimisst, d. h. wie er die jeweilige Übereinstimmung bei der Beurteilung der Identität gewichtet hat (Senatsbeschluss vom 4. November 2010, (1 B) 53 Ss-OWi 505/10 (271/10)). In welcher Form diese Darstellung erfolgt, ist dabei unerheblich, sofern sich die vom Sachverständigen untersuchten Merkmalsprägungen – soweit das Gericht sie für ergebnisrelevant hält -, deren Gewichtung und das Ergebnis des Vergleichs daraus ablesen lassen (OLG Jena, a. a. O.).

Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des anthropologischen Gutachtens im angegriffenen Urteil nicht. Das Urteil enthält keine Feststellungen darüber, welche morphologischen Merkmale die Sachverständige untersucht hat. Aus der Angabe, dass 107 Merkmale bei dem Fahrer erkennbar waren, wobei die Merkmale der Nase, der Untergesichtsregion und des rechten Ohres beim Fahrer als stark charakteristisch hervorzuheben seien und dass Übereinstimmungen bei 65 der 65 untersuchten Gesichtsmerkmalen festgestellt worden seien und zugleich den Betroffenen ausschließende Merkmale nicht aufgefunden wurden, lässt auch in Verbindung mit dem Umstand, dass der Betroffene „sehr wahrscheinlich“ der Fahrer des Tatfahrzeugs gewesen sei, keinen Rückschluss auf die Geeignetheit dieser Anzahl von übereinstimmenden Merkmalen zur Identifizierung des Betroffenen zu. Im Übrigen stellt das Gericht nicht dar, zu welchem Ausprägungsgrad die Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt hat und welche Aussagekraft sie ihnen beimisst. Diese Ausführungen waren auch nicht entbehrlich.

Zwar hat die Bußgeldrichterin gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG wirksam auf das Beweisfotos Bezug genommen, indem sie im Rahmen der Nennung und Erörterung des der Täteridentifizierung dienenden Lichtbildes in den Urteilsgründen einen Klammerzusatz mit einer genauen Fundstelle in den Akten angefügt hat (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. Mai 2023 – 1 Ss (OWi) 47/22 –). Das Beweisfoto ist indes nicht, wie die Generalstaatsanwaltschaft meint, zur Identifizierung des Fahrers uneingeschränkt geeignet. Im Urteil wird zutreffend ausgeführt, dass das Beweisfoto für die Sachverständige zwar insgesamt zur Identifikation geeignet sei, weil es mehr als 20 Merkmale erkennen lasse, allerdings sei es von nur mäßiger Qualität. Darüber hinaus wird ein großer Teil der Stirn und des Haaransatzes des Fahrers von der Sonnenblende des Fahrzeuges verdeckt. Von einer uneingeschränkten Eignung zur Identifizierung des Fahrzeugführers kann hiernach gerade nicht ausgegangen werden, weshalb sich das Amtsgericht auch folgerichtig der Sachverständigen zur Identifizierung des Fahrzeugführers bedient hat.

Aufgrund der aufgezeigten Darstellungsfehler ist dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens und seines Beweiswertes nicht möglich.

Der Senat weist darauf hin, dass das Amtsgericht die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu einer vorsätzlichen Begehung der Ordnungswidrigkeit zu berücksichtigen haben wird.“

Ein zunächst mal schöner Erfolg, der Zeitgewinn bringt. Allerdings ist der letzte Sazu „unschön“. Da muss man sich überlegen, was man macht.

KCanG II: Rechtsprechung vornehmlich zum Straferlass, oder: Einmal etwas zur Pflichtverteidigung

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Im zweiten Posting habe ich dann zusammengestellt, was sich bei mir in den letzten Tagen angesammelt hat. Da geht es quer durch das StGB/die StPO, und zwar mit folgenden Entscheidungen:

Der Umstand, dass am 01.04.2024 das KCanG mit einem im Einzelfall niedrigeren Strafrahmen für die abgeurteilte Anlasstat in Kraft getreten ist, findet im Rahmen der Beurteilung im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB keine Berücksichtigung.

1. Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB iVm Art. 316p EGStGB für Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, treten unmittelbar kraft Gesetzes ein.

2. Das Revisionsgericht hat diesen rückwirkenden Straferlass gemäß § 354a StPO iVm § 2 Abs. 3 StGB auf die Sachrüge hin zu beachten. Eine gebildete Gesamtstrafe ist auf der Grundlage der gesamten Feststellungen des angefochtenen Urteils darauf zu überprüfen, ob einer einbezogenen Strafe ein nach § 3 Abs. 1 KCanG nunmehr strafloser Besitz von Cannabis zugrunde liegt. Ist ein sicherer Rückschluss auf einen Besitz zum Eigenkonsum möglich und liegen alle sonstigen Voraussetzungen einer Straflosigkeit vor, hat das Revisionsgericht seiner Entscheidung den rückwirkenden Straferlass zugrunde zu legen.

1. Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn die drohenden Rechtsfolgen einschneidend sind, insbesondere bei drohenden längeren Freiheitsstrafen um 1 Jahr.

2. Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers in den Fällen des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG.

Zur Neufestsetzung der Strafe, wenn unerlaubter Besitz von Cannabis mit Besitz von anderen Betäubungsmitteln zusammen trifft.

Die Möglichkeit einer Strafermäßigung nach Art. 316p i. V. m. 313 EGStGB ist auch in den Fällen zu bejahen, in denen neben Cannabis gleichzeitig noch andere Betäubungsmittel unerlaubt besessen wurden.

U-Haft II: Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: Maßgeblich ist das konkrete Erscheinungsbild der Tat

© cunaplus – Fotolia.com

Und im zweiten Posting geht es dann auch um den Haftgrund. Das LG Wiesbaden hat im LG Wiesbaden, Beschl. v. 15.05.2024 – 1 Qs 37/24 – den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, von dem das AG ausgegangen war verneint. Dem Beschuldigten wird in dem Verfahren gewerbsmäßiger Bandendiebstahl in 17 Fällen vorgeworfen. Das reichte dem LG nicht für den Haftgrund nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO:

„Auch die Voraussetzungen des Haftgrunds der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO liegen nicht vor.

Die Wiederholungsgefahr i.S. dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Beschuldigte dringend verdächtig ist, wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat im Sinne des §§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO begangen zu haben. Bereits diese Voraussetzung ist nach Auffassung der Kammer nicht gegeben.

Allerdings stellt der Vorwurf des gewerbsmäßigen Bandendiebstahls unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds gemäß dem §§ 243 Abt 1 S. 2 Nr. 3, 244a Abs. 1 StGB in jedem einzelnen der Fälle eine Anlasstat nach dem Katalog des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO dar, die grundsätzlich geeignet ist, den Haftgrund der Wiederholungsgefahr zu begründen. Bereits gemäß der angedrohten Freiheitsstrafe des § 244a Abs. 1 StGB ist hierbei auch von einer Straferwartung für jedenfalls einem Teil der verwirklichten Straftaten von über einem Jahr auszugehen (ausreichend: vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010 — 3 Ws 161/10), wobei dahingestellt bleiben kann, ob nicht ohnehin auf die zu erwartende Gesamtfreiheitsstrafe maßgeblich abzustellen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010 —3 Ws 161/10).

Allerdings beeinträchtigt der gegebene dringende Tatverdacht die Rechtsordnung nicht schwerwiegend, so dass auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO ausgeschlossen ist.

Im Hinblick auf das Grundrecht der Freiheit der Person ist ein strenger Maßstab an das Bestehen des Haftgrunds anzulegen und auch bei der Prüfung, ob weitere schwerwiegende Straftaten zu erwarten sind, sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfGE 35,185). Da jede Straftat die Rechtsordnung beeinträchtigt und die in § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO genannten Katalogtaten bereits abstrakt-generell schwerwiegender Natur sind, kann die Auslegung des Merkmals der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung nur dahingehend erfolgen, dass einschränkend erforderlich ist, dass die jeweilige Anlasstat auch im Einzelfall schwer wiegt (KHK zur StPO, 9. Aufl. 2023, zu § 112a Rn. 14a). Diese muss daher in ihrer konkreten Gestalt, insbesondere nach Art und Ausmaß des angerichteten Schadens, einen hohen Unrechtsgehalt aufweisen, so dass in einer Gesamtschau wenigstens eine Einordnung in dem Bereich der „oberen Hälfte der mittelschweren Kriminalität“ zu erfolgen hat (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 14.09.2016 — 1 Ws 126/16; OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010 — 3 W s 161 /10; OLG Braunschweig, Beschluss vom 07.11.2011 — Ws 316/11). Dabei ist auf die einzelne Tat und nicht auf die Gesamtheit aller Taten abzustellen (OLG Frankfurt a.M., a.a.O.; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 24.11.2009 — 1 W s 126 /09; MüKo, StPO, 2. Aufl. 2023, zu § 112a, Rn. 40), da durch leichtere Übergriffe in der Regel keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung im Sinne der Störung des allgemeinen Rechtsfriedens eintritt.

Maßgeblich für die Beurteilung im Rahmen des konkreten Erscheinungsbildes der Tat sind insbesondere Art und Umfang des jeweils angerichteten Einzelschadens, wobei bei der jeweiligen Einzeltat ein Schaden von mindestens 2000 € erreicht sein muss (MüKo, a.a.O., Rn. 26; KK zur StPO, 9. Aufl. 2023, zu § 112a, Rn. 14a; für gewerbsmäßigen Betrug: OLG Naumburg, Beschluss vom 26.07.2011 — 1 Ws 616 /11; OLG Hamburg, Beschluss vom 20.07.2017- 2 Ws 110/17; vgl. a. OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010 — 3 Ws 161/10). Vorliegend wird dem Beschuldigten vorgeworfen, in 17 Fällen gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande Beträge zwischen 10 E und 1100 E widerrechtlich entwendet zu haben. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung kann hiernach nicht begründet werden,

Selbst wenn jedoch entgegen der hier vertretenen Auffassung das Vorliegen einer schwerwiegenden Beeinträchtigung bei fortgesetzten Taten auch anhand des Gesamtschadens zu bestimmen sein sollte, kann dieser auch bei tatmehrheitlich begangenen Serientaten nur bei einem sehr hohem (weit Überdurchschnittlichem) Gesamtunrecht Berücksichtigung finden (KK, StPO, 9. Aufl. 2023, zu § 112a, Rn. 14a; LG Freiburg, Beschluss vom 24.04.2015-2 Qs 47/15). Auch ein solches vermag die Kammer bei einem Gesamtschaden von 7802,36 € nicht zu erkennen.

Schließlich genügen keine besonderen Umstände in Tat oder der Lebensumstände des Beschuldigten dem Tatbestandmerkmal einer „schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung“. So ist bereits zweifelhaft, ob solche Umstände überhaupt geeignet sind, eine solch schwerwiegende Beeinträchtigung i.S.d. Norm zu begründen. Selbst wenn dies aber bejaht werden sollte, müssten die Umstände in ihrer Schwere einen Grad erreichen, die eine Einordnung in den „oberen Bereich der mittelschweren Kriminalität“ begründen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

So wird dem Beschuldigten vorgeworfen, zusammen mit seinen Brüdern Tankstellen und Verkaufsläden aufgesucht zu haben, wobei einer der Beschuldigten das Verkaufspersonal abgelenkt haben soll, während die übrigen Beschuldigten überwiegend E-Shishas, zum Teil auch elektronische Geräte widerrechtlich entwendeten. Hierbei handelt es sich um Ladendiebstähle, die angesichts der einfachen Ausführung und des begrenzten Schadens weder ein gesteigertes Handlungs- noch ein gesteigertes Erfolgsunrecht erkennen lassen. Allein eine gewerbsmäßige, bandenmäßige Begehung auch in 17 zeitnahen Einzelfellen genügt nicht, hier eine abweichende Bewertung und die Annahme einer Einordnung der vorgeworfenen Taten in den oberen Bereich der mittelschweren Kriminalität zu begründen. Gleiches gilt erst recht für die persönlichen Urnstände des Beschuldigten, nach welchem dieser derzeit arbeitslos ist und nach Haftentlassung in sein gewohntes Umfeld zurückkehrt. Hieraus eine besondere, schwerwiegende Beeinträchtigung i.S.d. § 112a StPO zu rechtfertigen, ist nach Ansicht der • Kammer ausgeschlossen.

Auch wird das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung durch die vorgeworfenen Taten nicht über das Maß der den vorgeworfenen Delikten immanenten Unrechtsgehalt hinaus beeinträchtigt.“

StPO III: Funkzellenabfrage ohne Katalogstraftat, oder: (Neues) Beweisverwertungsverbot

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann noch der BGH, Beschl. v. 10.01.2024 – 2 StR 171/23 – zum Beweisverwertungsverbot nach einer Funkzellenabfrage ohne Katalogstraftat, der für BGHSt bestimmt ist

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen in drei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, und Diebstahls in zwei Fällen verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision, die hinsichtlich eines Falls der Verurteilung mit der Verfahrensrüge Erfolg hatte.

Mit seiner Verfahrensrüge hatte der Angeklagte beanstandet, das LG habe bei seiner Beweiswürdigung in einem Verurteilungsfalls der Urteilsgründe retrograde Standortdaten aus einer Funkzellenabfrage rechtsfehlerhaft verwertet. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Auf der Grundlage eines mit „wegen besonders schweren Fall des Diebstahls […] gemäß §§ 242 , 243 StGB “ eingeleiteten Ermittlungsberichts der Polizei vom 12.02.2020 beantragte die Staatsanwaltschaft den Erlass eines „Funkzellenbeschlusses“ beim AG -Ermittlungsrichter. Der Ermittlungsrichter erließ den Beschluss zur Erhebung der nach § 96 TKG in der Fassung vom 03.05.2012 (im Folgenden: § 96 TKG a.F.) erhobenen und gespeicherten Verkehrsdaten, bei mobilen Anschlüssen unter anderem auch der Standortdaten, betreffend die Tatortfunkzelle am Folgetag wegen des Verdachts einer Straftat nach §§ 242, 243 StGB. Der Erhebungszeitraum lief vom 09.02.2020, 22.30 Uhr, bis zum 10.02.2020, 11.58 Uhr. Nach Umsetzung des Beschlusses am 17.02.2020 wurde der Angeklagte auf Basis der erhobenen Verkehrsdaten als möglicher Täter ermittelt. Das LG hat die Inhalte der Funkzellenauswertung im Selbstleseverfahren und durch Vernehmung eines Polizeibeamten entgegen dem jeweiligen Widerspruch der Verteidigung in die Hauptverhandlung eingeführt. Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten hat es auch auf die Verwertung der aus der Funkzellenabfrage gewonnenen Erkenntnisse gestützt.

    1. Die Anordnung einer Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 Satz 1 StPO setzt den Verdacht einer besonders schweren Straftat nach § 100g Abs. 2 StPO voraus. Die in § 100g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO enthaltene Verweisung auf § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO ist so auszulegen, dass diese zugleich die Anordnungsvoraussetzungen des § 100g Abs. 1 Satz 3 StPO erfasst.
    2. Fehlt es bei einer Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 Satz 1 StPO an dem Verdacht einer Katalogtat nach § 100g Abs. 2 StPO, hat dies ein Beweisverwertungsverbot zur Folge.“

Achtung: Widerspruch nicht vergessen!

StPO II: Schriftliche Anklageübersetzung erst in der HV, oder: (Immer) Aussetzung des Verfahrens?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Bei der zweiten Entscheidung zur Anklage geht es um die Frage der Aussetzung der Hauptverhandlung, wenn der Angeklagte eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift erst in der HV erhält. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 21.02.2024 – 3 StR 373/23.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen eines schweren sexuellen Übergriffs verurteilt. Der inhaftierte rumänische Angeklagte versteht kein Deutsch. Er erhielt die Anklageschrift nur in deutscher Sprache übersandt. Zu Beginn der Haupt­verhandlung wurde die Anklage verlesen und für den Angeklagten durch einen Dolmet­scher übersetzt. Unter Hinweis darauf, er habe bisher keine schriftliche Überset­zung der Anklage erhalten, beantragte der Angeklagte die Aussetzung des Ver­fahrens. Die bei den Akten befindliche, ins Rumänische übersetzte Anklage wurde dem Angeklagten dann übergeben.

Das LG unterbrach die Hauptver­handlung und bestimmte einen Termin zur Fortsetzung in neun Tagen. Eine Aussetzung der Hauptverhandlung wurde abgelehnt. Das sei zur Wahrung eines fairen Verfah­rens nicht notwendig sei, da der in der Anklage dargelegte Sachverhalt nur eine Tat umfasste und dem Angeklagten bereits bekannt sei. Denn der Angeklagte habe sich je­weils in Anwesenheit eines Dolmetschers schon in einem Haftprüfungstermin zum Tatvorwurf eingelassen und die Anklageschrift mit seinem Verteidiger erörtert. Die Revision des Angeklagten blieb erfolglos:

Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Ablehnung des Aussetzungsantrages bei gleichzeitiger Unterbrechung der Hauptverhandlung ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat mit dieser Vorgehensweise weder § 265 Abs. 4 StPO noch das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK verletzt. In der gegebenen Situation war das Ermessen der Strafkammer nicht „auf null“ dahin reduziert, dass das Verfahren zwingend auszusetzen war.

Der Angeklagte moniert zwar im Ausgangspunkt zutreffend einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK in Verbindung mit § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 187 Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG dadurch, dass er die übersetzte Anklageschrift nicht bereits vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens erhielt. Nach den genannten Normen hatte er das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden, hier in Form einer schriftlich übersetzten Anklage zu einem Zeitpunkt jedenfalls vor Beginn der Hauptverhandlung. Ein Ausnahmefall von diesem Erfordernis, der namentlich dann gegeben sein kann, wenn der Verfahrensgegenstand tatsächlich und rechtlich einfach zu überschauen ist, lag nicht vor (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a Unterrichtung 1; Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 457/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a Anklageschrift 1 Rn. 24).

 

Der Verfahrensverstoß wirkt sich jedoch infolge der Aushändigung der übersetzten Anklage am ersten Tag der Hauptverhandlung in Verbindung mit deren längerer Unterbrechung im Ergebnis nicht aus. Ein Anspruch des Angeklagten auf Aussetzung des Verfahrens bestand nicht. Hierzu im Einzelnen:

1. Nach § 265 Abs. 4 StPO hat das Gericht die Hauptverhandlung auszusetzen, wenn dies infolge einer Veränderung der Sach- oder Verfahrenslage zur Vorbereitung der Verteidigung angemessen erscheint. Grundsätzlich kann jede vom Angeklagten nicht verschuldete Verschlechterung seiner Verteidigungsmöglichkeit Anlass zur Aussetzung geben (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2018 – 1 StR 616/17, NStZ 2019, 481 Rn. 23). Ob die Verhandlung auszusetzen ist, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, dessen Ausübung es in seinem Beschluss darzustellen hat. Maßgebend hierfür ist, ob die prozessuale Fürsorgepflicht und die Gewährleistung eines fairen Verfahrens die Aussetzung gebieten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Februar 2000 – 1 StR 537/99, BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 6; vom 25. Juni 2002 – 5 StR 60/02, BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung angemessene 8; Urteil vom 30. August 2012 – 4 StR 108/12, NStZ 2013, 122, 123 mwN).

Nach teilweise vertretener Auffassung ist das in Fällen einer verspäteten Überlassung der (übersetzten) Anklage immer der Fall. Es bestehe eine Aussetzungspflicht (OLG Celle, Beschluss vom 24. Juni 1997 – 21 Ss 73/97, StV 1998, 531; Rübenstahl, StraFo 2005, 30, 32; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 201 Rn. 44, 49; KK-StPO/ Schneider, 9. Aufl., § 201 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 201 Rn. 10, jeweils mwN). Begründet wird dies mit der hohen Bedeutung der rechtzeitigen Unterrichtung des Angeklagten von den verfahrensgegenständlichen Vorwürfen.

Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob beim Umgang mit einer verspäteten Überlassung der Anklageschrift im Rahmen der Entscheidung nach § 265 Abs. 4 StPO freies Ermessen besteht oder ob dieses derart reduziert ist, dass die Verteidigungsrechte allein mit einer Aussetzung des Verfahrens zu wahren sind, bislang ausdrücklich offengelassen (BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 457/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a Anklageschrift 1 Rn. 25; s. auch MüKoStPO/Wenske, 2. Aufl., § 201 Rn. 40 f.).

2. Von dem Grundsatz des freien Ermessens in § 265 Abs. 4 StPO ist in der vorliegenden Konstellation nicht abzuweichen. Vielmehr ist es hier wie bei anderen von § 265 Abs. 4 StPO erfassten Verfahrensfehlern eine Frage des Einzelfalls, wie das Gericht ein faires Verfahren gewährleistet und sicherstellt, dass die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten im Ergebnis nicht unangemessen verkürzt werden. Unter Umständen kann hierfür eine – gegebenenfalls längere – Unterbrechung der Hauptverhandlung genügen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

a) Gegen eine Aussetzungsplicht spricht bereits, dass der Gesetzgeber sie für andere Verfahrenskonstellationen zur Gewährleistung einer hinreichenden Verteidigung ausdrücklich vorgeschrieben hat. Zu nennen sind insoweit die Nichteinhaltung der Ladungsfrist (§ 217 Abs. 2, § 228 Abs. 3 StPO), der Übergang vom Sicherungs- in das Strafverfahren (§ 416 Abs. 2 Satz 2 StPO) oder das neue Hervortreten taterschwerender Umstände (§ 265 Abs. 3 StPO; s. dazu BGH, Urteil vom 24. Januar 2003 – 2 StR 215/02, BGHSt 48, 183, 186 ff.). Für den Fall der verspäteten Überlassung der (übersetzten) Anklageschrift existiert eine entsprechende Vorschrift nicht.

b) Wollte man § 265 Abs. 4 StPO eine strikte Aussetzungspflicht im Fall der verspäteten Anklageüberlassung entnehmen, ginge dies über die europarechtlichen Vorgaben hinaus. Die europäischen Rechtsnormen und die sie ausformende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die bei der Auslegung des nationalen Prozessrechts zu beachten sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307, 317 ff.; vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a., NJW 2015, 1083 Rn. 41; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 53), verlangen in diesen Fällen ebenfalls keine Aussetzung des Verfahrens.

Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK gibt lediglich vor, dass generell ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung bestehen muss, und besagt nichts darüber, in welcher Form das Gericht diese zu gewähren hat. Wird der Angeklagte über die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe nicht im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache unterrichtet, ist dies nach europäischem Recht grundsätzlich heilbar. Denn ein Verstoß gegen eine einzelne Regel der Menschenrechtskonvention macht das Strafverfahren nicht ohne Weiteres zu einem unfairen. Für eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK kommt es darauf an, ob das Strafverfahren insgesamt fair war. Dies muss in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung des gesamten Verfahrensablaufs und nicht auf der Grundlage einer isolierten Beurteilung eines besonderen Aspekts oder Geschehens geprüft werden. Hierbei sind die Mindestrechte nach Art. 6 Abs. 3 EMRK zu berücksichtigen; sie sind aber kein Selbstzweck. Ihr eigentliches Ziel ist die Fairness des Strafverfahrens insgesamt zu gewährleisten (st. Rechts. des EGMR; s. etwa EGMR, Urteil vom 9. November 2018 – 71409/10, NJW 2019, 1999 Rn. 120 ff. mwN). Verstöße können dadurch kompensiert werden, dass dem Angeklagten genommene Einflussmöglichkeiten in einem späteren Verfahrensstadium eingeräumt oder fehlerhafte Verfahrensteile wiederholt werden, wenn dadurch insgesamt seine Rechtsstellung gewahrt wird und der Fehler sich damit im Ergebnis nicht auswirkt. Der fair-trial-Grundsatz aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist nur verletzt, wenn im Verfahren in seiner Gesamtheit rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde. Um die Subjektstellung des Beschuldigten in einem rechtlich geordneten Strafprozess zu schützen, muss ihm insbesondere die Möglichkeit gegeben werden, aktiv auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09 u.a., BVerfGE 130, 1, 25; Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 58; s. auch BGH, Beschluss vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150 Rn. 16; Urteil vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 9. Aufl., EMRK Art. 6 Rn. 41 ff.; HK-EMRK/Harrendorf/König/Voigt, 5. Aufl., EMRK Art. 6 Rn. 105).

Auch die Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, die Beschuldigten das Recht auf schriftliche Übersetzung wesentlicher Unterlagen innerhalb einer angemessenen Frist auf Staatskosten gewährt, dient lediglich der Schaffung von Mindeststandards innerhalb der Europäischen Union. Spezifische verfahrensrechtliche Konsequenzen bei Nichtgewährung entsprechender Leistungen sieht die Richtlinie nicht vor.

c) Gegen einen strikten Aussetzungsanspruch des Angeklagten spricht außerdem die Vielfalt der möglichen Verfahrens- und Fallkonstellationen bei einer verspäteten Überlassung der Anklage.

Große Unterschiede können schon hinsichtlich Umfang und Komplexität der Sachverhalte und damit des Zeitraums bestehen, der für eine angemessene Vorbereitung der Verteidigung im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Buchst. b EMRK zu veranschlagen ist. In einfach gelagerten Fällen genügen hierfür wenige Stunden oder Tage; andere erfordern über drei Wochen (vgl. § 229 Abs. 1 StPO).

Für die Möglichkeit der ordnungsgemäßen Verteidigung ist außerdem von Bedeutung, zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte die Kenntnis von der (übersetzten) Anklage erhält. Wird ihm die Anklage oder deren Übersetzung – wie hier – vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung überlassen, kann er seine Verteidigung in der Regel noch auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einstellen und als Subjekt des Verfahrens aktiv Einfluss auf dessen Gang und Ergebnis nehmen. Wird der Angeklagte der Tatvorwürfe dagegen erst zu einem späten Stadium der Hauptverhandlung gewahr, in dem bereits ein wesentlicher Teil von ihr durchgeführt ist, kann es zur angemessenen Wahrung seiner Verteidigungsrechte geboten sein, mit der Hauptverhandlung von vorn zu beginnen. Das gilt insbesondere bei einer in Unkenntnis der Anklageschrift abgegebenen Einlassung (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 457/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a Anklageschrift 1 Rn. 26). Generell gilt:

Je größer der Umfang der vor der Unterrichtung stattgefundenen Hauptverhandlung und je komplexer Tatvorwurf und Beweislage, desto näher liegt die Aussetzung. Je einfacher der Verfahrensstoff und je früher die Unterrichtung, desto eher genügt eine Unterbrechung des Verfahrens.

d) Gegen eine Aussetzungspflicht in jedem Einzelfall spricht schließlich, dass das Gericht im Rahmen seiner Justizgewährungspflicht bei der Entscheidung nach § 265 Abs. 4 StPO auch die Interessen anderer Verfahrensbeteiligter und den Beschleunigungsgrundsatz zu wahren hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2018 – 1 StR 34/18, NStZ 2018, 673, 675). Die verspätete Unterrichtung vom Anklagevorwurf wiegt nicht stets derart schwer, dass andere Verfahrensgrundsätze zwingend in den Hintergrund treten, wie dies bei einer generellen Aussetzungspflicht der Fall wäre.

3. Nach allem durfte das Landgericht in der vorliegenden Verfahrenssituation die Unterbrechung der Hauptverhandlung einer Aussetzung vorziehen. Es hat das ihm insoweit zustehende Ermessen erkannt, es in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt und seine Entscheidung nachvollziehbar begründet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2018 – 1 StR 616/17, NStZ 2019, 481 Rn. 23; s. auch BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 457/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a Anklageschrift 1 Rn. 25).

Ermessensfehler sind ihm dabei nicht unterlaufen. Auch die Unterbrechungsdauer von neun Tagen liegt innerhalb des dem Tatgericht nach § 228 Abs. 1 StPO zustehenden Spielraums. Dass sich der Angeklagte in dieser Zeitspanne nicht genügend auf die Hauptverhandlung vorbereiten konnte, trägt er selbst nicht vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Unterbrechungsdauer nicht ausreichte, zumal sie die Ladungsfrist des § 217 Abs. 1 StPO überstieg, die der Gesetzgeber als grundsätzlich genügend für die Vorbereitung auf eine Hauptverhandlung ansieht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 1971 – 3 StR 10/71, BGHSt 24, 143, 146).