Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

U-Haft während des Bußgeldverfahrens – Pflichtverteidiger

In der Praxis sicherlich nicht allzu häufig, aber, wenn es mal vorkommt, sollte man wissen: Auf Grund der Verweisung des § 46 Abs. 1 OWiG gelten die Vorschriften über die notwendige Verteidigung nach §§ 140, 141 StPO auch im gerichtlichen Bußgeldverfahren. Das gilt insbesondere auch für § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO. Und deshalb hat das LG Ellwangen mit dem LG Ellwangen, Beschl. v. 14.10.2011 – 1 Qs 82/11 – dem Betroffenen im Bußgeldverfahren seinen Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger beigeordnet. Leider ergibt sich aus dem Beschluss nicht, was zuvor mit § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO war.

Ganz schön frech, das OLG Köln….

Wenn es so gemeint ist/war, wie es im OLG Köln, Beschl. v.  15.11.2011 – 2 Ws 650/11 geschrieben steht, dann ist es m.E. ganz schön frech das OLG Köln. Im Beschluss ging es um eine Haftbeschwerde während laufender Hauptverhandlung, die das OLG zurückgewiesen hat. In der entschiedenen Sache lässt sich dagegen kaum etwas einwenden, allerdings habe ich Zweifel, ob die Aussage des OLG, dass die Strafkammer bei vielen Anklagevorwürfen nicht den Haftbefehl während laufender Hauptverhandlung an die jeweilige Beweissituation anpassen müsse. Das mag hier richtig sein, da der Angeklagte wohl weitgehend geständig war. Aber der Inhaftierte muss/sollte ja immer auch die Grundlage kennen, auf der er in Haft gehalten wird. Führt man die Auffassung des OLG zu Ende, hätte das zur Folge, dass ein Haftbefehl während laufender HV nicht an sich ändernde Beweissituationen angepasst werden sondern möglicherweise erst am Ende der HV aufgehoben werden müsste. Das hat auch nichts mit „Belastung“ des erkennenden Gerichts, sondern m.E. dem Freiheitsrecht des noch nicht Verurteilten zu tun.

Aber das war/ist nicht „frech“.Sondern: Der Verteidiger hatte auch die Verhältnismäßigkeit beanstandet und das u.a. damit begründet, dass dass an 2 Tagen der Sitzungssaal nicht vorbereitet war und an einem weiteren Tag die inhaftierten Angeklagten nicht vorgeführt worden waren. Das OLG dazu:

„…. ist für die Verfahrensbeteiligten ärgerlich und auch nicht hinnehmbar, führt aber nicht automatisch zu einer Verkürzung der für die Verhandlung zur Verfügung stehenden Zeit. Schließlich ist eine Verzögerung von zweimal einer halben Stunde und einmal fast anderthalb Stunden keine Zeit, die bei einer auf 10 Tage terminierten Hauptverhandlung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ins Gewicht fallen könnte. Im Übrigen mag der Verteidiger sich, soweit er Mängel der Gerichtsorganisation beanstandet, an die zuständige Behörde wenden.“

Im Übrigen mag der Verteidiger sich, soweit er Mängel der Gerichtsorganisation beanstandet, an die zuständige Behörde wenden„? Das ist m.E. ganz schön frech und im Übrigen so ähnlich wie sonst bei einer Behörden: Ich bin nicht zuständig, wenden Sie sich bitte an meinen Kollegen. Und hier ist es m.E. im Grundsatz auch nicht richtig. In dem Bereich muss man m.E. die Justiz als Gesamtheit sehen und „schlechte“ bzw. nicht ausreichende Organisation wird der Strafkammer zugerechnet.

 

 

Wiederholungsgefahr bei Beutewert von 700 bzw. 1.300 €?

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr  i.S. des § 112a StPO spielt in der Praxis zunehmend eine Rolle. Das zeigt die zunehmende Zahl der dazu veröffentlichten Entscheidungen, die sich i.d.R. mit der Problematik der erforderlichen „schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung“ befassen. Das wird manchmal vorschnell bejaht und der subsidiäre Haftgrund des § 112a StPO angenommen.

Mit der Frage musste sich auch das OLG Braunschweig, Beschl. v. 07.11.2011 – Ws 316/11 befassen, der in einem Verfahren ergangen ist, in dem dem Beschuldigten der Diebstahl von zwei Fahrrädern zur Last gelegt wurde. Das OLG hat den amtsgerichtlichen Haftbefehl aufgehoben:

Im konkreten Fall gibt es zwar keinen Anlass, das Verhalten des Angeschuldigten zu bagatellisieren. Von der geforder­ten schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung kann aber trotz der ein­schlägigen Vorstrafen des Angeschuldigten bei beiden Vorwürfen nicht ausge­gangen werden: So verleiht zunächst der Wert der entwendeten Fahrräder von 700,00 € (Tat Nr. 1) und 1.300,00 € (Tat Nr. 2) den jeweiligen Taten nicht die Be­deutung überdurchschnittlicher Vergehen des Diebstahls im besonders schweren Fall. Obgleich dies nicht auf einem freiwilligen Willensentschluss des Angeschul­digten beruhte, werden beide Taten außerdem durch den strafmildernden Um­stand geprägt, dass die Geschädigten die entwendeten Fahrräder jeweils noch am selben Tag zurückerhalten haben…“

Horch, was kommt von draußen rein – die zulässige Verteidigerpost

Einige Blogs haben ja schon über die inzwischen rechtskräftige Entscheidung des AG München vom 19.04.2011 – 1123   OWi 120 JS/13 10 – berichtet, die sich mit der „zulässigen Verteidigerpost“ befasst hat (vgl. hier und hier). Dazu dann auch bei uns die PM des AG München, in der es heißt:

Der unkontrollierte Verkehr zwischen Verteidiger und inhaftiertem Mandanten ist nach einem Urteil des AG München nur zulässig, soweit dies unmittelbar der Vorbereitung der Verteidigung dient.

Das Amtsgericht München hat gegen einen Münchner Strafverteidiger eine Geldbuße von 300 Euro verhängt, da er einen ihm von einem Gefangenen übergebenen Brief weiterleitete. Das Urteil ist rechtskräftig. Eine Beschwerde vor dem OLG Bamberg blieb erfolglos.

Im August 2010 nahm ein Münchner Anwalt von seinem Mandanten, der sich in einer Justizvollzugsanstalt in Untersuchungshaft befand, einen als Verteidigerpost gekennzeichneten Brief entgegen. In diesem bat der Untersuchungshäftling den Anwalt um die Weitergabe von detaillierten Verhaltensanweisungen an seine Freundin. Diese sollte für ihn seine Mietangelegenheiten regeln. Der Anwalt leitete dieses Schreiben an die Freundin weiter.

Das Amtsgericht München kam zu dem Ergebnis, dass Anwalt unbefugt gehandelt habe, weil insbesondere § 148 Abs. 1 StPO einem Verteidiger nicht die Erlaubnis gewähre, jenen mittels Verteidigerpost übermittelten Brief des inhaftierten Mandanten an die Lebensgefährtin weiterzuleiten. Hätte der Mandant unmittelbar an seine Freundin geschrieben, so wäre dieser Brief unzweifelhaft der Briefkontrolle unterlegen. Dadurch, dass der Brief über den Verteidiger als Verteidigerpost deklariert den Anstaltsbereich verließ und vom Betroffenen als Verteidiger weitergeleitet wurde, sei die Briefkontrolle umgangen worden. Zwar sei einem Beschuldigten, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befinde, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit seinem Verteidiger zu gestatten. Dies gelte jedoch nur zum Zwecke der Verteidigung und soweit es unmittelbar der Vorbereitung der Verteidigung diene. Deswegen handle ein Verteidiger rechtswidrig, wenn er sich beispielsweise als Übermittler von Briefen von Angehörigen oder anderen Personen oder von Kassibern betätige. Bemühungen um den Erhalt der Wohnung und ähnliches würden nicht unter das Verteidigerprivileg fallen, auch wenn diese mittelbar durchaus auch für das Vorliegen von Haftgründen oder im Hinblick auf die Sanktionsentscheidungen des Gerichts von Bedeutung sein können. Unerheblich sei auch der Inhalt des übermittelten Schreibens, da der einschlägige Tatbestand ein abstraktes Gefährdungsdelikt darstelle. Die Argumentation, das Schreiben wäre nicht angehalten worden, wenn es über die Briefkontrolle gelaufen wäre, sei daher nicht stichhaltig.“

Haftbefehl nicht vollzogen – Akteneinsicht: Ja oder nein?

Nach Abschluss der Ermittlungen ist gemäß § 147 Abs. 1 StPO dem Verteidiger Einsicht in die gesamten Akten zu gewähren.. Das Akteneinsichtsrecht ist allerdings im Ermittlungsverfahren gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 StPO eingeschränkt. Dem Verteidiger kann die Akteneinsicht in diesem Verfahrensstadium versagt werden, soweit dadurch der Untersuchungszweck gefährdet würde. Die Frage, wie mit dieser Einschränkungsmöglichkeit umzugehen ist, wenn im Ermittlungsverfahren Zwangsmaßnahmen gegen den Beschuldigten ergriffen worden sind, ist umstritten, wenn es sich um nicht vollzogene Zwangsmaßnahmen handelt. Das spielt besonders beim nicht vollzogenen Haftbefehl eine Rolle. Mit der Frage hat sich im Sommer der KG, Beschl. v. 06.07.2011 –  4 Ws 57/11– auseinandergesetzt. Das KG kommt zu folgenden Leitsätzen:

  1. Akteneinsicht kann dem Beschuldigten auch bei einem allein auf den Haftgrund der Flucht gestützten Haftbefehl gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 StPO versagt werden, solange der Haftbefehl noch nicht vollzogen ist.
  2. Der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG wird in diesem Fall nicht dadurch verletzt, dass er erst nach der Festnahme über die entscheidungserheblichen Umstände informiert wird.

Und weiter:

„Von der Kenntnis des Beschuldigten sind daher zunächst solche Informationen abzuschirmen, die seine Flucht erleichtern können. Von Wert sind für den Beschuldigten dabei nicht nur Informationen über die klassischen, allein der Aufenthaltsermittlung dienenden Maßnahmen (Durchsuchungen zum Zweck der Ergreifung oder Maßnahmen der Telefonüberwachung), sondern alle Informationen, die ihm offenbaren könnten, was die Ermittlungsbehörden über sein familiäres und sonstiges soziales Umfeld, seine Kontakte und damit mögliche Anknüpfungspunkte für Aufenthaltsermittlungen in Erfahrung gebracht haben. Seine Flucht erleichtern können ferner Informationen darüber, wer aus seinem sozialen Umfeld im Verfahren mit den Ermittlungsbehörden kooperiert hat und aus diesem Grund nicht um Hilfe bei der Flucht ersucht werden sollte. Selbst wenn die Ermittlungen insoweit unergiebig geblieben sein sollten, wären auch diese sogenannten negativen Tatsachen dem Beschuldigten für die weitere Flucht von großem Nutzen. Sie verschafften ihm einen vollständigen Überblick über den Ermittlungsstand. Er würde wissen, welche Bereiche seines persönlichen Umfelds bislang nicht in das Visier der Ermittler gelangt sind und damit zur Fortsetzung der Flucht nutzbar blieben.

Um den Vollzug des Haftbefehls bei einem flüchtigen Beschuldigten nicht zu gefährden, können daher regelmäßig auch wesentliche Aktenbestandteile von der Einsicht ausgenommen werden. Denn oftmals werden sich entsprechende Anhalte gerade auch aus Ermittlungen ableiten lassen, die zur Schuld- und Straffrage geführt worden sind und ohne die dem Beschuldigten eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Haftbefehls nicht möglich sein wird.“