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Wiederholungsgefahr bei Beutewert von 700 bzw. 1.300 €?

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr  i.S. des § 112a StPO spielt in der Praxis zunehmend eine Rolle. Das zeigt die zunehmende Zahl der dazu veröffentlichten Entscheidungen, die sich i.d.R. mit der Problematik der erforderlichen „schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung“ befassen. Das wird manchmal vorschnell bejaht und der subsidiäre Haftgrund des § 112a StPO angenommen.

Mit der Frage musste sich auch das OLG Braunschweig, Beschl. v. 07.11.2011 – Ws 316/11 befassen, der in einem Verfahren ergangen ist, in dem dem Beschuldigten der Diebstahl von zwei Fahrrädern zur Last gelegt wurde. Das OLG hat den amtsgerichtlichen Haftbefehl aufgehoben:

Im konkreten Fall gibt es zwar keinen Anlass, das Verhalten des Angeschuldigten zu bagatellisieren. Von der geforder­ten schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung kann aber trotz der ein­schlägigen Vorstrafen des Angeschuldigten bei beiden Vorwürfen nicht ausge­gangen werden: So verleiht zunächst der Wert der entwendeten Fahrräder von 700,00 € (Tat Nr. 1) und 1.300,00 € (Tat Nr. 2) den jeweiligen Taten nicht die Be­deutung überdurchschnittlicher Vergehen des Diebstahls im besonders schweren Fall. Obgleich dies nicht auf einem freiwilligen Willensentschluss des Angeschul­digten beruhte, werden beide Taten außerdem durch den strafmildernden Um­stand geprägt, dass die Geschädigten die entwendeten Fahrräder jeweils noch am selben Tag zurückerhalten haben…“

Heimlich und still und leise (?) – Änderung des § 112a StPO im Gespräch

Der Kollege Ferner hatte ja vor einigen Tagen schon über die geplante Änderung im Bereich des § 112a StPO berichtet. (vgl. hier zu den Änderungen des U-Haft-Rechts). Das Land Hamburg hat in der BR-Drucksache 24/11 den „Entwurf eines Gesetzes zur Effektivierung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr“ eingebracht; nach dem Gesetz zur Effektivierung des Strafverfahrens wird also schon wieder effiktiviert. Geplant ist eine Erweiterung des § 112 a StPO um den § 223 StGB, der bisher nicht zu den Katalogtaten gehört.

In Zukunft soll es nach den Hambuger Plänen die Nr. 1 geben – wie bisher.

In der neuen Nr. 2 sollen die Tatbestände erfasst werden, denen eine vergleichbare Indizwirkung für eine Wiederholungsgefahr – hohes Aggressionspotential, niedrige Hemmschwelle, geringe Affektkontrolle – zukommt wie den bereits in § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO enthaltenen Anlasstaten. Dies sind die Vorbereitung einer schweren, staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB), die qualifizierten Körperverletzungsdelikte (§§ 224 bis 227 StGB), die Raub- und Erpressungsdelikte (§§ 249 bis 255 StGB), die vorsätzlichen Brandstiftungsdelikte (§§ 306 bis 306c StGB) und der räuberische Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB). Bei (mutmaßlichen) Tätern dieser Straftaten soll zukünftig die Möglichkeit für Staatsanwaltschaften und Gerichte bestehen, bereits allein aufgrund der Anlasstat eine Wiederholungsgefahr zu bejahen, ohne dass es einer Vortat bedarf. Das Abwarten einer weiteren, der Anlasstat vergleichbaren Straftat führe – so die Gesetzesbergündung – hier zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen und widerspreche dem Bestreben nach Sicherheit und Schutz der Bevölkerung. Dieser Widerspruch sei auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich garantierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kriminalpolitisch nicht zu vertreten.

In der neuen Nr. 3 werden dann die Straftaten aus dem Katalog der Nr. 2 in der gegenwärtigen Fassung, denen die angesprochene Indizwirkung nicht beigemessen werden kann, zusammengefasst. Bei ihnen bleibt es dabei, dass die Anordnung der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr das Vorliegen einer der Anlasstat vergleichbaren Vortat erfordert. Dazu soll dann auch § 223 StGB gehören.

Alles in allem: M.E. eine deutliche Verschärfung des § 112a StPO. Er wird eben „effekiviert“.

Kleinvieh macht zwar Mist – 5 Betrugstaten mit kleineren Schäden begründen aber noch keine Wiederholungsgefahr

Der subsidiäre Haftgrund der Wiederholungsgefahr aus § 112a StPO ist für den Beschuldigten nicht ungefährlich, denn wenn keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr vorliegt, dann kann schnell auf diesen Haftgrund ausgewichen werden. Allerdings: Für den Haftgrund des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist es erforderlich, dass die fortgesetzte bzw. wiederholt begangene Anlasstat zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung geführt hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 01.04.2010 – III-3 Ws 161/10).

Dazu führt das OLG Hamm aus:

„Für den Haftgrund des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist es erforderlich, dass die fortgesetzte bzw. wiederholt begangene Anlasstat zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung geführt hat, wobei bei einer wiederholten Begehung der Anlasstat der erforderliche Schweregrad grundsätzlich bei jeder einzelnen Tat vorliegen muss (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 112 a Rdnr. 32; Graf in KK, a.a.O., § 112 a Rdnr. 14). Erforderlich sind Anlasstaten, die einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt aufweisen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.11.2003 – 3 Ws 500/03 -; OLG Köln, Beschluss vom 27.10.2009 – 1 Ws 117/09 -, BeckRS 2010 00263; OLG Frankfurt am Main NStZ 2001, 75; Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 a Rdnr. 9; Graf in KK, a.a.O., § 112 a Rdnr. 14). Es muss sich um solche Taten handeln, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; Hilger in Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 112 Rdnr. 34). Maßgebend bei der Bewertung sind insbesondere auch Art und Umfang des jeweils angerichteten Schadens (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Jena NStZ-RR 2009, 143; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 210; Meyer-Goßner, a.a.O.; Graf in KK, a.a.O.).

Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen ist in dem vorliegenden Verfahren der erforderliche Schweregrad bei den Anlasstaten, durch die Vermögensschäden in Höhe von 1.000,00 € bis 1.905,00 € verursacht worden sind, nach Auffassung des Senats noch nicht erreicht. Bei Schäden in der vorgenannten Größenordnung kann nämlich noch nicht von einem überdurchschnittlichen Schaden ausgegangen werden. Der Senat hat bei dieser Bewertung vergleichend darauf abgestellt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Vermögensverlust „großen Ausmaßes“ i. S. d. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alternative 1 StGB erst bei einem Wert von 50.000,00 € erreicht ist (vgl. BGH NJW 2004, 169). Angesichts dessen können Schadenshöhen von lediglich 2 % (1.000,00 €) bis 3,81 % (1.905,00 €) dieses Betrages noch nicht als überdurchschnittliche Vermögensschäden eingestuft werden. Eine gewisse Bestätigung findet dieses Ergebnis auch in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für die Bundesrepublik Deutschland. So ergibt sich für das Berichtsjahr 2008 (PKS 2008, S. 192, Tabelle 07) ein durchschnittlicher Schadensbetrag von ca. 7.836,00 € bei 612.602 vollendeten Betrugsfällen (ohne Leistungserschleichung und Computerbetrug) mit einem Gesamtschaden von 4.800,6 Millionen Euro, wobei nicht verkannt wird, dass der Aussagewert dieser Statistiken insofern beschränkt ist, als deliktspezifisch von einem hohen Dunkelfeld auszugehen ist und außerdem Einzelfälle mit ganz außergewöhnlicher hoher Schadenssumme (sog. Ausreißer) den Durchschnittswert verschieben können (vgl. BGH NJW 2004, 169  m. w. N.)…“