Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

„durchschnittlich lediglich 2,2 Hauptverhandlungstermine pro Monat“ sind zu wenig…

„Durchschnittlich lediglich 2,2 Hauptverhandlungstermine pro Monat“ sind nicht nur zu wenig, sondern führen zu einer gravierenden Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes in einer Haftsache. So das OLG Hamm, Beschl.v. 27.12.2011 – III 3 Ws 424/11, das außerdem der Strafkammer auch die durchschnittliche Dauer der einzelnen Termine vorhält. Auch die war nicht lang genug. Konkret heißt es im Beschluss:

Denn jedenfalls ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht hinnehmbar, dass die Strafkammer in der Zeit vom 17. Juli 2009 bis zum 19. Dezember 2011 – mithin in einem Zeitraum von mehr als 29 Monaten – nur an insgesamt 65 Tagen einen Hauptverhandlungstermin durchgeführt hat und damit durchschnittlich lediglich 2,2 Hauptverhandlungstermine pro Monat stattgefunden haben, wobei die durchschnittliche Länge der Termine jeweils nur wenige Stunden betrug und zahlreiche Termine sogar nur weniger als eine Stunde dauerten. Dabei übersieht der Senat nicht, dass sich das Verfahren ursprünglich gegen neun Angeklagte richtete. Auch verkennt er nicht, dass an verschiedenen Terminen offenbar einer oder mehrere der Verteidiger verhindert waren und einer der Angeklagten erkrankt war. Andererseits war zu berücksichtigen, dass die Strafkammer die Hinweise des Senats in seinen Beschlüssen vom 13. April 2010 und vom 6. Juni 2011 nicht zum Anlass genommen hat, das Verfahren zügiger voranzutreiben.“

Ergebnis: Haftbefehl wird aufgehoben.

Fluchtgefahr: Ein alter (?), kranker Mann flieht nicht…

Sehr schön untersucht der KG, Beschl. v. 03.11.2011 – 4 Ws 96/11 im Rahmen einer weiteren Haftbeschwerde das Merkmal „Fluchtgefahr“ i.S. des § 112 Abs. Abs. 2 Nr. 2 StPO und wägt alle maßgeblichen Umstände ab. Ergebnis, keine Fluchtgefahr, da

  1. zu alt,
  2. zu krank,
  3. zu sozial gebunden,
  4. keine (zu) hohe Straferwartung
  5. kein Geld für die Flucht,
  6. sich dem Verfahren gestellt.

Wie gesagt: Schöne Beschluss, an dem man die maßgeblichen Kriterien für/gegen Fluchtgefahr abarbeiten kann.

Freilassung aus der U-Haft: Auch bei geplanter Abgabe des Verfahrens kein Stillstand zulässig

Das ist doch mal ein Auftakt in der Statistik, den das OLG Dresden, Beschl. v. 11.01.2012 – 1 AK 1/12 setzt. Im ersten im Jahr 2012 anhängig gewordenen Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO wird der Beschuldigte frei gelassen. Grund: Der Angeklagte ist ausgeliefert worden. Danach wird das Verfahren aber nicht mehr betrieben, da man beabsichtigt, es hier ggf. nach § 154b StPO einzustellen. Die Voraussetzungen dafür liegen aber noch nicht vor.

Das OLG sagt: Das Führen eines Ermittlungsverfahrens ausschließlich zur Vorbereitung einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 154 b StPO rechtfertigt die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nach § 121 StPO über sechs Monate hinaus nicht.

Welche Auswirkungen haben die Tätigkeiten des BND?

Bei der Recherche des Materials zur 6. Auflage des „Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren“ bin ich auf eine Haftentscheidung des BGH gestoßen. So häufig gibt es die ja nicht, von daher ganz interessant. Es ist der BGH, Beschl. v. 22.12.2010 – AZ: AK 19/10. Der BGH hat in dem Beschluss einen Haftbefehl des OLG Düsseldorf aufgehoben, und das wie folgt begründet:

….Auch kann dahinstehen, ob gegen den Angeklagten weiterhin ein Haftgrund vorliegt. Denn der weitere Vollzug der nunmehr bereits fast zehn Monate andauernden Untersuchungshaft verstößt jedenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Der Senat hat schon in seinem Beschluss vom 16. September 2010 darauf hingewiesen, dass der Einfluss des Bundesnachrichtendienstes auf die Mitwirkung des Angeklagten in der DHKP-C sich gegebenenfalls – abhängig von der Art und Intensität – bei der Strafzumessung zu dessen Gunsten auswirken muss. Die in der Zwischenzeit durchgeführten weiteren Ermittlungen – insbesondere die Angaben des Bundesnachrichtendienstes in dem Schreiben vom 13. Dezember 2010 – belegen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Angeklagten und dem Bundesnachrichtendienst besonders intensiv war und die vom Angeklagten gelieferten Informationen einen hohen Wert hatten. Danach fand etwa die erste Begegnung bereits im Dezember 2002 und damit nur kurz nach Beginn des Tatzeitraums im Oktober 2002 statt. Insgesamt kam es zu 134 Treffen, die im 14tägigen Rhythmus durchgeführt wurden. Im Zusammenhang mit den nachrichtendienstlichen Tätigkeiten wurde im August 2008 ein Betrag in Höhe von 10.000 € auf einem Konto des Angeklagten gutgeschrieben. Dessen Einlassung, er habe darüber hinaus ein monatliches Entgelt in erheblicher Höhe erhalten, ist nach den bisherigen Angaben des Bundesnachrichtendienstes nicht zu widerlegen. Über die einzelnen aktuellen Tätigkeiten des Angeklagten für die DHKP-C einschließlich der Schleusungsfahrten war der Bundesnachrichtendienst teilweise sogar im Voraus, zumindest jedoch nach deren Durchführung unterrichtet. Aus den vom Angeklagten übermittelten Informationen wurde eine Vielzahl von Meldungen erstellt; seine Arbeit wurde vom Bundesnachrichtendienst als besonders wichtig und hochwertig eingestuft, um die Strukturen der DHKP-C aufdecken zu können.
Bei sachgerechter Berücksichtigung all dieser Umstände ergibt sich, dass die Straferwartung des Angeklagten deutlich reduziert ist. Deshalb muss trotz des kurz bevorstehenden Beginns der Hauptverhandlung das staatliche Interesse an der weiteren Sicherung des Verfahrens hinter dem überwiegenden Freiheitsinteresse des Angeklagten zurücktreten.“

Auch wenn du kommst – Haftbefehl bleibt in Kraft…..

Machen wir mal wieder ein wenig Haftrecht, hatten wir ja schon länger nicht mehr. Im OLG Köln, Beschl. v. 15.11.2011 – 2 Ws 709/11 – ging es um die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls, dessen Vollzug ausgesetzt war, nach Aussetzung der Hauptverhandlung und deren Neubeginn. Der Angeklagte hatte u.a. damit argumentiert, dass der angenommene Haftgrund der Fluchtgefahr nicht mehr vorliege, da er allen Ladungen pp, gefolgt sei.

Das OLG geht in der Begründung seiner „Aufrechterhaltungsentscheidung“  davon aus, dass sich erheblichen Tatvorwürfen gegen den Angeklagten und aus der insoweit zu erwartenden Gesamtfreiheitsstrafe ergeben kann, dass die Aufrechterhaltung eines Haftbefehl, dessen Vollzug unter Auflagen ausgesetzt ist, nicht unverhältnismäßig ist. Denn bei einem erheblichen Fluchtanreiz aufgrund einer hohen Straferwartung könne der Haftgrund der Fluchtgefahr weiter bestehen bleiben. Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen gelte zwar auch bei Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls. Die Beschränkungen, die durch Auflagen und Weisungen entstehen, dürften danach nicht länger andauern, als es nach den Umständen des Falles erforderlich ist. Zur Sicherung der Durchführung des Verfahrens könne jedoch die Aufrechterhaltung von Auflagen unverzichtbar sein.