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Absprache II: Haftbefehl als Gegenstand der Absprache, oder: Bindung an zugesagte Außervollzusetzung

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Und im zweiten Posting habe ich dann hier eine m.E. ganz interessante Entscheidung aus Saarbrücken zur Bedeutung/den Auswirkungen einer Absprache im Rahmen von Haftentscheidungen.

Dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 25.02.2025 – 1 Ws 26/25 – liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Das AG hat gegen den Angeklagten  einen auf die Haftgründe der Flucht (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO), im Falle seiner Ergreifung der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. Nr. 3 StPO) sowie subsidiär der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO) gestützten Haftbefehl erlassen, in dem ihm zwei Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt werden.

Aufgrund erfolgter SIS-Ausschreibung wurde der Angeklagte am 26.04.2024 auf Lesbos festgenommen, befand sich seitdem bis zu seiner am 25.07.2024 erfolgten Überstellung von Griechenland nach Deutschland in Auslieferungshaft und im Anschluss hieran aufgrund des Haftbefehls in Untersuchungshaft.

Nach Erhebung der Anklage wegen der haftbefehlsgegenständlichen Taten kam es im Hauptverhandlungstermin vor dem LG Saarbrücken am 17.01.2025 zu einer Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten gemäß § 257c StPO, wonach die Kammer im Falle eines Geständnisses im Sinne der Anklage keine geringere Strafe als drei Jahre und zwei Monate und keine höhere Strafe als drei Jahre und sechs Monate verhängen und den Haftbefehl „bei einer Meldeauflage 3 Mal wöchentlich“ außer Vollzug setzen wird. Nach geständiger Einlassung des Angeklagten und Durchführung der Beweisaufnahme beantragte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten sowie die Außervollzugsetzung des Haftbefehls. Sodann wurde der Angeklagte wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt und die Anrechnung der Auslieferungshaft vom 26.04.2024 bis zum 25.07.2024 im Verhältnis 1:2 bestimmt. Im Anschluss hieran setzte die Kammer den Haftbefehl des AG vom 08.01.2024 außer Vollzug und wies den Angeklagten an, nach seiner Entlassung aus der Haft festen Wohnsitz an seiner Meldeanschrift zu nehmen sowie sich dreimal pro Woche, und zwar montags, mittwochs und freitags, bei der Polizeiinspektion Neunkirchen zu melden. Der Angeklagte wurde am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen. Gegen das Urteil haben der Verteidiger des Angeklagten am 23.01.2025 und die Staatsanwaltschaft am 24.01.2025 Revision eingelegt.

Ebenfalls am 24.01.2025 hat die Staatsanwaltschaft durch den zuständigen Dezernenten gegen die Außervollzugsetzung des Haftbefehls Beschwerde eingelegt. Sie meint, die Außervollzugsetzung des Haftfehls sei auf dem Boden der Aussage eines Zeugen, aufgrund derer sich die Kammer zwingend von der Verständigung hätte lösen müssen, unverständlich, unvertretbar und willkürlich, weil die Meldeauflage nicht geeignet sei, die Haftgründe der Flucht- und Wiederholungsgefahr auszuräumen.

Die Haftbeschwerde hatte keinen Erfolg:

„1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Außervollzugsetzung des Haftbefehls ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 116 Rn. 31) und auch im Übrigen zulässig (§ 306 Abs. 1 StPO). Dass auch die Außervollzugsetzung eines Untersuchungshaftbefehls als zum Urteil dazugehöriger Beschluss im Sinne des § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. § 268b StPO) grundsätzlich zulässiger Inhalt einer Verständigung im Strafverfahren sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2013 – 2 StR 410/13, juris Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 257c Rn. 15c) und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft selbst die Außervollzugsetzung des Haftbefehls vom 8. Januar 2024 beantragt hat, steht der Zulässigkeit der von der Staatsanwaltschaft gleichwohl gegen die Außervollzugsetzung des Haftbefehls eingelegten Beschwerde nicht entgegen. Vielmehr darf die Staatsanwaltschaft trotz vorangegangener Verständigung und auch dann, wenn die angefochtene Entscheidung ihrem ausdrücklichen Antrag entspricht, uneingeschränkt alle statthaften Rechtsmittel einlegen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Oktober 2010 – III-4 RVs 60/10, juris Rn. 10 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 257c Rn. 32, Vor § 296 Rn. 16, Vor § 312 Rn. 1e).

2. Die Beschwerde ist aber bereits deshalb unbegründet, weil die durch den angefochtenen Beschluss erfolgte Außervollzugsetzung des Haftbefehls des Amtsgerichts Saarbrücken vom 8. Januar 2024 unter der Anweisung einer Meldepflicht von dreimal pro Woche zulässiger Gegenstand der Verständigung im Strafverfahren war und der Senat als Beschwerdegericht hieran gebunden ist. Maßgeblich hierfür sind folgende Erwägungen:

a) Gemäß § 257c Abs. 4 StPO ist das Tatgericht – abgesehen von den in § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO geregelten Ausnahmefällen – an eine Verständigung, die vor ihm stattgefunden hat, gebunden (vgl. BVerfG NStZ 2016, 422, 424; BGH NStZ 2017, 373, 374; OLG Nürnberg, Beschluss vom 29. Februar 2012 – 1 St OLG Ss 292/11, juris Rn. 12; Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 25, 63; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 257c Rn. 25a). Die dem Gericht eingeräumte Befugnis, sich unter den § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO geregelten Voraussetzungen von der Bindung durch die Verständigung zu lösen, tritt nicht kraft Gesetzes von selbst ein, sondern erfordert eine dahingehende gerichtliche Entscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 463/11, juris Rn. 14). Die Entscheidung über das Abweichen von der Verständigung ist nach § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO unverzüglich mitzuteilen, um dem Angeklagten und den weiteren Verfahrensbeteiligten – insbesondere mit Blick auf das mit dem Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 verknüpfte Verwertungsverbot für ein im Zuge der Verständigung abgelegtes Geständnis des Angeklagten – die Möglichkeit zu geben, ihr Prozessverhalten auf die neue Verfahrenslage einzurichten (vgl. Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, BT-Drucks. 16/12310 S. 15; BGH, a.a.O.).

b) Da das Landgericht sich im vorliegenden Fall nicht von der Bindung durch die Verständigung gelöst hat und die Außervollzugsetzung des Haftbefehls Teil und zulässiger Gegenstand der Verständigung war, war das Landgericht bereits aufgrund seiner Bindung an die Verständigung nicht befugt, im Rahmen der ihm nach § 306 Abs. 2 StPO obliegenden Entscheidung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft abzuhelfen. Die Entscheidungsbefugnis des Senats, der als Beschwerdegericht im Umfang des Rechtsmittels grundsätzlich an Stelle des Erstgerichts selbst entscheidet (vgl. Löwe-Rosenberg/Matt, StPO, 26. Aufl., § 309 Rn. 7), geht nicht über diejenige des Landgerichts hinaus, so dass auch er an die Verständigung gebunden ist.

aa) Der Senat verkennt nicht, dass nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nur das Tatgericht, bei dem die Verständigung erfolgte, nicht aber die Rechtsmittelgerichte und das Gericht, an das die Sache nach § 354 Abs. 2, Abs. 3 StPO zurückverwiesen wurde, an die Verständigung gebunden sind (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 373; NStZ 2017, 373, 374; Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257cRn. 63 f.; MüKoStPO/Jahn, 2. Aufl., § 257c Rn. 148; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 257c Rn. 25a; a.A.: SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 257c Rn. 29: Bindung für das gesamte Erkenntnisverfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss). In der Gesetzesbegründung zu § 257c Abs. 4 StPO heißt es insoweit lediglich, dass weder Berufungsgericht und Revisionsgericht noch das Gericht nach Zurückverweisung an die Verständigung gebunden sind (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 15). Ebenso wie § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO in allen Fällen, in denen die Bindung des Tatgerichts entfällt, als Ausfluss des Rechts des Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) ein Verbot des vom Angeklagten in Vorleistung abgelegten Geständnisses zu Beweiszwecken anordnet (vgl. MüKoStPO/Jahn, a.a.O., § 257c Rn. 172), nehmen Rechtsprechung und Literatur als Kehrseite des Fehlens der Bindungswirkung des Rechtsmittelgerichts an die in der Vorinstanz erfolgte Verständigung allerdings hinsichtlich des Geständnisses des Angeklagten ein Beweisverwertungsverbot an. Dementsprechend hält es die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur in den Fällen einer – jedenfalls auch – zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Berufung oder Revision der Staatsanwaltschaft mit Blick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens für geboten, hinsichtlich des Geständnisses des Angeklagten ein Verwertungsverbot jedenfalls dann anzunehmen, wenn das neue Tatgericht (Berufungsgericht oder nach Zurückverweisung zur Entscheidung berufenes Tatgericht) über die vom ersten Tatgericht, bei dem die Verständigung stattgefunden hat, zugesagte Strafrahmenobergrenze hinausgehen will (vgl. BGH NStZ 2017, 373, 375; NStZ 2023, 310, 312 f.; vgl. auch BGH StraFo 2024, 67, 68 für den Fall der Revision der Nebenklage; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Oktober 2010 – III-4 RVs 60/10, juris Rn. 11 ff.; OLG Karlsruhe NStZ 2014, 294, 295; MüKoStPO/Jahn, a.a.O., § 257c Rn. 177 ff.; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 9. Aufl., § 257c Rn. 41 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 257c Rn. 29b).

bb) Die Frage einer Bindungswirkung der Verständigung für das Beschwerdegericht findet hingegen weder in der Gesetzesbegründung Erwähnung noch haben sich – soweit ersichtlich – Rechtsprechung und Literatur mit dieser Frage bislang befasst. Insbesondere ist die vorliegende Fallgestaltung, in welcher die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls in dem gemäß § 268b StPO ergangenen Beschluss Teil der vorausgegangenen Verständigung nach § 257c StPO gewesen ist und die Staatsanwaltschaft gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt hat, bisher – soweit ersichtlich – nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung gewesen. Diese Fallkonstellation unterscheidet sich von den vorstehend geschilderten Fallgestaltungen dadurch, dass sich der Angeklagte auch im Falle der Verneinung einer Bindungswirkung der Verständigung für das Beschwerdegericht an seinem im Vertrauen auf die Bindungswirkung der Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) abgegebenen Geständnis festhalten lassen müsste. Denn der dringende Tatverdacht, der vom Beschwerdegericht auch im Falle einer von der Staatsanwaltschaft gegen die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls eingelegten Beschwerde zu prüfen ist (vgl. KG, Beschluss vom 18. November 2022 – 3 Ws 300/22, juris Rn. 10 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 116 Rn. 31), ist im Falle einer – wie hier – nach abgeschlossener Beweisaufnahme erfolgten erstinstanzlichen Verurteilung in aller Regel bereits durch das verurteilende Erkenntnis hinreichend belegt und die Nachprüfung durch das Beschwerdegericht hat sich darauf zu beschränken, ob die Entscheidung auf die in der Hauptverhandlung gewonnenen wesentlichen Tatsachen gestützt ist und auf einer vertretbaren Bewertung des Beweisergebnisses beruht (vgl. KG, a.a.O., juris Rn. 12; Senatsbeschluss vom 6. November 2024 – 1 Ws 216/24 –). Die Möglichkeit, den Bruch des Vertrauens des Angeklagten auf die Bindungswirkung der Verständigung durch die Annahme der Unverwertbarkeit seines auf der Verständigung beruhenden Geständnisses auszugleichen, hat der Senat als Beschwerdegericht daher nicht. Im Übrigen würde die Annahme der Unverwertbarkeit des Geständnisses des Angeklagten durch das Beschwerdegericht die Gefahr von Wertungswidersprüchen mit der noch ausstehenden Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs begründen. Daher gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens für den Fall, dass – wie hier – die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls Bestandteil einer Verständigung zwischen dem erkennenden Gericht und den Verfahrensbeteiligten nach § 257c StPO ist und die Staatsanwaltschaft gegen die aufgrund der Verständigung erfolgte Außervollzugsetzung des Haftbefehls Beschwerde einlegt, eine Bindungswirkung nicht nur des erkennenden Gerichts, sondern auch des Beschwerdegerichts an die Verständigung und damit auch an die Außervollzugsetzung des Haftbefehls als Bestandteil der Verständigung anzunehmen.“

Haft I: (Wieder)Invollzugsetzung eines Haftbefehls, oder: Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe

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Ich stelle heute drei Entscheidungen zur StPO vor, und zwar zu Haftfragen.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 30.01.2024 – 2 Ws 12/24 – zu den Anforderungen an die „neu hervorgetretenen Umstände“ als Grundlage für eine Wiederinvollzugsetzung eines Hafbefehls bei erfolgter Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe.

Folgender Sachverhalt: Das AG hat am 06.01.2023 gegen den Angeklagten Haftbefehl wegen des Verdachts des versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung erlassen. Der Angeklagte wurde am 15.02.2023 festgenommen, der Haftbefehl wurde ihm am 16.02.2023 eröffnet. Auf den am 16.2.2023 durch den Angeklagten gestellten Haftprüfungsantrag und die Anträge auf Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung hat das AG dann am 02.03.2023, nachdem der Verteidiger des Angeklagten Unterlagen übergeben hatte, die einen festen Wohnsitz der Angeklagten mit seiner schwangeren Verlobten und ein seit Sommer 2021 bestehenden Arbeitsverhältnis belegten, den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt und dem Angeklagten aufgegeben, sich dreimal wöchentlich bei der zuständigen Polizeiwache zu melden, allen Ladungen Folge zu leisten und sich straffrei zu führen.

Die Staatsanwaltschaft hat am 15.4.2023 Anklage erhoben, welche das LG zur Hauptverhandlung zugelassen hat. Zugleich hat das LG den Haftbefehl aufrechterhalten und weiterhin außer Vollzug gelassen. Die Hauptverhandlung beim LG hat an elf Verhandlungstagen zwischen dem 30.08.2023 und dem 13.12.2023, zu denen der Angeklagte sämtlich erschien ist, stattgefunden. Im Termin am 13.12.2023 beantragte die Staatsanwaltschaft, den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren zu verurteilen. Der Verteidiger des Angeklagten beantragte Freispruch. Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung zwischen 12:15 und 14:31 Uhr verkündete das LG ein Urteil, mit dem der Angeklagten wegen versuchten besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Im Anschluss an die Urteilsverkündung hat das LG den Außervollzugsetzungsbeschluss aufgehoben und den Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt hat. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, es lägen neu hervorgetretene Umstände vor, die die Verhaftung des Angeklagten erforderlich machten. der Angeklagte sei von einem Freispruch ausgegangen, dann aber verurteilt worden.

Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und gegen die Invollzugsetzung Beschwerde. Diese hatte beim OLG Hamm Erfolg. Das OLG führt u.a. aus:

„Ein nach der Haftverschonung ergangenes (nicht rechtskräftiges) Urteil oder ein hoher Strafantrag der Staatsanwaltschaft können zwar geeignet sein, den Widerruf einer Haftverschonung und die Invollzugsetzung eines Haftbefehls zu rechtfertigen. Dies setzt jedoch voraus, dass von der Prognose des Haftrichters bezüglich der Straferwartung der Rechtsfolgenausspruch des Tatrichters oder die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe erheblich zum Nachteil des Angeklagten abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 30.06.2016, Az. III-3 Ws 242/16). Wenn demgegenüber zum Zeitpunkt der Außervollzugsetzung des Haftbefehls mit der späteren Strafe zu rechnen gewesen ist und der Angeklagte die ihm erteilten Auflagen korrekt erfüllt und sich dem Verfahren gestellt hat, darf die Haftverschonung nicht widerrufen werden. Selbst der Umstand, dass der um ein günstiges Ergebnis bemühte Angeklagte durch das Urteil die Vergeblichkeit seiner Hoffnungen erkennen muss, kann einen Widerruf der Haftverschonung nicht rechtfertigen, sofern der Angeklagte die Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Verfahrensausgangs während der Zeit der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen hatte und er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nachgekommen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.07.2012, 2 BvR 1092/12, BeckRS 2012, 55231; Senatsbeschluss vom 07.08.2012, Az. 2 Ws 252/12, BeckRS 2012, 18209).

b) Die letztgenannte Fallgestaltung ist nach Einschätzung des Senas vorliegend gegeben.

Die Strafkammer ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass eine erhebliche Abweichung zwischen der durch den Haftrichter prognostizierten Straferwartung und der durch den Tatrichter verhängten Freiheitsstrafe nicht feststellbar ist, eine Invollzugsetzung vorliegend daher nicht zu begründen vermag. Denn der Haftrichter ist bei Erlass des Haftbefehls von einer für die Tat einschlägigen Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren ausgegangen, da sich eine Milderung wegen Versuchs nicht aufdränge. Dass die durch die Strafkammer tatsächlich verhängte Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten erheblich nach oben von der Prognose des Haftrichters abweicht, ist – unter Würdigung der bereits im Haftbefehl genannten konkreten Tatumstände und Tatfolgen sowie der Person des (erheblich einschlägig vorbestraften) Angeklagten – nicht anzunehmen.

Soweit die Strafkammer sodann aber ausführt, der die Invollzugsetzung rechtfertigende Umstand liege in der enttäuschten Erwartung des Angeklagten, freigesprochen zu werden, vermag dies nach Einschätzung des Senats eine Invollzugsetzung des Haftbefehls nicht zu begründen.

Denn der Senat geht davon aus, dass der Angeklagte die Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Verfahrensausgangs während der Zeit der Außervollzugsetzung im o. g. Sinne sowohl mit Blick darauf, dass er wegen der verfahrensgegenständlichen Tat verurteilt werden könnte, als auch mit Blick auf die im Falle einer Verurteilung zu erwartende Strafhöhe vor Augen gehabt haben muss, wenngleich er die Hoffnung gehabt haben mag, mittels entlastender Beweismittel durchgreifende Zweifel an seiner Täterschaft zu wecken. Die Möglichkeit einer Verurteilung kann dem durch einen Verteidiger verteidigten Angeklagten bereits deshalb als naheliegende Möglichkeit des erstinstanzlichen Verfahrensabschlusses nicht verborgen geblieben sein, weil gegen ihn wegen der ihm zur Last gelegten Tat ein Haftbefehl ergangen war, welcher nach seinem Erlass auch nicht wieder aufgehoben wurde. Die Außervollzugsetzung des Haftbefehls lässt die Frage des dringenden Tatverdachts unberührt und hat ihren Grund einzig darin, dass weniger einschneidende Mittel zur Ausräumung der angenommenen Fluchtgefahr für ausreichend erachtet wurden. Der letztlich bis zum 13.12.2023 fortbestehende Haftbefehl vom 06.01.2023 führt hinsichtlich des angenommenen dringenden Tatverdachts aus, dass von der Innenseite der durch den Täter bei der Tat getragenen Sturmhaube im Mundbereich eine serologische Spur gesichert worden sei, deren Auswertung eine Zuordnung zum Angeklagten ergeben habe. Zunächst sei eine Zuordnung dieser Spur zu dem bereits in der DNA-Datenbank NRW vorhandenen DNA-Profil des Angeklagten erfolgt; ein später durchgeführter Abgleich mit einer erneut beim Angeklagten entnommenen serologischen Probe habe dieses Ergebnis bestätigt. Die Aufrechterhaltung dieses auf einem DNA-Abgleich basierenden Haftbefehls bis zur Urteilsverkündung durch die 9. Strafkammer dokumentiert, dass diese von fortbestehendem dringenden Tatverdacht ausgegangen ist; bereits deshalb verbietet sich nach Einschätzung des Senats die durch das Landgericht vorgenommene Argumentation, aus dem Verteidigungsverhalten des Angeklagten, namentlich der Beteuerung seiner Unschuld und der Präsentation entlastender Beweismittel, folge, dass er bis zuletzt mit einem Freispruch gerechnet habe, mit der Folge einer so wesentlichen Erhöhung der Fluchtgefahr durch die gleichwohl erfolgte (erstinstanzliche) Verurteilung, dass sie eine Invollzugsetzung rechtfertige. Auch wenn er auf einen Freispruch gehofft haben mag, muss dem durch seinen Verteidiger anwaltlich beratenen Angeklagten bereits aufgrund des fortbestehenden Haftbefehls die Möglichkeit einer Verurteilung bewusst gewesen sein und ihn gleichwohl nicht davon abgehalten haben, sich dem Verfahren zu stellen. Dies wird auch dadurch belegt, dass der Angeklagte auch nach dem Stellen des Schlussantrages der Staatsanwaltschaft, der auf Verurteilung des Angeklagten wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren lautete und welcher ihm die Möglichkeit einer Verurteilung erneut eindringlich vor Augen geführt haben dürfte, nach mehr als zwei Stunden Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Urteilsverkündung erschienen ist und sich weiterhin dem Verfahren gestellt hat.

Auch die durch die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 24.01.2024 angestellte Hilfserwägung, dass auch eine Vergleichbarkeit mit der Konstellation einer unlauteren Einwirkung auf Verfahrensbeteiligte, welche ebenfalls als neu hervorgetretener Umstand i. S. d. § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO anerkannt sei, vorliegend eine Invollzugsetzung rechtfertige, verfängt nach Ansicht des Senats nicht. Zwar vermag das Hinzutreten eines weiteren Haftgrundes im Einzelfall die Wiederinvollzugsetzung zu begründen (Schmitt in: Meyer-Goßner, a. a.O. § 116 Rn. 28). Die durch das Landgericht im angefochtenen Beschluss gemachten Ausführungen lassen indes nicht erkennen, dass der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr bestünde; das Landgericht selbst hat die Invollzugsetzung auch nicht auf diesen Haftgrund gestützt. Für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sind nach Ergehen eines erstinstanzlichen, mit der Revision angegriffenen Urteils, Erwägungen anzustellen, welche das bisherige Verhalten des Angeklagten und etwaiger Mitbeschuldigter ebenso wie die Frage der Rekonstruierbarkeit der den Feststellungen zugrunde liegenden Beweisergebnisse in den Blick nehmen (vgl. für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen gem. § 119 StPO aus Gründen der Verdunkelungsgefahr OLG Köln, Beschluss v. 15.03.2021, Az. 2 Ws 133/21, zitiert nach beckonline). Ein nur auf Verdunkelungsgefahr gestützter Haftbefehl muss in der Regel nach Abschluss des Verfahrens im letzten Tatsachenrechtszug aufgehoben werden (vgl. Schmitt in: Meyer/Goßner, a. a. O., § 112 Rn. 35).

In Anwendung dieser Grundsätze genügen die Ausführungen im angefochtenen Beschluss nicht für die Annahme nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils fortgeltender Verdunkelungsgefahr und damit eines neu hervortretenden Umstandes. …… „

Und dann gibt es noch – für zukünftige Fälle – einen Verfahrenshinweis für das LG:

„Abschließend weist der Senat darauf hin, dass der Angeklagte nach seiner (erneuten) Inhaftierung am 13.12.2023 nach Erlass des (Wieder-)Invollzugsetzungsbeschlusses vom gleichen Tage der 9. großen Strafkammer gem. § 115 Abs. 1 StPO spätestens am 14.12.2023 vorzuführen gewesen wäre. Wird ein Beschuldigter – wie hier – aufgrund der wieder in Vollzug gesetzten Haftanordnung festgenommen, ist er grundsätzlich nach §§ 115, 115 a StPO dem zuständigen Richter vorzuführen, zu vernehmen und ist ihm Gelegenheit zu geben, alle Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen. Vorliegend war der Angeklagte zwar bereits im Rahmen der Hauptverhandlung von der Kammer vernommen worden und es waren ihm alle Umstände bekannt, die der neuerlichen Haftanordnung zugrunde lagen, einschließlich der erfolgten Verurteilung durch die Kammer vom selben Tage. Der Angeklagte hatte allerdings dennoch einen erneuten Anspruch auf die Gewährung umfassenden rechtlichen Gehörs, zumal ihm solches insbesondere in Bezug auf die Umstände, aufgrund derer die Kammer das Vorliegen neuer Umstände und die Erforderlichkeit der Verhaftung des Angeklagten nach § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO als begründet ansah, auch im Rahmen der Hauptverhandlung nicht gewährt worden sein dürfte. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gilt in jeder Verfahrenslage, selbst dann, wenn bereits ein Urteil gegen den Beschuldigten bzw. Angeklagten ergangen ist (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 30.06.201, Az. III-3 Ws 242/16; Posthoff/Faßbender in: Gercke/Tamming/Zöller, StPO 7. Aufl. 2013, § 115 Rdn. 13 m. w. N.).“

U-Haft III: Außervollzugsetzung des Haftbefehls, oder: 2/3-Verbüßung

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Und zum Tagesschluss dann der LG Wiesbaden, Beschl. v.  14.06.2019 – 6 KLs 4440 Js 17203/16, den mir der Kollege T. Hein aus Bad Vilbel geschickt hat.

Der Beschluss lautet kurz und zackig:

„…..

Nachdem der Angeklagte 2/3 der Strafe im Wege der Untersuchungshaft verbüßt hat, kann der weiterhin bestehenden Fluchtgefahr durch geeignete Maßnahmen ausreichend begegnet werden. Daher war der Haftbefehl entsprechend außer Vollzug zu setzen.“

Und das hat die Kammer dann unter Festsetzung der üblichen Auflagen getan, ohne viel darüber zu schreiben, warum denn nun ggf. doch noch Fluchtgefahr besteht, der nur durch den Vollzug der U-Haft begegnet werden kann.

U-Haft II: Das BVerfG und der außer Vollzug gesetzte Haftbefehl

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Bei der zweiten Entscheidung des heutigen Tages handelt es sich um den BVerfG, Beschl. v. 22.08.2018 –  2 BvR 688/18. Inhaltlich nichts Besonderes zumal das BVerfG die Verfassungsbeschwerde als unzulässig – weil nicht ausreichend begründet – verworfen hat. Das BVerfG nimmt aber noch einma (kurz) zum Rechtsschutzbedürfnis beim außer Vollzug gesetzten Haftbefehl Stellung:

„Zwar ist das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers nicht dadurch entfallen, dass der Haftbefehl nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde außer Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Januar 1995 – 2 BvR 2846/93 -, juris, Rn. 14; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 – 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 37). Trotz seiner Außervollzugsetzung ist der Fortbestand des Haftbefehls insbesondere unter Berücksichtigung der erteilten freiheitsbeschränkenden Auflagen nach wie vor mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Beschwerdeführers verbunden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Dezember 2000 – 2 BvR 1706/00 -, juris, Rn. 12; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 – 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 37).

Die Verfassungsbeschwerde genügt jedoch nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Substantiierungsanforderungen. Ihre Begründung lässt eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG nicht erkennen. Sie erschöpft sich in dem Bemühen, die einfachrechtliche Würdigung der angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen zum dringenden Tatverdacht und zum Haftgrund der Verdunkelungsgefahr durch eine eigene zu ersetzen, ohne dabei einen Verfassungsverstoß aufzuzeigen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Fachgerichte willkürlich das Vorliegen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) angenommen hätten. Vor allem die angegriffenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 5. März und 26. Juni 2018 setzen sich mit dem Vorbringen der Verteidigung zwar knapp, im Ergebnis aber hinreichend auseinander. Die Fachgerichte haben die Einlassung der Verteidigung zur Kenntnis genommen und bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigt. Allein damit, dass sie der Argumentation der Verteidigung inhaltlich nicht gefolgt sind, lässt sich ein Verfassungsverstoß nicht begründen.

Auf die Frage, wie es zu bewerten ist, dass das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 26. Juni 2018 seine Haftentscheidung angesichts des drohenden länger andauernden Freiheitsentzuges, der bestehenden Auslandskontakte und der finanziellen Mittel des Beschwerdeführers selbständig tragend auch auf den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gestützt hat, dieser Haftgrund vom Beschwerdeführer indes nicht angegriffen wird, kommt es danach nicht mehr an.“

Muss man dran denken 🙂 .

 

Haft II: Auch Richter dürfen Urlaub machen, aber sonst bitte mehr als ein HV-Tag/Woche

HaftraumEbenfalls eine „klassische“ Verfahrenskonstellation behandelt der KG, Beschl. v. 29.06.2013 –  4 Ws 92/13 (vgl. zu klassischen Haftfragen zuletzt das Posting Haft I: Keine Doppelakten – kein Haftbefehl). Da hatte das LG dem Angeklagten Haftverschonung gewährt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das KG verworfen. Begründung: Die Außervollzugsetzung war aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten.

„b) Darüber hinaus ist die Haftverschonung mittlerweile auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit veranlasst. Die Hauptverhandlung ist unter Berücksichtigung der von Verfassungs wegen zu beachtenden Anforderungen (vgl. nur BVerfG StV 2008, 198) – bei objektiver Betrachtung, bei der es auf eine wie auch immer geartete Vorwerfbarkeit oder ein Verschulden nicht ankommt, sondern allein zu prüfen ist, ob eine Verfahrensverzögerung der Sphäre des Staates zuzurechnen ist oder nicht (vgl. BVerfG NJW 2006, 672, 673 f.; StV 2006, 703, 704, 705) – nicht in der gebotenen konzentrierten Form durchgeführt worden.

Anfangs war dies allerdings noch der Fall. Der Senat hat die Fortdauer der Untersuchungshaft im Januar 2013 (auch) mit Blick darauf angeordnet, dass sich gegen die vorgesehene Gestaltung der Hauptverhandlung (zehn Hauptverhandlungstage in der Zeit vom 8. März bis 19. April 2013) keine Bedenken ergaben. In der Zeit danach kam es jedoch innerhalb eines Zeitraums von 13 Wochen zu lediglich sechs Verhandlungstagen, von denen einer nur eine knappe halbe Stunde und zwei weitere nur zwei Stunden bzw. wenig mehr als zwei Stunden dauerten und damit die Anforderungen an die gewöhnliche Verhandlungsdauer (vgl. dazu etwa BVerfG StraFo 2013, 160 m.w.N.) verfehlten.

Zwar war in den Monaten Mai und Juni ein Teil der Verhandlungspausen durch die Erkrankung eines Gerichtsmitglieds veranlasst und müssen auch Berufsrichter (wie auch weitere notwendige Verfahrensbeteiligte) nicht auf ihren Erholungsurlaub, der hier im Juli zu einer Verhandlungspause von drei Wochen geführt hat, verzichten. Überdies ist das Bestreben der Strafkammer erkennbar und anzuerkennen, ungeachtet ihrer Belastung mit weiteren Verfahren und der überraschenden Konfrontation mit neuen Beweismitteln durch die Staatsanwaltschaft die Hauptverhandlung in möglichst konzentrierten Form fortzusetzen, wobei allerdings in der bereits geplanten Zeit bis zum 19. September 2013 eine Hauptverhandlungsdichte von durchschnittlich mehr als einem ganztägigen Termin in der Woche nur knapp erreicht werden und somit ein Ausgleich für bereits eingetretene Verzögerungen nicht möglich sein wird. Soweit es die Belastung des Gerichts mit anderen umfangreichen Verfahren angeht, die einer bestmöglichen Verfahrenförderung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG entgegenstand und -steht, wirkt sich dieser Gesichtspunkt, der Folge der gegebenen Ausstattung der Justiz mit personellen und sächlichen Mitteln ist, aber nicht zu Lasten des Angeklagten aus (vgl. nur BVerfG NJW 2006, 668, 671 m.w.N.). Hinzu kommt, dass in Fällen schon länger andauernder Untersuchungshaft die Anforderungen an die Verfahrensförderung im Regelfall besonders hoch sind; hier können schon kleinere Verzögerungen die Annahme eines Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das hinsichtlich seiner begrenzenden Wirkung auf die Dauer der Untersuchungshaft zugleich im Zusammenhang mit dem Beschleunigungsgebot steht (vgl. BVerfG NJW 2006, 1336, 1337), begründen (vgl. hierzu BVerfG NJW 2006, 677, 679; StV 2006, 703, 704). In derartigen Fällen ist die Fortdauer der Untersuchungshaft bei Verzögerungen, die der staatlich verfassten Gemeinschaft zuzurechnen sind, jedenfalls für Angeklagte, die nicht ihrerseits durch unangemessenes Prozessverhalten vermeidbare Verzögerungen verursachen, nicht mehr vertretbar.“

M.E. hätte das LG sogar noch weiter gehen müssen. Denn ist der Haftbefehl nicht mehr verhältnismäßig, stellt sich immer auch die Frage, ober er überhaupt aufrecht erhalten werden darf. M.E. nicht. Das hatte das KG aber hier aufgrund der Verfahrenslage – Beschwerde der StA – nicht zu prüfen.