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Ausl II: Erklärung der Unzulässigkeit der Auslieferung, oder: Bedürfnis für gerichtliche Feststellung??

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Und im zweiten Posting habe ich dann hier den OLG Dresden, Beschl. v. 12.05.2025 – OAus 8/25 – ergangen in einem Verfahren betreffend die Auslieferung eines polnischen Staatsangehörigen.

Gegen den Verfolgten besteht ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts Warschau vom 17. 12.2024 mit dem die Republik Polen um die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung ersucht hat. Am 18.03.2025 ist der Verfolgte festgenommen und dem zuständigen Ermittlungsrichter des AG vorgeführt worden. Er hat sich nicht mit der Auslieferung einverstanden erklärt und auch nicht auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet. Im Rahmen der Anhörung hat er einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat nach Einholung weiterer Unterlagen dann beantragt, die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen zum Zwecke der Strafvollstreckung für unzulässig zu erklären, da ein gewöhnlicher Aufenthalt des Verfolgten bestehe und der Auslieferung das Bewilligungshindernis des § 83b Abs. 2 Nr. 2 IRG entgegen stehe.

Dem Antrag hat das OLG entsprochen:

„Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war zu entsprechen. Die Auslieferung des Verfolgten ist unzulässig.

1. Der Senat ist zur Entscheidung über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, verpflichtet, da die Bewilligungsbehörde die Auslieferung aufgrund eines Bewilligungshindernisses im Sinne des § 83b IRG für unzulässig erachtet und daher nicht bewilligen will, sich hieran aber als nicht unabhängige Justizbehörde gehindert sieht (vgl. EuGH, Urteil vom 24. November 2020 – C-510/19; BGH, Beschluss vom 18. August 2022 – 4 ARs 13/21; OLG Celle, Beschluss vom 13. November 2023 – 2 OAus 66/23; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 11. Mai 2023 – 1 Ausl 23/23; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. August 2022 – 1 AR 25/22, jeweils juris; OLG Karlsruhe, Be-schluss vom 24. Februar 2020 – Ausl 310 AR 16/19, BeckRS 2020, 3282; BeckOK StP0/Inhofer, 54. Ed. 1. Januar 2025, IRG § 79 Rn. 8 f. mwN). Soweit der Senat das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Feststellung einer Unzulässigkeit der Auslieferung bei Annahme eines Bewilligungshindernisses durch die Generalstaatsanwaltschaft in früheren Entscheidungen verneint hat (vgl. Beschluss vom 26. April 2022 – OLGAusl 51/22, Rn. 6, und vom 17. Februar 2021 – OLGAusl 258/20, Rn. 6, jeweils juris), hält er hieran mit Blick auf die Funktion des § 29 Abs. 1 IRG, neben dem Rechtsschutz des Verfolgten und der Gewährleistung seines Rechtsschutzanspruchs (Art. 19 Abs. 4 GG) in rechtlich zweifelhaften Einzelfällen Rechtssicherheit durch eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen (vgl. BGH aaO, Rn. 22), nicht länger fest.

2. Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, ein Bewilligungshindernis geltend zu machen, ist nicht zu beanstanden. Sie geht aufgrund des Ergebnisses der polizeilichen Ermittlungen zutreffend davon aus, dass der Verfolgte im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (vgl. zum Begriff des Aufenthalts iSd Art. 4 Rb-EuHB EuGH, Beschluss vom 17. Juli 2008 C-66/08 Koztowski, NJW 2008, 3201). Dass auch ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Vollstreckung im Inland besteht, ist durch die Abwägung aller relevanten Belange, insbesondere der verfestigten familiären, sozialen und beruflichen Bindungen und Verpflichtungen des Verfolgten im Inland (unter Beachtung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK; vgl. etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1. Oktober 2019 – Ausl 301 AR 27/19, Rn. 16, juris), letztlich zutreffend angenommen worden.

Es war deklaratorisch festzustellen, dass sich die zur Sicherung dieser Auslieferung ergangene Festhalteanordnung des Amtsgerichts Leipzig erledigt hat (vgl. KG, Beschluss vom 29. November 2010 – (4) Ausl A 915/06 (183/06), Rn. 48, juris). Bereits mit der auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft vollzogenen Freilassung des Verfolgten wird deutlich, dass auch nach deren Auffassung die Freiheitsentziehung im Auslieferungsverfahren beendet sein soll.“

Verein I: „du hast Vermögen des Vereins veruntreut“, oder: Rechtsschutz für Unterlassungsklage?

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Und heute im „Kessel Buntes“ mal wieder ein wenig Vereinsrecht. Das gibt mir – natürlich auch die Gelegenheit auf mein erstes „Kind“ hinzuweisen, nämlich auf: Burhoff, Vereinsrecht, 11. Aufl., 2022 – zum Bestellformular geht es hier 🙂 :

Als erste vereinsrechtliche Entscheidung verweise ich auf das BGH, Urt. v. 20.06.2023 – VI ZR 207/22.

In dem Verfahren nimmt die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung einer ansehensbeeinträchtigenden Äußerung in Anspruch. Es geht um folgenden Sachverhalt:

„Die Parteien sind Mitglieder des Vereins Naturfreunde Deutschland Ortsgruppe Köln e.V. Die Klägerin ist zudem Mitglied des Vorstands des ehemaligen Vereins Naturfreundehaus Kalk e.V., der nach entsprechender Satzungsänderung nunmehr Nischenwelt e.V. heißt. Dieser hatte seine Vereinsräume von dem Verein Naturfreunde Deutschland Ortsgruppe Köln e.V. gepachtet. Nachdem das Pachtverhältnis von Seiten des Verpächters zum Ende des Jahres 2020 gekündigt worden war, kam es zwischen den Vertragsparteien zu Streitigkeiten über die Frage, welche Verpflichtungen der Verein Naturfreundehaus Kalk e.V. (heute Nischenwelt e.V.) nach Beendigung des Pachtverhältnisses zu erfüllen hat. Der Pachtvertrag sieht in Ziffer 8 vor, dass bei Beendigung des Pachtverhältnisses sämtliche Vermögenswerte und Rechte des Pächters auf den Verpächter übergehen. Der Verein Naturfreundehaus Kalk e.V. (heute Nischenwelt e.V.) vertritt die Auffassung, dass diese Vertragsbestimmung unwirksam ist. Wegen dieser Streitigkeit wurde ein Rechtsstreit vor dem Landgericht Köln geführt.

Mit Schreiben vom 23. Januar 2020 wandte sich die Beklagte an das Organ „Ortsgruppenausschuss“ des Vereins Naturfreunde Deutschland Ortsgruppe Köln e.V. Der Ausschuss entscheidet ausweislich § 9 Abs. 3 der Satzung über den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Verein. Er besteht aus neun oder mehr Personen. In dem Schreiben vom 23. Januar 2020 mit der Überschrift „Antrag auf Ausschluss von A[…] F[…] aus den Naturfreunden“ führte die Beklagte unter anderem folgendes aus, wobei A[…] F[…] die Klägerin bezeichnet:

„Den eklatantesten – und sinnfälligsten – [Verstoß] stellt jedoch die Tatsache dar, dass sie das in der Zeit ihrer Pacht erwirtschaftete Vermögen, das den NaturFreunden gehört, mitgenommen hat und der Verein NF dieses Vermögen, auf das er Anspruch hat, nun gerichtlich einklagen muss. Es handelt sich dabei um keine Kleinigkeit: Geht man von den Einnahmen und den Investitionen aus, die sie selbst beziffert hat, kommt man auf eine sechsstellige Summe. Anders ausgedrückt ‚A[…] F[…] hat in erheblichem Umfang Vermögen der NaturFreunde veruntreut.'“

Mit Schreiben vom 3. Februar 2020 forderte die Klägerin die Beklagte auf, diese Äußerungen zu unterlassen und bis zum 6. März 2020 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Dies verweigerte die Beklagte.“

Das AG hat die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu äußern oder zu verbreiten, die Klägerin habe in erheblichem Umfang Vermögen der Naturfreunde veruntreut. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG das  Urteil des AG aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Die Revision hatte beim BGH keinen Erfolg. Der BGH verneint ein Rechtsschutzbedürfnis. Die Entscheidung hat folgenden Leitsatz:

Für Klagen, die auf ansehensbeeinträchtigende Äußerungen gestützt werden, welche dazu dienen, einen Antrag auf Vereinsausschluss zu begründen und das entsprechende Verfahren der zuständigen Vereinsorgane in Gang zu setzen bzw. zu fördern, besteht in aller Regel kein Rechtsschutzbedürfnis (Fortentwicklung von BGH, Urteile vom 27. Februar 2018 – VI ZR 86/16, VersR 2018, 817; vom 28. Februar 2012 – VI ZR 79/11, VersR 2012, 502; vom 11. Dezember 2007 – VI ZR 14/07, VersR 2008, 357).

 

U-Haft II: Das BVerfG und der außer Vollzug gesetzte Haftbefehl

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Bei der zweiten Entscheidung des heutigen Tages handelt es sich um den BVerfG, Beschl. v. 22.08.2018 –  2 BvR 688/18. Inhaltlich nichts Besonderes zumal das BVerfG die Verfassungsbeschwerde als unzulässig – weil nicht ausreichend begründet – verworfen hat. Das BVerfG nimmt aber noch einma (kurz) zum Rechtsschutzbedürfnis beim außer Vollzug gesetzten Haftbefehl Stellung:

„Zwar ist das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers nicht dadurch entfallen, dass der Haftbefehl nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde außer Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Januar 1995 – 2 BvR 2846/93 -, juris, Rn. 14; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 – 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 37). Trotz seiner Außervollzugsetzung ist der Fortbestand des Haftbefehls insbesondere unter Berücksichtigung der erteilten freiheitsbeschränkenden Auflagen nach wie vor mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Beschwerdeführers verbunden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Dezember 2000 – 2 BvR 1706/00 -, juris, Rn. 12; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 – 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 37).

Die Verfassungsbeschwerde genügt jedoch nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Substantiierungsanforderungen. Ihre Begründung lässt eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG nicht erkennen. Sie erschöpft sich in dem Bemühen, die einfachrechtliche Würdigung der angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen zum dringenden Tatverdacht und zum Haftgrund der Verdunkelungsgefahr durch eine eigene zu ersetzen, ohne dabei einen Verfassungsverstoß aufzuzeigen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Fachgerichte willkürlich das Vorliegen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) angenommen hätten. Vor allem die angegriffenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 5. März und 26. Juni 2018 setzen sich mit dem Vorbringen der Verteidigung zwar knapp, im Ergebnis aber hinreichend auseinander. Die Fachgerichte haben die Einlassung der Verteidigung zur Kenntnis genommen und bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigt. Allein damit, dass sie der Argumentation der Verteidigung inhaltlich nicht gefolgt sind, lässt sich ein Verfassungsverstoß nicht begründen.

Auf die Frage, wie es zu bewerten ist, dass das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 26. Juni 2018 seine Haftentscheidung angesichts des drohenden länger andauernden Freiheitsentzuges, der bestehenden Auslandskontakte und der finanziellen Mittel des Beschwerdeführers selbständig tragend auch auf den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gestützt hat, dieser Haftgrund vom Beschwerdeführer indes nicht angegriffen wird, kommt es danach nicht mehr an.“

Muss man dran denken 🙂 .