Archiv für den Monat: Januar 2023

OWi I: Wenn Einlassung und Toleranzabzug fehlen, oder: Beim OWi-Richter fehlt das Grundwissen

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In die 5. KW. starte ich dann mit zwei OWi-Entscheidungen.

Hier kommt zunächst der OLG Koblenz, Beschl. v. 18.01.2023, – 4 ORbs 31 SsBs 17/23. Das OLG führt zu den Anforderungen an die Urteilsgründe im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aus. Wenn man es liest, mag man es nicht glauben, dass das OLG das AG auf die Versäumnisse hinweisen muss. Das ist m.E. Grundwissen eines OWi-Richters oder besser: Sollte es sein.

„Das Rechtsmittel ist zulässig und erzielt mit der Sachrüge einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdigung und lückenhaften Feststellungen, da es an der Darstellung fehlt, ob und inwieweit sich der Betroffene zum Tatvorwurf eingelassen hat und welcher Toleranzwert bei der durch ein standardisiertes Messverfahren festgestellten Geschwindigkeit berücksichtigt wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich in ihrer Stellungnahme vom 6. Januar 2023 insoweit der Begründung der Rechtsbeschwerde angeschlossen und zur Rechtsfehlerhaftigkeit von Beweis-würdigung und Feststellungen Folgendes ausgeführt:

„Das Urteil ist – auch eingedenk des Umstandes, dass an die Urteilsgründe in Buß-geldverfahren keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind – bereits deshalb aufzuheben, weil die Beweiswürdigung in Bezug auf die getroffenen Feststellungen lückenhaft ist; diese vermag daher dieselben nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht rechtlich überprüfbaren Weise zu tragen. So müssen die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, sondern neben anderem auch erkennen lassen, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder diese für widerlegt ansieht (OLG Celle, Beschluss vom 9. April 2020 – 1 Ss (OWi) 4/20 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 27. September 2019 – 2 Ss Owi 260/19 -; OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Juli 2009 – 3 Ss OWi 290/09 -, juris). Es bedarf einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe der wesentlichen Grundzüge der Einlassung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Februar 2017 -2 (10) SsBs 740/16-AK 265/16, DAR 2017, 395). Jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung dieser Er-klärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat, stellt diese Säumnis einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2016 -1 Ss 55/06- juris).

Vorliegend lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, ob sich der Betroffene in der Hauptverhandlung zur Sache überhaupt geäußert oder von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Folglich verhält sich das Urteil auch nicht dazu, ob der Tatrichter eine etwaige Einlassung, und ggf. in welchem Umfang, für widerlegt angesehen hat.

Darüber hinaus leidet das Urteil an einem weiteren Darstellungsmangel, der ebenfalls zur Aufhebung führt. Da es sich bei dem hier nach den Feststellungen zum Einsatz gelangtem Messverfahren (Vitronic Poliscan speed M1) um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 13.05.2016 – 2 Owi 4 SsRs 128/15), reicht es zur Darstellung der Beweiswürdigung zu der gefahrenen Geschwindigkeit, wenn in den Urteilsgründen neben der Bezeichnung des eingesetzten Messverfahrens die gefahrene Geschwindigkeit und der berücksichtigte Toleranzwert mitgeteilt wird (BGH, NZV 1993, 485, 487; KG, Beschluss vom 20. März 2018 – 3 Ws (B) 86/18-162 Ss 37/18, beck-online; OLG Koblenz, Beschluss vom 11. August 2021 – 1 OWi 32 SsBs 145/21 -). Auf Angaben zum Messverfahren und Toleranzwert kann bei Geschwindigkeitsverstößen nur in den wenigen Fällen eines echten „qualifizierten“ Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden (BGH NJW 1993, 3081; OLG Bamberg, NStZ-RR 2007, 321; OLG Celle, Beschluss vom 9. April 2009, 322 SsBs 301/08, juris).

Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht, da das Tatgericht es versäumt hat, den Umfang des gewährten Toleranzabzugs anzugeben. Zwar kann den Urteilsgründen entnommen werden, dass die Tatrichterin einen Toleranzabzug vorgenommen hat, nicht jedoch, in welchem Umfang dies geschehen ist. Das Rechtsbeschwerdegericht kann daher nicht prüfen, ob der abgezogene Toleranzwert rechtsfehlerfrei war und die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung mithin auf rechtsfehlerfreien Überlegungen beruht (KG a.a.O.). Ein qualifiziertes Geständnis des Betroffenen, das eine Ausnahme von diesen Darstellungserfordernissen begründen könnte, liegt ebenfalls (Anmerkung des Senats: … mangels wiedergegebener Einlassung erkennbar …) nicht vor.“

Dem schließt sich auch der Senat durch den zuständigen Einzelrichter an.

Auf die weiteren von dem Beschwerdeführer gegen das Urteil vorgebrachten Einwände kommt es hiernach nicht an.

Das Urteil war folglich mit den zugrundeliegenden Feststellungen gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 OWiG, 353, 354 Abs. 2 StPO aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Der Senat weist für die erneute Verhandlung darauf hin, dass bei einer erneuten Verurteilung wohl die „mehrfache“ beiderseitige Beschilderung mit der Geschwindigkeitsbegrenzung näher auszuführen sein dürfte. Der im Urteil wiedergegebenen pauschalen und auf der Aussage des Zeugen pp. beruhenden Feststellung lässt sich nicht entnehmen, wie oft und in welcher Entfernung vor der Messstelle der Betroffene eine Beschilderung mit der Geschwindigkeitsbegrenzung passiert hat. Da die „mehrfache“ beiderseitige Beschilderung allerdings zu Lasten des Betroffenen verwertet worden ist, wäre der Umfang der Missachtung konkret darzulegen (vgl. OLG Koblenz, 4 OWi 6 SsRs 26/21 v. 08.03.2021, NZV 2021, 437 m. zutreffendem Praxiskommentar v. RiAG Greiner).“

Wie gesagt: Man glaubt es nicht.

Sonntagswitz, heute zum International Customs Day (Tag der Zöllner/Zollunion) „Zöllnerwitze“

© Teamarbeit – Fotolia.com

Meine Liste der internationalen Gedenk-/Aktionstage sagt mir, dass am 26.01. der „International Customs Day (Tag der Zöllner/Zollunion)“ „gefeiert“ wurde. Deshalb hier heute im Sonntagswitz Witze zu Zöllnern:

Der Fernfahrer wird gefragt, ob er etwas zu verzollen habe.

„Nein, nichts“, antwortet er.

Der Zöllner öffnet die Plane des Lasters und sieht einen großen Elefanten, dem auf jeder Seite des Bauches ein halbes Brötchen klebt.

„Und was ist das?“

„Verdammt, sind sie pingelig. Darf man denn jetzt nicht mal mehr ein belegtes Brötchen mitnehmen?“


„Halt, stehenbleiben“, ruft der Zöllner, „öffnen Sie mal Ihren Rucksack!“

„Aber ich habe gar keinen Rucksack dabei!“

„Egal, Vorschrift ist Vorschrift!“


Der Zollbeamte beugt sich in das geöffnete Fenster des Wagens, fragt: „Alkohol, Zigaretten?“
Der Fahrer winkt ab: „Nein, bitte zwei Kaffee!“

An der Grenze, ein Mann fährt mit dem Fahrrad vor, auf dem Gepäckträger einen Sack.

Zöllner: „Haben Sie etwas zu verzollen?“

Mann: „Nein.“

Zöllner: „Und was haben Sie in dem Sack?“

Mann: „Sand.“

Bei der Kontrolle stellt sich heraus: tatsächlich Sand.

Eine ganze Woche lang kommt jeden Tag der Mann mit dem Fahrrad und dem Sack auf dem Gepäckträger. Am achten Tag wird’s dem Zöllner doch verdächtig.

Zöllner: „Was haben Sie in dem Sack?“

Mann: „Nur Sand.“

Zöllner: „Hmm, mal sehen …“

Der Sand wird diesmal gesiebt. Ergebnis: nur Sand.

Der Mann kommt weiterhin jeden Tag zur Grenze. Zwei Wochen später wird es dem Grenzer zu bunt und er schickt den Sand ins Labor. Ergebnis: nur Sand.

Nach einem weiteren Monat der „Sandtransporte“ hält es der Zöllner nicht mehr aus und fragt den Mann: „Also, ich gebe es Ihnen schriftlich, dass ich nichts verrate, aber Sie schmuggeln doch etwas. Sagen Sie mir bitte, was!“

Der Mann: „Fahrräder …“

Wochenspiegel für die 4. KW., das war Hatespeech, E-Mail, FFP2-Masken, Autosex, Vergütungsvereinbarung

© Aleksandar Jocic – Fotolia.com

Hier dann zum Auftakt am Sonntag der Wochenspiegel für die ablaufende 4. KW., das war:

  1. EuGH: Systematische Erhebung biometrischer und genetischer Daten aller beschuldigten Personen für Zwecke polizeilicher Registrierung unzulässig
  2. Keine Haftung für Schäden nach Sex auf Motorhaube

  3. Hilfe gegen Hatespeech

  4. Datenschatz Auto – rollende Computer als Datensammler

  5. BVerwG: Übergangsweise Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für Zweitwohnungen gilt auch wenn Rundfunkbeitragskonto der Hauptwohnung auf anderem Namen läuft
  6. BGH: Unzulässige Berichterstattung über eine nicht öffentlich gemachte Liebesbeziehung

  7. Beweislast bei Zugang einer E-Mail

  8. VG Köln: Bundesgesundheitsministerium muss Unterlagen zur FFP2-Maskenbeschaffung herausgeben

  9. Häufig gestellte Fragen zur elektronischen Arbeitsunfähigkeits­bescheinigung,

  10. EuGH zur Vergütungsvereinbarung (mit Verbrauchern), oder: Auf jeden Fall belehren, belehren, belehren!

Freistellung von Kosten für Covid-Schutzmaßnahmen II, oder: Maßnahmen in 2023 nicht mehr erforderlich

entnommen Pixabay

Und im zweiten Posting dann noch zwei weitere Entscheidungen zu Covid-19-Schutzmaßnahmen. Es handelt sich um zwei Beschlüsse des LG München I, jeweils Hinweisbeschlüssen, von denen ich hier nur die Leitsätze einstelle:

Angesichts der zunehmenden Lockerung im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist zumindest im Jahr 2023 nicht mehr davon auszugehen, dass in Werkstätten noch regelmäßig entsprechende Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt werden und diese erforderlich sind.

Bei einer fiktiven Abrechnung kommt es im Hinblick darauf, ob Desinfektionskosten noch als erforderlich anzusehen sind und üblicherweise berechnet werden, auf den Schluss der mündlichen Verhandlung an.

Freistellung von Kosten für Covid-Schutzmaßnahmen I, oder: BGH entscheidet Streitfrage

Bild von Alexandra_Koch auf Pixabay

Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen zur COVID-19-Desinfektionspauschale.

Zunächst stelle ich das BGH, Urt. v. 13.12.2022 – VI ZR 324/21 – vor. In dem Urteil hat der BGH zum Ersatz der vom Sachverständigen in Rechnung gestellten COVID-19-Desinfektionspauschale entschieden.

Der Geschädigte hatte nach einem Verkehrsunfall restlichen Schadensersatz in Höhe von 17,85 EUR für eine Covid-19-Desinfektionspauschale verlangt. Diese war ihm von dem von ihm beauftragten Kfz-Sachverständigenbüro im Zuge der Feststellung der Schadenshöhe in Rechnung gestellt worden. Im Rahmen der Begutachtung wurden sowohl bei Hereinnahme des Fahrzeugs zum Schutz der Mitarbeiter des Sachverständigen vor der Ausbreitung des Coronavirus als auch vor Rückgabe des Kfz an den Kläger zu dessen Schutz alle relevanten Fahrzeugteile, die kurzfristig berührt wurden, desinfiziert. Dabei betrug der Arbeitsaufwand jeweils mehrere Minuten.

Das AG hat der Klage stattgegeben, das LG Stuttgart hat die Haftpflichtversicherung lediglich in Höhe von 8,93 EUR hin sichtlich der Desinfektionsmaßnahmen, die vor der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kläger erfolgt waren, verurteilt. Die Kosten für die Desinfektion bei Hereinnahme des Wagens seien dagegen nicht erstattungsfähig, da bereits zweifelhaft sei, ob der Sachkundige dem Kunden allgemeine Arbeitsschutzmaßnahmen gesondert in Rechnung stellen könne. Die Revision des Klägers beim BGH hatte – teilweise – Erfolg. Der BGH hat aufgehoben und zurückverwiesen.

Hier der Leitsatz der Entscheidung:

Verlangt der Geschädigte eines Verkehrsunfalls vom Schädiger die Freistellung von der Honorarforderung des von ihm mit der Erstellung eines Schadensgutachtens beauftragten Sachverständigen, richtet sich sein Anspruch grundsätzlich und bis zur Grenze des Auswahl- und Überwachungsverschuldens danach, ob und in welcher Höhe er mit der Verbindlichkeit, die er gegenüber dem Sachverständigen eingegangen ist, beschwert ist. Jedenfalls in diesem Fall des Freistellungsantrags ist auch für die schadensrechtliche Betrachtung (§ 249 BGB) des Verhältnisses zwischen Geschädigtem und Schädiger die werkvertragliche Beziehung (§§ 631 ff. BGB) zwischen Geschädigtem und Sachverständigem maßgeblich.

Damit sollte das Problem – hoffentlich – gelöst sein.