Archiv für den Monat: Oktober 2021

StGB II: Das „In Brand setzen“ von Jagdhochsitzen, oder: Ein Jagdhochsitz kann eine „Hütte“ sein

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Die zweite  StGB-Entscheidung stammt dann auch vom BGH. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 08.09.2021 – 6 StR 174/21 – zur Frage: Kann ein Jagdhochsitz eine Hütte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein?

Ausgegangen ist der BGh von folgenden Feststellungen: Der Angeklagte hat seit 1998 ohne Erfolg um die Aufnahme in die Jägerschaft an seinem Wohnort bemüht. Auf­grund der empfundenen Verletzung, Trauer und Wut über seine Abweisung be­schloss er, sich an der Jägerschaft zu rächen. Darauf zündete er jeweils mehrere hundert Kilo schwere, überdachte Jagdhochsitze an, die völlig oder teilweise ausbrannten. Außerdem setzte er eine auf einem Anhänger montierte Ansitzein­richtung in Brand, die vollständig ausbrannte. Das Feuer griff auf den umliegen­den Waldboden über, wodurch eine Fläche von ca. 300 qm samt Grünbewuchs verkohlte und vier Kiefern beschädigt wurden. Der Angeklagte nahm dabei zumindest billigend in Kauf, dass sich der Brand aufgrund der tro­ckenen Witterung auch auf weitere Teile des Waldgebiets ausbreiten würde. Dies konnte durch rechtzeitiges Eingreifen der Feuerwehr jedoch verhindert werden. Das LG hat den Angeklagten u.a wegen mehrfacher vorsätzlicher Brandstiftung verurteilt. Die Revision des Angeklagten blieb erfolglos:

„a) Der Erörterung bedarf lediglich die von der Revision bemängelte Bewertung der jeweils in ihren Grundflächen mindestens 1,44 Quadratmeter großen und etwa mannshohen Jagdkanzeln (Fälle 9 bis 13, 15 und 17) als „Hütten“ im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB . Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Der Begriff der Hütte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB umfasst Bauwerke, bei denen an die Größe, Festigkeit und Dauerhaftigkeit geringere Anforderungen gestellt werden als bei Gebäuden, die aber dennoch ein selbstständiges, unbewegliches Ganzes bilden, das eine nicht völlig geringfügige Bodenfläche bedeckt und ausreichend abgeschlossen ist. Erforderlich sind eine hinreichende Erdverbundenheit und eine damit praktizierte Immobilität (vgl. MüKoStGB/Radtke, 3. Aufl., § 306 Rdnr. 24; Schönke/Schröder/Heine/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 306 Rdnr. 4). Abgeschlossenheit erfordert dabei keine Verschlossenheit oder sonstige den Zutritt beschränkenden Vorrichtungen (vgl. MüKoStGB, a.a.O., Rdnr. 25), sondern eine gegen äußere Einwirkungen genügend schützende dauerhafte und feste Begrenzung (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 306 Rdnr. 3a). Abhängig vom Einzelfall kann eine solche auch bei nur zum Teil umschlossenen Räumen gegeben sein (vgl. Matt/Renzikowski/Dietmeier, StGB, 2. Aufl., § 306 Rdnr. 4). Daran gemessen handelt es sich bei den vorliegend in Rede stehenden Jagdhochsitzen um unbewegliche Gebäude mit kleineren Abmessungen und damit um Hütten im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ihnen ist gemein, dass sie über eine nicht völlig unbeachtliche Bodenfläche sowie über Begrenzungen nach oben durch ein Dach und nach allen Seiten durch Wände und Türen verfügen, so dass sie jeweils von zumindest zwei Personen betreten und zum Aufenthalt genutzt werden können. Darüber hinaus weisen sie eine hinreichende Erdverbundenheit auf, weil sie entweder mittels einer Verankerung oder auf Grund ihres erheblichen Eigengewichts fest mit dem Erdboden verbunden sind. Eine durch das Eigengewicht der Baulichkeit begründete Verbindung mit Grund und Boden genügt insoweit ebenso wie eine über eine Stützkonstruktion – etwa durch Pfähle oder Pfosten – hergestellte Verbindung (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juli 1981 – 3 Ss 28/81 -, NStZ 1981,482).“

Dem schließt sich der Senat an (vgl. zum Begriff der „Hütte“ schon RGSt 17, 179, 184). Der Umstand, dass einige der Jagdkanzeln durch Spannseile gegen Windeinwirkung gesichert waren, ändert an ihrer „Selbstständigkeit“ nichts.“

StGB I: Die Cum-Ex-Deals waren erstmals beim BGH, oder: Das war/ist Steuerhinterziehung

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Beim Erstellen des letzten Newsletters habe ich festgestellt, dass die StGB-Entscheidungen in der letzten Zeit ein wenig kurz gekommen sind. Daher will ich dann heute mal wieder drei Entscheidungen auf dem Bereich vorstellen.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 28.07.2021 – 1 StR 519/20. Der Kundige (?) wird ggf. am Aktenzeichen erkennen: Das ist das (erste) „Cum-Ex-Urteil“ des BG, das ich hier wegen der Vollständigkeit vorstelle. Und: Ich nehme nur den Sachverhalt aus der PM des BGH, der im Übrigen aber auch bekannt sein dürfte und dann die Leitsätze. Alles andere sprengt den Rahmen. Das Urteil ist 61 Seiten lang.

Also: Folgender Sachverhalt wird in der PM angeführt:

Das Landgericht hat den Angeklagten S. im Zusammenhang mit sog. Cum-Ex-Geschäften in den Jahren 2007 bis 2011 wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt; gegen den Mitangeklagten D. hat es wegen mehrerer Fälle der Beihilfe zur Steuerhinterziehung eine Bewährungsstrafe von einem Jahr verhängt. Zudem hat es bei dem Angeklagten S. Taterträge in Höhe von 14 Millionen Euro sowie bei dem Bankhaus W. als der Einziehungsbeteiligten in Höhe von ca. 176 Millionen Euro eingezogen.

Dem Urteil des Landgerichts lagen folgende Feststellungen zugrunde:

Der Angeklagte S. und Verantwortliche des Bankhauses W., insbesondere die gesondert Verfolgten Dr. O. und Sc., verabredeten in den Jahren 2007 bis 2011, deutsche Finanzbehörden durch wahrheitswidrige Erklärungen zur Erstattung angeblich gezahlter Kapitalertragsteuer in Millionenhöhe zu veranlassen, die tatsächlich aber nicht entrichtet wurde. Hierfür plante und organisierte der Angeklagte S. eine Vielzahl vom Bankhaus W. durchgeführter Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäfte, die wie folgt abliefen: Das Bankhaus W. kaufte in der Dividendensaison der Jahre 2007 bis 2011 von Leerverkäufern jeweils kurz vor dem Hauptversammlungstag Aktien mit Dividendenanspruch (sog. „Cum-Aktien“); die Leerverkäufer lieferten – wie von vornherein geplant und auch gewollt – Aktien ohne Dividendenanspruch (sog. „Ex-Aktien“) und leisteten zur Kompensation an das Bankhaus W. je eine Ausgleichszahlung (sog. Dividendenkompensationszahlung), für die ab dem Jahr 2007 Kapitalertragsteuer zu entrichten ist. Allen Beteiligten war als Bankkaufleuten bekannt, dass diese Steuer weder auf Seiten der Leerverkäufer noch sonst einbehalten wurde. Gleichwohl stellte das Bankhaus W. sich selbst Steuerbescheinigungen zur Vorlage bei den Finanzbehörden aus, mit denen es – fälschlicherweise – den angeblichen Steuereinbehalt bestätigte. Unter Vorlage dieser Bescheinigungen bei den Finanzbehörden erreichten insbesondere die gesondert Verfolgten Dr. O. und Sc., dass an die Einziehungsbeteiligte zu Unrecht insgesamt über 166 Millionen Euro ausbezahlt wurden. Aus diesen Taterträgen erwirtschaftete die Einziehungsbeteiligte weitere 10 Millionen Euro.

In den Jahren 2009 bis 2011 war der Angeklagte S. noch an weiteren Fällen maßgeblich beteiligt, in denen die umgesetzte Strategie dem Vorgehen in den Eigenhandelsfällen des Bankhauses W. entsprach, jedoch eigens für diesen Zweck gegründete Fonds die Rolle des Leerkäufers übernahmen. Nach Vorlage – inhaltlich falscher – Steuerbescheinigungen, die den angeblichen Steuereinbehalt für die durchgeführten Cum-Ex-Transaktionen bestätigten, zahlten die Finanzbehörden an die Fonds zu Unrecht über 226 Millionen Euro aus.

Der Angeklagte S. profitierte von den Geschäften insgesamt in Höhe von 14 Millionen Euro. Hingegen war der Angeklagte D. an den Profiten nicht beteiligt; ihm kamen auch nur unterstützende Aufgaben zu.“

Der BGH hat der Entscheidundg, die zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist, folgende Leitsätze gegeben:

1. Die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer zur Steueranrechnung bzw. Steuererstattung gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage von CumEx-Leerverkaufsgeschäften stellt eine unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar; sie führt im Fall ihrer positiven Bescheidung zu ungerechtfertigten Steuervorteilen im Sinne des § 370 Abs. 4 Satz 2 AO .

2. § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB in der Fassung durch das Jahressteuergesetz 2020 vom 21. Dezember 2020 ermöglicht in Verbindung mit Art. 316j Nr. 1 EGStGB die Einziehung von Taterträgen trotz eingetretener Zahlungsverjährung aus steuerlichen Gründen.

Lösung zu: Vorschuss ohne VV, ist bei den Pflichtverteidigergebühren noch etwas zu retten?

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Am Freitag hatte ich gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Vorschuss ohne VV, ist bei den Pflichtverteidigergebühren noch etwas zu retten?.

Hier meine Antwort:

„Moin,

wie gesagt: Sie m.E. nicht so gut aus.

Die Kombi „keine Vergütungsvereinbarung“ und die „Verzichtserklärung“ ist nicht gut. Denn aufgrund der Verzichtserklärung sind die Nr. 4100, 4106 VV RVG weg und ich sehe derzeit auch nicht, wie man die wieder rein bekommt. Es sei denn, die Verzichtserklärung ist abgenötigt. J.

Man könnte allerdings überlegen, bei „keine Vergütungsvereinbarung“ anzusetzen. Was halten Sie von der Idee, wenn der Kollege und der Mandant jetzt noch eine Vergütungsvereinbarung schließen? Und zwar dahin, dass der Mandant auf die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren pauschal 600 EUR zahlt, es im Übrigen aber bei den gesetzlichen Gebühren (des Wahlanwalts) verbleiben soll. M.E. müsste das (noch) möglich sein. Dann macht der Kollege gegenüber der Staatskasse nur die beiden TG geltend und es kann nicht angerechnet werden.

Ob das wegen des Zeitpunkt der VV ganz sauber ist, darum kann man streiten. M.E. sollte das aber noch gehen. Ich würde aber auf jeden Fall im Rahmen der Vergütungsfestsetzung mit offenen Karten spielen.

Mehr fällt mir auch nicht ein.“

Corona II: Schließung eines Imbiss wegen Corona, oder: Entschädigung?

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Bei der zweiten Corona-Entscheidung, dem OLG Köln, Beschl. v. 20.09.2021 – 7 U 1/21 – handelt es sich um eine zivilrechtliche Entscheidung. Zivilrecht bringe ich zwar sonst nur im samstäglichen „Kessel Buntes“, ich stelle diese Entscheidung jedoch an einem Montag vor, weil es sich um die Thematik: Corona (und seine Folgen) handelt.

Das OLG hat in dem Beschluss über einen von der Klägerin wegen der Schließung eines Gewerbebetriebes, und zwar eines Imbisses, auf Grundlage des § 9 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 geltend gemachten Entschädigungsanspruch über rund 20.000 EUR entschieden. Das LG hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung dagegen hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Die Berufung der Kläger ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Zur Begründung wird auf den Beschluss vom 04.08.2021 Bezug genommen, in dem der Senat wie folgt ausgeführt hat:

„Die zulässige Berufung hat offensichtlich keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts Bonn beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Der Kläger hat gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Entschädigung wegen der in § 9 Absatz 1 Satz 1 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 angeordneten Betriebsuntersagung von Imbissen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Die Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu den folgenden Erwägungen:

Das Landgericht hat einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 56 Abs. 1 IfSG mit zutreffenden Erwägungen, denen auch die Berufung zustimmt, verneint. Nach § 56 Abs. 1 IfSG erhält lediglich eine Entschädigung in Geld, „wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet“. § 56 Abs. 1 IfSG setzt eine gezielt personenbezogene Untersagung der Erwerbstätigkeit oder Absonderung gerade wegen der Ansteckungs- bzw. Krankheitsverdächtigkeit (usw.) voraus (vgl. nur Kümper, DÖV, 2020, 904 (908)), die im vorliegenden Fall unzweifelhaft nicht gegeben ist.

2. Eine Entschädigung in analoger Anwendung von § 56 Abs. 1 IfSG kommt – wie das Landgericht zutreffend entschieden hat – ebenfalls nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke liegt nicht vor.

Ungeachtet der Frage, ob Eingriffe im Sinne von § 9 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 aus grundrechtlicher Sicht entschädigungspflichtig sein müssten (ablehnend BGHZ 55, 366; ebenfalls ablehnend mit weiteren Nachweisen Kümper, DÖV, 2020, 904 (906), Fn. 18) sah sich der Gesetzgeber des IfSG nicht dahingehend verpflichtet. Er wollte mit der früher in § 48 BSeuchG enthaltenen Entschädigungsregelung ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich eine Billigkeitsregelung treffen und nicht aus grundrechtlicher Gebundenheit die Betroffenen entschädigen, wie sich aus der folgenden Formulierung ergibt: „Die Vorschrift stellt eine Billigkeitsregelung dar. Sie bezweckt keinen vollen Schadensausgleich, sondern eine gewisse Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not.“ (BT-Drs. III/1888, S. 27). Dementsprechend gab es aus seiner Perspektive auch keinen Anlass, die an die Landesregierungen erteilte Verordnungsermächtigung in § 32 IfSG mit einer Entschädigungspflicht zu verknüpfen bzw. weitere Entschädigungsregelungen unmittelbar im IfSG vorzunehmen. Eine durch entsprechende Anwendung des § 56 IfSG zu schließende unbeabsichtigte Regelungslücke lag demnach nicht vor.

Gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke spricht zudem, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu der früher in § 48 BSeuchG enthaltenen Regelung (BT-Drs. III/1888, S. 27) eine Ausdehnung des Kreises entschädigungsberechtigten Personen (z.B. für Krankheitsverdächtige, Tuberkulosekranke, Nichtversicherte) zwar erwogen, aber als „nicht sachgerecht“ erachtet hat.

Ebenso hatte der Gesetzgeber im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes (BT-Drs. 6/1568) zwar den Kreis der Entschädigungsberechtigten in § 51 BSeuchG erweitert. Er hatte aber auch hier nur punktuelle Entschädigungen vorgesehen.

In diese Linie fügt sich, dass der Gesetzgeber selbst bei Hinzufügung der weiteren Entschädigungsregelung in § 56 Abs. 1 a IfSG im November 2020 die nur punktuellen Entschädigungsregelungen aufrechterhalten hat. Vor diesem Hintergrund kann von einer dem gesetzgeberischen Plan nicht entsprechenden Unvollständigkeit der Entschädigungsregelungen keine Rede sein (siehe auch Landgericht Stuttgart, Urteil vom 05.11.2020 – 7 O 109/20, Rn. 34 ff., juris; Landgericht Hannover, Urteil vom 20.11.2020 – 8 O 4/20, Rn. 49 ff.; juris).

Nicht zuletzt spricht gegen eine planwidrige Regelungslücke der Umstand, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich aus Anlass der Corona-Pandemie mit § 28a IfSG eine spezialisierte Eingriffsermächtigung geschaffen hat, die ebenfalls zahlreiche Beschränkungen für Nichtstörer näher regelt, ohne für diesen Personenkreis zugleich Entschädigungsansprüche zu normieren. Dies verdeutlicht, dass das staatliche Regelungskonzept dahin geht, etwaige Belastungen durch die Inanspruchnahme von Nichtstörern durch generalisierte staatliche Unterstützungsmaßnahmen – und nicht durch individuelle Entschädigungsansprüche – sozial abzufedern. Für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke ist angesichts dieses bewussten Festhaltens des Gesetzgebers an dem Konzept, in den §§ 56, 65 IfSG lediglich punktuelle Entschädigungsansprüche zu normieren, kein Raum.

3. Auch einen Anspruch des Klägers nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, § 67 PolG NRW, § 39 Abs. 1 a) und b) OBG NRW, hat das Landgericht zutreffend verneint. Der Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts ist wegen der Spezialität des besonderen Gefahrenabwehrrechts im IfSG ausgeschlossen. Ihrer Konzeption nach zielen diese Vorschriften auf die Entschädigung wegen Maßnahmen ab, die auf der Grundlage des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts des Landes Nordrhein-Westfalen getroffen wurden. Sie enthalten keine vorweggenommene Regelung für noch gar nicht absehbar gewesene Maßnahmen aufgrund bundesrechtlich eingeräumter Verordnungskompetenz, insbesondere dann nicht, wenn das Bundesrecht selbst die Frage der Entschädigung abschließend regelt. Sähe man dies anders, könnte die Frage der Entschädigung eines Betroffenen bei inhaltsgleicher Maßnahmen auf derselben gesetzlichen Grundlage in Abhängigkeit vom Bundesland, dessen Gesundheitsministerium handelt, unterschiedlich zu beurteilen sein (vgl. so im Ansatz auch LG Hannover, NJW-RR 2020, 1226, Rn. 53 ff.). Es liegt fern, dass der Bundesgesetzgeber mit seiner Regelung in §§ 56, 65 IfSG eine solche Folge beabsichtigt hat.

4. Mit zutreffenden Erwägungen, die auch die Berufung nicht in Frage stellt, hat das Landgericht zudem einen Anspruch auf Entschädigung aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs verneint.

5. Ansprüche auf Entschädigung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Abs. 1 GG oder aus der Rechtsfigur des enteignungsgleichen Eingriffs bestehen ebenfalls nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Hinzu kommt, dass der Kläger nicht gegen die Verordnung vorgegangen ist. Dies hätte ihm oblegen, wollte er sich darauf berufen, die CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 sei rechtswidrig gewesen (§ 839 Abs. 3 BGB). Einen Schaden zu liquidieren ohne den schadensverursachenden Eingriff abzuwehren, kommt nicht in Betracht (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2013, S. 93 f.). Der Kläger hätte gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 109a JustG NRW im Eilrechtsschutz gegen die Verordnung vorgehen können.

6. Mit den nicht angegriffenen Ausführungen des Landgerichts zum allgemeinen Aufopferungsanspruch besteht auch insofern kein Anspruch des Klägers auf Entschädigung.“

Die hierzu erfolgte Stellungnahme des Klägers vom 06.08.2021 rechtfertigt nach der einstimmigen Auffassung des Senats keine andere Entscheidung, sondern gibt lediglich zu folgenden ergänzenden Ausführungen Anlass:

Die vom Kläger angestellten Billigkeitserwägungen ändern nichts daran, dass eine analoge Anwendung des § 56 Abs. 1 IfSG mangels planwidriger Regelungslücke ausscheidet. Die im Zuge der Corona-Pandemie gezahlten Unterstützungsleistungen für Gewerbetreibende sind nicht auf eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auf eine Entscheidung der Exekutive zurückzuführen. Dementsprechend können daraus keine Rückschlüsse auf den gesetzgeberischen Willen in Bezug auf die Entschädigungsregelungen im IfSG getroffen werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber nach Beginn der Corona-Pandemie durch das Einfügen von § 28a IfSG, ohne dabei die Entschädigungsregelungen im IfSG zu ergänzen, zum Ausdruck gebracht, an der nur punktuellen Billigkeitsentschädigung (BT-Drs. III 1888, S. 27) festzuhalten.“

Corona I: Befreiung von der Corona-Maskenpflicht?, oder: Attest ohne Diagnose reicht nicht für Verdacht

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In die 43. KW./2021 starte ich dann mal wieder mit zwei „Corona.-Entscheidungen“. Passt m.E. Denn die Pandemie haben wir noch lange nicht hinter uns. Und wenn man die Zahlen sieht ….. mir gefallen sie nicht.

Bei der ersten Entscheidung, die ich vorstelle handelt es sich um den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 15.10.2021 – 12 Qs 69/21. Es geht in der Entscheidung um eine Durchsuchung bei einer Ärztin wegen des (Anfangs)Verdachts der Verwendung eines falschen Attests zur Befreiung von der Corona-Maskenpflicht.  Folgender Sachverhalt:

Am 27.10.2020 erschien der Beschuldigte bei der Polizeidienststelle in H., um eine Strafanzeige zu erstatten. Hierbei trug er keine Mund-Nasen-Bedeckung. Er legte aber ein Attest vor, datiert vom 04.09.2020, das augenscheinlich von der Fachärztin ausgestellt worden war. Dieses enthielt neben den Personalien des Beschuldigten, dem Arztstempel und einer Unterschrift folgenden Text „Der Patient kann aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen“. Am 15.12.2020 verfügte die die Anzeige des Beschuldigten bearbeitende Staatsanwältin die Rückversendung der Akte an die Polizeiinspektion H. und bat um Ermittlungen und ggf. die Einleitung eines neuen Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten wegen des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 279 StGB durch die Vorlage des Attestes bei der Polizeiinspektion. Nachdem die als Zeugin angeschriebene Ärztin unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht Angaben zur Behandlung des Beschuldigten verweigert hatte, erließ der Ermittlungsrichter des AG Nürnberg am 22. 06.2021 einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss für die Geschäftsräume mit Nebenräumen der unverdächtigen Ärztin. Darin wurde dem Beschuldigten ein Verstoß gegen § 279 StGB zur Last gelegt. Gesucht werden sollte nach Patientenunterlagen und Patientenakte des Beschuldigten. Den Anfangsverdacht sah das Amtsgericht durch zwei Umstände begründet: Durch den Text des Attestes und durch die räumliche Distanz zwischen dem Wohnort des Beschuldigten und den Praxisräumen der Ärztin.

Die Durchsuchung wurde vollzogen. Danach legte die Rechtsanwältin der Ärztin gegen den Durchsuchungsbeschluss ein. Das LG hat die  Durchsuchung als rechtswidrig angesehen:

„Die Durchsuchung war rechtswidrig, weil ein Anfangsverdacht, der sie hätte rechtfertigen können, bei Beschlusserlass nicht vorlag. Ein Anfangsverdacht setzt voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die es als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999 – StB 7/99, juris Rn. 6). Daran fehlt es.

a) Ein Anfangsverdacht wird nicht dadurch begründet, dass das vorgelegte Attest ohne Angabe einer Diagnose lediglich den Satz enthält „Der Patient kann aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen“. Weitergehende Informationen musste das Attest nicht enthalten. Denn nach dem zur Zeit der angabegemäßen Ausstellung des Attestes in Nordrhein-Westfalen geltenden § 2 Abs. 3 Satz 2 CoronaSchVO i.d.F. vom 31. August 2020, der für die Beschwerdeführerin als in Nordrhein-Westfalen praktizierende Ärztin maßgeblich war, waren von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung Personen befreit, die aus medizinischen Gründen keine solche Bedeckung tragen können. Das stellt das Attest gerade fest. Anders als der zu diesem Zeitpunkt geltende § 1 Abs. 2 Nr. 2 6. BayIfSMV i.d.F. vom 19. Juni 2020 verlangte die nordrhein-westfälische Regelung keine Glaubhaftmachung der gesundheitlichen Gründe, die das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung unmöglich oder unzumutbar machen würden. Die Nichtangabe der nach bayerischer Rechtslage erforderlichen Diagnose (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 16. September 2020 – W 8 E 20.1301, juris 21), ist daher für das einem anderen landesrechtlichen Regime unterfallende Attest insofern ohne Belang, als daraus nicht gefolgert werden kann, das Gesundheitszeugnis sei unrichtig i.S.d. § 279 StGB.

b) Das weitere Argument, das Attest sei in einer vom Wohnort des Beschuldigten weit entfernten Stadt ausgestellt worden, trägt für sich genommen nicht. Zum angabegemäßen Ausstellungszeitpunkt am 4. September 2020 lag die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei 9,8 pro 100.000 Einwohner. Es war nach der ersten und vor der zweiten Corona-Welle ein Sommer, in dem zahlreiche Reisen im Inland stattfanden. Dass sich vor diesem Hintergrund jemand weit entfernt von seinem Heimatort ein ärztliches Attest ausstellen lässt, begründet daher ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keinen Anfangsverdacht. Es erscheint in einer mobilen Gesellschaft vielmehr als nicht unüblich.

c) Weitergehende Verdachtsmomente lagen zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung aber nicht vor. Insbesondere gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Beschwerdeführerin als eine Ärztin aufgefallen wäre, die – wie aus anderen Fällen allgemein bekannt ist – aus Überzeugung oder Gewinnstreben Gefälligkeitsatteste dutzend- oder hundertfach unter Corona-Leugner oder Maskenverweigerer gebracht hätte.“