Archiv für den Monat: April 2019

Einführen des Daumens/eines Fingers in den Mund, oder: keine „beischlafähnliche Handlung“

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Ich eröffne die 18. KW. mit zwei Entscheidungen zum materiellen Recht, und zwar jeweils zu einem Sexualdelikt.

Zunächst kommt der BGH, Beschl. v. 14.11.2018 – 2 StR 419/18. Das LG hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und sexuellen Missbrauchs in vier Fällen verurteilt. Dagegen die Revision, die wegen der vier Fälle des sexuellen Missbrauchs keinen Erfolg hat, die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs hat der BGH jedoch beanstandet.

Dazu war festgestellt:

„Anschließend kam es zu einem „Probier-Spiel“. Der Angeklagte stellte Gläser mit Honig, Marmelade, Zucker und Salz zusammen. Die Nebenklägerin sollte mit verbundenen Augen raten, welches Lebensmittel er ihr mit einem Löffel in den Mund steckte. Er strich sich Marmelade auf ein Körperteil und steckte es ihr in den Mund. Davon, dass es sich um seinen Penis handelte, vermochte sich die Strafkammer nicht zu überzeugen. Das Landgericht hat im Zweifel zugunsten des Angeklagten zugrunde gelegt, dass er dem Kind einen Finger, eventuell den Daumen, in den Mund eingeführt habe. Die Nebenklägerin empfand Ekel, biss zu und riss sich das Tuch von den Augen. Der Angeklagte hatte danach „den Hosenknopf geöffnet“ und sein Penis war ein Stück weit zu sehen (Fall 5 der Urteilsgründe).“

Dazu der BGH:

1. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass das festgestellte Einführen des Daumens oder eines anderen Fingers des Angeklagten in den Mund des Kindes nach dem Handlungszusammenhang eine sexuelle Handlung mit Körperkontakt von Täter und Opfer gewesen ist. Diese Handlung war auch von einiger Erheblichkeit (§ 176 Abs. 1, § 184h Nr. 1 StGB); denn sie lässt sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des durch § 176 StGB geschützten Rechtsguts besorgen. Jedoch erfüllt die festgestellte Handlung des Einführens des Daumens durch den Angeklagten in den Mund des Kindes nicht den Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes.

a) Gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind.

Der Begriff „Eindringen in den Körper“ umschreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen der Tat (Senat, Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263, 268). Er ist nicht auf Vaginal-, Anal- und Oralverkehr beschränkt (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119; Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 234). Erfasst ist zum Beispiel auch das Eindringen mit Gegenständen in Vagina oder Anus (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 389/16).

Die Gesetzgebungsmaterialien belegen, dass der Gesetzgeber eine umfassende Regelung treffen wollte, um besonders schwerwiegende sexuelle Handlungen zu erfassen (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 – 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 133; Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120). Anders als § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB stellt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht auf eine besondere Erniedrigung des Opfers ab (Senat, Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263, 269). Eine penetrierende sexuelle Handlung allein führt aber noch nicht zur Qualifikation des sexuellen Missbrauchs. Erforderlich ist auch, dass der Täter mit dem Kind dabei entweder den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt. Welche Handlungen dem Beischlaf ähnlich sind, lässt das Gesetz offen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Penetration des Körpers erforderlich, die im Belastungsgewicht für das geschützte Rechtsgut dem Beischlaf ähnelt (Senat, Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 224 f.). Der Qualifikationstatbestand wurde durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollte das qualifizierende Merkmal dem durch das 33. Strafrechtsänderungsgesetz vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB (heute § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB) eingeführten Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Vergewaltigung nachgebildet werden (BT-Drucks. 13/8587, S. 31 f.). Hiernach sollte zwar vor allem das Eindringen des männlichen Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst werden (BT-Drucks. 13/2463, S. 7 und BT-Drucks. 13/7324, S. 6). Jedoch hat der Gesetzgeber die Anwendung des Qualifikationstatbestands nicht auf diese Arten sexueller Betätigung beschränkt (Senat, Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263, 269). Dies folgt schon daraus, dass auch das Eindringen mit Gegenständen erfasst werden sollte (BT-Drucks. 13/2463, S. 7; 13/7324, S. 6).

Die Beischlafähnlichkeit der sexuellen Handlung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine äußerliche Ähnlichkeit mit dem Bewegungsablauf beim Vaginalverkehr voraus (Senat, Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263, 270; a.A. Eschelbach/Krehl in Festschrift für Kargl, 2015, S. 81, 86 ff.). Eine Ähnlichkeit mit dem Beischlaf liegt regelmäßig schon dann vor, wenn die sexuelle Handlung entweder auf Seiten des Opfers oder des Täters unter Einbeziehung des primären Geschlechtsteils geschieht. Sie ist aber vor allem an dem Gewicht der Rechtsgutverletzung zu messen (Senat aaO).

b) Nach diesem Maßstab ist das Einführen des Daumens oder eines Fingers in den Mund des Kindes jedoch kein Fall einer beischlafähnlichen Handlung (vgl. MüKoStGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 176a Rn. 22; s.a. SSW-StGB/Wolters, 4. Aufl., § 176a Rn. 13; differenzierend Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 176a Rn. 8b). Eine solche Handlung besitzt kein dem Beischlaf vergleichbares Belastungsgewicht für das geschützte Rechtsgut. Insbesondere ist kein primäres Geschlechtsorgan bei Täter oder Opfer beteiligt (vgl. Senat, Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 235; Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263, 267)…..“

Sonntagswitz: Heute zu den Ostfriesen, denn, ja, ich bin auf Borkum

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Die kundige Leserin, der kundige Leser weiß: Wenn ich auf Borkum bin, gibt es Ostfriesenwitz. Und es ist mal wieder so weit. Ich bin auf Borkum, hier gibt es heute daher also Ostfriesenwitze, und zwar:

Wie versenkt man ein ostfriesischesU-Boot?

Man klopft an, einer macht sicher auf!


Hein Hansen aus Ostfriesland kommt mit einer 5 im Religionstest nach Hause. Der Vater ist entrüstet und geht am nächsten Tag in die Schule. Er fragt den Religionslehrer nach dem Grund für die 5.

Lehrer: „Sehen Sie mal, Herr Hansen, ihr Sohn wusste nicht einmal dass Jesus gestorben ist.“

Vater: „Mann, wir wohnen hinterm Deich, ohne Fernseher. Ich wusste nicht mal, dass er krank war!“


Gestern schloss die ostfriesischeLandesbibliothek.

Das Buch wurde geklaut.


Die Dame an der Kinokasse fragt: „Haben Sie nicht schon dreimal eine Karte gekauft?“

Antwortet der Ostfriese: „Ja, aber der Mann am Eingang zerreißt sie mir immer.“

Wochenspiegel für die 17. KW, das war Apple, Facebook, Unitymedia, U-Haft und Heiko Maas als“Gaffer“

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Wir beenden die 17. KW. – wegen Ostermontag nur eine „Rumpfwoche“ – und starten dann gleich morgen – wegen des Maifeiertages – in die nächste Rumpfwoche. Aber vorher gibt es hier den Wochenrückblick mit:

  1. Künstler-Skizzen aus Mülltonne gefischt – wegen Diebstahls verurteilt,

  2. BGH: Unitymedia darf Router der Kunden ohne Zustimmung für Wifi-Hotspot nutzen ich bin immer wieder erstaunt, was man alles erdulden muss,

  3. LG Münster: Apple muss Erben Zugang zur iCloud gewähren ,

  4. Straftaten rückläufig, aber U-Haft boomt ,

  5. Heiko Maas, Gaffer im Auftrag des Bundes,

  6. Was gelangt alles in das Führungszeugnis?,

  7. Der Schokoladen-Osterhase von Koblenz,

  8. Hannovers Oberbürgermeister vor Gericht,

  9. Bis zu 600 Millionen Nutzer betroffen – Datenpanne bei Facebook,

  10. und aus meinem Blog: Grundlage des Anfangsverdacht für eine Durchsuchungsanordnung, oder: Abwägungslehre?

Fachanwalt für Medizinrecht?, oder: Doch nur „Fachanwalt für Inkasso“?

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Samstags ist ja „Kessel-Buntes-Tag“. Und da passt ganz gut der BGH, Beschl. v. 07.03.2019 – AnwZ (Brfg) 67/18. Es geht um die Verleihung des Fachanwalts-Titels an den klagenden Rechtsanwalt. Der ist bereits berechtigt, den Titel „Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht“ zu führen. Nun wille er auch den Titel „Fachanwalt für Medizinrecht“ führen. Das ist abgelehnt worden. Die Klage hatte keinen Erfolg:

„b) Für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung hat der Antragsteller gemäß § 2 Abs. 1 FAO besondere theoretische Kenntnisse und besondere praktische Erfahrungen nachzuweisen. Besondere theoretische Kenntnisse und besondere praktische Erfahrungen liegen gemäß § 2 Abs. 2 FAO dann vor, wenn sie auf dem betreffenden Fachgebiet erheblich das Maß dessen übersteigen, das üblicherweise durch die berufliche Ausbildung und die praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird. Gemäß § 5 Abs. 1 lit. i FAO setzt der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen voraus, dass der Antragsteller innerhalb der letzten drei Jahre vor der Antragstellung im Fachgebiet als Rechtsanwalt 60 Fälle auf dem Gebiet des Medizinrechts bearbeitet hat.

Nach Ansicht der Beklagten und des Anwaltsgerichtshofs hat der Kläger den Erwerb dieser besonderen praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet des Medizinrechts nicht nachgewiesen. Der Kläger hat eine Fallliste vorgelegt, die insgesamt 245 Fälle aufweist; noch im Verwaltungsverfahren hat er eine ergänzte Liste mit insgesamt 262 Fällen vorgelegt. 228 Fälle auf der ersten und 230 Fälle auf der zweiten Liste betrafen den in § 14b Nr. 5 FAO genannten Bereich des Vergütungsrechts der Heilberufe, 225 dieser Fälle Forderungen einer bestimmten laboratoriumsmedizinischen Praxis. Nur zwei dieser Fälle, die Fälle Nr. 78 und Nr. 232, hat der Anwaltsgerichtshof als Fälle im Sinne von § 5 FAO anerkannt. Im Übrigen habe es sich nur um Mahn- und Vollstreckungsfälle gehandelt; fachspezifische Fragen hätten sich insoweit nicht gestellt.

c) Die Begründung des Zulassungsantrags ist nicht geeignet, Zweifel an den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen dieses Ergebnisses zu wecken.

aa) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats stellt eine reine Inkassotätigkeit keinen Fall im Sinne der Fachanwaltsordnung dar. Mahnt ein Rechtsanwalt eine nicht bezahlte ärztliche Rechnung an, betreibt er anschließend das Mahnverfahren, erwirkt er einen Vollstreckungsbescheid und betreibt er erforderlichenfalls hieraus die Zwangsvollstreckung, erwirbt er keine besonderen medizinrechtlichen Kenntnisse. Von einem Fall aus dem Vergütungsrecht der Heilberufe kann von vorneherein nur gesprochen werden, wenn medizinrechtliche Vergütungsfragen bearbeitet werden (BGH, Beschluss vom 14. November 2018 – AnwZ (Brfg) 29/18, juris Rn. 7). Von diesem Grundsatz ist der Anwaltsgerichtshof ausgegangen.

bb) Der Kläger meint demgegenüber, es müsse ausreichen, dass eine medizinrechtliche Fragestellung erheblich werden könnte. Dies trifft indes nicht zu, wie sich schon aus dem Senatsbeschluss vom 14. November 2018 (aaO) ergibt. Die praktische Erfahrung auf einem bestimmten Gebiet kann sinnvoll nur mit Fällen nachgewiesen werden, in denen Fragen aus dem betreffenden Gebiet tatsächlich eine Rolle gespielt haben (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2015 – AnwZ (Brfg) 54/13, NJW-RR 2015, 745 Rn. 20). Überdies geht es hier um „Fälle“, die diesen Namen nicht verdienen, weil keine juristische Aufarbeitung eines Sachverhalts stattgefunden hat. Der Kläger hat lediglich Forderungen seiner Auftraggeberin eingezogen.

cc) Der Kläger meint weiter, er habe auftragsgemäß die Richtigkeit der jeweiligen Rechnung kontrolliert, etwa im Hinblick auf § 6 GOÄ (richtig wohl: § 6a GOÄ). Vor Durchsetzung der jeweiligen Forderung habe er ihre Fälligkeit gemäß § 12 GOÄ sowie Verjährungsfragen geprüft. Dem Anwaltsgerichtshof hat dieser bereits in erster Instanz gehaltene Vortrag nicht ausgereicht. Der Senat teilt diese Auffassungen, ohne dass es auf die formalen Rügen ankäme, welche die Aktenführung betreffen. Der Kläger erhielt die fertigen Rechnungen von seiner Auftraggeberin, der laboratoriumsmedizinischen Praxis. Anhaltspunkte dafür, dass diese Rechnungen nicht den Vorgaben der Bundesärzteordnung entsprachen, gibt es nicht. Der Kläger hat keinen einzigen Fall dargelegt, in welchem er eine Rechnung dieser Praxis verbessert hat.

dd) Der Kläger trägt außerdem vor, er habe besondere medizinrechtliche Kenntnisse bei der Prüfung von Verjährungsfragen eingesetzt, weil die Fälligkeit der ärztlichen Vergütung in § 12 GOÄ gesondert geregelt sei. Die Fälligkeitsvoraussetzung einer den Anforderungen der Gebührenordnung für Ärzte entsprechenden Rechnung erfordert jedoch in aller Regel nur eine formale, routinemäßig zu erledigende Prüfung mit geringem zeitlichen Aufwand (BGH, Beschluss vom 14. November 2018, aaO Rn. 9). Besonderer medizinrechtlicher Kenntnisse bedarf es hierzu nicht. Auch in anderen Rechtsgebieten knüpft die Fälligkeit einer Forderung an eine ordnungsgemäße Abrechnung an (vgl. etwa § 10 RVG, § 15 HOAI).“

Unfall beim Entladen eines Lkw mit Ladekran, oder: Betriebsgefahr

entnommen wikimedia.org
Author Thiemo Schuff

Der Halter eines im öffentlichen Verkehrsraum abgestellten Lkw haftet für die Gefahren, die während eines Entladevorgangs von einem auf dem Lkw montierten Ladekran ausgehen. Das ist das Fazit aus dem OLG Köln, Beschl. v. 21.02.2019 – 14 U 26/18.

Entschieden hat das OLG über eine Schadensersatzforderung gegen die Beklagte, die mit ihrem LKW für ein Bauvorhaben Baumaterial geliefert hate. Entladen wurde mit einem auf dem Lkw montierten hydraulischen Kran. Dabei ist ein Schlauch geplatz, wodurch Hydrauliköl austrat und das Haus und den Vorgarten der Kläger bespritzte. Dieser hat dann als Schadensersatz die Reinigungskosten verlangt. Das OLG hat eine Haftung aus § 7 StVG bejaht:

„1. Die Berufung, die sich nur gegen die Bejahung einer Haftung dem Grunde nach wendet, die Bemessung des Schadens der Höhe nach aber nicht angreift, hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung zu Recht angenommen, dass die Beklagte den Klägern dem Grunde nach gemäß § 7 Abs. 1 StVG zum Schadensersatz verpflichtet ist.

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Der Vorgarten und die Hausfassade der Kläger sind beim Betrieb des von der Beklagten gehaltenen Lkw beschädigt worden.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (zuletzt Urteile vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 11; vom 24.3.2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 5; vom 21.1.2014 – VI ZR 253/13, BGHZ 199, 377 Rn. 5; jew. mwN).

Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeugs als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeugs keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (vgl. BGH, Urteile vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 12; vom 23.5.1978 – VI ZR 150/76, VersR 1978, 827; vom 27.5.1975 – VI ZR 95/74, VersR 1975, 945).

Bei einem stehenden Fahrzeug mit Arbeitsfunktionen ist eine Verbindung mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs auch dann gegeben, wenn das Kraftfahrzeug in innerem Zusammenhang mit seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel entladen wird, und zwar auch dann, wenn das Entladen mithilfe einer speziellen Entladevorrichtung des Kraftfahrzeugs erfolgt. Daher haftet der Halter auch in diesen Fällen für die Gefahr, die das Kraftfahrzeug beim Entladen in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierunter fällt nicht nur die Gefahr durch das entladene Kraftfahrzeug als solches, sondern auch diejenige, die von den Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgeht (BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 14).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen zu Recht angenommen, dass der Schaden der Kläger auf den Betrieb des Lkw der Beklagten zurückzuführen ist.

Maßgeblich hierfür ist, dass der Lkw im öffentlichen Verkehrsraum vor dem Haus der Nachbarn der Kläger abgestellt war und dass das Öl aus dem aufgeplatzten Schlauch des Krans gespritzt ist, während der Lkw mithilfe dieses Krans entladen wurde. Bei diesem Hergang war es allein vom Zufall abhängig, ob nur der Verkehrsraum, andere Verkehrsteilnehmer oder auch die Grundstücke der Anlieger beschädigt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 15). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von demjenigen, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 1975 – VI ZR 95/74 – (VersR 1975, 945) zugrunde lag. In diesem Fall wurde ein auf einem Hof abgestelltes Tankfahrzeug durch einen Schlauch in ein neben dem Fahrzeug befindliches Silo entladen, wobei das Silo beschädigt wurde.

Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, der Kran sei keine „Entladevorrichtung des Kraftfahrzeugs“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sondern eine „eigenständige“ Einrichtung. Der Kran war bestimmungsgemäß – wenn auch möglicherweise nicht dauerhaft – auf dem Lkw montiert und ist ebenso bestimmungsgemäß dazu verwandt worden, den Lkw zu entladen. Kran und Lkw bildeten deshalb – ebenso wie ein mit Kran arbeitender Abschleppwagen oder ein mit einem Aufladegreifer versehenes Langholzfahrzeug (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.5.1975 – VI ZR 95/74, VersR 1975, 945; Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, 27. Aufl., 25. Kap. Rn. 84) – eine haftungsrechtliche Einheit (zum Abladen von Baumaterial mit einem Ladekran vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 5.4.2007 – 23 U 54/06, OLGR 2008, 470, 471; Wussow/Fad, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 17 Rn. 87).

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihre Haftung auch nicht nach § 8 Satz  1 StVG ausgeschlossen. Dass das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt mit ausgefahrenen Stützen abgestellt war, ändert nichts daran, dass es auf Grund seiner konstruktionsbedingten Beschaffenheit (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17.6.1997 – VI ZR 156/96, VersR 1997, 1115), die durch ein bloßes Ausfahren der Stützen nicht verändert wird, auf ebener Bahn mit einer höheren Geschwindigkeit als zwanzig Kilometer in der Stunde fahren kann.“