Archiv für den Monat: November 2012

Melde mich dann von der Brücke ab – und auf dem Schiff an

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Ich melde mich dann mal  für ein paar Tage ab. Nachdem mir die Kreuzfahrt im Juni gut gefallen hat – ich war selbst überrascht – dann noch einmal zu einer Kreuzfahrt. Dieses Mal nicht Ägäis, sondern  Kanaren. “Haus und Hof” sind bewacht ;-).

Hier geht es auch während meiner Abwesenheit weiter. Die Technik macht es möglich. Allerdings sicherlich an der ein oder anderen Stelle nicht ganz so aktuell wie sonst. Und Kommentare kommentieren kann/werde ich auch nicht.

Also dann: Ahoi :-) .

So macht Gebührenrecht Spaß: Munition im Kampf um die Mittelgebühr

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Zum Wochenabschluss eine schöne gebührenrechtliche Entscheidung des LG Saarbrücken; das freut, wann man mal auch über solche Entscheidungen berichten kann. Den LG Saarbrücken, Beschl. v. 07. 11.2012 -2 Qs 40/12 – sollte man sich als Verteidiger in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren für den Kampf um die Mittelgebühr merken und mit ihm argumentieren. Die Leitsätze sprechen für sich:

1. Auch in straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren dient der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt und hiervon ausgehend die Würdigung der in jedem Einzelfall gegebenen Umstände für die Bestimmung der anwaltlichen Gebühren nach § 14 RVG. Eine „generelle“ Einstufung der anwaltlichen Gebühren unterhalb der Mittelgebühr in diesen Verfahren wegen der regelmäßig geringfügigeren Geldbußen, der mäßigen Bedeutung für den Betroffenen, dem allgemein geringeren Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist rechtlich bedenklich.

2. Die individuelle fahrerlaubnisrechtliche Situation des Betroffenen kann eine gesteigerte „Bedeutung der Angelegenheit“ im Sinne des § 14 RVG begründen, wenn wie hier nicht nur lediglich die Eintragung eines Punktes im Verkehrszentralregister drohte, sondern sich der Betroffene mit dieser Eintragung im Hinblick auf die bestehenden Voreintragungen von 14 Punkten im Verkehrszentralregister der zwingenden Fahrerlaubnisentziehung aus § 4 Abs. 3 Ziffer 3 StVG weiter angenähert hätte.

Zum Leitsatz 1 kann ich nur sagen: Habe ich ja immer schon gesagt :-): (vgl. in Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2012, Vorbem. 5 VV Rn. 39 m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur). Auch Leitsatz 2 passt.

Einen kleinen Wermutstropfen hat die Entscheidung des LG allerdings. Das LG ist nämlich (noch) davon ausgegangen, dass die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG im Bußgeldverfahren nur einmal anfällt, weil das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren dieselbe Angelegenheit sind. Diese (umstrittene) Ansicht kann man m.E., nachdem der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vorliegt (vgl. BR-Drucks. 517/12 und dazu hier) nicht aufrechterhalten. Sieht dieser doch in dem neuen § 17 Nr. 11 RVG ausdrücklich die andere (zutreffende) Regelung vor, dass es sich um verschiedene Angelegenheiten handelt und somit in jeder die Auslagenpauschale anfallen kann (vgl. Anm zu Nr. 7002 VV RVG). Aber es wäre zu schön gewesen, wenn das LG das auch noch bedacht und seine Auffassung schon vorab geändert hätte. Aber damit kann man leben.

 

 

 

Was ist nun mit ESO ES 3.0? Verwertbar – auch ohne Kenntnis der Messdaten?

Die Urteile des AG Kaiserslautern (zfs 2012, 407) und des AG Landstuhl (VRR 2012, 273), die den Betroffenen vom Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen hatten, haben vor einiger Zeit für Aufsehen gesorgt (vgl. zu AG Landstuhl hier). Die Begründung der AG ging im Groben dahin, dass dann, wenn von der Herstellerfirma eines Messgeräte (hier: ESO ES 3.0) die Mess-/Gerätedaten zu einer Messung nicht zur Verfügung gestellt werden, so dass die Ordnungsgemäßheit der Messung nicht überprüft werden könne, ein Verstoß gegen den zu Gunsten des Betroffenen geltenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs vorliege, der zur Unverwertbarkeit der Messung führe.

Dass die Urteile nicht bei den AG rechtskräftig werden würden, war vorauszusehen. Und: Die Staatsanwaltschaft ist – zumindest gegen das Urteil des AG Kaiserslautern – in die Rechtsbeschwerde gegangen. Der OLG-Beschluss liegt inzwischen vor. Der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.10.2012 – 1 SsBs 12/12 – hat das AG Kaiserslautern-Urteil aufgehoben (vgl. auch hier). Begründung:

Die mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise des Geschwindigkeitsmessgerätes ESO ES 3.0; das eine Bauartzulassung von der Physikalisch-Technische Bundesanstalt erhalten hat, begründet keine rechtliche Unverwertbarkeit des Messergebnisses. Die genaue Funktionsweise von Messgeräten ist den Gerichten auch in den Bereichen der Kriminaltechnik und der Rechtsmedizin nicht bekannt, ohne dass insoweit jeweils Zweifel an der Verwertbarkeit der Gutachten aufgekommen wären, die auf den von diesen Geräten gelieferten Messergebnissen beruhen.

Nach welchem Prinzip das Geschwindigkeitsmessgerät funktioniert,  ist bekannt (vgl. Böttger in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, S. 727. ff.). Auch mögliche Ursachen für Fehlmessungen Sind bekannt (Böttger a.a.O.).

Bei dem Messverfahren handelt es sich um standardisiertes. Messverfahren (OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Oktober 2009, 1 SsRs 71/09). Dies entbindet den Richter selbstverständlich nicht von der Prüfung, ob die konkrete Messung zuverlässig ist. Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung können aber nur konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung begründen. Fehlt es an derartigen Anhaltspunkten, überspannt der Tatrichter die an seine Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen, wenn er dennoch an der Zuverlässigkeit der Messung zweifelt. Konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung zeigen die Urteilsgründe nicht auf.

Im Ergebnis nicht überraschend. Die Argumentationskette ist bekannt – standardisiertes Messverfahren = Messung verwertbar, so lange nicht konkrete Messfehler geltend gemacht werden.

Allerdings: Die Argumentation der AG war m.E. ein wenig (?) anders. Denn – zumindest vom AG Landstuhl – wurde nicht nur die Frage nach der Funktionsweise des ESO ES 3.0 gestellt – die war dem Amtsrichter bekannt. Sondern er hatte auch beanstandet, dass die Messdaten nicht herausgegeben werden und deshalb eine Überprüfung der Messung nicht möglich sei, so dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt sei. Das ist m.E. etwas anderes, so dass die Begründung des OLG Zweibrücken für mich am AG Urteil vorbei geht. Standardisiertes Messverfahren bedeutet doch nicht, dass ich als Betroffener kein Recht habe, die Messung zu überprüfen. Wie soll ich denn „konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung begründen“, wenn ich die Messung nicht kenne und nicht überprüfen kann?

Vielleicht wäre es doch besser gewesen, der Senatsvorsitzende hätte nicht allein entschieden, sondern man hätte sich zu Dritt an die Prüfung gemacht.

Die „Wegnahme der „Fan-Jacke“ kein Bagatelldelikt“

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„Wegnahme der „Fan-Jacke“ kein Bagatelldelikt“ so ist die PM Nr. 17/2012 des OLG Nürnberg vom 12.11.2012 zum OLG Nürnberg, Beschl. v. 07.11.2012, 1 St OLG Ss 258/12, überschrieben. Mit dem Beschluss hat der 1. Strafsenat des OLG Nürnberg die Revision eines Anhängers des 1. FC Nürnberg verworfen, der vom LG wegen Raubes verurteilt worden war, weil er – gemeinsam mit einem weiteren Club-Fan – einem Anhänger der Spielvereinigung Greuther Fürth gewaltsam die Fan-Jacke weggenommen hatte. In der PM – Volltext der Entscheidung liegt noch nicht vor – heißt es:

„Die beiden Club-Fans waren in erster Instanz vom Amtsgericht Fürth zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil sie im März 2011 dem Geschädigten nach einem Spiel gefolgt waren und ihm seine weiß-grüne Fan-Jacke vom Leib gezerrt hatten. Einer der beiden versteckte die Jacke zunächst unter seinem Pullover. Als sie bemerkten, dass sich die Polizei näherte, verstauten sie die Jacke im Kofferraum ihres ca. 30 m entfernt geparkten Autos. Auf die Berufung der Angeklagten hin, hat das Landgericht Nürnberg-Fürth die verhängte Strafe bestätigt. Es hat die Tat rechtlich als Raub eingeordnet, weil es zu der Überzeugung gekommen ist, dass die Angeklagten erst später entscheiden wollten, ob sie die Jacke vernichten oder als Trophäe behalten würden.

Gegen dieses Urteil hat einer der beiden Angeklagten Revision zum Oberlandesgericht Nürnberg eingelegt. Er war der Meinung, dass nur ein Bagatelldelikt vorliege, nicht aber ein Raub, weil Fans, die ihren „Gegnern“ deren Fan-Utensilien wegnehmen, sich diese nicht zueignen wollen. Das hat das Oberlandesgericht anders gesehen. Zwar liege ein Raub tatsächlich nur dann vor, wenn der Täter sich die Sache, die er weggenommen hat, zueignen will. Daran fehle es, wenn er die Sache von vorneherein nur vernichten oder wegwerfen will. Wer sich aber die Entscheidung darüber vorbehält, was mit der Sache letztlich geschehen soll, der verhält sich so als würde ihm die Sache gehören – in der Sprache der Juristen: er eignet sie sich zu. Das Landgericht habe die Tat deshalb zu Recht als Raub bewertet.“

Was der Fan mit „Bagatelldelikt“ gemeint hat, ist mir nicht so ganz klar.

Das „vorletzte“ Wort der Eltern reicht im JGG-Verfahren nicht

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Da hatte die Jugendkammer an alles gedacht, vor allem auch daran, dass im JGG-Verfahren den Eltern des Angeklagten (auch) das letzte Wort zu gewähren ist. Nur sie hatte übersehen, dass sie noch einmal in die Beweisaufnahme eingetreten ist und dann hatten die Eltern nicht noch einmal das letzte Wort. Sie hatten also nur das „vorletzte“ und das reicht dem BGH nicht. Der BGH, Beschl. v. 24.10.2012 – 5 StR 503/12 – hebt auf:

„Die Revision macht zutreffend geltend, dass das Landgericht nicht den erziehungsberechtigten Eltern des Angeklagten das ihnen von Amts wegen nach § 67 Abs. 1 JGG i.V.m. § 258 Abs. 2 und 3 StPO zu gewährende letzte Wort (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2002 – 5 StR 98/02, NStZ-RR 2002, 346 mwN) erteilt hat. Die Eltern des Angeklagten hatten zwar in der Haupt-erhandlung am 30. April 2012 vor dem Angeklagten das „vorletzte“ Wort, jedoch ist nach dem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme und den Bezug-nahmen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf die Schlussvorträge am 9. Mai 2012 im letzten Hauptverhandlungstermin am 22. Mai 2012 nur noch dem Angeklagten das letzte Wort gewährt worden, nicht jedoch dessen anwesenden Eltern.

Der Verfahrensfehler führt entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts zur Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Eltern des Angeklagten, die bei der geständigen Einlassung im Ermittlungsverfahren sogar anwesend gewesen waren, nach erneuter Beweisaufnahme Ausführungen zur Frage der Glaubhaftigkeit des widerrufenen Geständnisses und zu einer möglichen Selbstbelastungsmotivation ihres Sohnes getätigt hätten.