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Die „Eltern“ haben (auch) immer das letzte Wort, oder: Selbstläufer

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Eine Vorschrift, die in JGG-Verfahren häufiger übesehen wird, rückt der BGH, Beschl. v. 26.04.2017 – 4 StR 645/16 – noch einmal in den Fokus. Es ist § 67 JGG. Danach steht, soweit der Beschuldigte ein Recht darauf hat, gehört zu werden, Fragen und Anträge zu stellen oder bei Untersuchungshandlungen anwesend zu sein, dieses Recht auch dem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter zu. Das bezieht sich auch auf das Recht zum letzten Wort in der Hauptverhandlung. Das hatte in einem Mord-Verfahren das LG Bielefeld übersehen, was dann zur Aufhebung durch den BG geführt hat – und zwar „kurz und zackig“:

1. Nach dem durch das Protokoll belegten Vortrag der Revision wurde dem mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 15. April 2016 zum Vormund der noch jugendlichen Angeklagten bestellten und am Schluss der Beweisaufnahme anwesenden H. nicht von Amts wegen das letzte Wort erteilt. Darin liegt ein Verstoß gegen § 258 Abs. 2 und 3 StPO i.V.m. § 67 Abs. 1 JGG. Danach ist den Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern in allen Fällen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, in denen der noch nicht volljährige Angeklagte ein Recht darauf hat. H. war als für die Angeklagte bestellter Vormund nach § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB auch deren gesetzlicher Vertreter (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2003 – 3 StR 434/02, StraFo 2003, 277; Urteil vom 8. August 1967 – 1 StR 279/67, NJW 1967, 2070; Eisenberg, JGG, 19. Aufl., § 67 Rn. 5).“

Und: Der BGH bejaht auch das „Beruhen“ – § 337 StPO:

„2. Das angefochtene Urteil war aufgrund dieses Verfahrensfehlers mit den Feststellungen aufzuheben, weil der Senat nicht auszuschließen vermag, dass die Erteilung des letzten Wortes an den Vormund einen Einfluss auf die gesamte Urteilsfindung gehabt hätte.

Ein Verstoß gegen § 258 Abs. 2, 3 StPO (i.V.m. § 67 Abs. 1 JGG) ist nicht als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet. Er führt deshalb nur insoweit zur Aufhebung eines Urteils, als dieses auf dem Fehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Dabei reicht die bloße Möglichkeit eines Beruhens aus (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 470/14, NStZ 2016, 221, 223; Urteil vom 20. Juni 1996 – 5 StR 602/95, NStZ 1996, 612; weitere Nachweise bei Nie-möller, NStZ 2015, 489 Fn. 20 und 21). An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn nach den Umständen des Einzelfalls mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass sich die Entscheidungsgrundlage bei einer dem Gesetz entsprechenden Verfahrensweise verändert hätte und das Urteil deshalb anders ausgefallen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1968 – 4 StR 190/68, BGHSt 22, 278, 281; Urteil vom 3. Mai 1960 – 1 StR 155/60, BGHSt 14, 265, 268; Urteil vom 2. Oktober 1951 – 1 StR 434/51, BGHSt 1, 346, 350 f.; weitere Nachweise bei Frisch, FS Rudolphi, 2004, S. 609 ff.).

Danach konnte das Urteil insgesamt keinen Bestand haben. Der Angeklagten liegt zur Last, nach einem weitgehend unauffälligen Tagesverlauf ihren Stiefvater im elterlichen Schlafzimmer getötet und die Nebenklägerin (ihre Mutter) durch eine Vielzahl von Messerstichen schwer verletzt zu haben. Ein Tatmotiv hat die Jugendkammer nicht festzustellen vermocht. Die Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen, dass die Nebenklägerin auf ihren Stiefvater eingestochen habe und es anschließend zu einem Kampf zwischen ihr und der Nebenklägerin gekommen sei. Die Jugendkammer hat ihre Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten neben anderen Indizien „insbesondere“ auf Angaben der Nebenklägerin gestützt (UA 27), die diese im Zwischenverfahren bei einer richterlichen Vernehmung gemacht hatte. Motive für eine Falschbelastung der Angeklagten hat sie dabei nicht zu erkennen vermocht (UA 30). Der Vormund der Angeklagten ist ihr Onkel. Der Beschluss des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 15. April 2016, mit dem H. gegen den Willen der Nebenklägerin zum Vormund für die Angeklagte bestellt worden ist, deutet darauf hin, dass die familiären Verhältnisse schon vor der Tat konfliktbehaftet waren. Der Senat vermag danach nicht auszuschließen, dass H. , der mit einer Ausnahme an allen Hauptverhandlungstagen anwesend war, wäre ihm das letzte Wort erteilt worden, die Entscheidungsgrundlage verändernde Gesichtspunkte – etwa in Bezug auf mögliche Falschbelastungsmotive der Nebenklägerin – angeführt hätte.“

Verstöße gegen den § 258 StO sind weitgehend „Selbstläufer“.

Das „vorletzte“ Wort der Eltern reicht im JGG-Verfahren nicht

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Da hatte die Jugendkammer an alles gedacht, vor allem auch daran, dass im JGG-Verfahren den Eltern des Angeklagten (auch) das letzte Wort zu gewähren ist. Nur sie hatte übersehen, dass sie noch einmal in die Beweisaufnahme eingetreten ist und dann hatten die Eltern nicht noch einmal das letzte Wort. Sie hatten also nur das „vorletzte“ und das reicht dem BGH nicht. Der BGH, Beschl. v. 24.10.2012 – 5 StR 503/12 – hebt auf:

„Die Revision macht zutreffend geltend, dass das Landgericht nicht den erziehungsberechtigten Eltern des Angeklagten das ihnen von Amts wegen nach § 67 Abs. 1 JGG i.V.m. § 258 Abs. 2 und 3 StPO zu gewährende letzte Wort (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2002 – 5 StR 98/02, NStZ-RR 2002, 346 mwN) erteilt hat. Die Eltern des Angeklagten hatten zwar in der Haupt-erhandlung am 30. April 2012 vor dem Angeklagten das „vorletzte“ Wort, jedoch ist nach dem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme und den Bezug-nahmen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf die Schlussvorträge am 9. Mai 2012 im letzten Hauptverhandlungstermin am 22. Mai 2012 nur noch dem Angeklagten das letzte Wort gewährt worden, nicht jedoch dessen anwesenden Eltern.

Der Verfahrensfehler führt entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts zur Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Eltern des Angeklagten, die bei der geständigen Einlassung im Ermittlungsverfahren sogar anwesend gewesen waren, nach erneuter Beweisaufnahme Ausführungen zur Frage der Glaubhaftigkeit des widerrufenen Geständnisses und zu einer möglichen Selbstbelastungsmotivation ihres Sohnes getätigt hätten.