Nein, hier handelt es sich nicht um den Klassiker bzw. das vorweggenommene Ergebnis eines WM-Qualifikationsspiels aus der deutschen Gruppe, in der es ja wieder zu einem Duell mit Österreich kommt, sondern um die Anrechnung von in Österreich erlittener Auslieferungshaft auf deutsche Freiheitsstrafe. Ein Tag in der Alpenrepublik zählt also genau so viel wie ein Tag in Deutschland (nachzulesen in BGH, Beschl. v. 26.05.2011 – 5 StR 130/11).
Archiv für den Monat: August 2011
Aufhebung mit ggf. weitreichenden Folgen
Das LG hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, §§ 239a, 255, 316 a StGB. Das Ganze auf der Grundlage eines m.E. etwas skurrilen Sachverhalts: Der Angeklagte ist bereits geschäftlich mehrfach gescheitert, er plante die finanzielle Schädigung der Stadt N., da er die Vertreter dieser Stadt für seinen beruflichen Misserfolg verantwortlich machte. Nachdem er herausgefunden hatte, dass die mit der Stadt verbundene gemeindliche Siedlungs-Gesellschaft (GSG) über große liquide Geldmittel verfügte, wollte er der GSG diese Mittel durch eine Überweisung entziehen und damit mittelbar die Zahlungsunfähigkeit der Stadt N. herbeiführen. Hierzu wollte er die Leiterin des Rechnungswesens der GSG (L.) in seine Gewalt bringen und dazu zwingen, eine Überweisung vom Konto der GSG auf ein Spendenkonto zugunsten der Opfer der Erdbebenkatastrophe in Haiti im Januar 2010 vorzunehmen, wobei er sich vorstellte, dass die betreffende Geldsumme durch die Überweisung für die GSG und die Stadt N. endgültig verloren sein würde. Als die Geschädigte am Tattag mit ihrem Fahrzeug auf dem Weg zur Arbeit an einer Baustelle verkehrsbedingt halten musste, stieg der Angeklagte überraschend auf der Beifahrerseite ihres Pkw ein und zwang sie unter Vorhalt einer von ihr als echt eingeschätzten Pistole, auf einen nahe gelegenen Parkplatz zu fahren. Von dort aus transportierte der Angeklagte zunächst die nunmehr von ihm gefesselte L. in deren Pkw auf der Rücksitzbank liegend zu seinem Wohnhaus, später zu einer von ihm früher betriebenen Gaststätte. Dort befragte er sie zu den bei der GSG vorhandenen Geldmitteln. L. bestätigte, dass diese in Höhe von mehreren Millionen vorhanden seien. Durch vom Ehemann der L. alarmierte Polizeibeamte konnte L. befreit werden konnte.
Das LG hat darin einen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer gesehen und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der BGH, Beschl. v. 24. 5. 2011 – 4 StR 175/11 hat aufgehoben und zu den Anforderungen an die Bereicherungsabsicht Stellung genommen. Die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, sei nicht gegeben, wenn der Täter den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens voraussieht. Das hat der BGH auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht erkennen können.
Die Ortsabwesenheit des Richters
spielt eine nicht unerhebliche Rolle, wenn es um die rechtzeitige Unterzeichnung eines Urteils geht und damit um die Einhaltung der Fristen des § 275 StPO, dessen Verletzung zum absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO führt. Exemplarisch ist das der BGH, Beschl. v. 08.06.0211 – 3 StR 95/11 , der zeigt, worauf es ankommen kann bzw., worauf zu achten ist:
- Verhinderungsfall aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen?
- Bei Verhinderung aus tatsächlichen Gründen steht dem Vorsitzenden ein Beurteilungsspielraum zu, den der BGH nur überprüft, wenn die Entscheidung des Vorsitzenden, die Unterschrift des verhinderten Richters zu ersetzen, auf sachfremden Erwägungen beruht oder den eingeräumten Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschreitet, so dass sie objektiv willkürlich erscheint. Das muss vorgetragen werden.
- Dann ggf. Prüfung der Entscheidung, was der BGH im o.a. Beschluss getan hat (Fristablauf war dort der 25.10.2010).
Dazu der BGH:
„Die nach dem Inhalt der dienstlichen Äußerungen zur Annahme eines Verhinderungsfalles führenden Erwägungen der Vorsitzenden waren indes nicht sachfremd.
Wie die Vorsitzende ausführt, ging ihr der von der weiteren Beisitzerin und Berichterstatterin verfasste Urteilsentwurf um die Mittagszeit des 21. Oktober 2010 zu. Sie nahm an, diesen spätestens am Vormittag des 25. Oktober 2010 ihrerseits unterzeichnen zu können. Noch zuvor setzte sie sich mit Richterin N. wegen deren Unterschriftsleistung fernmündlich in Verbindung. Dabei erfuhr sie, dass Richterin N. für den 25., 26. und 27. Oktober 2010 Sitzungen beim Amtsgericht S. anberaumt hatte. In der Absicht, den Entwurf vorab per Telefax zu übermitteln, kündigte die Vorsitzende an, sich wegen der weiteren Vorgehensweise nach eigener Durchsicht des Entwurfs wieder zu melden. In der Folge stellte sich indes die Notwendigkeit umfangreicher Änderungen heraus, an denen die Vorsitzende und die Berichterstatterin noch bis zum späteren Nachmittag des 26. Oktober 2010 arbeiteten. Eine erneute telefonische Unterredung mit Richterin N. um diese Zeit ergab, dass diese noch mit der erforderlichen Vorbereitung ihrer Sitzung am Folgetag befasst war. Da Richterin N. anschließend mangels eigenen Pkws mit der Bahn anzureisen und sodann das Urteil zunächst durchzusehen hätte, ging die Vorsitzende davon aus, dass sich die Unterschriftsleistung bis in die späten Abendstunden hinein verzögern würde. Sie hielt deshalb die Feststellung einer Verhinderung für vertretbar. Richterin N. hat hierzu ergänzend dargelegt, dass sie nicht vor 19.50 Uhr, unter Umständen aber auch erst gegen 20.50 Uhr beim Landgericht Verden hätte eintreffen können.
Danach hat die Vorsitzende die ihr möglichen Bemühungen unternommen, um eine Unterzeichnung des Urteils durch Richterin N. sicherzustellen. Dass es zu deren Unterschrift letztlich nicht kam, lag nicht an mangelnden organisatorischen Vorkehrungen, sondern daran, dass sich die Fertigstellung des Entwurfs unvorhergesehen bis zum späten Nachmittag des letzten Tages der Frist verzögerte. Soweit die Vorsitzende zu diesem Zeitpunkt schließlich deshalb von einem Verhinderungsfall ausging, weil Richterin N. zunächst noch mit anderen Dienstgeschäften befasst war und ihre Unterschrift voraussichtlich erst in den späten Abendstunden hätte leisten können, ist dies nach den oben dargestellten Maßstäben nicht zu beanstanden.“
Grundsatz des rechtlichen Gehörs – wann ist er bei einem Verwerfungsurteil verletzt?
Ich hatte ja gestern in anderem Zusammenhang, nämlich wegen der verfahrensrechtlichen Besonderheiten der „Kehrtwende des OLG“ über OLG Hamm, Beschl. v. 13.07.2011 – III 4 RBs 193/11 berichtet.
Dazu stellt sich aber auch eine materielle Frage. Nämlich: Wann liegt, wenn einem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG nicht entsprochen wird, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs mit der Folge der Zulässigkeit/Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG vor? Nur bei Willkür oder in jedem Fall?
Das OLG Hamm sagt: Allein der Umstand, dass einem Entbindungsantrag objektiv hätte entsprochen werden müssen und somit ein Urteil nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht hätte ergehen dürfen, begründet die Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Anders wird das vom OLG Frankfurt gesehen, dass in seiner Rechtsprechung sagt: Eine zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führende Gehörsverletzung in Folge der rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Entbindungsantrages nach § 73 Abs. 2 OWiG und anschließender Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG liegt nur vor, wenn das AG seine prozessuale Fürsorgepflicht willkürlich verletzt hat und deshalb die Einlassung des Betroffenen zur Sache unberücksichtigt geblieben ist (so z.B. im OLG Frankfurt, Beschl. v. 14.07.2011 – 2 Ss-OWi 398/11).
Letzteres ist etwas ganz anderes und m.E. zu eng und – so wie ich es sehe – auch nicht h.M. Interessant ist dann die weitere Frage: Vorlagepflichtig? Der BGH wird sich freuen?
Die Revision versäumt es,…
das liest man als Verteidiger in Zusammenhang mit einer Verfahrensrüge nicht gern, musste aber der Verteidiger lesen, der die Revision eingelegt und begründet hat, die dann zum Beschl. des BGH v. 25. Mai 2011 – 4 StR 87/11, führt.
Gerügt worden ist in einem Verfahren, in dem der Angeklagte wegen sexueller Nötigung verurteilt worden ist, mit der Verfahrensrüge die Ablehnung von Beweisanträgen auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Nebenklägerin sowie eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin. Dazu der BGH:
„Die Verfahrensrüge, mit welcher die Ablehnung von Beweisanträgen auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Nebenklägerin sowie eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin beanstandet wird, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zur Begründung seines Beweisbegehrens hat sich der Verteidiger des Angeklagten in dem in der Hauptverhandlung am 25. August 2010 gestellten Beweisantrag auf die von der Zeugin F. übergebenen Krankenunterlagen und in dem Wiederholungsantrag vom 12. Oktober 2010 u.a. auf den Inhalt der polizeilichen Vernehmungen der Nebenklägerin am 27. Januar und 9. Februar 2010 bezogen. Die Revision versäumt es, den Inhalt der Krankenunterlagen sowie der Protokolle der beiden polizeilichen Vernehmungen vollständig mitzuteilen.“
Tja, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist schwer bzw. seine Anforderungen liegen hoch – oder die, die die Revisionsrechtsprechung darauf gründet, aber m.E. nicht so hoch, dass man in diesem Fall nicht übersehen darf, die Unterlagen, auf die man sich bezogen hat, zur Begründung der Verfahrensrüge mit vorzutragen. Wie sonst soll der BGH aufgrund des Revisionsvorbringens prüfen, ob dem Beweisantrag hätte nachgegangen werden müssen?