Archiv für den Monat: Oktober 2009

OLG Hamm: Rechtsprechungsänderung oder nur die eigene Rechtsprechung übersehen?

Das OLG Hamm hat in seinem Beschl. v. 25.06.09 – 2 Ss OWi 376/09 jetzt entschieden, dass bei einer Trunkenheitsfahrt das tatrichterliche Urteil das angewendete Messverfahren, also den zur Bestimmung der Atemalkoholkonzentration konkret verwendeten Gerätetyp, mitteilen muss, da diese Angabe erforderlich sei um zu überprüfen, ob überhaupt ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt worden ist.

So weit, so gut. Oder doch nicht. Denn: Das OLG widerspricht sich in der Entscheidung selbst, da es in seiner in zfs 2004, 536 veröffentlichten Entscheidung noch ausgeführt hatte, dass bei der Trunkenheitsfahrt die sonst auch bei einem standardisierten Messverfahren erforderliche Angabe der Messmethode nicht erforderlich ist. Das hat das OLG damals damit begründet, dass es (derzeit) nur ein Messverfahren zur Feststellung der Atemalkoholkonzentration gibt. Das sieht das OLG jetzt offenbar anders, ohne jedoch die Änderung seiner Auffassung zu begründen. Übersehen?

Fehler des Gerichts gehen nicht zu Lasten des Angeklagten

Verwerfungsurteile nach § 329 Abs. 1 StPO sind „aufhebungsanfällig“, da die LG häufig den Begriff der genügenden Entschuldigung verkennen. Insoweit ist darauf zu achten, dass nicht nur in der Person des Betroffenen liegende Umstände sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung entschuldigen können (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 6. Aufl., 2009, Rn. 210 m.w.N.), sondern auch Versäumnisse, die im Einflussbereich der Justiz liegen. Deshalb kann das Versäumnis einer am Verfahren beteiligten Behörde, wie z.B. im Beschluss des OLG Braunschweig vom 03.09.2009 – Ss 79/09 die Nichtbeachtung der Verteidigungsanzeige des Verteidigers, der daraufhin nicht geladen worden war, nicht zu Lasten des Betroffenen gehen (vgl. schon OLG Hamm VRS 41, 64), wenn das dazu führt, dass der Angeklagte zu Hause bleibt.

Richtig.

2. OpferRRG: Achtung!! Schutzaltersgrenze heraufgesetzt

Zur Stärkung der Rechte von jugendlichen Opfern und Zeugen von Straftaten ist durch das 2. OpferRRG die sog. Schutzaltersgrenze in verschiedenen Vorschriften der StPO und des GVG von früher 16 auf nunmehr 18 Jahre heraufgesetzt worden. Das gilt für die §§ 58a Abs. 1, § 241a Abs. 1, § 247 Satz 2, § 255 Abs. 2 StPO; § 172 GVG). Diese Grenze wird nach Auffassung des Gesetzgebers der altersspezifischen Belastungssituation besser gerecht. Sie entspricht zudem der Schutzaltersgrenze, die zahlreichen internationalen Abkommen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zugrunde liegt.

Zulässig? Sog. Vorworte der mündlichen Urteilsbegründung im Internet

Erstaunen macht sich breit, wenn man den Aufsatz von RA Thielmann, Wuppertal, im StV 2009, 607 unter dem Titel „Die im Urteil integrierte Presseerklärung – Zu Form und Inhalt der sog. Vorworte des Staatsschutzsenates des OLG Düsseldorf in Islamistenverfahren“ liest. In der Sache geht es im die Übung des 6. Staatsschutzsenates, in sog. Terroristenprozessen am Tag der Urteilsverkündung ein „Vorwort, bei dem es sich um den ersten Teil der mündlichen Urteilsbegründung handelt zu verlesen und vor allem im Internet zu veröffentlichen.

Höchst interessant, was der Kollege dazu meint und vor allem, was man in den Vorworten so lesen konnte. Dies ist im  Abdall-Verfahren und im Al Tawhid-Verfahren so geschehen, für den Al-Quida-Prozess und für das Kofferbombenverfahren sind die Vorworte auf der Homepage des OLG Düsseldorf noch abbrufbar.

Ich will hier gar nicht dem Terror nach dem Mund reden. Darum geht es m.E. aber auch gar nicht. Sondern um die Frage: Ist das eigentlich zulässig (m.E. höchst fraglich)? Nach dem Lesen des Beitrags des Kollegen Thielmann bleibt nicht nur ein schaler Nachgeschmack, sondern auch eine Frage offen. Wie geht die Verteidigung mit diesen Dingen im Hinblick auf die §§ 24 ff. StPO um? Die Besorgnis der Befangenheit wird man nach dem Inhalt und den Formulierungen m.E. wohl kaum ausschließen können.

BGH: Säge mir doch nicht den Ast ab, auf dem ich sitze, oder: Verständigung schließt Rechtsmittel nicht aus

Etwas versteckt am Ende einer Entscheidung, die eine andere, zwar auch interessante Problematik zu § 231c StPO behandelt, findet sich in dem BGH-Beschl. v. 06.08.2009, 3 StR 547/08 ein Hinweis, der für das Verhätnis der neuen Regelungen zur Absprache/Verständigung (§ 257c StPO) zum allgemeinen Rechtsmittelrecht von Bedeutung ist. Der BGH führt aus:

„Die Rüge scheitert zuletzt auch nicht daran, dass der Angeklagte am 42. Hauptverhandlungstag im Anschluss  an eine Höchststrafenzusage der Strafkammer den Tatvorwurf eingeräumt hat. Die Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels und zur Erhebung von Verfahrensrügen bleibt dem Angeklagten uneingeschränkt erhalten, auch wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist. Dies folgt aus dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I 2353), das – entgegen früheren Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren  (vgl. § 337 Abs. 3 StPO-Diskussionsentwurf BMJ, Stand: 22. März 2006; ebenso Gesetzesantrag Niedersachsen BR Drucks. 235/06) – nach einer solchen Verfahrensbeendigung keine Einschränkungen hinsichtlich der Rechtsmittelbefugnis vorsieht .“

Also: Unzulässig ist nach § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO (nur) der Rechtsmittelverzicht in einer Absprache. Darüber hinaus können aber auch gegen ein auf einer Verständigung beruhendes Urteil die allgemeinen Rechtsmittel (Revision oder Berufung) eingelegt werden. Nur: Wer wird das tun? 🙂

Zur Absprache siehe auch den Überblick bei Burhoff, Auch im Verkehrsrecht Gesetzliche Neuregelungen durch Abspracheregelung und 2. OpferRRG haben Auswirkungen und das E-Book Burhoff/Stephan: Gesetzliche Neuregelungen der StPO 2009.