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Zustellung an Hl. Abend, oder: Die vorweihnachtliche Briefkastenkontrolle – und was ist Silvester?

entnommen wikimedia.org Urheber: Sarang

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Durch ein Posting bei Rechtslupe (vgl. hier) bin ich auf den BFH, Beschl. v. 07.02.2013 – VIII R 2/09 – aufmerksam geworden, in dem der BFH-Senat dem Großen Senat des BFH eine „Zustellungsfrage“ zur Beantwortung vorgelegt hat, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Das FG-Urteil ist dem Prozessvertreter der Kläger, der in Sozietät mit zwei weiteren Rechtsanwälten tätig war, durch Zustellungsurkunde zugestellt worden. Auf der Zustellungsurkunde ist als Tag der Zustellung Mittwoch, der 24. Dezember 2008, nicht aber die Uhrzeit der Zustellung vermerkt. Die Revision der Kläger ging beim Bundesfinanzhof (BFH) am Dienstag, den 27. Januar 2009 ein. Nachdem die Geschäftsstelle des Senats auf den verspäteten Eingang der Revision hingewiesen hatte, haben die Kläger mit Schriftsatz vom 28. Januar 2009 der Annahme einer Fristversäumnis widersprochen und zugleich (hilfsweise) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung tragen sie vor, das Urteil sei ihrem Prozessbevollmächtigten erst am 29. Dezember 2008 zugegangen. Die Kanzlei sei vom 24. bis 28. Dezember 2008 nicht besetzt gewesen. Die Fachangestellte B des Prozessbevollmächtigten habe die Sendung erst am 29. Dezember 2008 im Kanzleibriefkasten vorgefunden. Auf dem Briefumschlag, in dem sich das Urteil befunden habe, fehle die Angabe des Tags der Zustellung. Im Übrigen komme es für den Fristbeginn auf den Tag an, an dem ihr Prozessbevollmächtigter das zuzustellende Urteil in die Hand bekommen habe. Dies sei der 29. Dezember 2008 gewesen. Danach sei die Revision rechtzeitig eingelegt worden. Hilfsweise sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; ein möglicher Fehler der Frau B bei der Fristberechnung sei den Klägern nicht zurechenbar.

Dem BFH-Senat ging es um die Beantwortung folgender Frage:

Ist im Fall einer zulässigen Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten, die gegen zwingende Zustellungsvorschriften verstößt, weil der Zusteller entgegen § 180 Satz 3 ZPO auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung nicht vermerkt hat, das zuzustellende Schriftstück i.S. von § 189 ZPO bereits in dem Zeitpunkt dem Empfänger tatsächlich zugegangen und gilt deshalb als zugestellt, in dem nach dem gewöhnlichen Geschehensablauf mit einer Entnahme des Schriftstücks aus dem Briefkasten und der Kenntnisnahme gerechnet werden kann, auch wenn der Empfänger das Schriftstück erst später in die Hand bekommt?“

In der Begründung führt der BFH dann u.a. aus, dass bei einer Rechtsanwaltskanzlei die Möglichkeit der Kenntnisnahme erwartet werden, wenn das zuzustellende Schriftstück am Vormittag des Heiligabends in den Briefkasten eingeworfen wird und wenn dieser Tag ein Werktag ist. Dazu:

(2) Nach den dargestellten Maßstäben würde das FG-Urteil gemäß § 189 ZPO als am 24. Dezember 2008 zugestellt gelten. An diesem Tag ist es unstreitig in den Briefkasten des Prozessbevollmächtigten eingelegt und dadurch derart in dessen Machtbereich gelangt, dass er jederzeit von seinem Inhalt Kenntnis nehmen konnte. Mit der tatsächlichen Kenntnisnahme konnte auch am 24. Dezember 2008 noch gerechnet werden, denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Umschlag bereits am Vormittag in den Briefkasten eingelegt worden.

(a) Der 24. Dezember (Heiligabend) ist ein Werktag, an dem üblicherweise gearbeitet wird. Nach der Verkehrsanschauung kann deshalb am 24. Dezember bis zur Mittagszeit damit gerechnet werden, dass ein in den Briefkasten einer Anwaltskanzlei gelangtes Schriftstück noch zur Kenntnis genommen wird (vgl. BGH-Urteil vom 5. Dezember 2007 XII ZR 148/05, NJW 2008, 843, zum Zugang von Willenserklärungen am Nachmittag des 31. Dezember in Bürobetrieben). Auf eine abweichende individuelle betriebliche Übung kann es im Interesse der Klarheit der Fristenberechnung nicht ankommen.“

Der Große Senat hat noch nicht entschieden, die Sache ist dort unter GrS 2/13 anhängig (vgl. hier).

An Silvester – also am 31.12. – kann es dann aber anders sein. Dazu das BGH, Urt. v. 05. 12..2007 – XII ZR 148/05  mit dem Leitsatz:

„Wird ein Schriftstück erst am 31. Dezember nachmittags in den Briefkasten eines Bürobetriebes geworfen, in dem branchenüblich Silvester nachmittags – auch wenn dieser Tag auf einen Werktag fällt – nicht mehr gearbeitet wird, so geht es erst am nächsten Werktag zu.“

Nun, welche Rechtsanwaltskanzlei arbeitet (!!!!!!!!!) schon am Nachmittag des 31.12.? 🙂 :-DFazit: Morgen noch mal nachschauen, am Silvester hat man es dann ruhiger…..

Zustellungsfragen – gerade auch im OWi-Verfahren von Bedeutung

Ob der Bußgeldbescheid wirksam zugestellt worden ist, ist im Hinblick auf die verjährungsunterbrechende Wirkung der Zustellung (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 (OWiG) von erheblicher Bedeutung. Gerade an der Stelle setzt ja auch die Diskussion um den sog. „Vollmachtsverweigerer“ bzw. der Hinweis an, als Verteidiger eben keine schriftliche Vollmacht vorzulegen. Um die Frage geht es im AG Karlsruhe, Beschl. v. 23.08.2013 – 14 OWi 430 Js 13775/13 nicht – obwohl: Der Verteidiger hatte eine Vollmacht nicht vorgelegt :-).

Im Verfahren war dem Betroffenen der Bußgeldbescheid im Wege der Ersatzzustellung zugestellt worden. Und die war im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH nicht wirksam, denn:

„Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Urteil vom 16.06.2011 – III ZR 342/09 – genügt es nämlich für die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach § 178 bis 181 ZPO nicht, dass der Adressat in zurechenbarer Weise den Rechtsschein geschaffen hat, unter der Zustellanschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume zu nutzen. Insbesondere reicht nicht, dass er nach Aufgabe der Wohnung oder der Geschäftsräume ein Schild mit seinem Namen an dem Briefeinwurf belässt. Dass dem Betroffenen vorliegend doloses Verhalten anzulasten wäre, ist weder aus dem Akteninhalt noch aus sonstigen Umständen ersichtlich. Weil mithin nach dem Erlass des Bußgeldbescheides dieser nicht binnen zwei Wochen zugestellt worden war, ist die Verfolgungsverjährung eingetreten.

 

 

Auf der Flucht? – Dann gibt es keine Wiedereinsetzung…

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Nach § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO wird Beschuldigten, wenn seinem Wahlverteidiger nach § 145a Abs. 1 StPO eine Entscheidung zugestellt worden ist, weil sich dessen Vollmacht bei den Akten befindet, der Beschuldigte von der Zustellung unterrichtet; zugleich erhält er formlos eine Abschrift der Entscheidung. Das gebietet die prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts. Das Unterlassen dieser Pflicht und eine darauf beruhende Fristversäumung kann die Wiedereinsetzung (§§ 44, 45 StPO) begründen.

Frage: Was ist, wenn der Angeklagte/Beschuldigte flüchtig ist und damit dem Gericht die Erfüllung dieser Pflicht unmöglich macht? Kann er sich dann, wenn er eine Frist versäumt, zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags auf einen Verstoß gegen § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO berufen? Als Antwort schießt einem da sofort ein Nein und eine Parallele zum „venire contra factum proprium“ durch den Kopf. Und so ähnlich hat auch der KG, Beschl. v. 22.02.2013 – (4) 161 Ss 38/13 (41/13) – die Problematik gelöst, wenn es dort heißt:

„Die erst am 29. August 2012 eingelegte Revision war gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen, weil sie verspätet ist. Das angefochtene Urteil ist dem Verteidiger am 27. Juli 2012 wirksam (§ 145a Abs. 1 StPO) zugestellt worden. Das Fehlen einer Unterrichtung des Angeklagten und einer formlosen Übersendung einer Urteilsabschrift an ihn gemäß § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO böte angesichts dessen, dass er aus der Jugendstrafanstalt flüchtig und unbekannten Aufenthalts war, im Übrigen keinen Anlass für eine Wiedereinsetzung (vgl. BGH NStZ 2010, 584, 585). Denn die in § 145a Abs. 3 StPO vorgesehene Benachrichtigung des Betroffenen von der Zustellung an seinen Verteidiger ist Ausdruck der prozessualen Fürsorgepflicht, die dem Gericht gegenüber dem Angeklagten obliegt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 55. Aufl., § 145a Rn. 13). Wenn ein Angeklagter dem Gericht die Erfüllung dieser Pflicht unmöglich macht, kann er ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht auf die fehlende Benachrichtigung stützen (vgl. KG, Beschluss vom  26. September 2001 – 5 Ws (B) 609/01 – [juris]).“

Im Übrigen: Selbst wenn das KG anderer Auffassung gewesen wäre, wäre dem Angeklagten keine Wiedereinsetzung gewährt worden. Sein Antrag war nämlich (mal wieder) nciht ausreichend begründet/glaubhaft gemacht.

Olle Kamelle: (Nur) ab in den Urlaub – aber keine Wiedereinsetzung? Das BVerfG richtet es

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Bei manchen (Rechts)Fragen denkt man, dass die doch längst entschieden sind und es an der Stelle keine Probleme geben dürfte, zumal, wenn auch das BVerfG sich dazu schon geäußert hat. So sollte es m.E. mit der Frage sein, welche Vorkehrungen eigentlich ein Beschuldigter/Betroffener treffen muss, der sich in Urlaub begibt. Muss er sicher stellen, dass er erreichbar ist bzw. Zustellungen ihn erreichen und was ist, wenn er es nicht tut? Bekommt er Wiedereinsetzung?

Mit dieser m.E. ausgekauten Frage musste sich jetzt das BVerfG noch einmal befassen. Da war der Angeklagte drei Wochen in Urlaub, in der Zeit wird ein Strafbefehl zugestellt, die Einspruchsfrist wird urlaubsbedingt versäumt. AG und LG München verweigern die Wiedereinsetzung. Der BVerfG, Beschl. v. 18.10.2012 – 2 BvR 2776/10 – richtet es dann. Und wenn man sieht, auf welche Entscheidungen das BVerfG verweist, kann man wirklich sagen: Olle Kamelle ;-). Da heißt es:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf es dem Bürger nicht als ein die Wiedereinsetzung ausschließender Umstand zugerechnet werden, wenn er wegen einer nur vorübergehenden Abwesenheit von seiner ständigen Wohnung keine besonderen Vorkehrungen wegen der möglichen Zustellung eines Bußgeldbescheids oder Strafbefehls getroffen hat (vgl. BVerfGE 37, 100 <102>; 40, 88 <91 f.>; 40, 182 <186>; 41, 332 <335>). Es kommt nicht darauf an, ob die urlaubsbedingte Abwesenheit – wie hier – in die „allgemeine Ferienzeit“ oder eine sonstige Jahreszeit fällt. Entscheidend ist allein, dass die Abwesenheit eine nur vorübergehende und relativ kurzfristige – längstens etwa sechs Wochen – von einer sonst ständig benutzten Wohnung ist (vgl. BVerfGE 40, 182 <186>; 41, 332 <336>). Das gilt auch dann, wenn er weiß, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, oder er als Beschuldigter oder Betroffener vernommen wurde (vgl. BVerfGE 25, 158 <166>; 34, 154 <156 f.>).

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Gerichte im Wiedereinsetzungsverfahren haben die Anforderungen an die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ersichtlich überspannt und dem Beschwerdeführer dadurch den ersten Zugang zum Gericht verwehrt.

aa) Sie beruhen auf der Annahme einer Obliegenheit, bereits bei einer vorübergehenden urlaubsbedingten Abwesenheit von nur etwa drei Wochen besondere Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen. Dies widerspricht den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben.

bb) Der Umstand, dass der Beschwerdeführer als Beschuldigter vernommen worden war und ihm der Tatvorwurf sowie die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekannt gegeben wurden, führt – entgegen der Auffassung des Landgerichts – zu keiner anderen Bewertung, zumal seit der Feststellung der Tat und der Anhörung des Betroffenen am 26. August 2009 bis zur Zustellung des Strafbefehls am 15. Juli 2010 fast ein Jahr vergangen war und daher für den Beschwerdeführer keine besondere Veranlassung bestand, die Zustellung eines Strafbefehls während der allgemeinen Urlaubszeit in Betracht zu ziehen.

Vollmacht und Zustellung – eine unendliche Geschichte

Es ist wirklich eine unendliche Geschichte, das Zusammenspiel von Vollmacht und Zustellung. Und wie sich der Verteidiger bevollmächtigen lässt, kann erhebliche Auswirkungen haben – lassen wir mal die Frage der Vollmachtsvorlage außen vor.

Ich plädiere dafür auch bei einer Kanzel/Sozietät, die aus mehreren Rechtsanwälten besteht, die Vollmacht nur auf den auszustellen, der auch verteidigen soll. Dann kann/muss auch nur der zum Termin geladen werden – auf ihn kommt es auch nur für Verlegungen an. Und: Nur an ihn kann dann auch wirksam zugestellt werden.

Das hatte offenbar der Kollege übersehen, mit dessen Bevollmächtigung sich der OLG Hamm, Beschl. v. 27.02.2012 – III 3 RBs 386/11 auseinander setzt. Nur in einem Zusatz, aber immerhin. Da heißt es:

Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Zustellung eines Bußgeldbescheides wirksam und mit verjährungsunterbrechender Wirkung (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG) an eine Anwaltssozietät als solche adressiert werden kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits geklärt. Hat der Betroffene eine alle Rechtsanwälte einer aus mehr als drei Rechtsanwälten bestehenden Anwaltssozietät erfassende Verteidigervollmacht unterzeichnet – eine derartige Vollmacht liegt auch vor, wenn im Vollmachtsrubrum nicht alle Rechtsanwälte namentlich genannt sind, sondern nur die Kanzlei- bzw. Sozietätsbezeichnung als solche aufgeführt ist – und haben sich höchstens drei dieser Anwälte (vgl. § 46 Abs. 1 OWiG, § 137 Abs. 1 Satz 2 StPO) im Verfahren zum Verteidiger bestellt, können Zustellungen nach §§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 145a Abs. 1 StPO wirksam und mit verjährungsunterbrechender Wirkung an die Anwaltskanzlei bzw. –sozietät als solche adressiert werden (vgl. OLG Hamm, MDR 1980, 513; OLG Köln, Beschluss vom 22. Mai 2003 – Ss 169/03 – <juris>; OLG Stuttgart, Beschluss vom 30. Januar 2002 – 4b Ss 431/01 – <juris>). Dies gilt erst recht, wenn – wie im vorliegenden Falle – die im Rubrum der Vollmachtsurkunde genannte Anwaltssozietät aus lediglich drei Rechtsanwälten besteht und sich lediglich einer der Anwälte im Verfahren zum Verteidiger bestellt hat. Die abweichende Auffassung des Amtsgerichts Stadthagen (BeckRS 2009, 06724), das sich in seiner Entscheidung mit den oben zitierten oberlandesgerichtlichen Beschlüssen nicht auseinandergesetzt hat, ist kein Grund, die Rechtsbeschwerde zuzulassen

Die im vorliegenden Verfahren erfolgte Adressierung des Bußgeldbescheides an die „Anwaltskanzlei A Partner“ begegnet nach dem oben Gesagten keinen Bedenken.“