Und als dritte Entscheidung des Tages habe ich dann noch den AG Singen, Beschl. v. 10.10.2025 – 5 Cs 50 Js 14422/22 jug. – zur wirksamen Zustellung – eines Strafbefehls – bei einem Angeklagten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Das ist eine Frage, die ja immer wieder eine Rolle spielt.
Das AG ist von einer nicht wirksam Zustellung ausgegangen. Der Angeklagte war gambischer Staatsangehöriger. Seine Muttersprache war Englisch. Gegen ihn hat das AG einen Strafbefehl erlassen, der ihm zugestellt wurde, ohne dass eine Übersetzung des Strafbefehls angefertigt und zugestellt worden war.
Der Angeklagte hatte im Jahr 2022 einen Sprachkurs der Stufe A 1 besucht . Diesen schloss er nicht erfolgreich ab. Bei der Testung am Ende des Sprachkurses erzielte der Angeklagte ein Ergebnis von 6 %, war also deutlich nicht in der Lage vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze in deutscher Sprache zu verstehen und zu verwenden, die auf die Befriedigung konkrete Bedürfnisse abzielen. Unter wurde vermerkt, der Angeklagte sei Analphabet und der Meinung, dass er nicht schreiben und lesen lernen könne. Eine Legasthenie stand im Raum.
Die Verteidigerin des Angeklagten hat in dessen Namen Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das AG hat die Unwirksamkeit der Zustellung festgestellt:
„Die Zustellung ist unwirksam. Die Vorgaben des § 37 Abs. 3 S. 1 StPO wurden nicht eingehalten. Diese gelten sowohl für Urteile als auch für Strafbefehle (BeckOK StPO/Larcher § 37 Rn. 45 ff. mwN). Die Vorschrift ist europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass die Zustellung von Strafbefehlen nur wirksam ist, wenn der des Deutschen nicht mächtige Angeklagte eine Übersetzung in seiner Landessprache erhält.
Nach dem Urteil des EuGH vom 12.10.2017 in der Rechtssache C 278/16 (Sleutjes) ist Artikel 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren dahin auszulegen, dass ein Rechtsakt wie ein im nationalen Recht vorgesehener Strafbefehl zur Sanktionierung von minder schweren Straftaten, der von einem Richter nach einem vereinfachten, nicht kontradiktorischen Verfahren erlassen wird, eine „wesentliche Unterlage“ im Sinne des Absatzes 1 dieses Artikels darstellt, von der verdächtige oder beschuldigte Personen, die die Sprache des betreffenden Verfahrens nicht verstehen, gemäß den von dieser Bestimmung aufgestellten Formerfordernissen eine schriftliche Übersetzung erhalten müssen, um zu gewährleisten, dass sie imstande sind, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen, um so ein faires Verfahren zu gewährleisten (AG Syke, Beschluss vom 20. Dezember 2018 – 7 Cs 408 Js 52322/17 (149/18) –, juris Rn. 2).
Ob der Angeklagte die deutsche Sprache spricht, ist im Freibeweisverfahren festzustellen, nachdem es sich um eine prozessuale Tatsache handelt. Der Angeklagte spricht kein Deutsch und ist nicht in der Lage, schriftlich in deutscher Sprache zu kommunizieren. Aus As. 63 f. im Verfahren 5 Cs 25 Js 8193/22 jug. wird ersichtlich, dass er sich jedes Mal dann, wenn der Angeklagte mit den Strafverfolgungsbehörden schriftlich kommunizierte, der Hilfe Dritter bedient hat. Er selbst hat die an die Strafvollzugsbehörde gerichteten Schreiben nicht verfasst. Dazu war er angesichts seiner nicht einmal dem Grad A1 entsprechenden Sprachkenntnisse nicht in der Lage. Dementsprechend hätte der Strafbefehl durch einen Dolmetscher gemäß § 187 Abs. 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes übersetzt werden müssen.
Dies führt nach zutreffender ganz herrschender Auffassung zur Unwirksamkeit der Zustellung. Gegenteilige Auffassung wurden durch die Landgerichte Ravensburg (BeckRS 2015, 10958) und Stuttgart (BeckRS 2016, 18857) bisher nur vor der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs vertreten. Dementgegen erachtete das Oberlandesgericht Karlsruhe bereits vor Entscheidung des europäischen Gerichtshofs eine Zustellung ohne Beifügung der Übersetzung für unwirksam (BeckRS 2017, 102231). Dem haben sich nach Entscheidung des europäischen Gerichtshofs alle veröffentlichten Entscheidungen angeschlossen (LG Heilbronn BeckRS 2020, 56063; LG Stade BeckRS 2020, 36784; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 17408; LG Aachen BeckRS 2017, 142962; vgl. auch BGH NJW 2020, 2041 Rn. 8). Auch in der Literatur wird soweit ersichtlich keine abweichende Auffassung (mehr) vertreten.“