In die neue Woche starte ich mit zwei Entscheidungen aus dem BtM-Bereich. Ich beginne mit BGH, Urt. v. 04.12.2024 – 5 StR 442/24 – zum bewaffneten Handeltreiben.
Das LG hat den Anegklagten wegen Handel mit BtM in nicht geringer Menge verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte gemeinsam mit fünf weiteren Personen von Mai bis August 2023 im Rahmen einer „organisierten Arbeitsstruktur“ über mehrere Monate in erheblichem Umfang Handel mit Kokain. Am 29.10.2023 wurde der Angeklagte in der „Deal-Wohnung“ festgenommen, wobei 1.050 EUR in seiner Hosentasche sichergestellt wurden. In der Küche befanden sich in einer Schublade, auf der Arbeitsplatte und in einem Hohlraum der Wand zum Wohnzimmer knapp 70 Gramm Kokain mit einer Wirkstoffmenge von etwa 63 Gramm zum gewinnbringenden Weiterverkauf. In der Küche lagen griffbereit ein funktionsfähiges Elektroschockgerät, das dem Aussehen nach einer Taschenlampe glich, und eine geladene Schreckschusspistole, der eine nicht ohne weiteres behebbare Funktionsstörung beim Entsichern anhaftete. Im Schlafzimmer, das hinter dem vom Flur abgehenden Wohnzimmer gelegen war, befanden sich in einer offenen Kommode neben dem Bett ein Einhandmesser und eine im Originalkarton verpackte Schreckschusspistole zusammen mit vier Kartuschen.
Die dagegen eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg:
„2. Soweit das Landgericht von einer Verurteilung des Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG abgesehen hat, weist das Urteil Rechtsfehler auf.
a) Den zutreffenden Maßstab vorangestellt hat es seine Wertung wie folgt begründet: Zwar seien die in der offenen Küche gelagerte Schreckschusspistole und das äußerlich einer Taschenlampe gleichende Elektroschockgerät bei den regelmäßig im angrenzenden Wohnungsflur stattfindenden Drogengeschäften griffbereit gewesen. Die Schreckschusspistole sei aber wegen der Funktionsstörung beim Entsichern nicht gebrauchsbereit gewesen; das Elektroschockgerät habe der Angeklagte angesichts des äußerlichen Anscheins einer Taschenlampe nicht als solches erkannt. Die Schreckschusspistole im Schlafzimmer sei nicht in Griffweite gewesen, weil die Entfernung zum Aufbewahrungsort des Kokains „zu groß“ gewesen sei und die Waffe noch ausgepackt und geladen hätte werden müssen. Hinsichtlich des im Schlafzimmer liegenden Einhandmessers fehle es an einem „erkennbaren Zusammenhang“ mit den Betäubungsmittelgeschäften, weil dem Angeklagten „nahe dem regelmäßigen Ort der Portionierung und des Verkaufs des Kokains ebenso ein Küchenmesser“ zur Verfügung gestanden habe. Der Einsatz des Einhandmessers liege daher „besonders fern“, was das „Bewusstsein der Verfügbarkeit dieser Waffe fraglich erscheinen“ lasse.
b) Die Verneinung eines bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
aa) Bewaffnetes Handeltreiben im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt voraus, dass der Täter die Waffe derart bewusst in einer Weise verfügungsbereit hält, die ihm beim Umgang mit den Betäubungsmitteln einen Einsatz ohne nennenswerten Zeitaufwand erlaubt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2020 – 3 StR 433/19, NStZ 2020, 554). Am Körper muss er sie hierfür nicht zwingend tragen. Es genügt vielmehr, dass sie sich so in der räumlichen Nähe des Täters befindet, dass er sich ihrer jederzeit – also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten – bedienen kann. Dies kann auch der Fall sein, wenn die Betäubungsmittel und die Schusswaffe oder der sonstige (gefährliche) Gegenstand innerhalb derselben Wohnung in unterschiedlichen Räumen aufbewahrt werden. Das Tatgericht muss in einer solchen Konstellation die konkreten Umstände des Einzelfalls in der Weise darlegen, dass dem Revisionsgericht die Nachprüfung möglich ist, ob der Täter den Gegenstand tatsächlich jederzeit verwenden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 5 StR 111/20, NStZ 2020, 555 f.).
bb) Die Schreckschusspistolen und das Einhandmesser betreffend wird das Urteil diesen Anforderungen nicht gerecht.
(1) Hinsichtlich der im Schlafzimmer verwahrten Gegenstände hat das Landgericht zwar sowohl deren Aufbewahrungsort als auch den der Betäubungsmittel und die räumlichen Verhältnisse in den Urteilsgründen beschrieben. Seine Wertung, die Entfernung von dem Aufbewahrungsort des Kokains in der Küche zu der Schreckschusspistole und dem Einhandmesser im Schlafzimmer sei „zu groß“ gewesen, ist aber nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Zum einen steht dies in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis zu der an anderer Stelle getroffenen Feststellung, es habe sich bei dem Tatort um eine „kleine Wohnung“ gehandelt. Zum anderen hat das Landgericht außer Betracht gelassen, dass die Betäubungsmittelgeschäfte regelmäßig im Flur der Wohnung abgewickelt wurden. Soweit sich das Landgericht hinsichtlich der Schreckschusspistole zusätzlich darauf gestützt hat, dass die Waffe ungeladen und verpackt gewesen sei, fehlt es an der weiteren zur rechtlichen Beurteilung erforderlichen Beschreibung der „Originalverpackung“. Angesichts der insoweit defizitären Feststellungen kann der Senat nicht überprüfen, ob der Angeklagte sich der im Schlafzimmer verwahrten Gegenstände tatsächlich nur mit einem „nennenswerten Zeitaufwand“ hätte bedienen können (vgl. BGH, aaO, 556). Die vom Landgericht herangezogene Entscheidung (BGH, Urteil vom 21. März 2000 – 1 StR 441/99, NStZ 2000, 433) besagt nichts anderes. Vielmehr ist das Tatgericht auch danach in einer Konstellation wie der hier vorliegenden verpflichtet, lückenlose Feststellungen zu treffen.
(2) Hinsichtlich der in der Küche verwahrten Schreckschusspistole hat das Landgericht zwar die Funktionsstörungen beim Entsichern unter Hinweis auf die waffentechnische Untersuchung durch einen Sachverständigen genau beschrieben. Es hat aber – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat – nicht dargestellt, ob die Schreckschusspistole bei ihrer polizeilichen Sicherstellung in der „Deal-Wohnung“ ge- oder entsichert war. Darauf kommt es hier indes entscheidend an; der Umstand hätte daher in den Urteilsgründen dargelegt werden müssen.
cc) Soweit das Landgericht das Bewusstsein des Angeklagten von der Verfügbarkeit des Einhandmessers verneint und ihm einen Irrtum hinsichtlich des Elektroschockgeräts zugutegehalten hat, hält die Beweiswürdigung der rechtlichen Nachprüfung – auch eingedenk des eingeschränkten Prüfungsmaßstabes (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2020 – 3 StR 288/19 Rn. 19) – nicht stand.
(1) Das Landgericht hat das fehlende Bewusstsein des Angeklagten von der Verfügbarkeit des Messers damit begründet, dass dessen Einsatz angesichts der in der Küche vorhandenen Küchenmesser „besonders fernliege“. Damit hat es die Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt. Denn den Willen des Täters, den gefährlichen Gegenstand einzusetzen, setzt der subjektive Tatbestand des Mitsichführens im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 StGB gerade nicht voraus (vgl. BGH, Urteile vom 28. Februar 1997 – 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 14; vom 21. März 2000 – 1 StR 441/99; vom 22. August 2012 – 2 StR 235/12, NStZ-RR 2013, 150, 151). Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Denn das Landgericht hat nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte die „Deal-Wohnung“ bewohnte, was seine Kenntnis von dem offen in einer Kommode im Schlafzimmer liegenden Messer nahelegt. Zudem hat er in seiner Einlassung angegeben, dass dieses schon bei seinem Einzug in die Wohnung vorhanden gewesen sei.
(2) Hinsichtlich des Elektroschockgerätes hat sich das Landgericht nicht vom dahingehenden Vorsatz des Angeklagten überzeugen können, dass es sich bei dem äußerlich einer Taschenlampe gleichenden Gegenstand um ein solches gehandelt habe. Dies habe sich beim bloßen Anblick des Gegenstandes nicht aufgedrängt; denn „immerhin“ habe eine bei der Durchsuchung beteiligte Polizistin ihn nicht als solchen erkannt und daher bei dessen Sicherstellung einen Stromschlag erlitten. Das Landgericht hat insofern aber nicht ersichtlich bedacht, dass der Angeklagte mehrere Monate in der Wohnung seines Onkels lebte und er daher naheliegend über weitergehende Kenntnisse über die tatsächliche Funktion des Gegenstandes als den bloßen äußeren Anschein verfügte. Soweit das Landgericht der von seinem Verteidiger verlesenen Einlassung des Angeklagten, wonach er „die Taschenlampe (Elektroimpulsgerät)“ bei seinem Einzug vorgefunden habe, insoweit Beweiswert abgesprochen hat, weil zu berücksichtigen sei, dass die Einlassung die „Funktion als Erwiderung auf die Anklageschrift“ hatte und daher „auch im Hinblick auf den möglichen Einfluss der mangelnden Deutschkenntnisse des Angeklagten“ nicht den Schluss auf dessen Kenntnis von der tatsächlichen Eigenschaft des äußerlich einer Taschenlampe gleichenden Gegenstandes zuließe, hat es überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt. Denn das Tatgericht darf keine Umstände als entlastend heranziehen, für die es keine tatsächliche Grundlage gibt. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidiger die schriftlich vorbereitete Einlassung nicht sorgsam mit dem Angeklagten vorbereitet oder der für die Kommunikation zwischen diesen gegebenenfalls tätige Sprachmittler nicht sorgfältig gearbeitet haben könnte, sind aus den Urteilsgründen indes nicht ersichtlich.“