Zustellung I: Verjährungsunterbrechung?, oder: Wo man gemeldet ist, muss man nicht „wohnen“

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Nach dem gestrigen „Corona-Tag“ heute dann wieder das „normale Programm“. Ich stelle heute hier drei Entscheidungen zu Zustellungsfragen vor.

Ich beginne mit dem AG Landstuhl, Beschl. v. 05.05.2021 – 2 OWi 4211 Js 90/21. Ergangen ist der Beschluss im Bußgeldverfahren, in dem um die Unterbrechung der Verjährung durch Zustellung des Bußgeldbescheides gestritten worden ist.  Das AG hat eine wirksame Unterbrechnung abgelehnt und das Verfahren gegen den Betroffenen nach § 206a StPO eingestellt. Dabei geht es (noch einma) um den Begriff der Wohnung:

„Es besteht ein Verfahrenshindernis hinsichtlich des Betroffenen, § 206a StPO. Es ist Verfolgungsverjährung eingetreten. Denn der Erlass des Bußgeldbescheides vom 27.10.2020, der bis heute nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist, hat die durch die Anhörungsverfügung (20.8.2020) ausgelöste Unterbrechung der Verjährungsfrist von drei Monaten nicht erneut unterbrechen können. Zwar bedarf es für den Bußgeldbescheid an sich der Zustellung nicht. Nur diese kann jedoch die Einspruchsfrist auslösen bzw. die Verjährung unterbrechen (BeckOK OWiG/Sackreuther OWiG § 65 Rn. 11). Die Zustellung des Bußgeldbescheids erfolgte hier an die Meldeadresse des Betroffenen. Diese Meldeadresse kann jedoch nicht als Wohnung im Sinne der §§ 46 OWiG, 37 StPO fungieren.

Ob eine Wohnung am Übergabeort existiert, richtet sich nicht danach, ob jemand unter einer bestimmten Adresse polizeilich gemeldet ist (VG Mainz BeckRS 2011, 47522; dies ist ggf. nur ein Indiz), sondern entscheidend ist, ob der Zustellungsempfänger tatsächlich an der angegebenen Anschrift wohnt und dort schläft, d.h. eine Wohnung des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, i.S.d. Zustellvorschriften der §§ 178 ff. ZPO tatsächlich existiert und von dem Adressaten als Lebensmittelpunkt genutzt wird (BeckOK StPO/Larcher, § 37 Rn. 10 m.w.N.). D.h., dass er für eine gewisse Dauer dort lebt (LAG Köln LAGReport 2005, 160 Ls. 1). Eine „zustellfähige“ Wohnung kann aber nicht deshalb bejaht werden, weil die Räume z.B. als Kontaktadresse unterhalten werden, aber nicht Lebensmittelpunkt sind (OLG Düsseldorf OLGR Düsseldorf 2005, 648). Ob der Zustellungsempfänger tatsächlich am Zustellungsort im Zeitpunkt der Zustellung wohnhaft war, ist von Amts wegen zu berücksichtigen (OLG Karlsruhe BeckRS 2008, 19581 mwN).

Hier hat der Verteidiger von Beginn an und sogar noch innerhalb der Verjährungsunterbrechungsfrist mitgeteilt (Bl. 46 d.A.), dass der Betroffene nicht an der Meldeadresse wohnt und Zustellungen unter Vorlage einer dafür tauglichen Vollmacht an sich erbeten. Dem ist die Behörde aus nicht erklärlichen Gründen nicht nachgekommen. Der Betroffene ist Schausteller und dementsprechend im Bundesgebiet unterwegs. Dass er dies zum fraglichen Zeitpunkt wegen der Corona-Pandemie gerade nicht sein hätte können, kann das Gericht im Freibeweisverfahren nicht feststellen. Der fragliche Zeitraum Sommer/Herbst 2020 war gerade davon geprägt, dass kaum Einschränkungen gegeben waren.

Die eingeholte Stellungnahme der für den Betroffenen örtlich zuständigen Polizeiinspektion Ludwigslust / Parchim ergab exakt den Sachvortrag des Betroffenen (Bl. 124 d.A.). Die im Schreiben der Polizeibehörde genannte Rechtsansicht, der gewillkürte Wohnsitz stelle auch den räumlichen Lebensmittelpunkt des Betroffenen dar, ist lediglich eine Vermutung, die nicht auf tatsachenbasierten Erkenntnissen beruht. Auch der ergänzende Vortrag des Verteidigers zu zahlreichen Wiedereinsetzungsentscheidungen in anderen Verfahren, die gerade auf der Melde-/Wohnungsproblematik beruhen (Bl. 127 ff.), lässt den einfachen Rückschluss „Meldeadresse = Wohnung“ gerade nicht zu, sondern steht dem entgegen.

Dem Betroffenen ist auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen. Denn schon in Reaktion auf den Anhörungsbogen wurde der Behörde eine Zustellungsmöglichkeit angeboten. Dass sie diese nicht nutzt, kann dem Betroffenen nicht vorgehalten werden.

Eine Heilung durch Übersendung der Abschrift an den potentiellen Zustellungsbevollmächtigten, den Verteidiger, § 189 ZPO, ist vorliegend nicht eingetreten. Hier fehlt es schon am Zustellungswillen der Behörde. Dass sich dieser von der Zustellung an den Betroffenen auf andere potentielle Zustellungsberechtigte ohne gesonderte Willensbekundung oder -manifestation übertragen ließe, ist rechtlich weder geboten noch zulässig.

Dass der Betroffene selbst Kenntnis vom Inhalt des Bußgeldbescheids erhalten hat und damit eine Heilung eingetreten wäre, konnte das Gericht anhand der Akte nicht feststellen. Zudem ist der Betroffene unwidersprochen Analphabet, sodass auch diesbezüglich eine Kenntnisnahme des Inhalts des Bußgeldbescheids zumindest fraglich gewesen wäre.“

Und dann << Werbemodus an>>: Die Zustellungsfragen spielen – wie der Beschluss zeigt – eine (große) Rolle im Bußgeldverfahren. Daher: Sie sind (auch) in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OW-Verfahren, 6. Auflage, 2021, eingehend behandelt. Das Werk kann man hier bestellen <<Werbemodus aus>>.

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