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Befangenheit wegen „Vorbefassung“, oder: Das kann man vergessen…..

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Als zweite Entscheidung heute dann der BGH, Beschl. v. 19.04.2018 – 3 StR 23/18, der sich mal wieder mit der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit wegen sog. Vorbefassung befasst. Abgelehnt worden sind in diesem Fall die Mitglieder des zuständigen BGH-Revisionssenats, und zwar mit folgender Begründung: Der Angeklagte hat geltend gemacht, die drei abgelehnten Richter hätten bereits an einem vorangegangenen Revisionsverfahren mitgewirkt, in dem ein erstes Urteil vom BGH-Senat auf die Sachrüge der Angeklagten aufgehoben worden war. In dieser Entscheidung hätten sie die von der Revision der Angeklagten geltend gemachte Verfahrensrüge, mit der die Unverwertbarkeit polizeilicher Vernehmungen geltend gemacht worden war, vorläufig als unbegründet bewertet. Damit sei davon auszugehen, dass sie im nun anstehenden Verfahren, in dem diese Rüge erneut erhoben worden ist, nicht unparteiisch seien. Denn die in der vorläufigen Bewertung der Verfahrensrüge als unbegründet zum Ausdruck gekommene Ansicht des Senats sei nicht nur rechtlich falsch, sondern beinhalte eine Grundeinstellung zum Wert des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen, die die Angeklagte befürchten lasse, dass künftige Entscheidungen unter Beteiligung der abgelehnten Richter „maßgeblich in Dimensionen polizeitaktischer Praktikabilität angesiedelt“ seien und „ohne Berücksichtigung grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen gefällt werden“. Die Argumentation der Vorentscheidung verrate einen mangelnden Respekt des Senats vor einem Menschenrecht. Zudem dokumentiere „das Verhalten“ der abgelehnten Richter, dass sie aus Sicht der Angeklagte in ihrer Ansicht derart festgelegt seien, dass eine neutrale Würdigung der anstehenden Rechtsfrage von ihnen nicht erwartet werden könne.

Der BGH sieht das – wie zu erwarten – anders und hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen:

„Die Vorbefassung eines Richters als solche kann die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht begründen, so dass die nur auf diese Tatsache und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen gestützte Ablehnung ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig verworfen werden kann (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2009 – 3 StR 367/09, NStZ 2010, 401, 403). Auch eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Vorentscheidung rechtfertigt für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht. Es müssen vielmehr konkrete Umstände des Einzelfalls hinzutreten, welche die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermögen; diese über die Vorentscheidung hinausreichenden Umstände muss der Antragsteller in seinem Gesuch vortragen und glaubhaft machen. Anhaltspunkte für die Besorgnis der Befangenheit können in dem Verhalten des Richters oder in den Gründen der vorangegangenen Entscheidung gefunden werden (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2007 – 2 BvR 1674/06, NStZ-RR 2007, 275, 277).

b) Hieran gemessen ist das Befangenheitsgesuch der Revisionsführerin unzulässig und nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu verwerfen. Die Antragstellerin begründet ihr Ablehnungsgesuch ausschließlich mit der Vorbefassung der abgelehnten Richter an der vorangegangenen Revisionsentscheidung und der darin vertretenen Rechtsansicht. Da das – vom Verteidiger der Angeklagten in der damaligen Revisionshauptverhandlung angeregte – Vorgehen des Senats, in seinem Urteil vom 9. Februar 2017, mit dem er das vorangegangene Urteil des Landgerichts auf die Sachrüge hin aufgehoben und zu neuer Verhandlung zurückverwiesen hatte, im Hinblick auf das neu zur Entscheidung anstehende Verfahren eine vorläufige Einschätzung zur Verwertbarkeit der polizeilichen Vernehmung der Angeklagten abzugeben, prozessordnungsgemäß war, kann auf die Mitwirkung an dieser Entscheidung die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht gestützt werden. Auch die in dieser vorläufigen Einschätzung vertretene Rechtsauffassung als solche vermag – selbst wenn sie rechtsfehlerhaft wäre – eine solche nicht zu begründen.

Hieran ändert auch nichts, dass die Revisionsführerin die von den abgelehnten Richtern getroffene Entscheidung bzw. die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung als rechtlich völlig abwegig und willkürlich bewertet. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Besorgnis der Befangenheit auch daraus ergeben, dass die in der Vorentscheidung vertretene Auffassung eines Richters als willkürlich erscheint oder sich aus der Art und Weise der Begründung der früheren Entscheidung seine Voreingenommenheit ergibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2014 – 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372, 2373; vom 10. September 2002 – 1 StR 169/02, BGHSt 48, 4, 8; Urteil vom 12. November 2009 – 4 StR 275/09, NStZ 2010, 342). Dies bedeutet aber nicht, dass allein wegen der pauschalen Behauptung des Ablehnenden, die – an sich prozessordnungsgemäße – Vorentscheidung sei willkürlich oder mit einer abwegigen Rechtsauffassung begründet, die Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs als unzulässig versagt wäre. Da die mit der Tatsache der Vorbefassung notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen als solche keinen Grund für eine Richterablehnung bilden, kommt auch bei behaupteter Willkür der Anschein einer Voreingenommenheit nur in Betracht, wenn Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden, dass in der behaupteten willkürlichen Rechtsauffassung eine Befangenheit gegenüber dem Antragsteller zum Ausdruck kommt. Dies mag beim Vorwurf subjektiver Willkür oder dann der Fall sein, wenn Tatsachen vorliegen, die vom Standpunkt eines vernünftigen Ablehnenden den Schluss zulassen, der Richter offenbare mit seiner angeblich abwegigen oder willkürlichen Meinung die Absicht, gerade ihn in seinen Rechten zu beeinträchtigen. Nur in einem solchen Fall wäre der den Befangenheitsantrag bescheidende Richter gezwungen, durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO sich zum „Richter in eigener Sache“ zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. September 2007 – 2 BvR 2335/06 u.a., BVerfGK 12, 139 ff.).

Solches ist im Ablehnungsantrag indes nicht vorgetragen. Die Behauptung, die Entscheidung offenbare einen „verqueren Blick auf rechtsstaatliche Prinzipien“ und einen „nicht behebbaren Mangel an Respekt gegenüber einem Menschenrecht“ stellt lediglich eine allgemeine, nicht von Tatsachen getragene Wertung der Antragstellerin dar, die aus ihrer Sicht möglicherweise Zweifel an den Fähigkeiten oder allgemeinen Rechtsanschauungen der Richter aufkommen lassen, nicht aber in irgend einer Weise eine Voreingenommenheit ihr gegenüber offenbaren. …….“

Die Entscheidung zeigt mal wieder, dass Ablehnung des Richters wegen „Vorbefassung“ schwer ist und i.d.R. nur in Ausnahmefällen erfolgreich. Im Grunde genommen kann man sie „vergessen“. Und das gilt m.E. erst Recht – wohl auch zu Recht (?) -, wenn der Antragsteller selbst – wie hier – eine Stellungnahme des BGH zu einer Rechtsfrage angeregt hat. Kommt der BGH dieser Anregung nach, dann kann man m.E. später nicht auf die Stellungnahme, wenn sie der eigenen Auffassung nicht entspricht, einen Ablehnungsantrag stützen. Das kommt „venire contra factum proprium“ sehr nahe.

Ablehnung I: Vorbefassung, oder: Wenn der Richter in einem abgetrennten Verfahren auch tätig war…

entnommen openclipart.org

Heute sollen Ablehnungsfragen im Mittelpunkt der Postings stehen. Und ich eröffne mit dem BGH, Beschl. v. 10.01.2018 – 1 StR 571/17, über den ich schon einmal berichtet habe (vgl. BVV I: Raum-/Hintergrundgespräch bei der TKÜ, oder: Natürlich verwertbar). Heute dann also noch einmal, und zwar wegen der Ablehnungsproblematik.

Gerügt worden ist ein Verstoß gegen § 338 Nr. 3 StPO. Begründet worden war das Ablehnungsgesuch mit so.g „Vorbefassung“ der abgelehnten Richter in Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtMG. Das Verfahren war nämlich ursprünglich außer gegen den Angeklagten auch gegen zwei mittlerweile rechtskräftig Verurteilte geführt worden. Am dritten Hauptverhandlungstag (06.03.2017) war dieses Verfahren nach einem entsprechenden Antrag des Angeklagten gegen ihn abgetrennt und ausgesetzt worden. Das LG verurteilte anschließend unter Mitwirkung der beiden im hiesigen Verfahren abgelehnten Richter die im Ausgangsverfahren verbliebenen (damaligen) Angeklagten teils ausschließlich, teils auch wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mehreren Fällen. In dem Urteil vom 06.03.2017 sind einzelne von der Revision mitgeteilte Passagen enthalten, die sich auf die Rolle des hiesigen Angeklagten als Haupttäter im Hinblick auf die Strafbarkeit seiner früheren Mitangeklagten beziehen.

Der Angeklagte dringt mit seiner Verfahrensrüge nicht durch. Die scheitert nach Auffassung des BGH schon an nicht ausreichendem Vortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO):

„b) Die Revision trägt keine Tatsachen vor, bei deren Vorliegen die Besorgnis der Befangenheit gegen die die beiden abgelehnten Richter begründet wäre.

aa) Eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters, soweit sie nicht gesetzliche Ausschlussgründe erfüllt, ist regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters i.S.v. 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520 Rn. 19 und vom 8. Mai 2014 – 1 StR 726/14, NJW 2014, 2372, 2373 Rn. 12 jeweils mwN). Das gilt auch dann, wenn Verfahren gegen einzelne Angeklagte zur Verfahrensbeschleunigung abgetrennt werden und in dem abgetrennten Verfahren ein Schuldspruch ergeht, zu dem sich das Gericht im Ursprungsverfahren gegen den oder die früheren Angeklagten später ebenfalls noch eine Überzeugung zu bilden hat (BGH, Urteile vom 29. Juni 2006 – 5 StR 485/05, NJW 2006, 2864, 2866 Rn. 20 und vom 30. Juni 2010 – 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46 Rn. 23 f.; Beschluss vom 10. Januar 2012 – 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520 Rn. 20; siehe auch Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 221).

Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. Dies wird etwa angenommen, wenn Äußerungen in früheren Urteilen unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über einen der jetzigen Angeklagten enthalten oder wenn ein Richter sich bei seiner Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520 f. Rn. 20 und vom 8. Mai 2014 – 1 StR 726/14, NJW 2014, 2372, 2373 Rn. 12 jeweils mwN; siehe auch Urteil vom 30. Juni 2010 – 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46 Rn. 24 sowie Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 222).

bb) Da nach der Angriffsrichtung der Rüge die Befangenheit der beiden abgelehnten Berufsrichter ausschließlich aus der behaupteten Festlegung auf die Täterschaft des Angeklagten in dem gegen die beiden früheren Mitangeklagten ergangenen Urteil vom 6. März 2017 abgeleitet wird, hängt der Erfolg der Rüge nach den vorgenannten Maßstäben allein vom Vorliegen „besonderer Umstände“ ab. Denn die Beteiligung an dem vorangegangenen Urteil als solche ist aus den dargelegten normativen Erwägungen von vornherein nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

An dem gebotenen Vortrag von Tatsachen, die „besondere Umstände“ in dem vorgenannten Sinne enthalten, mangelt es jedoch. Tatsächliches Geschehen, das außerhalb des Urteils gegen die früheren Mitangeklagten selbst derartige Umstände enthält, teilt die Revision nicht mit. Aus der Begründung des genannten Urteils werden lediglich solche Passagen vorgetragen, die von vornherein keine die Besorgnis der Befangenheit aufgrund Vorbefassung ausnahmsweise stützenden „besonderen Umstände“ ergeben. Die zitierten Urteilspartien (S. 16 und 17 der Revisionsbegründungsschrift vom 11. September 2017) beinhalten ausschließlich für die Begründung der Schuldsprüche gegen die früheren Mitangeklagten wegen Beilhilfe zu Haupttaten des Angeklagten erforderliche Feststellungen. Das ist jedoch stets zur Begründung von Befangenheit ungeeignet (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juni 2006 – 5 StR 485/05, NJW 2006, 2864, 2866 Rn. 20 f. und vom 30. Juni 2010 – 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46 Rn. 23 f.; Beschluss vom 10. Januar 2012 – 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520 f. Rn. 20; siehe auch Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 221). Umstände, die als unnötige oder unsachliche Werturteile gedeutet werden könnten, enthält der Revisionsvortrag nicht.

Im Übrigen genügt in Konstellationen wie der vorliegenden eine lediglich auszugsweise Wiedergabe eines in einem anderen Verfahren ergangenen Urteils regelmäßig den Anforderrungen aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht, weil die sonstigen Urteilspartien Inhalte aufweisen können, die für die Beurteilung des Vorliegens „besonderer Umstände“ zu berücksichtigen wären.“

„…der hat ja schon meinen Lebensgefährten verurteilt und ist befangen…..“, oder: Sinnvolle Reform

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„…Der hat ja schon meinen Lebensgefährten verurteilt und ist befangen…..“, ist etwas vereinfacht ausgedrückt ein Einwand, den die Angeklagte in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des Mordes gegen den Vorsitzenden Richter erhoben hatte (§§ 24, ff, 338 Nr. 3 StPO). Vorgeworfen wurde der Angeklagten die Ermordung ihres Ehemanns im Jahre 2009, der sich von ihr getrennt hatte und sie nicht mehr an dem wirtschaftlichen Erfolg der – zunächst gemeinsamen – geschäftlichen Unternehmungen teilhaben lassen wollte. Den Mord soll die Angeklagte gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten S. begangen haben. Der ist durch Urteil des LG Darmstadt vom 11.07.2011 unter Mitwirkung des Richters Mü. als Berichterstatter wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Richter am LG Mü. ist inzwischen befördert worden und hat im Verfahren gegen die Angeklagte als Vorsitzender mitgewirkt. Die Angeklagte hat ihn wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (§ 24 Abs. 2 StPO). Die Rüge hatte (auch) beim BGH im BGH, Urt. v. 10.02.2016 – 2 StR 533/14 – keinen Erfolg:

„a) Die Befangenheitsrüge (§ 338 Nr. 3 StPO) ist unbegründet. Dass der damalige Lebensgefährte der Angeklagten, S., durch Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 11. Juli 2011 unter Mitwirkung des Richters Mü. als Berichterstatter wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, begründete nicht die Besorgnis, Richter am Landgericht Mü. sei im vorliegenden Verfahren, in dem er als Vorsitzender mitgewirkt hat, voreingenommen (§ 24 Abs. 2 StPO).

Die Mitwirkung eines Richters an Vorentscheidungen ist regelmäßig kein Ablehnungsgrund. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters ist nicht gerechtfertigt, soweit er in einem früheren Strafverfahren mitgewirkt hat, in dem dieselben Vorgänge wie in dem jetzigen Verfahren eine Rolle spielten (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 24 Rn. 13). Dies gilt auch dann, wenn die Mitwirkung die Verurteilung eines Mittäters wegen derselben Straftat betraf (Senat, Urteil vom 30. Juni 2010 – 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46; BGH, Urteil vom 15. Mai 1997 – 1 StR 233/96, NJW 1997, 3034, 3036; Beschluss vom 3. Dezember 2015 – 1 StR 169/15). Eine andere Beurteilung ist nur dann angezeigt, wenn besondere Umstände hinzutreten. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das frühere Urteil unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den jetzigen Angeklagten enthielt oder ein Richter sich in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (BGH, Beschluss vom 27. April 1972 – 4 StR 149/72, BGHSt 24, 336, 338; Urteil vom 29. Juni 2006 – 5 StR 485/05, NJW 2006, 2864, 2866; Beschluss vom 3. Dezember 2015 – 1 StR 169/15).

Solche Äußerungen und Wertungen enthält das Urteil vom 11. Juli 2011 indes nicht. Soweit in den Urteilsgründen ausgeführt ist, es sei „die Rücksichtslosigkeit zu berücksichtigen, mit welcher [S. und die Angeklagte] vor gingen und mit welcher sie durch die Ermordung M. M. s versuchten, statt diesem in dessen Geschäfte einzutreten und die hierbei entstehenden Gewinne selbst zu vereinnahmen“, entspricht diese Bewertung dem festgestellten Tatgeschehen und der Annahme eines aus Habgier begangenen Mordes. Auch im Übrigen enthält das Urteil vom 11. Juli 2011 keine Feststellungen und Wertungen, die geeignet waren, gegenüber Richter am Landgericht Mü. die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Da das Landgericht das Motiv der Habgier aus der gescheiterten Ehe der Angeklagten mit M. M. und ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von ihrem Ehemann abgeleitet und darüber hinaus die Überzeugung von der Täterschaft des S. maßgeblich auch auf Beweisanzeichen gestützt hat, die zugleich für eine Tatbeteiligung der Angeklagten sprachen, war die Darstellung der Beteiligung der Angeklagten an der von S. durchgeführten Tatbegehung bereits zur Vermeidung von Darstellungsmängeln geboten. Eine Befangenheitsrüge kann in diesem Fall nicht darauf gestützt werden, das Tatgericht sei aufgrund der in dem früheren Urteil festgestellten Tatbeteiligung voreingenommen (vgl. Senat, Urteil vom 5. Februar 1986 – 2 StR 653/85; BGH, Urteil vom 15. Mai 1997 – 1 StR 233/96, NJW 1997, 3034, 3036 [insoweit in BGHSt 43, 96 nicht abgedruckt]). Nichts anderes gilt im Hinblick auf die in den Urteilsgründen enthaltenen Hinweise auf die feste bzw. sichere Überzeugung des Gerichts von der Mittäterschaft der Angeklagten (UA S. 42 f./85 f./88). Ob entsprechende Formulierungen in einem früheren Urteil gegen einen Tatbeteiligten Anlass zu Missdeutungen geben können (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 9. März 2000 – 4 StR 513/99, NStZ-RR 2001, 129, 130 [Kusch]), kann dahinstehen. Denn die Fassung der Urteils-gründe, die lediglich das erforderliche Maß an Sicherheit zum Ausdruck bringen, das mit Blick auf § 261 StPO für eine Verurteilung erforderlich ist, bieten hier keine Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit.“

„Schwer zu vermitteln“ ist eine solche Konstellation immer und es ist mehr als verständlich, dass ein Angeklagter die Besorgnis der Befangenheit hat. Aber: Die Rechtsprechung sieht es nun mal anders, obwohl m.E. kein Grund dagegen spricht, den § 22 StPO zu erweitern. Das wäre doch mal eine (sinnvolle) Reform Herr Maas 🙂 .

Ablehnung II: Befangenheit wegen/nach Abtrennung von Verfahren – Vortätigkeit?

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Beim LG Dresden ist/war ein umfangreiches Strafverfahren mit mehreren Angeklagten anhängig. In dem Verfahren wird das Verfahren gegen einen der Mitangeklagten abgetrennt.  Das nimmt ein Teil der im Ursprungsverfahren verbliebenen Angeklagten zum Anlass, das Gericht wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Begründung:   Die abgelehnten Richter hätten sich durch die abschließende Entscheidung in einem abgetrennten Verfahren zwangsläufig eine Meinung über die Täterschaft der verbliebenen Angeklagten gebildet. Ohne Erfolg. Dazu im LG Dresden, Beschl. v. 18.07.2013 – 5 KLs 109 Js 14491/11:

„Eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters ist, soweit sie nicht den Tatbestand eines Ausschlussgrundes gemäß § 23 StPO erfüllt, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters i.S.v. § 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (vgl. BGH NStZ 2012, 519 m.w.N.). Das betrifft nicht nur die Vorbefassung mit Zwischenentscheidungen im selben Verfahren, insbesondere etwa die Mitwirkung am Eröffnungsbeschluss oder an Haftentscheidungen, sondern auch die Mitwirkung eines erkennenden Richters in Verfahren gegen andere Beteiligte derselben Tat. Nach diesen Kriterien grundsätzlich unbedenklich ist auch die Mitwirkung an einem Urteil über dieselbe Tat gegen einen anderen Beteiligten in einem abgetrennten Verfahren. Dies gilt auch dann, wenn Verfahren gegen einzelne Angeklagte zur Verfahrensbeschleunigung abgetrennt werden und in dem abgetrennten Verfahren ein Schuldspruch wegen einer Tat ergeht, zu der sich das Gericht im Ursprungsverfahren gegen den oder die früheren Angeklagten später ebenfalls noch eine Überzeugung zu bilden hat (vgl. BGH a.a.O., m.w.N.).

Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. Dies wird etwa angenommen, wenn Äußerungen in früheren Urteilen unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über einen der jetzigen Angeklagten enthalten oder wenn ein Richter sich bei seiner Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (BGH a.a.O., m.w.N.).

Besondere Umstände dieser Art sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die im Rahmen der Ablehnungsgesuche vorgetragenen Gesichtspunkte stellen ebenfalls keine besonderen Umstände i.S.d. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dar, die die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter zu rechtfertigen geeignet wären.

a) Die im Rahmen der Ablehnungsgesuche angesprochene Befürchtung der Ablehnenden, die abgelehnten Richter würden nicht ausreichend zwischen den getrennt geführten Verfahren differenzieren und auch in dem gegen sie geführten Strafverfahren von dem Tathergang ausgehen, den der Angeklagte im Rahmen seines Geständnisses geschildert hatte, entbehrt vorliegend einer objektiven Grundlage. So haben die abgelehnten Richter bereits im Rahmen des Abtrennungsbeschlusses vom 12.07.2013 ausgeführt:

„Einer Aufklärung, ob die übrigen Angeklagten einer Tatbeteiligung schuldig sind, bedarf es für die Verurteilung des Angeklagten nicht, da dieser, wie auch in der Anklage angenommen, hinsichtlich sämtlicher betrugsrelevanter Umstände ein in seiner Person vollständiges und von den übrigen Beteiligten unabhängiges Wissen eingeräumt hat.“

Darüber hinaus haben die abgelehnten Richter – was in sämtlichen Ablehnungsgesuchen unerwähnt bleibt – am 15.07.2013, nach der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden zeitlich noch vor der Fortführung des Verfahrens gegen den Angeklagten durch Beschluss die Anträge der Verteidiger der Angeklagten pp. und pp, die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten pp. durch Rückverbindung rückgängig zu machen, abgelehnt und im Rahmen dieses Beschlusses ausgeführt:

„Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass es für die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten , nicht der Aufklärung evtl. Tatbeiträge der früheren Mitangeklagten bedarf. Dass die Frage einer möglichen Beteiligung der übrigen 5 Angeklagten derzeit nicht geklärt ist, liegt auf der Hand, steht aber aus den genannten Gründen einer Verurteilung des Angeklagten nicht entgegen. Im Übrigen weist die Kammer darauf hin, dass der Angeklagte nichts darüber gesagt hat, dass er zu den genannten Zeitpunkten Anfang Oktober 2010 oder folgende mit den Angeklagten in einer Weise gesprochen hätte, dass sich aus diesen Gesprächen ein Betrugsvorsatz ergäbe. Er hat vielmehr der Sache nach ausgesagt, dass aus seiner (subjektiven Sicht) Anfang Oktober auch für die Mitangeklagten klar gewesen sein müsste, dass der Erfolg des Modells, wie es den Anlegern versprochen wurde, nicht erreichbar gewesen sei. Ob dies so war und ob die Mitangeklagten dies dann auch subjektiv erkannt haben, ist ein für den Abschluss des Verfahrens gegen den Angeklagten pp  nicht wesentlicher und daher vor einer Fällung des Urteils im abgetrennten Verfahren nicht notwendig zu klärende Frage.“

Und zur Begründung der Revision in den Fällen: Ablehnung I: Vortätigkeit des Richters – sag mir die Umstände…

Vorschnelle Abtrennung von Verfahren und Besorgnis der Befangenheit

Der BGH mal wieder zur Besorgnis der Befangenheit, dieses mal im Urt. v. 30.06.2010 – 2 StR 455/09 zu Gunsten des Angeklagten.

Vom Sachverhalt her schon interessant: Absprache mit dem Angeklagten D. Der legt ein Geständnis ab und belastet die Mitangeklagten. Die lassen sich entgegengesetzt ein und stellen Beweisanträge im Hinblick auf die Unglaubhaftigkeit der Einlassung des D. Die Kammer bescheidet die aber nicht, sondern trennt gegen D. ab, der zur abgesprochenen Strafe verurteilt wird; die Einlassung wird. Im Verfahren gegen die Mitangeklagten geht es dann weiter. Dort werden Befangenheitsanträge gestellt, die abgelehnt werden.

Der BGH sagt: Nein, Besorgnis der Befangenheit ist gegeben. Die Kammer hat durch die schnelle Abtrennung des Verfahrens gegen D. und die Entscheidung gegen D. gezeigt, dass sie sich eine abschließende Meinung gebildet hat. Kein Fall der sog. Vorbefassung.

Die 16 Seiten der Entscheidung sind interessant zu lesen.