StPO II: Die Vorbefassung als Ablehnungsgrund, oder: Meist reicht das nicht für „Besorgnis der Befangenheit“

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Die zweite StPO-Entscheidung stammt auch vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 31.01.2023 – 4 StR 67/22 – noch einmal zur Befangenheit bei sog. Vorbefassung Stellung genommen, und zwar.

„1. Die Rüge einer Verletzung der „Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Artikel 6 Abs. 1 MRK, § 24 StPO“ durch die Verwerfung eines Befangenheitsgesuchs betreffend die beisitzende Richterin Dr. T. ist unbegründet.

a) Der Beanstandung liegt der folgende Verfahrensablauf zugrunde:

Vor dem zugrunde liegenden Verfahren hatte die beisitzende Richterin Dr. T. bereits an der Hauptverhandlung gegen die gesondert verfolgten A. A. und M. Al. teilgenommen. Unter ihrer Mitwirkung wurde A. A. schließlich mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 9. Oktober 2019 wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. M. Al. wurde der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringe Menge in zwei Fällen schuldig gesprochen und deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen handelten die beiden als Mitglieder einer Bande, deren Chef der jetzt Angeklagte – gleichrangig mit einer weiteren gesondert verfolgten Person – gewesen war. Die damals abgeurteilten fünf Taten des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entsprechen den im angefochtenen Urteil als Fälle Nr. 1 bis 3, 6 und 7 festgestellten Tatgeschehen.

Im vorliegenden Verfahren lehnte der Angeklagte die beisitzende Richterin aufgrund ihrer Vorbefassung mit dem Prozessgegenstand wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Richterin habe durch ihre Mitwirkung an dem Urteil vom 9. Oktober 2019 zum Ausdruck gebracht, bereits von seiner Schuld überzeugt zu sein. Die Strafkammer wies das Befangenheitsgesuch mit Beschluss vom 16. April 2020 als unbegründet zurück. Die Hauptverhandlung wurde im weiteren Verlauf insgesamt zweimal ausgesetzt. Im Rahmen des dritten Durchgangs, der zur Verkündung des angefochtenen Urteils führte, nahm der Angeklagte in dem Termin vom 27. April 2021 nochmals „Bezug“ auf das frühere Ablehnungsgesuch und regte zugleich eine Selbstanzeige der beisitzenden Richterin nach § 30 StPO an.

b) Die Rüge ist zulässig erhoben. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Vorbringen des Angeklagten in dem Hauptverhandlungstermin vom 27. April 2021 als erneutes Ablehnungsgesuch zu werten ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wirkt die Verwerfung eines Ablehnungsantrags auch nach einer erfolgten Aussetzung in der späteren Hauptverhandlung fort (BGH, Beschluss vom 24. März 1982 – 2 StR 105/82, BGHSt 31, 15 f.; vgl. demgegenüber – nicht tragend – BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 – 5 StR 500/05, NJW 2006, 854).

c) Die von der Revision vorgetragenen Tatsachen, auf deren Grundlage der Senat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hat, ob das Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen worden ist (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 347; Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17 Rn. 4), sind – auch mit Blick auf neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – nicht geeignet gewesen, die Besorgnis der Befangenheit gegen die abgelehnte Richterin zu begründen.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters, sofern sie nicht den Tatbestand eines gesetzlichen Ausschlussgrundes erfüllt, regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 347; Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 159/17 Rn. 56; Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, NStZ 2018, 550; jew. mwN). Das betrifft nicht nur die Vorbefassung mit Zwischenentscheidungen im selben Verfahren, sondern auch die Mitwirkung eines erkennenden Richters in Verfahren gegen andere Beteiligte derselben Tat (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 347 f.).

Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Äußerungen in einem früheren Urteil unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den jetzigen Angeklagten enthalten oder ein Richter sich in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 348; Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 159/17 Rn. 56; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, NStZ-RR 2018, 186, 187; Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, NStZ 2018, 550; jeweils mwN).

Nach Maßgabe der gebotenen konventionsfreundlichen Auslegung des deutschen Rechts – hier des § 24 Abs. 2 StPO – und der insoweit zu berücksichtigenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann eine Besorgnis der Befangenheit eines Richters darüber hinaus auch dann vorliegen, wenn das unter seiner Mitwirkung entstandene frühere Urteil Feststellungen zur Beteiligung des jetzigen Angeklagten trifft, die dort rechtlich nicht geboten waren, weil für sie weder zur Beschreibung des strafrechtlich relevanten Handelns des früheren Angeklagten noch für dessen rechtliche Einordnung oder die Rechtsfolgenentscheidung ein Erfordernis bestand (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 349 mwN; EGMR, Urteil vom 25. November 2021 – 63703/19 Rn. 49, 58; Urteil vom 16. Februar 2021 – 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 48, 57, 61 mwN). Das kann etwa der Fall sein, wenn sich das frühere Urteil in Bezug auf die Tatbeteiligung des jetzigen Angeklagten nicht auf eine Darstellung des tatsächlichen Geschehens und dessen für die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens des damaligen Angeklagten relevante rechtliche Einordnung beschränkt, sondern darüber hinausgehend eine rechtliche Würdigung des Verhaltens des jetzigen Angeklagten und Feststellungen zu dessen Schuld enthält (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 349 mwN). Maßgeblich ist hierbei eine Gesamtabwägung aller Umstände im Einzelfall (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021 – 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 47 ff.; BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 348 f.).

bb) Daran gemessen zeigt das Revisionsvorbringen keine Umstände auf, die geeignet gewesen wären, die Besorgnis der Befangenheit gegen die beisitzende Richterin Dr. T.  zu begründen…….“

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