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OWi II: Mal wieder ein bisschen OWi-Verfahrensrecht, oder: Beweisinterlokut, SV-Gutachten, Urteilsgründe

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zum Owi-Verfahrensrecht, und zwar:

Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt vom Tatrichter   keine Erklärung, wie er die erhobenen Beweise würdigen will. Ein solches Interlokut ist dem Strafprozessrecht fremd. Es ist vielmehr Aufgabe des Verteidigers, seine Prozessanträge umsichtig auf die Verfahrenssituationen auszurichten.

Die Urteilsgründe bilden eine Einheit, deren tatsächliche Angaben das Rechtsbeschwerdegericht auch dann berücksichtigt, wenn sie sich in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden.

Hat der Verteidiger konkrete Zweifel an einer ordnungsgemäßen Messung und der Verwertbarkeit geäußert, können die Zweifel nicht durch den Verweis des Gerichtes auf ein Sachverständigengutachten beseitigt werden, wenn dieses nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war.

StGB I: Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch, oder: Urteilsgründe

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Und heute dann ein wenig StGB, und zwar zunächst mit dem BayObLG, Beschl. v.  23.03.2022 – 202 StRR 27/22, zu den Urteilsgründen bei einem potentiellen Rücktritts.

Das AG hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung verurteilt. Auf die hiergegen seitens der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung hat das LG das AG-Urteil dahin abgeändert, dass es den Angeklagten wegen „schwerer räuberischer Erpressung“ in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung schuldig gesprochen hat.

Das LG ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„a) Der erst am Tattag aus der Strafhaft entlassene Angeklagte begab sich am Vormittag des 05.02.2021 zur Asylbewerberunterkunft in S., wo er ein Zimmer beziehen sollte. Dort traf er den ihm von früher bekannten Geschädigten, mit dem er am Abend in einem Lebensmittelmarkt Whiskey einkaufte und sich dann etwa zwischen 20.25 und 20.45 Uhr im Bereich eines gegenüber dem Markt gelegenen Skaterparks aufhielt. Obwohl der Angeklagte wusste, dass ihm gegenüber dem Geschädigten keine Zahlungsansprüche zustanden, forderte er dort vom Geschädigten erstmals eine (noch) nicht bezifferte Geldzahlung. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, bewegte er dabei ein von ihm mitgeführtes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 11 cm und einer Klingenbreite von ca. 4 cm vor dem Körper des Geschädigten hin und her. Nachdem der Geschädigte erklärt hatte, dass er nur ca. 10-12 Euro bei sich habe, erklärte der Angeklagte, dass dies nicht reiche. Der Geschädigte flüchtete daraufhin in sein Zimmer in der Asylbewerberunterkunft, wo er kurz vor 21.00 Uhr eintraf. Ca. 5-6 Minuten später betrat der Angeklagte das Zimmer des Geschädigten und forderte dort vom Geschädigten, dass dieser ihm sein gesamtes Geld überlassen oder monatlich 200 Euro zahlen solle, wobei er wiederum das Messer vor dem Körper des Geschädigten hin und her schwenkte, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Nachdem der Geschädigte dem Angeklagten jedoch kein Geld gab, fügte sich der Angeklagte mit dem Messer an der rechten Kopfseite selbst eine blutende Schnittwunde zu. Als der Geschädigten dem Angeklagten ein Tuch zur Blutstillung reichte, schubste der Angeklagte den Geschädigten von sich weg und erklärte diesem, dass er sich selber verletzt habe, damit der Geschädigte sehe, dass er keinen Spaß mache und der Geschädigte ihm Geld geben solle. Der Geschädigte griff in diesem Augenblick mit einer Hand nach dem vom Angeklagten weiterhin gehaltenen Messer und zog an der Klinge, um den Angeklagten zu entwaffnen. Die nur locker mit dem Griff verbunden Klinge löste sich daraufhin aus dem Messergriff. Der Geschädigte warf die Klinge hinter einen im Zimmer befindlichen Schrank, woraufhin der Angeklagte den Geschädigten in den ‚Schwitzkasten‘ nahm und ihn auf dessen Bett drückte, wodurch dem Geschädigten für etwa 1 Minute nur noch wenig Luft blieb, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm. Zudem erlitt der Geschädigte, wie vom Angeklagten vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen, Schmerzen am Hals und am Rücken, sowie zwei etwa handgroße Hämatome am linken Oberschenkel. Während der Angeklagte den Geschädigten würgte, versuchte dieser um Hilfe zu rufen. Nachdem der Angeklagte den Geschädigten aufgefordert hatte, ruhig zu sein, dann werde er ihn loslassen, verhielt sich der Geschädigte still. Der Angeklagte ließ den Geschädigten daraufhin los, verließ den Raum, schloss die Zimmertür und hielt diese zu, wodurch es dem Geschädigten, wie vom Angeklagten beabsichtigt, über einen Zeitraum von etwa 10 Minuten nicht möglich war, den Raum zu verlassen. Erst nach dem Eintreffen einer von zwei anderen Zeugen alarmierten Polizeistreife konnte der Geschädigte sein Zimmer wieder verlassen.“

Das gefällt dem BayObLG nicht:

„2. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch der besonders schweren räuberischen Erpressung i.S.d. § 24 Abs. 1 StGB gar nicht in Erwägung gezogen und demgemäß auch keine Feststellungen getroffen, die dem Senat die Prüfung erlauben würden, ob die Verurteilung wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung zu Recht erfolgt ist. Das Urteil würde nur dann nicht auf dem Erörterungsmangel beruhen, wenn der Versuch zweifelsfrei fehlgeschlagen wäre, weil in einem solchen Fall ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. nur BGH, Beschl. v. 15.01.2020 – 4 StR 587/19 = NStZ-RR 2020, 102; 09.01.2020 – 4 StR 324/19 = DAR 2020, 342 = NStZ 2020, 402 = StV 2020, 598 = BGHR StGB § 315c Abs 1 Nr 2a Vorfahrt 2; 27.11.2019 – 2 StR 609/18, bei juris Urt. v. 16.01.2019 – 2 StR 312/18 = StV 2020, 114). Allerdings kann davon aufgrund der lückenhaften Feststellungen des Landgerichts nicht ausgegangen werden. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 24.11.2021 – 4 StR 345/21 = NStZ-RR 2022, 39 m.w.N.). Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung. Ein Fehlschlag liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Hält er die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH a.a.O. m.w.N).

Da sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob die Tatvollendung endgültig gescheitert war und welches Vorstellungsbild der Angeklagte spätestens nach dem Ablassen von dem Geschädigten im Anschluss an die verübten Würgehandlungen und damit an die nach Sachlage mit Blick auf den Tatvorwurf der versuchten besonders schweren Erpressung mögliche letzte Ausführungshandlung hatte, sind die Urteilsgründe lückenhaft und halten deshalb einer sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand (st.Rspr.; vgl.  neben BGH a.a.O. u.a. BGH, Beschl. v. 09.01.2020 – 4 StR 324/19 = NStZ 2020, 402 = StV 2020, 598 = BGHR StGB § 315c Abs 1 Nr 2a = DAR 2020, 342 = BeckRS 2020, 3848 und 11.01.2022 – 6 StR 431/21 bei juris, jeweils m.w.N.).“

OWI III: Die Einlassung gehört auch ins Bußgeldurteil, oder: Mal wieder die Dauerbrennerproblematik

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Und als dritte Entscheidung dann der (auch schon etwas ältere) KG, Beschl. v. 12.01.2022 – 3 Ws (B) 8/22 – mit einer Dauerbrennerproblematik, nämlich: Die im Bußgeldurteil fehlende Einlassung des Betroffenen.

Die OLG sind in den Fällen streng/rigoros: Sie heben die tatrichterlichen Entscheidungen auf. So auch das KG. Ich frage mich immer: Wenn man das als Amtsrichter weiß, warum achtet man dann nicht auf das Erfordernis.

Hier dann die Begründung des KG:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer an den Senat gerichteten Zuschrift Folgendes ausgeführt:

„Das angefochtene Urteil leidet jedoch an einem sachlich-rechtlichen Mangel der Beweiswürdigung: Diese genügt nicht den Mindestanforderungen des § 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 261, 267 StPO.

Zwar sind im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen. Sie müssen aber so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen. Im Einzelnen bedeutet dies, dass die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der ordnungswidrigen Handlung gefunden werden. Vielmehr  müssen hinsichtlich der Beweiswürdigung die Urteilsgründe regelmäßig auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder ob und inwieweit er die Einlassung für widerlegt ansieht (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Juli 2009 – 3 Ss OWi 290/09; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2006 – 1 Ss 55/06; OLG Rostock, Beschluss vom 1. April 2005 – 2 Ss (OWi) 389/04 1 246/04 –, jeweils bei juris, sowie Senge in KK-OWiG, 5. Aufl., § 71 Rdnr. 107 und Krenberger in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 71 Rdnr. 15, alle mit weiteren Nachweisen).

Dem angefochtenen Urteil ist demgegenüber nichts dahingehend zu entnehmen, ob und gegebenenfalls wie sich der Betroffene in der Hauptverhandlung geäußert oder von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Es bleibt zudem unklar, ob das Tatgericht eine etwaige bestreitende Einlassung des Betroffenen aufgrund der benannten Beweismittel, insbesondere der verlesenen Unterlagen und der zeugenschaftlichen Vernehmung des Bruders des Betroffenen, als widerlegt erachtet oder wie es sich sonst im Rahmen der Beweiswürdigung mit einer eventuellen Äußerung auseinandergesetzt hat.

Das Fehlen einer Darstellung der Einlassung in den Urteilsgründen begründet auch im Bußgeldverfahren regelmäßig (vgl. OLG Bamberg und OLG Rostock a.a.O.) bzw. jedenfalls dann einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils, wenn – wie hier – die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung der Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).“

Diesen zutreffenden Ausführungen folgt der Senat, so dass das Urteil ungeachtet ansonsten nachvollziehbarer Ausführungen und einer – jedenfalls auf der Grundlage des Schuldspruchs – moderat erscheinenden Rechtsfolgenbemessung aufzuheben ist.

Fahrerlaubnis III: Der Amtsrichter als „Teilsatiriker“, oder: Das KG ist „not amused“ – Lachen oder Weinen?

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Und zum Tagesschluss dann noch der KG, Beschl. v. 05.04.2022 – 3 Ws (B) 86/22. In der Entscheidung nimmt das KG zu den Anforderungen an die Urteilsgründe Stellung, wenn der Tatrichter das Absehen vom Fahrverbot verneint. Insoweit nichts Besonderes, aber die Übrigen Ausführungen des KG zur Entscheidung des AG führen dann doch zu der Frage, ob man weinen oder lachen soll. Ich habe mich nicht entscheiden können und überlasse es den Lesern, das für sich zu entscheiden:

Das KG hat nämlich zu der Entscheidung des KG „angemerkt“:

„1. Es kann offen bleiben, ob das Urteil bereits deshalb durchgreifend rechtsfehlerhaft und aufzuheben ist, weil es logisch unverständlich ist. Es scheint so, dass der Abteilungsrichter die Gründe mit einer Software diktiert und den in Teilen ungeordneten und wirren Text hiernach nicht mehr gelesen, sondern nur noch abgezeichnet hat. Dass ein solches Vorgehen den Bestand des Urteils gefährdet, ist dem befassten Bußgeldrichter bereits im Verfahren 3 Ws (B) 211/21 durch einen Beschluss des Senats, ersichtlich ungehört, mitgeteilt worden. Unabhängig davon, ob der Sinn der für sich unverständlichen Passagen durch Auslegung zu ermitteln ist, gefährdet die offenbar eingeschliffene Praxis der Abteilung nach Auffassung des hier entscheidenden Einzelrichters nicht nur den Urteilsbestand, sondern auch das Ansehen der Justiz. Die Urteilsgründe muten in Teilen satirisch an (z. 3. „Schrittgeschwindigkeit von 70 km/h“, „Hauptwarnung“ statt Hauptverhandlung u.v.m.).

2. Im vorgenannten Senatsbeschluss ist auch die Wirksamkeit der Unterschrift des Abteilungsrichters in Frage gestellt worden, die in ihrer geringen Komplexität einen Buchstaben weder erkennen noch erahnen lässt. Auch dies hat zu keiner Abhilfe geführt. Aber auch über die Wirksamkeit der Unterschrift muss hier nicht entschieden werden.“

Dass die Begründung der Fahrverbotsentscheidung dann auch nicht passt, überrascht moch dann nicht:

„3. Denn jedenfalls ist das Urteil aufzuheben, weil die Bemessung der Rechtsfolgen, über die ausschließlich entschieden worden ist, rechtsfehlerhaft begründet ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer an den Senat gerichteten Zuschrift Folgendes ausgeführt:

„Der Hinweis darauf, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung massiv gewesen sei, ist nicht geeignet, eine Erhöhung des Regelsatzes um immerhin mehr als 30 % zu begründen. Zwar bilden 40 km/h das Höchstmaß der unter Nr. 11.3.6 erfassten Überschreitung (von 31 km/h bis 40 km/h). Eine Differenzierung innerhalb der laufenden Nummern, die mit Ausnahme von Nr. 11.3.10 (über 70 km/h) jeweils Geschwindigkeitsüberschreitungen mit einer Spanne von maximal 9 km/h betreffen, sieht § 1 BKatV jedoch nicht vor; lediglich bei Nr. 11.3.10, die kein Höchstmaß benennt, mag dies anders zu beurteilen sein. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 40 km/h ist gerade ein von Nr. 11.3.6 (noch) erfasster gewöhnlicher Tatumstand im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 BKatV.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen, die das Amtsgericht bei der Bemessung der Geldbuße „auch“ berücksichtigt hat, tragen die Erhöhung des Regelsatzes schon deshalb nicht, weil dazu keine Feststellungen getroffen worden sind.

b) Die Anordnung des einmonatigen. Fahrverbotes unter Wirksamkeitsbestimmung gemäß § 25 Abs. 2a StVG stellt sich gleichfalls als rechtsfehlerhaft dar.

(1) Auch in den Regelfällen des § 4 Abs. 1 BKatV steht dem Tatgericht ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen. Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbotes im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Die tatrichterliche Entscheidung wird durch das Rechtsbeschwerdegericht demzufolge nur daraufhin überprüft, ob das Tatgericht sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil es die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten oder sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juli 2021 — 3 Ws (B) 182/21).

(2) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil jedenfalls in einer Ge-samtschau der nachfolgenden Erwägungen nicht gerecht:

(aa) Ein ausnahmsweises Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes hat das Amtsgericht zwar geprüft und verneint. Die rechtsfehlerhafte Erhöhung der Regelgeldbuße — wie unter a) dargelegt — ließe sich auf Grundlage der getroffenen Feststellungen jedoch nur mit einer Entscheidung gemäß § 4 Abs. 4 BKatV rechtfertigen.

(bb) Soweit das Gericht zur Begründung auf einen in der Hauptverhandlung eingereichten, in Augenschein genommenen und verlesenen Arbeitsvertrag des Betroffenen Bezug nimmt, ist dem Senat eine Überprüfung der insoweit angestellten Ermessenserwägungen nicht möglich. Eine Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG) ist nur auf Ab-bildungen zulässig, nicht auch auf Schriftdokumente (vgl. nur Senat, Beschluss vom 23. April 2021 — 3 Ws (B) 87/21 —).

(cc) Der Zeitablauf von über eineinhalb Jahren zwischen Tat und Urteil allein gibt zwar noch keinen Anlass für eine Entscheidung gemäß § 4 Abs. 4 BKatV. Andere Umstände, die für die Beurteilung der Frage, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck noch zu erfüllen vermag, von Bedeutung sein könnten, etwa ob in der Zwischenzeit weitere verkehrsordnungsrechtliche Zuwider-handlungen des Betroffenen bekannt geworden sind sowie ob und inwieweit ihm die Verzögerung anzulasten ist, gehen aus dem Urteil aber nicht hervor. In der Hauptverhandlung verlesen wurde ausweislich der Gründe lediglich ein Auszug aus dem Fahreignungsregister vom 1. August 2020, also auf dem Stand von kurz nach dem Tattag.

3. Der Senat kann nicht gemäß § 79 Abs. 6 OWiG selbst entscheiden, weil das Urteil hierfür — im Wesentlichen aus den bereits unter 2. b) (2) (bb) und (cc) genannten Gründen — keine hinreichende Grundlage bildet.“

Diesen zutreffenden Ausführungen folgt der Senat.

 

OWi I: Messung mit standardisiertem Messverfahren, oder: Wurde die Bedienungsanleitung beachtet?

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Nachdem ich gestrigen Tag mit einem Sonder-OWi-Posting beendet habe, und zwar der „Kneif-Entscheidung“ des BGH im BGH, Beschl. v. 30.03.2022 – 4 StR 181/21 (dazu Sondermeldung: Einsichtnahme in die Messreihe, oder: Keine Divergenz – “Kneift” der BGH in der Sache?) heute dann ein „normaler“ OWi-Tag.

Den eröffne ich mit einem OLG Karlsruhe-Beschluss, den mit der Kollege Hufnagel geschickt hat. In dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.04.2022 – 1 Rb 35 Ss 193/22 – geht es noch einmal/mal wieder um die Anforderungen an die Urteilsgründe bei einem standardisierten Messverfahren. Der Betroffene ist wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Zugrunde gelegt worden ist eine Messung mit Riegl FG 21P. Dem OLG reichen dann die Feststellung des AG und desse Beweiswürdigung nicht:

„Zwar unterliegt die Beweiswürdigung des Bußgeldrichters nur eingeschränkter Überprüfung im Rechtsbeschwerderechtszug. Gemäß § 261 StPO i.V.m. § 71 OWiG obliegt es dem Tatgericht, über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen, ist allein Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er – an sich mögliche – Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Weder ist der Tatrichter gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, noch kann ihm vorgeschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Folgerung und einer bestimmten Überzeugung kommen darf oder gar muss. Diese freie Würdigung des Bußgeldrichters darf das Rechtsbeschwerdegericht lediglich auf Rechtsfehler überprüfen, nicht aber durch seine eigene ersetzen (vgl. auch BGHSt 10, 20). Das Rechtsbeschwerdegericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Einen sachlich-rechtlichen und daher auf die Sachrüge im Rechtsbeschwerderechtszug beachtlichen Fehler beinhaltet die Beweiswürdigung allerdings, wenn sie in sich widersprüchlich; lückenhaft oder unklar ist, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt oder falsche Maßstäbe für die zur Verurteilung erforderliche bzw. ausreichende Gewissheit angelegt werden.

Gemessen an diesen Maßstäben hält das angefochtene Urteil rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsausführungen sind bzgl. der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung lückenhaft und deshalb rechtsfehlerhaft (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO iVm § 71 OWiG). Sie genügen nicht den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Messergebnisses zu stellen sind.

Bei der im vorliegenden Verfahren vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung mit dem Laser-Handmessgerät Riegl FG21P handelt es sich grundsätzlich um ein sog. standardisiertes Messverfahren, bei dem der Tatrichter im Urteil nur die Messmethode und den berücksichtigten Toleranzwert anzugeben hat. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das verwendete Messgerät von seinem Bedienungspersonal auch wirklich standardgemäß, d. h. im geeichten Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- bzw. Gebrauchsanweisung verwendet wurde. Nur so kann mit der für eine spätere Verurteilung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, ob das Gerät in seiner konkreten Aufstellsituation tatsächlich mit der bei standardisierten Messverfahren vorausgesetzten Präzision arbeitet und so eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stellt (OLG Koblenz DAR 2006, 101/102; OLG Bamberg Beschl. v. 2.12.2016 — 2 Ss OWi 1185/16, BeckRS 2016, 116866 Rn. 7, beck-online). Beim Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass Verfahrensbestimmungen nicht eingehalten wurden oder – substantiiert – Messfehler geltend gemacht werden, müssen im Urteil hierzu Ausführungen gemacht werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Begründung ihres Antrags auf (teilweise) Aufhebung des Urteils in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2021 folgendes ausgeführt:

„Eine Überprüfung, ob das verwendete Messgerät von seinem Bedienungspersonal auch wirklich standardgemäß – entsprechend der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- und Gebrauchsanweisung – verwendet wurde, wie seitens der Verteidigung substantiiert bestritten, ist dem Rechtsbeschwerdegericht vorliegend nicht möglich. Ausweislich der Urteilsgründe (UA, S. 3) hat das Amtsgericht ohne nähere Ausführungen festgestellt, dass das Gerät nach den Anweisungen des Herstellers getestet und bedient wurde. Weiter hat das Gericht ausgeführt, dass das Polizeifahrzeug nach Abschluss der Eingangstests auf dem Parkplatz Lächle nochmals einige Meter bis zur Ausfahrt des Parkplatzes bewegt wurde, um dort die Messung der Fahrzeuge durchzuführen. Feststellungen dazu, welche konkreten Anforderungen der Hersteller an die Durchführung der Funktionstests stellt, wie sie vom Bedienungspersonal ordnungsgemäß durchzuführen sind und ob sich der Messbeamte an die entsprechenden Herstellervorgaben tatsächlich gehalten hat (vgl. OLG Gelle, Beschluss vom 26.06.2009 – 311 SsBs 58/09, NZV 2010, 414), fehlen, obwohl seitens der Verteidigung eingewandt wurde, dass das Polizeifahrzeug mit dem Gerät nach den Eingangstests noch bewegt worden sei und auch die Abschlusstests auf einem anderen Parkplatz stattgefunden hätten. Diese Feststellungen wären jedoch erforderlich gewesen. So sind nach der Gebrauchsanweisung des eingesetzten Messgerätes ,nach jedem Transport des Messgeräts an einen neuen Einsatzort im Einsatzfahrzeug zu Beginn vier Tests durchzuführen. Dass diese Herstellerangaben beachtet wurden, ist nicht ersichtlich. Dem Urteil kann insbesondere nicht entnommen werden, dass das Messgerät händisch zur Ausfahrt des Parkplatzes Löchle gebracht wurde. Nur wenn das Gerät entsprechend der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- und Gebrauchsanweisung verwendet wurde, kann davon ausgegangen werden, dass das Messgerät mit der bei standardisierten Messverfahren vorausgesetzten Präzision arbeitete. Nur in diesem Fall ist eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage gegeben. Anderenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Messergebnis verändert wurde, beispielsweise aufgrund von Erschütterungen im Einsatzfahrzeug.

Die erfolgte Messung als solche ist nicht generell unverwertbar. Vielmehr muss das Gericht – sollte die Messung nicht entsprechend der Bedienungs- und Gebrauchsanweisung erfolgt. sein – von einem individuellen Messverfahren ausgehen, das nicht mehr die Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit für sich in Anspruch nehmen kann (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 02.12.2016 – 2 Ss OWi 1185/16, BeckRS 2016, 116866). Die Urteilsgründe enthalten, da das Gericht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen ist, nicht die erforderlichen. Feststellungen hinsichtlich einer individuellen Überprüfung der Messung und genügen damit nicht den Anforderungen an die Darstellung eines außerhalb eines standardisierten Messverfahrens zustande gekommenen Messergebnisses.“

Dieser zutreffenden Rechtsauffassung schließt sich der Senat an. Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers ist das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen — ausgenommen sind die Feststellungen zur Fahrereigenschaft, welche von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind — aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 353 StPO).“

Also: Zurück auf Null.