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OWi I: Messung mit standardisiertem Messverfahren, oder: Wurde die Bedienungsanleitung beachtet?

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Nachdem ich gestrigen Tag mit einem Sonder-OWi-Posting beendet habe, und zwar der „Kneif-Entscheidung“ des BGH im BGH, Beschl. v. 30.03.2022 – 4 StR 181/21 (dazu Sondermeldung: Einsichtnahme in die Messreihe, oder: Keine Divergenz – “Kneift” der BGH in der Sache?) heute dann ein „normaler“ OWi-Tag.

Den eröffne ich mit einem OLG Karlsruhe-Beschluss, den mit der Kollege Hufnagel geschickt hat. In dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.04.2022 – 1 Rb 35 Ss 193/22 – geht es noch einmal/mal wieder um die Anforderungen an die Urteilsgründe bei einem standardisierten Messverfahren. Der Betroffene ist wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Zugrunde gelegt worden ist eine Messung mit Riegl FG 21P. Dem OLG reichen dann die Feststellung des AG und desse Beweiswürdigung nicht:

„Zwar unterliegt die Beweiswürdigung des Bußgeldrichters nur eingeschränkter Überprüfung im Rechtsbeschwerderechtszug. Gemäß § 261 StPO i.V.m. § 71 OWiG obliegt es dem Tatgericht, über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen, ist allein Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er – an sich mögliche – Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Weder ist der Tatrichter gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, noch kann ihm vorgeschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Folgerung und einer bestimmten Überzeugung kommen darf oder gar muss. Diese freie Würdigung des Bußgeldrichters darf das Rechtsbeschwerdegericht lediglich auf Rechtsfehler überprüfen, nicht aber durch seine eigene ersetzen (vgl. auch BGHSt 10, 20). Das Rechtsbeschwerdegericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Einen sachlich-rechtlichen und daher auf die Sachrüge im Rechtsbeschwerderechtszug beachtlichen Fehler beinhaltet die Beweiswürdigung allerdings, wenn sie in sich widersprüchlich; lückenhaft oder unklar ist, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt oder falsche Maßstäbe für die zur Verurteilung erforderliche bzw. ausreichende Gewissheit angelegt werden.

Gemessen an diesen Maßstäben hält das angefochtene Urteil rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsausführungen sind bzgl. der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung lückenhaft und deshalb rechtsfehlerhaft (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO iVm § 71 OWiG). Sie genügen nicht den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Messergebnisses zu stellen sind.

Bei der im vorliegenden Verfahren vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung mit dem Laser-Handmessgerät Riegl FG21P handelt es sich grundsätzlich um ein sog. standardisiertes Messverfahren, bei dem der Tatrichter im Urteil nur die Messmethode und den berücksichtigten Toleranzwert anzugeben hat. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das verwendete Messgerät von seinem Bedienungspersonal auch wirklich standardgemäß, d. h. im geeichten Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- bzw. Gebrauchsanweisung verwendet wurde. Nur so kann mit der für eine spätere Verurteilung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, ob das Gerät in seiner konkreten Aufstellsituation tatsächlich mit der bei standardisierten Messverfahren vorausgesetzten Präzision arbeitet und so eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stellt (OLG Koblenz DAR 2006, 101/102; OLG Bamberg Beschl. v. 2.12.2016 — 2 Ss OWi 1185/16, BeckRS 2016, 116866 Rn. 7, beck-online). Beim Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass Verfahrensbestimmungen nicht eingehalten wurden oder – substantiiert – Messfehler geltend gemacht werden, müssen im Urteil hierzu Ausführungen gemacht werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Begründung ihres Antrags auf (teilweise) Aufhebung des Urteils in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2021 folgendes ausgeführt:

„Eine Überprüfung, ob das verwendete Messgerät von seinem Bedienungspersonal auch wirklich standardgemäß – entsprechend der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- und Gebrauchsanweisung – verwendet wurde, wie seitens der Verteidigung substantiiert bestritten, ist dem Rechtsbeschwerdegericht vorliegend nicht möglich. Ausweislich der Urteilsgründe (UA, S. 3) hat das Amtsgericht ohne nähere Ausführungen festgestellt, dass das Gerät nach den Anweisungen des Herstellers getestet und bedient wurde. Weiter hat das Gericht ausgeführt, dass das Polizeifahrzeug nach Abschluss der Eingangstests auf dem Parkplatz Lächle nochmals einige Meter bis zur Ausfahrt des Parkplatzes bewegt wurde, um dort die Messung der Fahrzeuge durchzuführen. Feststellungen dazu, welche konkreten Anforderungen der Hersteller an die Durchführung der Funktionstests stellt, wie sie vom Bedienungspersonal ordnungsgemäß durchzuführen sind und ob sich der Messbeamte an die entsprechenden Herstellervorgaben tatsächlich gehalten hat (vgl. OLG Gelle, Beschluss vom 26.06.2009 – 311 SsBs 58/09, NZV 2010, 414), fehlen, obwohl seitens der Verteidigung eingewandt wurde, dass das Polizeifahrzeug mit dem Gerät nach den Eingangstests noch bewegt worden sei und auch die Abschlusstests auf einem anderen Parkplatz stattgefunden hätten. Diese Feststellungen wären jedoch erforderlich gewesen. So sind nach der Gebrauchsanweisung des eingesetzten Messgerätes ,nach jedem Transport des Messgeräts an einen neuen Einsatzort im Einsatzfahrzeug zu Beginn vier Tests durchzuführen. Dass diese Herstellerangaben beachtet wurden, ist nicht ersichtlich. Dem Urteil kann insbesondere nicht entnommen werden, dass das Messgerät händisch zur Ausfahrt des Parkplatzes Löchle gebracht wurde. Nur wenn das Gerät entsprechend der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- und Gebrauchsanweisung verwendet wurde, kann davon ausgegangen werden, dass das Messgerät mit der bei standardisierten Messverfahren vorausgesetzten Präzision arbeitete. Nur in diesem Fall ist eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage gegeben. Anderenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Messergebnis verändert wurde, beispielsweise aufgrund von Erschütterungen im Einsatzfahrzeug.

Die erfolgte Messung als solche ist nicht generell unverwertbar. Vielmehr muss das Gericht – sollte die Messung nicht entsprechend der Bedienungs- und Gebrauchsanweisung erfolgt. sein – von einem individuellen Messverfahren ausgehen, das nicht mehr die Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit für sich in Anspruch nehmen kann (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 02.12.2016 – 2 Ss OWi 1185/16, BeckRS 2016, 116866). Die Urteilsgründe enthalten, da das Gericht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen ist, nicht die erforderlichen. Feststellungen hinsichtlich einer individuellen Überprüfung der Messung und genügen damit nicht den Anforderungen an die Darstellung eines außerhalb eines standardisierten Messverfahrens zustande gekommenen Messergebnisses.“

Dieser zutreffenden Rechtsauffassung schließt sich der Senat an. Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers ist das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen — ausgenommen sind die Feststellungen zur Fahrereigenschaft, welche von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind — aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 353 StPO).“

Also: Zurück auf Null.

BtM III: Besitz in geringer Menge zum Eigenverbrauch, oder: Absehen von Strafe erörtert?

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BayObLG, Beschl. v. 02.03.2022 – 205 StRR 53/21 – zu einer Strafzumessungsfrage.

Das AG verurteilt den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und weist ihn an, eine Geldbuße von 1000,00 EUR an einen gemeinnützigen Verein zu bezahlen sowie für die Dauer von einem Jahr keine illegalen Drogen zu konsumieren und sich zwei Drogenscreenings zu unterziehen. Den Urteilsfeststellungen zufolge befand sich der Angeklagte, der über keine für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis verfügte, am 29.07.2020 im Besitz von 0,4 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5 % Tetrahydrocannabinol. Die Möglichkeit eines Absehens von Strafe wird im Urteil nicht erwähnt.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hat:

„2. Die Revision des Angeklagten hat aber in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch zumindest vorläufigen Erfolg. Der Rechtsfolgenausspruch der Entscheidung kann keinen Bestand haben, da das angefochtene Urteil nicht erkennen lässt, ob der Jugendrichter ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit des Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG keinen Gebrauch gemacht hat. Zwar hat der Angeklagte keinen Anspruch auf Absehen von Strafe. Die Prüfung muss allerdings unter Berücksichtigung aller strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls erfolgen und unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters. Dabei ist insbesondere den Grund-sätzen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 09.03.1994 (NJW 1994, 1577 ff) zum Übermaßverbot bei der Strafverfolgung von gelegentlichen Eigenverbrauchstätern aufgestellt hat, Rechnung zu tragen. Da das verfassungsrechtliche Übermaßverbot nicht nur für den Gesetzgeber und die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch für die Gerichte gilt, richtet sich diese verfassungsrechtliche Anweisung auch an die Richter. Das bedeutet, dass das Gericht in einem Fall des gelegentlichen Eigenverbrauchs bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 29 Abs. 5 BtmG dessen Anwendung besonders intensiv und sorgfältig zu erwägen hat. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht sich dieser Möglichkeit und seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung, davon im Regelfall Gebrauch zu machen, bewusst war und es muss die Gründe, die es veranlasst haben, im konkreten Einzelfall von dieser grundsätzlichen Verpflichtung abzuweichen, eingehend und in der Form, die auch sonst für die Urteilsbegründung gilt, darlegen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 08.12.2005 – 1 Ss 271/05 – juris Rdn. 4 ff; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, 9. Aufl. § 29 Teil 29 Rdn. 69). Kein Anlass zur Erörterung eines Absehens von Strafe besteht, wenn der Angeklagte weder Probierer noch Gelegenheitskonsument ist oder eine Vielzahl von Vorstrafen entgegenstehen (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, a.a.O.).

Nach den Feststellungen in dem angegriffenen Urteil war der letzte Drogenkonsum des Angeklagten im August 2020. Im Übrigen rauche er nur gelegentlich (UA S. 3). Wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ist er mit einem Jugendarrest und einer richterlichen Weisung vorgeahndet (UA S. 3/4). Anhaltspunkte, dass das Gericht sich mit der Möglichkeit des Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG befasst hat, sind aus dem angefochtenen Urteil nicht er-sichtlich. Im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Vorahndung wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (über vier Jahre, UA S. 3/4) und den bisherigen Feststellungen im Zusammenhang mit dem derzeitigen Drogenkonsum des Angeklagten liegt vorliegend allerdings kein Fall vor, wo von vornherein kein Anlass zur Erörterung eines Absehens von Strafe besteht. Da das Amtsgericht die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 29 Abs. 5 BtmG nicht erörtert hat, ist dem Senat die Prüfung nicht möglich, ob der Jugendrichter ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit des Absehens von Strafe keinen Gebrauch gemacht hat. Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Laufen zurückzuverweisen.“

OWi III: Bei einem Fahrverbot droht Kündigung, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

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Und zum Tagesschluss dann noch eine OLG-Entscheidungen zu den Rechtsfolgen, und zwar zum Fahrverbot.

Ich verweise auf den OLG Hamm, Beschl. v. 03.03.2022 – 5 RBs 48/22. Das OLG hat sich  umfangreich in Zusammenhang mit der Frage des Absehens vom Fahrverbot wegen einer vom Betroffenen geltend gemachten Kündigung durch den Arbeitgeber geäußert. Das AG hatte abgesehen, dem OLG reicht die Begründung des AG nicht. Wegen der umfangreichen Begründung ordne ich das Selbstleseverfahren an. Hier müssen/sollen die Leitsätze des OLG reichen:

    1. Will das Amtsgericht aufgrund einer angenommen unbilligen Härte von der Verhängung des Regelfahrfahrverbots absehen, ist es gehalten, in den Urteilsgründen eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung niederzulegen, die es dem Senat ermöglicht, die Annahme einer unbilligen Härte rechtlich überprüfen zu können. Bei der Beurteilung, ob für den Betroffenen eine solche unbillige Härte aufgrund eines konkret drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes vorliegt, ist es dem Tatrichter zwar nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung des Betroffenen oder einer schriftlichen Bestätigung des Arbeitgebers, aus dem sich solche konkreten Anhaltspunkte ergeben können, zu glauben. Er hat jedoch die Angaben des Betroffenen oder des Arbeitgebers auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und im Urteil darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet.
    2. Ist für einen schweren Verkehrsverstoß ein mehrmonatiges Regelfahrverbot vorgesehen, so ist ggf. zu prüfen, ob zur Abwendung einer (tatsächlich feststellbaren) Existenzgefährdung die Reduzierung der Dauer des Fahrverbots ausreicht.

Solche Entscheidungen zeigen m.E. dann immer auch, womit sich der Verteidiger befassen muss bzw., was in vergleichbaren Fällen vorgetragen werden muss/sollte, damit sich das AG dann damit auseinandersetzt.

StGB II: Prämienloch bei privater Pflegeversicherung, oder: War der Versicherungsnehmer leistungsfähig?

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.01.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 554/21 – ordne ich dann auch mal unter „StGB“ ein, obwohl es in dem Beschluss  um eine Ordnungswidrigkeit geht. Ist aber eben auch „materielles Recht“. :-).

Das AG hat den Betroffenen „vorsätzlicher Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 121 Abs. 1 [Nr.] 6 in Verbindung mit §§ 23 I 1, 51 Abs. 1 Satz 2 SGB XI“ zu einer Geldbuße verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen schloss der Betroffene bei einer privaten Krankenversicherung am 01.03.2002 zusammen mit einer privaten Krankenversicherung einen Vertrag zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit. Bereits im Jahr 2014 sei der Vertrag „notleidend“ geworden, da der Betroffene mit Prämienzahlungen in Rückstand geraten sei. Die Pflegeversicherung sei seit dem 01.01.2015 „unbezahlt“. Unter dem Datum des 19.05.2020 habe die Krankenversicherung dem Betroffenen ein Erinnerungsschreiben zugesandt. Da für den Zeitraum 01.06.2021 bis zum 02.12.2021 keine Beiträge gezahlt worden seien, habe die pp. das Bundesversicherungsamt informiert (vgl. § 51 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Die Höhe des Beitragsrückstandes zwischen dem 01.06.2021 und dem 02.12.2021 belaufe sich auf 1.809,48 EUR.

„Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die Erfolg hatte:

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil das angefochtene Urteil einer materiell-rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht standhält. Die getroffenen Feststellungen sind unzureichend und tragen den Vorwurf der Begehung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI nicht, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig mit der Entrichtung von sechs Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung in Verzug gerät.

a) Den Beschlussgründen ist zwar zu entnehmen, dass sich der Betroffene gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert hat und demgemäß auch zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit bei diesem Unternehmen verpflichtet war (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Der Tatbestand des § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, der einen Rückstand von mindestens sechs Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung sanktioniert (vgl. Bassen in: Udsching, SGB XI, 3. Aufl. § 121 Rn. 8; Krahmer/Stier in: Klie/Krahmer/Plantholz, SGB XI, 4. Aufl., § 212 Rn. 12), setzt voraus, dass aufgrund des Abschlusses einer privaten Krankenversicherung eine Pflicht zur privaten Pflegeversicherung besteht (vgl. BT-Drucksache 12/5262, S. 155f.; 12/5952, S. 50). Die Versicherungspflicht entfällt insoweit erst bei – zulässiger – Beendigung der privaten Krankenversicherung.

Das Amtsgericht hat jedoch nicht berücksichtigt, dass die Verwirklichung des Tatbestandes eine Leistungsfähigkeit des Betroffenen voraussetzt, und hat hierzu Näheres nicht festgestellt. Bei § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. zur Abgrenzung KK-Rengier, OWiG, 6. Aufl., § 8 Rdnr. 8), das nach allgemeinen Grundsätzen als zusätzliches Tatbestandsmerkmal voraussetzt, dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist (vgl. BGHSt 47, 318ff.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04. Januar 2012, L 5 AS 455/11, zit. n. juris; Gürtler/Thoma in: Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 8 Rnr. 7; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 13 Rn. 44; siehe auch § 266a Rdnr. 14f.). Deshalb fehlt es an der Vorwerfbarkeit der Nichtentrichtung der Versicherungsprämien, wenn dem Betroffenen aufgrund schlechter finanzieller und wirtschaftlicher Verhältnisse eine Prämienzahlung im Einzelfall nicht möglich oder jedenfalls nicht zumutbar ist. Dass er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts für seine finanzielle Leistungsfähigkeit verschuldensunabhängig einzustehen hat, ist für die Frage der Vorwerfbarkeit eines bußgeldbewehrten Unterlassens irrelevant.

Das Amtsgericht hat in den Entscheidungsgründen lediglich ausgeführt, dass sich der Betroffene dahin eingelassen habe, nicht in der Lage zu sein, die Beiträge zu entrichten (Bl. 3 UA); konkrete Feststellungen dazu hat die Bußgeldrichterin jedoch nicht getroffen. Hinsichtlich des Beitragsrückstandes zwischen dem 1. Juni 2020 und dem 2. Dezember 2020 ist überdies unklar, ob sich die genannte Summe von 1.809,48 € auf die Krankenversicherung, auf die Pflegeversicherung oder auf beides bezieht….“

Verkehr II: Absehen von der Fahrerlaubnisentziehung, oder: Die Feststellungen müssen stimmen

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch vom KG.

Das hat im KG, Urt. v. 10.12.2021 – 3 Ss 56/21 – zu einigen Fragen in Zusammenhang mit der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung Stellung genommen. Insoweit müssen hier die Leitsätze reichen, und zwar:

  1. Im Zweifel ist eine von der Staatsanwaltschaft eingelegte (Sprung-)Revision (auch) zuungunsten eines Angeklagten eingelegt. Bei Erhebung der allgemeinen Sachrüge wird die uneingeschränkte Überprüfung des tatrichterlichen Urteils begehrt.
  2. Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage des Maßregelausspruchs nach §§ 69 ff. StGB ist dann nicht möglich, wenn im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht. In einer solchen untrennbaren Wechselwirkung stehen regelmäßig Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung.

Außerdem hat das KG sich zum Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) geäußert. Vom LG war abgesehen worden. Das hat dem KG nicht gefallen:

„b) Auch das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist durchgreifenden rechtlichen Bedenken ausgesetzt.

aa) Entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts greift vorliegend die Regelvermutung für die Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB.

Danach liegt ein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung wegen charakterlicher Ungeeignetheit vor, wenn der Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Sinne von § 142 StGB weiß oder wissen kann, dass an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.

Ob ein bedeutender Schaden vorliegt, bemisst sich allein nach wirtschaftlichen Kriterien und beurteilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (vgl. OLG Hamm NZV 2011, 356 m.w.N.). Entscheidend ist der Geldbetrag, der erforderlich ist, den Geschädigten so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten (BGH NStZ 2011, 215). Die Frage, welche Schadenspositionen dabei außer den Reparaturkosten zu berücksichtigen sind, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt, kann aber dahinstehen, da allein die – rechtskräftig festgestellten – Reparaturkosten von 3.096,34 Euro (netto) schon einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB darstellen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17. Dezember 2019 – 204 StRR 1940/19 -, BeckRS 2019, 38522). Auf weitere vom Tatgericht vermisste „genaue Feststellungen zur Schadenshöhe“, die es wegen des unentschuldigten Ausbleibens eines Zeugen nicht aufklären zu können glaubte, kommt es diesbezüglich nicht an.

bb) Die Annahme einer Ausnahme von diesem Regelprinzip durch das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft; die dazu getroffenen Feststellungen erweisen sich ebenfalls als lückenhaft.

Entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB kann von der Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß in einem anderen Licht erscheinen lassen als den Regelfall oder die nach der Tat die Eignung günstig beeinflusst haben (vgl. BT-Drs. IV/651, 17).

Solche Umstände lassen sich den Urteilsausführungen nicht entnehmen. Diese beschränken sich darauf mitzuteilen, dass – selbst wenn entgegen der Einschätzung des Amtsgerichts die Regelvermutung des § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB greifen sollte, „[u]nter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Fahrerlaubnis bereits seit dem 24. November 2020 vorläufig entzogen war, […] eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr angemessen und erforderlich“ (UA S. 2) erscheine. Der bloße Zeitablauf rechtfertigt ein Absehen von der Maßregel indes nicht (vgl. Senat, Urteil vom 1. November 2010 a.a.O.). Da der Eignungsprüfung der Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht vorgegriffen werden soll (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. März 1999 – 1 Ws 191/99 -, juris), bedarf es in aller Regel der Feststellung von zusätzlichen Tatsachen, die über den bloßen Zeitablauf hinaus belegen, dass die Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist (vgl. Senat, Urteil vom 1. November 2010 a.a.O.). Diese zusätzlichen Tatsachen fehlen hier.

Dies gilt gleichermaßen, sollte das Amtsgericht eine Gesamtwürdigung im Rahmen von § 69 Abs. 1 StGB vorgenommen haben wollen.“