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StGB I: Bestellung von Betäubungsmitteln im Darknet, oder: Noch Vorbereitungshandlung/schon Versuch?

Heute dann mal ein wenig materielles Recht, also StGB-Entscheidungen

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 05.12.2022 – 207 StRR 335/22, in dem es um Bestellung von BtM im Darknet und die Frage geht: Noch Vorbereitungshandlung oder schon Versuch. Das AG hatte den Angeklagten wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit versuchtem vorsätzlichen Erwerb von Betäubungsmitteln in 11 tatmehrheitlichen Fällen verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die teilweise Erfolg hatte. Das BayObLG hat die Verurteilung in drei Fällen und im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. Es beanstandet insoweit die Urteilsgründe als zu kanpp, da danach nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Erwerb der Rauschmittel durch den Angeklagten in den Fällen jeweils im Vorbereitungsstadium steckengeblieben ist.

„Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Ein unmittelbares Ansetzen besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll; dies kann schon gegeben sein, bevor der Täter eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestands entsprechende Handlung vornimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 – 5 StR 15/20NJW 2020, 2570, mwN).

Das von dem Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens Unternommene muss zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden. Ob er zu der in diesem Sinne „entscheidenden“ Rechtsverletzung angesetzt hat oder sich noch im Stadium der Vorbereitung befindet, hängt von seiner Vorstellung über das „unmittelbare Einmünden“ seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab. Gegen ein Überschreiten der Schwelle zum Versuch spricht es im Allgemeinen, wenn es zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges noch eines neuen Willensimpulses bedarf. Wesentliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium ist, inwieweit das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters konkret gefährdet ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2021 – 6 StR 28/21 -, juris, mwN).

Vorliegend strebte der Angeklagte den Erwerb von Betäubungsmitteln an. Der Erwerb i.S.v. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 9 BtMG ist ein Erfolgsdelikt. Der Erfolg ist eingetreten, wenn der Erwerber die tatsächliche Verfügungsmacht über das Betäubungsmittel auf abgeleitetem Wege, d.h. im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer erlangt hat und die Verfügungsmacht ausüben kann (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2022 – 3 StR 416121 -, juris; Weber, Kornprobst, Maier, Komm. z. BtMG, 6. Aufl., Rn. 1195 ff, jeweils m.w.N.).

Eine unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsguts in diesem Sinne setzt ein, wenn der Drogenverkäufer vereinbarungsgemäß die Ware bei der Post aufgibt. In diesem Augenblick ist nach der Vorstellung beider Vertragspartner alles geschehen, um die Tatbestandsverwirklichung herbeizuführen. Die Aufgabe der Sendung bei der Post mündet unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung ein. Zwar muss die Sendung noch vom Postzusteller dem Besteller ausgehändigt bzw. in seinen Briefkasten eingeworfen werden. Diese Maßnahme stellt aber keinen wesentlichen Zwischenschritt mehr dar, da bei ungestörtem Fortgang der Eingang der Sendung beim Adressaten eine – hier auch der Vorstellung der Vertragspartner entsprechende – regelmäßige Folge von deren Aufgabe bei der Post ist. Schließlich wäre mit einer natürlichen Betrachtungsweise des Posttransportvorgangs nicht vereinbar, die zahlreichen verschiedenen Stufen der Behandlung einer Sendung aufzugliedern und als selbständige Zwischenschritte anzusehen (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 25. April 1994, 4 StRR 48/94 – juris; so auch BGH, Beschluss vom 11. Januar 2022 – 3 StR 416/21 -, juris).

An einer Aufgabe der bestellten Rauschmittel zur Post – oder einer vergleichbaren Situation – fehlt es jedoch bei den unter Ziff. II 1 bis 4 des angegriffenen Urteils bezeichneten Fällen.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zu den vorgenannten Zeitpunkten auf einer „Darknet-Plattform“ jeweils 2 Gramm Kokain (Ziff. 11 1 – 3) bzw. 5 Gramm Haschisch (Ziff. II. 4) bestellte und zugleich per Mausklick bezahlte, woraufhin der anderweitig Verfolgte BM die anderweitig Verfolgten 1 und B. mittels E-Mail mit der Versendung des jeweiligen Rauschmittels beauftragte.

Dass dieses jeweils zur Post gegeben wurde oder beim Angeklagten ankam, ist in den vorgenannten Fällen nicht festgestellt worden.

Das Amtsgericht hat zwar festgestellt, dass die Auftragserteilung „nach dem vom Zeugen pp. geschilderten üblichen und ungestörten Fortgang der Dinge nach der Vorstellung beider Vertragspartner zur Verpackung des bereits vorhandenen Betäubungsmittels und Einlieferung bei der Post“ führte (UA S. 9).

Nach den gesamten Urteilsfeststellungen kann die Beauftragung der „Versandabteilung“, nämlich der anderweitig Verfolgten pp. und pp. durch den Haupttäter pp, mit der Aufgabe der vom Angeklagten bestellten Betäubungsmittel zur Post – welche wie ausgeführt regelmäßig den Beginn des versuchten Erwerbs darstellt – jedoch gerade nicht gleichgesetzt werden. Dies würde nämlich jedenfalls voraussetzen, dass die jeweiligen Sendungen mit einer der Post vergleichbaren Sicherheit ohne weitere Zwischenschritte den Empfänger erreichten. Eben daran fehlt es: Wie sich den Urteilsfeststellungen entnehmen lässt, konnte gerade nicht festgestellt werden, dass die vier gegenständlichen Sendungen den Angeklagten erreicht haben. Das urteilsgegenständliche Geschehen (Erwerb von Betäubungsmitteln durch „Internet-Bestellungen“ des Angeklagten) setzte sich danach noch bis in den März 2021 – also über ein weiteres Jahr – fort, ohne dass der Zugang der vom Oktober 2019 bis Februar 2020 bestellten Rauschmittel beim Angeklagten feststellbar gewesen wäre. Auch wurden die Rauschmittel – anders als in den anderen entschiedenen Fällen – nicht bei der Post polizeilich sichergestellt. Damit kann auf Grund der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass die „Versandabteilung“ eben nicht „zuverlässig wie die Post“ arbeitete, sondern – aus welchem Grund auch immer – Sendungen zurückhielt, und dies – wie die vier Fälle beweisen – nicht nur in vereinzelten Ausnahmefällen.

Überdies bedurfte es noch der Dosierung und Portionierung der Rauschmittel, ihrer -naturgemäß den Inhalt verschleiernden – Verpackung und schließlich der Aufgabe zur Post, also weiterer Zwischenschritte in der Sphäre des Versenders. Solange aber die Rauschmittel dessen alleinigen Einflussbereich nicht verlassen haben, liegt der Beginn des Versuchs, der zur tatsächlichen Verfügungsmacht des Käufers führen soll, nicht vor. Dies gilt auch, wenn der Versender arbeitsteilig mit Anderen zusammenarbeitet….“

Im Übrigen: Die Strafzumessung enthält eine Formulierung, die ich so auch noch nicht kannte: „Obwohl das Amtsgericht die Einzelgeldstrafen, die in ihrer Summe 530 Tagessätze erreichen, sehr straff zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zusammengezogen hat, ….

StGB I: Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch, oder: Urteilsgründe

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Und heute dann ein wenig StGB, und zwar zunächst mit dem BayObLG, Beschl. v.  23.03.2022 – 202 StRR 27/22, zu den Urteilsgründen bei einem potentiellen Rücktritts.

Das AG hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung verurteilt. Auf die hiergegen seitens der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung hat das LG das AG-Urteil dahin abgeändert, dass es den Angeklagten wegen „schwerer räuberischer Erpressung“ in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung schuldig gesprochen hat.

Das LG ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„a) Der erst am Tattag aus der Strafhaft entlassene Angeklagte begab sich am Vormittag des 05.02.2021 zur Asylbewerberunterkunft in S., wo er ein Zimmer beziehen sollte. Dort traf er den ihm von früher bekannten Geschädigten, mit dem er am Abend in einem Lebensmittelmarkt Whiskey einkaufte und sich dann etwa zwischen 20.25 und 20.45 Uhr im Bereich eines gegenüber dem Markt gelegenen Skaterparks aufhielt. Obwohl der Angeklagte wusste, dass ihm gegenüber dem Geschädigten keine Zahlungsansprüche zustanden, forderte er dort vom Geschädigten erstmals eine (noch) nicht bezifferte Geldzahlung. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, bewegte er dabei ein von ihm mitgeführtes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 11 cm und einer Klingenbreite von ca. 4 cm vor dem Körper des Geschädigten hin und her. Nachdem der Geschädigte erklärt hatte, dass er nur ca. 10-12 Euro bei sich habe, erklärte der Angeklagte, dass dies nicht reiche. Der Geschädigte flüchtete daraufhin in sein Zimmer in der Asylbewerberunterkunft, wo er kurz vor 21.00 Uhr eintraf. Ca. 5-6 Minuten später betrat der Angeklagte das Zimmer des Geschädigten und forderte dort vom Geschädigten, dass dieser ihm sein gesamtes Geld überlassen oder monatlich 200 Euro zahlen solle, wobei er wiederum das Messer vor dem Körper des Geschädigten hin und her schwenkte, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Nachdem der Geschädigte dem Angeklagten jedoch kein Geld gab, fügte sich der Angeklagte mit dem Messer an der rechten Kopfseite selbst eine blutende Schnittwunde zu. Als der Geschädigten dem Angeklagten ein Tuch zur Blutstillung reichte, schubste der Angeklagte den Geschädigten von sich weg und erklärte diesem, dass er sich selber verletzt habe, damit der Geschädigte sehe, dass er keinen Spaß mache und der Geschädigte ihm Geld geben solle. Der Geschädigte griff in diesem Augenblick mit einer Hand nach dem vom Angeklagten weiterhin gehaltenen Messer und zog an der Klinge, um den Angeklagten zu entwaffnen. Die nur locker mit dem Griff verbunden Klinge löste sich daraufhin aus dem Messergriff. Der Geschädigte warf die Klinge hinter einen im Zimmer befindlichen Schrank, woraufhin der Angeklagte den Geschädigten in den ‚Schwitzkasten‘ nahm und ihn auf dessen Bett drückte, wodurch dem Geschädigten für etwa 1 Minute nur noch wenig Luft blieb, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm. Zudem erlitt der Geschädigte, wie vom Angeklagten vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen, Schmerzen am Hals und am Rücken, sowie zwei etwa handgroße Hämatome am linken Oberschenkel. Während der Angeklagte den Geschädigten würgte, versuchte dieser um Hilfe zu rufen. Nachdem der Angeklagte den Geschädigten aufgefordert hatte, ruhig zu sein, dann werde er ihn loslassen, verhielt sich der Geschädigte still. Der Angeklagte ließ den Geschädigten daraufhin los, verließ den Raum, schloss die Zimmertür und hielt diese zu, wodurch es dem Geschädigten, wie vom Angeklagten beabsichtigt, über einen Zeitraum von etwa 10 Minuten nicht möglich war, den Raum zu verlassen. Erst nach dem Eintreffen einer von zwei anderen Zeugen alarmierten Polizeistreife konnte der Geschädigte sein Zimmer wieder verlassen.“

Das gefällt dem BayObLG nicht:

„2. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch der besonders schweren räuberischen Erpressung i.S.d. § 24 Abs. 1 StGB gar nicht in Erwägung gezogen und demgemäß auch keine Feststellungen getroffen, die dem Senat die Prüfung erlauben würden, ob die Verurteilung wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung zu Recht erfolgt ist. Das Urteil würde nur dann nicht auf dem Erörterungsmangel beruhen, wenn der Versuch zweifelsfrei fehlgeschlagen wäre, weil in einem solchen Fall ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. nur BGH, Beschl. v. 15.01.2020 – 4 StR 587/19 = NStZ-RR 2020, 102; 09.01.2020 – 4 StR 324/19 = DAR 2020, 342 = NStZ 2020, 402 = StV 2020, 598 = BGHR StGB § 315c Abs 1 Nr 2a Vorfahrt 2; 27.11.2019 – 2 StR 609/18, bei juris Urt. v. 16.01.2019 – 2 StR 312/18 = StV 2020, 114). Allerdings kann davon aufgrund der lückenhaften Feststellungen des Landgerichts nicht ausgegangen werden. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 24.11.2021 – 4 StR 345/21 = NStZ-RR 2022, 39 m.w.N.). Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung. Ein Fehlschlag liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Hält er die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH a.a.O. m.w.N).

Da sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob die Tatvollendung endgültig gescheitert war und welches Vorstellungsbild der Angeklagte spätestens nach dem Ablassen von dem Geschädigten im Anschluss an die verübten Würgehandlungen und damit an die nach Sachlage mit Blick auf den Tatvorwurf der versuchten besonders schweren Erpressung mögliche letzte Ausführungshandlung hatte, sind die Urteilsgründe lückenhaft und halten deshalb einer sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand (st.Rspr.; vgl.  neben BGH a.a.O. u.a. BGH, Beschl. v. 09.01.2020 – 4 StR 324/19 = NStZ 2020, 402 = StV 2020, 598 = BGHR StGB § 315c Abs 1 Nr 2a = DAR 2020, 342 = BeckRS 2020, 3848 und 11.01.2022 – 6 StR 431/21 bei juris, jeweils m.w.N.).“

StGB III: Versuchter Wohnungseinbruchsdiebstahl, oder: Wenn der Beschuldigte noch auf der Leiter steht

Bei der dritten Entscheidung handelt es sich dann um einen auf eine Haftbeschwerde hin ergangenen Beschluss. Ja, richtig gelesen. Das gibt es tatsächlich, dass sich ein LG die Mühe macht und subsumiert. In diesem Fall war es das LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 15.04.2021 – 12 Qs 18/21, das im Rahmen einer Haftbeschwerde zu einem versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahl Stellung genommen hat.

In dem zur Prüfung anstehenden Haftbefehl wurde dem Beschuldigten zur Last gelegt:

„In der Nacht vom 2. auf den 3. März 2021, gegen 2:20 Uhr, begab sich der Beschuldigte auf das Grundstück des Zeugen P. in der pp. Straße pp. in Nürnberg, wofür er das abgesperrte Gartentor überwinden musste, da er die Absicht hatte, in das dortige Wohnhaus des Zeugen einzudringen, dieses nach Stehlenswertem zu durchsuchen und möglichst Hochwertiges zu entwenden. Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, nahm der Beschuldigte eine im Garten des Anwesens stehende Leiter, lehnte diese gegen die Hauswand und bestieg diese in der Absicht, sich anschließend auf den Balkon des ersten Stockwerks des Anwesens zu hangeln und von dort aus in die Wohnung einzudringen. Der Zeuge P. bemerkte diesen Vorgang jedoch, machte die Hausinnenbeleuchtung an und begab sich selbst auf den Balkon, von wo aus er den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, was dieser tat.“

Darin hatte das AG einen versuchten schweren Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 242, § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4, §§ 22, 23 StGB) gesehen.  Anders das LG. Das hat den dringenden Tatverdacht verneint und den Haftbefehl aufgehoben:

„Die zulässig erhobene Beschwerde ist in der Sache begründet. Nach gegebenem Ermittlungsstand besteht für das unmittelbare Ansetzen zum Wohnungseinbruchsdiebstahl, und damit für dessen Versuch, kein dringender Tatverdacht.

Ein dringender Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO liegt vor, wenn auf der Grundlage der ermittelten Tatsachen angenommen werden kann, dass sich der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit der ihm angelasteten Tat schuldig gemacht hat; bloße Vermutungen genügen dagegen nicht (BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 – StB 34/07, juris Rn. 4). Die Voraussetzungen liegen nicht vor.

1. Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenakte zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in die Tatbestandsverwirklichung einmündet (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2020 – 4 StR 397/19, juris m. w. N.).

2. Diese allgemeinen Grundsätze hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 28. April 2020 (5 StR 15/20, juris) im Hinblick auf den Versuchsbeginn beim Wohnungseinbruchsdiebstahl unter Auswertung der bisherigen Rechtsprechung zusammengefasst und präzisiert. Dazu hat er ausgeführt (aaO Rn. 6-8 m. w. N.):

Bei Diebstahlsdelikten ist darauf abzustellen, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr eines ungehinderten Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut besteht. Hierfür ist entscheidend, ob der Gewahrsam durch Schutzmechanismen gesichert ist. Ist das der Fall, reicht für den Versuchsbeginn der erste Angriff auf einen solchen Schutzmechanismus regelmäßig aus, wenn sich der Täter bei dessen Überwindung nach dem Tatplan ohne tatbestandsfremde Zwischenschritte, zeitliche Zäsur oder weitere eigenständige Willensbildung einen ungehinderten Zugriff auf die erwartete Beute vorstellt. Sollen mehrere gewahrsamssichernde Schutzmechanismen hintereinander überwunden werden, ist schon beim Angriff auf den ersten davon in der Regel von einem unmittelbaren Ansetzen zur Wegnahme auszugehen, wenn die Überwindung aller Schutzmechanismen im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit paraten Mitteln erfolgen soll. Nicht erforderlich für das unmittelbare Ansetzen zur geplanten Wegnahme ist, dass der angegriffene Schutzmechanismus auch erfolgreich überwunden wird. Deshalb reicht der Beginn des Einbrechens, Einsteigens oder Eindringens im Sinne von § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB regelmäßig aus, um einen Versuchsbeginn anzunehmen. Demnach liegt ein versuchter Diebstahl noch nicht vor, wenn der Täter lediglich einen gewahrsamssichernden Schutzmechanismus anleuchtet, um ihn zu untersuchen. Desgleichen wenn er in der Nähe des Tatorts eintrifft, aber noch nicht sogleich mit der Benutzung des bereitgelegten Einbruchswerkzeugs beginnen will, oder er sich lediglich mit Mittätern zur Rückseite des Gebäudes begibt, in das eingebrochen werden soll. Kein Versuch ist weiter anzunehmen, wenn mit zeitlicher Verzögerung erst noch umfangreiches Werkzeug herbeigeschafft werden muss, um einen Bankautomaten aufbrechen zu können, oder wenn lediglich das Treppenhaus betreten und noch nicht auf den Wohnungsinhaber mit dem Ziel eingewirkt wird, den von ihm geschützten Gewahrsam anzugreifen. Beim Übersteigen eines Gartenzauns oder -tors mit der Absicht, in ein dahinter liegendes Haus einzubrechen, kommt es darauf an, ob Zaun oder Tor schon eine gewahrsamssichernde Funktion zukommt. Ein unmittelbares Ansetzen zum Diebstahl ist hingegen zu bejahen, wenn der Täter das Einbruchswerkzeug bereits angesetzt hat, um damit einen Schutzmechanismus zu überwinden und anschließend in ein Gebäude zum Stehlen einzudringen.

3. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann im konkreten Fall ein unmittelbares Ansetzen des Beschuldigten zum Wohnungseinbruchsdiebstahl nicht hinreichend wahrscheinlich angenommen werden.

…..“

Versuch III: Freiwilliger Rücktritt?, oder: „Herr der Entschlüsse geblieben?“

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Und zum Abschluss dann noch einmal der BGH, Beschl. v. 21.11.2019 – 4 StR 500/19, über den ich ja bereits in anderem Zusammenhang berichtet habe (vgl. Strafzumessung III: „Großer Altersunterschied“ beim sexuellen Missbrauch, Doppelverwertungsverbotes). Heute komme ich auf den Beschluss wegen der entschiedenen materiell-rechtlichen Frage zurück.

Das LG hatte den Angeklagten in einem Fall der Verurteilung wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt. Der BGH hat insoweit aufgehoben, weil das LG nicht ausreichende Feststellungen getroffen hatte, um die  Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts durch das LG prüfen zu können:

„a) Danach fuhr der Angeklagte mit der zu diesem Zeitpunkt maximal dreizehn Jahre alten Nebenklägerin in seinem PKW an eine nicht einsehbare Stelle. Nachdem beide ihre Hose ausgezogen hatten, „sollte“ sich die Nebenklägerin auf den Angeklagten setzen, damit dieser mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr durchführen konnte. Aufgrund der räumlichen Verhältnisse im Auto funktionierte dies jedoch nicht. Nachdem die Nebenklägerin kurz auf dem Angeklagten gesessen hatte und ohne dass es zu einem Eindringen gekommen war, zogen beide sich wieder an und fuhren nach Hause (UA S. 8). Im Rahmen der rechtlichen Würdigung dieses Vorfalls wird das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch ausschließlich mit der Erwägung abgelehnt, der Angeklagte habe nicht freiwillig auf den Geschlechtsverkehr verzichtet. Vielmehr habe das Eindringen aufgrund der räumlichen Verhältnisse im Auto nicht funktioniert, so dass die Situation deshalb abgebrochen worden sei (UA S. 43).

b) Freiwilligkeit liegt vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 5 StR 229/13, NStZ-RR 2014, 9 f. mwN; Beschluss vom 3. April 2014 – 2 StR 643/14, NStZ-RR 2014, 241). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht entnehmen, hält das Urteil sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273; vom 13. August 2015 – 4 StR 99/15, StraFo 2015, 470, jeweils mwN; Beschluss vom 26. Februar 2019 – 4 StR 464/18).

c) So liegt der Fall hier. Den Urteilsausführungen ist nicht zu entnehmen, warum die Beendigung der Bemühungen zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs auf die räumlichen Verhältnisse in dem Auto zurückzuführen sein sollte. Es fehlt an jeglichen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten in diesem Zeitpunkt, insbesondere an der Erörterung naheliegender Varianten einer möglichen Fortsetzung des Geschehens etwa in anderer Position oder außerhalb des verdeckt parkenden Autos.“

Versuch I: Wenn aus Betrug Raub wird, oder: Kein vollendeter Betrug

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Heute gibt es hier dann einen „Versuchstag“ – also drei Entscheidungen – des BGH – zum Versuch und allem,w as damit zusammenhängt.

Ich beginne mit dem schon etwas älteren BGH, Beschl. v. 05.12.2019 – 1 StR 540/19. Es geht gewerbs- und bandenmäßigen Betrug. Das LG hatte die Angeklagten, die nach der „Masche“ der  sogenannten „falschen Polizeibeamten“ unterwegs warn wegen vier Fällen des vollendeten Betruges verurteilt, davon in einem Fall wegen Versuchs. Dem BGH gefällt ein weiterer Fall der Vollendung nicht:

1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe wegen vollendeten gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte Mitglied einer Gruppierung, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrugsstraftaten als „falsche Polizeibeamte“ zum Nachteil älterer Personen zusammengeschlossen hatte, um sich so eine nicht nur vorübergehende ganz erhebliche Einnahmequelle zu verschaffen (UA S. 6). Die Aufgabe des Angeklagten bestand insbesondere darin, die Übergabe der Tatbeute durch die in Deutschland tätigen Bandenmitglieder an die Hintermänner zu organisieren. Im Fall 2 der Urteilsgründe entriss der zur Abholung der Wertsachen erschienene „Polizist“ – abweichend vom gemeinsamen Tatplan und ohne Billigung des Angeklagten und der restlichen Bandenmitglieder – der auf einen Rollator angewiesenen Geschädigten ein fest zwischen Oberkörper und Arm eingeklemmtes Täschchen mit Bargeld sowie einem Sparbuch, nachdem diese misstrauisch geworden war und die Täuschung erkannt hatte (UA S. 8).

b) Insoweit kann dem Angeklagten entsprechend dem zuvor vereinbarten Tatplan nur die Verwirklichung eines versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 5, §§ 22, 23, 25 Abs. 2 StGB als Handlung seiner Mittäter zugerechnet werden.

Für die Annahme eines vollendeten Betrugs fehlt es – in Abgrenzung zum hier vorliegenden Fremdschädigungsdelikt – an einer irrtumsbedingten Verfügung der Geschädigten. Das Entreißen der Tasche der Geschädigten mit den Wertsachen ist dem Angeklagten als wesentliche Abweichung vom Tatplan nicht zuzurechnen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09 Rn. 101; Beschlüsse vom 8. August 2019 – 1 StR 204/19 Rn. 12 und vom 3. März 2011 – 4 StR 52/11 Rn. 11). Auch eine sukzessive Mittäterschaft des Angeklagten am vollendeten Fremdschädigungsdelikt durch die Beteiligung an der Weiterleitung der Tatbeute an die Hintermänner ist nach Beendigung der Tat ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012 – 1 StR 569/12 Rn. 4). Dass der Angeklagte jemals von der Gewaltanwendung erfuhr, ist nicht festgestellt. Bereits deswegen kommt eine Beteiligung am Fremdschädigungsdelikt auch für den Zeitraum nach Vollendung und vor Beendigung nach den Grundsätzen der sukzessiven Mittäterschaft nicht in Betracht. Weitere Feststellungen hierzu sind nicht zu erwarten.

2. Der Senat ändert daher den Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe entsprechend auf versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrug gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 5, §§ 22, 23, 25 Abs. 2 StGB ab. § 265 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen, da auszuschließen ist, dass sich der Angeklagte, der seine Tatbeteiligung an den Taten insgesamt bestritten hat (UA S. 10 ff.), erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können.“