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OWi III: Verwerfung nach Terminsverlegungsantrag, oder: Anforderungen an das Verwerfungsurteil

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Und im letzten Posting zu den OWi-Entscheidungen dann etwas Verfahrensrechtliches, nämlich noch einmal etwas zu den Urteilsgründen eines nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 02.02.2023 – 201 ObOWi 1555/22. Das ist ja eine Stelle, an der immer wieder Fehler gemacht werden.

So war es auch hier, was zur Aufhebung der Verwerfungsentscheidung geführt hat:

„Die im Zulassungsantrag sowie zur Begründung der Rechtsbeschwerde erhobene Gehörsrüge genügt den formellen Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG. Es ist geboten, die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.

1. Der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge liegt folgender, durch die Prozessakten bewiesener Verfahrensgang zugrunde:

Das Amtsgericht Kelheim bestimmte mit Verfügung vom 11.05.2022 (erstmals) Hauptverhandlungstermin auf den 24.06.2022, wobei die Ladungen dem Betroffenen am 13.05.2022 und seinem Verteidiger am 16.05.2022 zugegangen sind.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2022, beim Amtsgericht per beA eingegangen am selben Tag, beantragte der Verteidiger Terminsverlegung mit der Begründung, er befinde sich in der Zeit vom 14.06.2022 bis 28.06.2022 im Urlaub. Eine Entscheidung über das Terminsverlegungsgesuch ist nicht erfolgt

Zum Hauptverhandlungstermin am 24.06.2022 erschienen weder der Betroffene noch der Verteidiger. Das Amtsgericht verwarf deshalb den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 02.03.2022 nach § 74 Abs. 2 OWiG. Das Urteil enthielt lediglich den Hinweis auf § 74 Abs. 2 OWiG, ansonsten aber keinerlei Entscheidungsgründe.

Dementsprechend fand auch der Terminsverlegungsantrag keine Erwähnung.

2. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist die Aufhebung eines Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs dann veranlasst, wenn es sich — wie hier — nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängt, dass das Urteil einer einschlägigen Verfassungsbeschwerde nicht standhalten würde. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass das Gericht Anträge und Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und diese insbesondere auch in seine Entscheidungen einbezieht. Diesbezüglich bestehen vorliegend durchgreifende rechtliche Bedenken, da das Amtsgericht weder das Terminsverlegungsgesuch durch Beschluss verbeschieden hat noch dieses in den Urteilsgründen erwähnt hat.

Insbesondere genügt die Urteilsbegründung nicht den Anforderungen, die an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils zu stellen sind, Danach muss ein Urteil, das den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verwirft, sich grundsätzlich mit möglichen Entschuldigungsgründen auseinandersetzen (vgl. Beck0K/Bär 37. Ed. 01.01.2023 OWiG § 80 Rn. 26). Der Richter hat mit einer die rechtliche Nachprüfung eröffnenden Begründung darzulegen, weshalb er trotz beachtlicher Hinweise für eine genügende Entschuldigung des Betroffenen diese Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben als nicht ausreichend bewertet (vgl. KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 74 Rn. 40 m.w.N.). In diesem Zusammenhang muss sich der Tatrichter auch mit einem Terminsverlegungsantrag des Verteidigers auseinandersetzen und ggf. darlegen, warum er diesem Gesuch nicht entsprochen hat (vgl. BayObLG DAR 2002, 463f.). Bei Zurückweisung eines Terminsverlegungsantrages bedarf es einer Darlegung im Urteil, warum das Interesse an möglichst reibungsloser Durchführung des Verfahrens Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Betroffenen hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2015 —111-3 RBs 200/15 bei juris). Dem Betroffenen ist es nämlich im Regelfall nicht zuzumuten, den Termin in Abwesenheit des Verteidigers wahrzunehmen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 30a m.w.N.). Eine Erörterung, aus welchen Gründen dem Terminsverlegungsgesuch nicht entsprochen wurde, war insbesondere nicht deshalb entbehrlich, weil der Verlegungsantrag von vorneherein unbegründet oder mutwillig gewesen wäre; vielmehr liegt nahe, dass ihm in Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 c) EMRK hätte entsprochen werden müssen (vgl. BayObLG 201 ObOW 1555/22 a.a.O.). Es entspricht zudem der Übung der Amtsgerichte, dass (zumindest) einem mit Sacher-wägungen begründeten ersten Terminsverlegungsgesuch des Verteidigers entsprochen wird.

In dieser Nichtberücksichtigung bzw. Nichterörterung des geschilderten Entschuldigungsgrundes (Terminsverlegungsantrag des Verteidigers) liegt bereits nicht nur ein Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht, sondern zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BayObLG a.a.O.; OLG Köln NZV 1999, 264; KK/Hadamitzky OWiG 5. Aufl. § 80 Rn. 41e). Durch die vom Gesetz nicht gedeckte Verfahrensweise der Tatrichterin blieb zudem das bei Durchführung der Hauptverhandlung zur Sache seitens der Verteidigung angekündigte Vorbringen des Betroffenen zur Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Schuldvorwurfs rechtsfehlerhaft unberücksichtigt. Auch mit der Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG wurde deshalb nicht nur gegen einfaches Verfahrensrecht verstoßen, sondern insbesondere auch dem Betroffenen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in der Sache selbst unzulässigerweise beschnitten (vgl. BayObLG, Beschl. v. 11.01.2001, Az. 2 ObOWi 607/00 bei juris).

3. Auf den Antrag des Betroffenen war daher dessen Rechtsbeschwerde gegen das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Kelheim vom 24.06.2022 zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG) und diese erweist sich aus denselben Erwägungen als begründet.“

StPO III: Terminsverlegungsantrag wird abgelehnt, oder: Anfechtbarkeit der Entscheidung

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Ich komme dann zum Tagesschluss noch einmal auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.01.2023 1 Ws 6 u. 9/23 – zurück. Denn hatte ich neulich ja schon wegen der „Entpflichtungsfrage“ vorgestellt des Pflichtverteidigers wegen gröblicher Pflichtverletzung.

Die Entscheidung enthält noch eine zweite Thematik, nämlich eine Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags Antrag auf Verlegung eines Berufungshauptverhandlungstermin. Auch insoweit hatte die Beschwerde keinen Erfolg.

„Mit seinem durch Rechtsanwalt pp. angebrachten Rechtsmittel vom 29. Dezember 2022 wendet sich der Angeklagte gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 22. Dezember 2022, durch den sein Antrag auf Verlegung des Berufungstermins am 11. Januar 2023 zurückgewiesen worden. Diese hat dem als (einfache) Beschwerde anzusehenden Rechtsmittel mit Beschluss vom 30. Dezember 2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg

Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfindung vorausgehen – abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmen -, nicht der Beschwerde durch die Verfahrensbeteiligten. Ob durch diese Bestimmung die Beschwerde des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gegen eine Terminsverfügung bereits generell ausgeschlossen ist (so OLG Hamm, Beschluss v. 01.09.2009, NStZ-RR 2010, 283) oder diese allenfalls dann mit der Beschwerde angefochten werden kann, wenn die Entscheidung evident fehlerhaft ist, kann vorliegend dahinstehen.

Denn Letzteres ist nur dann der Fall, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessensausübung getroffene Entscheidung für einen Angeklagten eine besondere, selbständige Beschwer beinhaltet, weil sein Recht, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, beeinträchtigt worden ist, dies leicht zu vermeiden gewesen wäre und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung offen-sichtlich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 18.11.2011, 1 Ws 453/11, NJW 2012, 246 m.w.N.).

Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

Zwar hat ein Angeklagter grundsätzlich das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Daraus folgt aber nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte. Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Hierüber und insbesondere über Anträge auf Terminsverlegungen oder -aufhebungen hat er nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung der Kammer, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss v. 20.06.2006, 1 StR 169/06, NStZ-RR 2006, 271).

Dem wird die Entscheidung des Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer gerecht. Der Termin zur Berufungshauptverhandlung am 11. Januar 2023 war bereits mit Verfügung vom 11. Juli 2022 festgesetzt worden. Der Angeklagte hatte hiervon jedenfalls mit Zustellung der Ladung am 9. August 2022 Kenntnis. Die Vertretung des Angeklagten durch Rechtsanwalt pp. war dem Landgericht erst mit Schriftsatz vom 11. November 2022 mitgeteilt worden. Erst mit Schriftsatz vom 19. November 2022 hatte dieser zudem mitgeteilt, am vorgesehenen Termin verhindert zu sein.

Bei dieser Sachlage stellt sich Ablehnung des Verlegungsantrages nicht als ermessensfehlerhaft dar, zumal eine Terminsaufhebung wegen der Arbeitsbelastung der Berufungskammer zu einer erheblichen Verzögerung führen würde.“

StPO III: HVT mit dem Verteidiger abgestimmt, oder: Verlegung scheidet aus

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Und als letzte Entscheidung des Jahres, die nichts mit Gebühren zu tun hat – die kommen morgen noch, hier dann noch der OLG Saarbrücken, Beschl. v.14.12.2022 – 4 Ws 379/22. Es geht noch einmal um die Frage der Anfechtung einer Terminierungsentscheidung.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen verschiedener Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz erhoben. Der Angeklagte selbst ist wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angeklagt. Zwei seiner Mitangeklagten befinden sich seit dem 01.07.2022 in Untersuchungshaft. Mit Verfügung vom 31.10.2022 hat der Vorsitzende der Strafkammer sämtliche Verteidiger über das elektronische Anwaltspostfach über die in Betracht kommenden Hauptverhandlungstermine informiert und um Mitteilung etwaiger Terminsverhinderungen binnen zwei Tagen gebeten. Der Verteidiger des Angeklagten hat die ihm möglichen Hauptverhandlungstermine – darunter den 20.01.2023 – mit Schreiben vom 08.11.2022 mitgeteilt. Mit Verfügung vom selben Tag hat der Vorsitzende der 4. Großen Strafkammer Hauptverhandlungstermine für den 04.01. 2023, 05.01.2023, 20.01.2023, 01.02.2023 und 07.02.2023 festgelegt und die Verteidiger hierüber noch am selben Tag in Kenntnis gesetzt.

Nach der am 30.11.2022 erfolgten Eröffnung des Hauptverfahrens und Ladung der Verfahrensbeteiligten zu den Hauptverhandlungsterminen hat der Verteidiger des Angeklagten die Aufhebung des für den 20.01.2023 bestimmten Hauptverhandlungstermins beantragt. Zur Begründung hat er mitgeteilt, zwischenzeitlich sei in anderer Sache mit dem zuständigen Richter des Amtsgerichts Saarbrücken ein Hauptverhandlungstermin für diesen Tag abgesprochen worden. Die Ladung zu diesem Termin habe er am 21.11.2022 erhalten.  Der Kammervorsitzende hat eine Aufhebung des Verhandlungstermins unter Hinweis darauf abgelehnt, dass in dem umfangreichen Verfahren mit insgesamt sechs Verteidigern die Hauptverhandlungstermine im Vorfeld abgesprochen worden seien.

Gegen die Ablehnung der Verlegung des Termins hat der Verteidiger des Angeklagten ein unbenanntes Rechtsmittel eingelegt. Das OLG sagt dazu: zar zulässig – insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext – aber leider erfolglos:

„2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

a) Nach § 213 Abs. 1 StPO wird der Termin zur Hauptverhandlung von dem Vorsitzenden des erkennenden Gerichts anberaumt. Für wann Termin bestimmt wird, entscheidet er nach pflichtgemäßem Ermessen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; § 213 Rdnr. 6; KK-StPO/Schneider/Gmel, StPO, 8. Aufl., § 213 Rdnr. 1; Löwe-Rosenberg/Jäger, StPO, § 213 Rdnr. 10). Im Falle der Verhinderung des Verteidigers kann die Terminbestimmung ermessensfehlerhaft sein, wenn das Recht des Angeklagten auf freie Wahl des Verteidigers dadurch eingeschränkt wird, dass der Verteidiger das Mandat wegen terminlicher Verhinderung nicht wahrnehmen kann, weil er keinen Einfluss auf die Terminwahl nehmen konnte (Löwe-Rosenberg/Jäger a.a.O.). Umgekehrt kann und darf die Terminlage von Verteidigern in Haftsachen nur insoweit Berücksichtigung finden, wie dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt (BGH StV 2006, 680; KG Berlin, Beschluss vom 25. November 2016 – (4) 161 HEs 31/16 (30 – 34/16) –, juris; Löwe-Rosenberg/Jäger, a.a.O., § 213 Rdnr. 18 m.w.N.). Die Terminbestimmung erfolgt im Regelfall alsbald nach Eröffnung des Hauptverfahrens; Terminabsprachen können jedoch auch bereits vorher vorbehaltlich der Anklagezulassung erfolgen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 213 Rdnr. 6). Über Terminverlegungsanträge entscheidet der Vorsitzende unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung, welchem in Haftsachen besonderes Gewicht zukommt, und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten, zu denen auch das Interesse eines Angeklagten gehört, als Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren und auf eine wirksame Verteidigung durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten zu werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2018 – 1 StR 415/17 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 02. Februar 2015 – III-5 Ws 36/15 –, juris; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 213 Rdnr. 7 m.w.N.; Löwe-Rosenberg/Jäger, a.a.O., § 213 Rdnr. 17 m.w.N.).

b) Die Terminierung überprüft das Beschwerdegericht nur darauf, ob die Verteidigung im Vorfeld ausreichend beteiligt wurde und ob der Vorsitzende sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat (OLG Frankfurt a.a.O.; Löwe-Rosenberg/Jäger, a.a.O., § 213 Rdnr. 18). Die Zweckmäßigkeit der Terminsbestimmung einschließlich der Möglichkeit einer anderen Terminsplanung und Terminierung ist der Nachprüfung des Beschwerdegerichts entzogen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 213 Rdnr. 8 m.w.N.; Löwe-Rosen-berg/StPO, a.a.O., § 213 Rdnr. 8 m.w.N.).

c) Unter Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die Beschwerde als unbegründet.

(1) Der Kammervorsitzende hat den Hauptverhandlungstermin vom 20. Januar 2023 erst anberaumt, nachdem der Verteidiger des Angeklagten ausdrücklich erklärt hatte, an diesem Tag zur Verfügung zu stehen. Die verbindliche Festlegung der Hauptverhandlungstermine erfolgte in zulässiger Weise bereits vor der Eröffnung des Hauptverfahrens durch Schreiben des Vorsitzenden vom 08. November 2022, und nicht – wie der Verteidiger meint – erst mit der Zustellung der Terminladungen.

(2) Die Entscheidung über die Ablehnung des Antrags des Verteidigers, den Termin vom 20. Januar 2023 zu verlegen, weist keine Ermessensfehler auf. Gegenstand der Prüfung des Beschwerdegerichts ist diesbezüglich die Verfügung des Vorsitzenden vom 01. Dezember 2022 in Gestalt der Nichtabhilfeentscheidung der Kammer vom 02. Dezember 2022, da diese mit der Ausgangsentscheidung verfahrensrechtlich eine Einheit bildet und sie ergänzend begründen kann (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2016, 383; OLG Hamm, Beschluss vom 21. Dezember 2017 – III-5 Ws 578/17 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 306 Rdnr. 8). Die Strafkammer hat im Rahmen ihrer Entscheidung insbesondere nicht verkannt, dass ihr hinsichtlich der Frage einer etwaigen Verlegung des Termins vom 20. Januar 2023 ein Ermessensspielraum zustand, sondern ausdrücklich noch im Nichtabhilfeverfahren ein mögliches Abrücken von der Entscheidung des Vorsitzenden erwogen. Das Interesse des Angeklagten, auch im Termin vom 20. Januar 2023 von einem Verteidiger seiner Wahl vertreten zu werden, hat der Vorsitzende bereits in der Abstimmung des Termins mit dem Verteidiger in der gebotenen Weise berücksichtigt, also erkennbar nicht aus dem Blick verloren, jedoch in der gebotenen Weise zugleich die – hier angesichts der sich bereits über einen Zeitraum von nahezu sechs Monaten erstreckenden Inhaftierung gewichtigen (vgl. BVerfG NJW 2006, 672, 676; BGH NStZ 2007, 163; OLG Hamm, Beschluss vom 6. November 2012 – III-5 Ws 333/12 –, juris) – Interessen zweier Mitangeklagter an einer beschleunigten Verfahrensgestaltung in seine Erwägungen eingestellt. Soweit der Verteidiger meint, im Rahmen der getroffenen Entscheidung sei nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt worden, dass eine Ladung zu dem kollidierenden amtsgerichtlichen Termin bereits vor der in vorliegendem Verfahren erfolgt sei, vermag der Senat dem bereits deshalb nicht zu folgen, weil die Bestimmung der Hauptverhandlungstermine durch den Vorsitzenden der 4. Strafkammer bereits durch Schreiben vom 08. November 2022 erfolgt war, also bevor den Verteidiger am 21. November 2022 die amtsgerichtliche Ladung erreicht hat. Soweit der Verteidiger geltend macht, ihm sei nicht zuzumuten, Termine vorsorglich zu blockieren, liegt ein solcher Fall angesichts der verbindlichen Terminabsprache nicht vor.“

Termin I: Ermessen bei der Terminsverlegung, oder: Wenn der Verteidiger auf sein Kind aufpassen muss

Ich stelle heute dann mal drei Entscheidungen vor, die alle mit dem (Hauptverhandlungs)Termin, der Terminierung und/oder der Terminsverlegung zu tun haben.

Den Opener macht der LG Berlin, Beschl. v. 29.07.2021 – 531 Qs 73/21. Ergangen ist die Entscsheidung in einem Verfahren mit dem Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort auf die Beschwerde des Verteidigers. In dem Verfahren hatte das AG zunächst einen Hauptverhandlungstermin für den 27.08.2021 anberaumt. Dieser Termin wurde aufgrund eines Terminsverlegungsantrags des Verteidigers, der angegeben hat sich vom 16.08.2021 bis 03.09.2021 im Urlaub zu befinden, auf den 08.09.2021 verlegt. Dann beantragt der Verteidiger erneut Terminsverlegung unter Hinweis auf die Betreuung seines knapp einjährigen Kindes. Er hat vorgetragen, dass die Kindsmutter ab dem 06.09.2021 wieder arbeiten geht und ein Kitaplatz erst ab dem 20.09.2021 zur Verfügung steht. Er hat nach dem 06.09.2021 Hauptverhandlungstermine Dienstags, Donnerstags oder Freitags vorgeschlagen.

Der Amtsrichter lehnt ab, da nicht ersichtlich sei, dass die Kindesbetreuung am Terminstag nicht anderweitig oder ausnahmsweise durch die Kindsmutter erfolgen könne, eine Terminsverlegung bereits durch den Verteidiger veranlasst worden sei und das Interesse an einer Verfahrensbeschleunigung die Organisationsschwierigkeiten des Verteidigers überwiegen würde. Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hat:

„1. Die Beschwerde ist zulässig. Zwar können nach der in § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO getroffenen Regelung Verfügungen des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts, durch die ein Termin zur Hauptverhandlung anberaumt, verlegt oder eine solche Verlegung abgelehnt wird, grundsätzlich nicht mit der Beschwerde angefochten werden (vgl. KG, Beschl. v. 27.11.2006 – 4 Ws 207/06). Jedoch ist eine Anfechtung ausnahmsweise zulässig, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessensausübung getroffene Entscheidung für einen Angeklagten eine besondere selbstständige Beschwer beinhaltet, weil sein Recht, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, beeinträchtigt worden ist, dies leicht zu vermeiden gewesen wäre und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung offensichtlich ist (vgl. KG, Beschl. v. 06.10.2008 – 3 Ws 341/08, m.w.N.).

So liegt der Fall hier. Die Entscheidung des Richters des Amtsgerichts ist offensichtlich fehlerhaft, weil sie nicht alle für die Abwägung der Interessen des Angeklagten an einer Verteidigung durch den von ihm gewählten Verteidiger mit den Interessen der Strafrechtspflege bedeutsamen Gesichtspunkte erkennbar in Betracht zieht. Dies ist auch nicht im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung nachgeholt worden. Zum einen waren den Terminierungen keine Bemühungen um eine Abstimmung der Termine vorausgegangen, was hier unproblematisch bei einer Tagessache mit lediglich einem Verteidiger möglich gewesen wäre. Zum anderen wurde nicht berücksichtigt, dass der Verteidiger zum Zeitraum der Terminierung neue mögliche Termine vorschlägt. Des Weiteren findet sich keine Darlegung der Terminslage der Abteilung oder eine Begründung, warum dem Verfahren nunmehr ein besonderes Beschleunigungsinteresse zu teil wird (weder Haftsache noch Führerschein vorläufig beschlagnahmt).

2. Die Beschwerde ist auf Grund dieses Fehlers bei der Ermessensausübung auch begründet. Die Kammer hebt die angefochtene Entscheidung auf. Der Richter am Amtsgericht wird erneut über den Terminsaufhebungsantrag vom 29.06.2021 zu entscheiden haben. Insoweit kann die Kammer keine abschließende Entscheidung treffen, da es auch möglich erscheint, dass eine fehlerfreie Ermessensausübung zu demselben Ergebnis führt.“

Termin I: Ablehnung einer Terminsverlegung wegen „Geschäftslage“, oder: „Auf Biegen und Brechen“?

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Heute dann mal drei Entscheidungen rund um den Termin, also Terminierung, Ladung usw.

Ich beginne mit dem LG Schwerin, Beschl. v. 24.06.2021 – 33 Qs 47/21 jug, den mir der Kollege Tauber aus Rostock geschickt hat.

Gegenstand der Entscheidung ist die Terminierung in einem Verfahren wegen Nötigung und Bedrohung mit folgendem Sachverhalt:

„Durch Beschluss vom 21.04.2021 wurde die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht, Jugendrichter, eröffnet. Am selben Tag wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 20.05.2021, 12:30 Uhr bestimmt. Die Ladung, die am 04.05.2021 durch die Geschäftsstelle abgearbeitet wurde, ging dem Wahlverteidiger des Angeklagten am Freitag, 07.05.2021 zu. Mit Schriftsatz vom 10.05.2021, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, beantragte der Verteidiger Terminverlegung, da er am 20.05.2021 bereits in einem anderen Strafverfahren ab 10:00 Uhr beim Landgericht Rostock eingebunden sei. Der Angeklagte wünsche eine Verteidigung durch seine Person. Mit Schreiben vom 11.05.2021 lehnte das Amtsgericht die Terminverlegung mit den Sätzen „die Geschäftslage lässt eine Verlegung des Termins nicht zu. Im Übrigen liegt auch kein Fall notwendiger Verteidigung vor“ ab. Gegen dieses Schreiben, das am 17.05.2021 von der Geschäftsstelle versandt wurde, legte der Verteidiger des Angeklagten am 19.05.2021, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Beschwerde ein. Er begründet diese im Wesentlichen damit, dass die Ablehnung des Verlegungsantrages keine Ermessensentscheidung erkennen lasse und der zeitliche Ablauf den Verdacht errege, dass dem Angeklagten die prozessualen Rechte beschnitten werden sollten. Die Ablehnung des Verlegungsantrages sei mithin prozessordnungswidrig, da der Angeklagte so gehindert werde, durch seinen gewählten Verteidiger in der Hauptverhandlung verteidigt zu werden. In seiner, des Verteidigers, Teilnahme an der ganztägig anberaumten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Rostock bei der es sich um eine Haftsache handele und dessen Terminierung bereits im Februar/ März 2021 erfolgt sei, liege ein Verlegungsgrund, der nicht zurückgewiesen werden dürfe.“

Das AG hat den Terminverlegungsantrag erneut zurückgewiesen. Verteidiger und Angeklagter sind nicht nur Hauptverhandlung erschienen. Gegen den Angeklagten ist ein Strafbefehl gemäß § 408a StPO ergangen. Gegen den ist Einspruch eingelegt. Und eben Beschwerde gegen die Ablehnung des Verlegungsantrags. Und die hatte beim LG Schwerin Erfolg:

„2. Die Bestimmung des Termins zur Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden des Jugendgerichts auf den 20.05.2021, 12:30 Uhr, war ermessensfehlerhaft. Eine ausreichende Ermessensabwägung, diesen Termin bestehen zu lassen, ist insbesondere im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang mit der Terminierung und der Bescheidung des Verlegungsantrages nicht erkennbar.

Zurecht führt das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 20.05.2021 zunächst aus, dass die Verhinderung des gewählten Verteidigers für sich allein nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Verlegung der Hauptverhandlung gibt. Dies folgt schon aus der Regelung des § 228 Abs. 2 StPO, wonach die Verhinderung des Wahlverteidigers dem rechtzeitig geladenen Angeklagten kein Recht gibt, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Dies gilt – anders als der Beschwerdeführer meint – auch, wenn der gewählte Verteidiger in anderen Strafverfahren unabkömmliche Termine hat. Dieser Gesichtspunkt hat lediglich Gewicht im Rahmen der Ermessenabwägung.

Das als Beschluss auszulegende Schreiben des Vorsitzenden vom 11.05.2021, mit dem der mit Terminüberschneidung begründete Antrag des Verteidigers mit zwei pauschalen Sätzen zurückgewiesen wurde, lässt allerdings nicht ausreichend erkennen, dass im Vorfeld der Entscheidung eine Ermessensabwägung stattgefunden hat. Es enthält keinerlei Anhaltspunkte für eine etwaig vorgenommene Abwägung. Der pauschale Verweis auf die Geschäftslage des Gerichts und dass kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege, genügt hierfür nicht. Insbesondere hätte der Vorsitzende bereits hier in den Blick nehmen müssen, dass die Ladung aus Gründen, die allein im Geschäftsbereich des Amtsgerichts Wismar lagen, den Verteidiger erst 12 Tage vor dem Hauptverhandlungstermin erreichte und diese sofort, nämlich am nächsten, auf die Ladungszustellung folgenden Werktag, einen mit einer Begründung versehenen Verlegungsantrag stellte.

Auch der Beschluss des Amtsgerichts vom 20.05.2021, mit der der Beschwerde gegen die Entscheidung vom 11.05.2021 nicht abgeholfen wurde und der Terminverlegungsantrag erneut zurückgewiesen worden ist, lässt eine ausreichende Interessenabwägung innerhalb des Ermessensspielraums nicht erkennen, auch wenn eine gewisse Verärgerung des Vorsitzenden über die Art und den unterschwelligen Ton des Beschwerdeschriftsatzes vom 19.05.2021 nachvollziehbar ist. Der Beschluss des Amtsgerichts erschöpft sich im Wesentlichen in allgemeinen Ausführungen, ohne dass erkennbar wird, dass der Vorsitzende innerhalb des ihm zustehenden weiten Ermessensspielraumes neben der Bedeutung der Sache sowohl in angemessener Weise die Geschäftslage des Gerichts als auch die Belange des Angeklagten bedacht und abgewogen hat. Dabei hat der Vorsitzende das grundsätzliche Recht des Angeklagten auf den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl und seines Vertrauens als Ausdruck des Grundsatzes eines fairen Verfahrens verkannt. Er hat neben seiner Arbeitsbelastung nicht den Gesichtspunkt in den Blick genommen, dass die kurzfristige Bekanntgabe des anberaumten Hauptverhandlungstermins und die verzögerte Übersendung der Zurückweisung des Verlegungsantrages allein aus dem Geschäftsbereich des Amtsgerichts kamen und der Angeklagte sowie sein Verteidiger hierdurch auch in ihren Möglichkeiten, auf die verfahrensleitenden Anordnungen des Gerichts reagieren zu können, übermäßig eingeschränkt wurden. Selbst wenn der Angeklagte erwogen hätte, sich ggfs. um einen anderen anwaltlichen Beistand zu bemühen, so wäre dies aus zeitlichen Gründen, für die er keine Ursache gesetzt hatte, nur eingeschränkt möglich, wenn nicht gar unmöglich gewesen. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um keinen Fall der notwendigen Verteidigung gehandelt hat. Auch insoweit besteht regelmäßig das Recht, sich eines Verteidigers seiner Wahl zu bedienen.

Angesichts der Tatsache, dass knapp sieben Monate zwischen Tatzeitpunkt und Anklageerhebung vergingen und es sich um keine Haftsache handelte, war trotz des in Jugendsachen grundsätzlich bestehenden Beschleunigungsgebotes keine Eile erforderlich, die eine Anberaumung der Hauptverhandlung innerhalb kürzester Zeit erforderte. Zudem handelte es sich um die erste Terminierung in dieser Sache, so dass auch keine wesentliche Verschleppung des Verfahrens drohte. Eine Terminierung frühestens im Herbst 2021, wie der Vorsitzende sie für möglich hält, dürfte auch in einem Verfahren nach JGG nicht gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen.

Unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände war es deshalb vorliegend ermessensfehlerhaft, den Belangen der zügigen Erledigung des Verfahrens den Vorrang vor dem Grundsatz des fairen Verfahrens einzuräumen.“

In meinen Augen auch so einer dieser Entscheidungen, bei denen man den Eindruck hat, dass der Termin auf „Biegen und Brechen“ durchgeführt werden soll.