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Haft I: Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen, oder: Kranker Vorsitzender, SV-Gutachten, Terminierung

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Bei mir im Blogordner hängen drei Haftentscheidungen, also reicht es heute für einen „Hafttag“.

Den beginne ich mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 03.12.2024 – 1 Ws 17/24 H. Ergangen ist der Beschluss im besonderen Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO, also „Sechs-Monats-Haftprüfung“. Der liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der Angeklagte befindet sich nach vorläufiger Festnahme am 23.052024 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Ihm wird unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) in 219 Fällen und eine Beleidigung vorgeworfen. 216 der insgesamt 220 Tatvorwürfe haben ein identisches Tatgeschehen zum Gegenstand.

Der seinerzeit noch Beschuldigte hatte gegen den Haftbefehl Beschwerde eingelegt, die keinen Erfolg hatte. Im Anschluss hieran verfügte die Dezernentin bei der Staatsanwaltschaft am 20.06.2024 die „Fortsetzung der Ermittlungen“ durch die zuständige Kriminalpolizeistelle, ohne deren Art und Umfang zu konkretisieren. Auf ihre Sachstandsanfrage vom 08.072024 teilte ihr der sachbearbeitende Beamte mit, „dass die Ermittlungen abgeschlossen sind“. Lediglich ein Wirkstoffgutachten stehe noch aus. Hierbei handelt es sich vermutlich um ein Gutachten vom 22.07.2024. Am 17.07.2024 erstellte die Kriminalpolizeistelle ihren letzten Schlussvermerk. Die angekündigte Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft erfolgte sodann am 07.082024 auf dem Postweg und ohne Haftvermerk. Am 19.082024 erhob die Staatsanwaltschaft  schließlich Anklage zur Strafkammer, welche am 22.08.2024 die Zustellung und Übersetzung der Anklageschrift veranlasste. Am 16.09.2024 ging das seitens der Staatsanwaltschaft mit Anklageerhebung bei einer  Sachverständigen telefonisch unter Übersendung eines elektronischen Aktendoppels in Auftrag gegebene Gutachten zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 StGB ein.

Zwischenzeitlich war der Kammervorsitzende seit dem 12.09.2024 bis zum 17.11.2024 dienstunfähig erkrankt. Die stellvertretende Kammervorsitzende hat mit Verfügung vom 25.10.2024 die Terminverfügbarkeiten des Verteidigers und der Sachverständigen abgefragt und von diesen am 04. bzw. 01.11.2024 Rückmeldungen erhalten, aus denen sich aus Sicht der Kammer ergab, dass eine beschleunigte Durchführung der Hauptverhandlungen aufgrund unzureichender Verfügbarkeiten nicht möglich sein würde. Darüber kam es zu einer fortgesetzten Korrespondenz zwischen der stellvertretenden Kammervorsitzenden und dem Verteidiger.

Am 08.11.2024 erging sodann die Eröffnungsentscheidung der Kammer. Zugleich verfügte die stellvertretende Kammervorsitzende die Ladung zur Hauptverhandlung mit Beginn am 21.11.2024 um 16 Uhr, also vier Tage vor Ablauf der nach § 43 Abs. 2 StPO zu berechnenden Sechs-Monats-Frist. Die Ladungsverfügung wurde am 11.11.2024 ausgeführt; die Zustellung an den Verteidiger erfolgte am 13.11.2024.

Aufgrund der Nichteinhaltung der Ladungsfrist nach § 217 Abs. 1 StPO beantragte der Verteidiger für den Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 21.11.2024 die Aussetzung der Hauptverhandlung gemäß § 217 Abs. 2 StPO und teilte auf Frage des Vorsitzenden mit, dass auch für den Beginn der Hauptverhandlung am 28.11.2024 (dem eigentlich nächsten Fortsetzungstermin) seitens des Angeklagten nicht auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichtet werde. Die Hauptverhandlung wurde sodann mit Beschluss der Kammer in der begonnenen Hauptverhandlung ausgesetzt. Von einer Terminierung auf den 28.11.2024 sah der Vorsitzende ab, da umstritten sei, ob die Ladungsfrist nach § 217 Abs. 1 StPO auch nach Aussetzung der Hauptverhandlung gelte. Dies sei nach seiner Auffassung jedenfalls dann anzunehmen, wenn – wie vorliegend – die Ladungsfrist bezüglich der ausgesetzten Hauptverhandlung nicht gewahrt gewesen sei.

Die Strafkammer hat die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich und verhältnismäßig gehalten und hat die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

Der Verteidiger hatte gegenüber der Kammer in der Korrespondenz im Hinblick auf die problematische Terminierung zunächst ausgeführt, die mögliche Terminierung trage „dem besonderen Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen hinreichend Rechnung“. In seiner an den Senat gerichteten Stellungnahme vom 28.11.2024 hate er nunmehr eine umfassende Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes gerügt.

Das OLG hat den Haftbefehl des AG aufgehoben und die Entlassung des Angeklagten aus der U-Haft angeordnet. Das OLG hat den m.E. schleppenden Verfahrensgang mit deutlichen Worten gerügt. Wegen der Einzelheiten bitte selbst lesen. Ich veröffentliche hier nur die Leitsätze (des OLG), und zwar:

1. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt während des gesamten Ermittlungsverfahrens. Es ist daher uneingeschränkt mit Beginn des Vollzuges der Untersuchungshaft zu beachten und nicht etwa – solange die Sechs-Monats-Frist (gerade noch) eingehalten werden kann – bis zur besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO mit geringeren Anforderungen.

2. Eine mit Haftsachen befassten Großen Strafkammer muss – anders als bei einer unvorhergesehenen und kurzen Erkrankung – dafür Sorge tragen, dass bei einem längerfristigen Ausfall eines Kammermitgliedes gleich aus welchem Grund eine angemessene Verfahrensförderung und ggf. auch die Durchführung einer Hauptverhandlung mit einer Vertretung gewährleistet ist. Ein unabsehbares Zuwarten stellt schon für sich eine Verletzung des Beschleunigungsgebots dar.

3. Es ist seitens der Staatsanwaltschaft grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Eingang von Gutachten abgewartet wird, um bei Anklageerhebung sämtliche Beweismittel anführen zu können. Verzögert sich dies aber, ist dieser Verzögerung zum einen dadurch zu begegnen, dass die Gutachtenerstellung maximal priorisiert wird und zum anderen der Abschluss der Ermittlungen soweit vorangebracht wird, dass bei Eingang der restlichen Ermittlungsergebnisse diese zeitnah eingearbeitet werden können.

4. Dass es gerade im Hinblick auf die Auslastung von Verteidigern und Sachverständigen zu Konstellationen kommt, die dem Beschleunigungsgebot bei der Terminierung zuwiderlaufen, ist ein Problem, welches in Haftsachen geradezu typischerweise besteht. Es ist daher von einem mit Haftsachen befassten Spruchkörper zu erwarten, dass dem durch frühzeitige Planung und Terminabstimmung wirksam begegnet wird.

5. Bei der Annahme der Verhinderung eines Verteidigers ist ein Maßstab zugrunde zu legen, der sich an der Vorrangigkeit von Haftsachen orientiert. In einer Haftsache kommt deshalb grundsätzlich lediglich eine Verhinderung durch andere bereits bestimmte Hauptverhandlungstermine in Haftsachen in Betracht, die von dem Verteidiger grundsätzlich auch zu belegen ist. Eine Beiordnung hat zu unterbleiben oder ist zu beenden, wenn ein Verteidiger nicht gewährleisten kann, das ihm übertragene Mandat auch tatsächlich wahrzunehmen.

Termin II: Ermessensausübung beim Terminieren, oder: Anspruch auf den Verteidiger des Vertrauens

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.09.2022 – 4 Ws 403/22 – geht es um Terminierungsfragen und die Ausübung des Vorsitzendenermessen bei der Terminierung.

Ergangen ist der Beschluss in einem gegen den Angeklagten pp. sowie gegen zwei weitere Angeklagte laufenden Verfahrens wegen des Verdachts des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a. geführt. Das LG hat nach Eingang Anklageschrift am 29.07.2022 mit der Pflichtverteidigerin des Angeklagten, Rechtsanwältin E sowie mit den Verteidigern der beiden Mitangeklagten mögliche Hauptverhandlungstermine abgestimmt.

Vor dem Eingang der Anklageschrift beim LG hatte sich am 25.07.2022 Rechtsanwalt B. gegenüber der Staatsanwaltschaft für den Angeklagten pp. legitimiert und Akteneinsicht beantragt. Eine Weiterleitung des Schriftsatzes an das LG im Nachgang zur Anklage durch die Staatsanwaltschaft ist nicht erfolgt. Auch wurden weder Rechtsanwalt B. noch der Angeklagte auf die bereits erhobene Anklage hingewiesen. Infolgedessen blieb Rechtsanwalt B. bei der Abstimmung der möglichen Hauptverhandlungstermine mit den Verfahrensbeteiligten unberücksichtigt.

Mit Verfügung vom 22.08.2022 hat der Vorsitzende für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens Hauptverhandlungstermine auf den 8. , 14. und 17.11. sowie weitere Fortsetzungstermine bestimmt. Tags darauf hat sich Rechtsanwalt B. telefonisch an die Geschäftsstelle des Landgerichts gewandt und in der Folge per Fax seine verfügbaren Termine übermittelt. Am 24.08.2022 hat der Vorsitzende Rechtsanwalt B. mitteilen lassen, dass die Kammer für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens bereits vor dem Erhalt seines Schreibens vom Vortag Termine bestimmt habe. Sein Legitimationsschreiben habe sich nicht bei der Akte befunden. Ebenfalls am 24.08.2022 hat das LG die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen.

Gegen die Terminsverfügung des Vorsitzenden hat der Angeklagte Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG Erfolg. Das OLG sieht die Beschwerde als zulässig an – insoweit bitte selbst lesen. Zur Begründung führt es aus:

„2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Vorsitzende hat das ihm im Rahmen der Terminierung zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Die Terminsverfügung ist deshalb rechtsfehlerhaft.

a) Zwar liegt die Terminshoheit beim Vorsitzenden (§ 213 StPO). Sowohl der Angeklagte als auch der Verteidiger haben keinen allgemeinen Rechtsanspruch auf die Anberaumung eines „Wunschtermins“, und aus seinem Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, folgt auch nicht, dass bei jeder Ver-hinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte (BGH, NStZ 2007, 163, 164). Der Angeklagte hat im Falle einer Verhinderung seines Verteidigers auch kein Recht, die Aussetzung einer Hauptverhandlung zu verlangen (§ 228 Abs. 2 StPO). Die Entscheidung des Vorsitzenden ist überdies nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die rechtlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens eingehalten und ob das ihm zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt wurde.

b) Eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass der Vorsitzende neben der Belastung des Gerichts auch berechtigte Wünsche der Prozessbeteiligten, insbesondere des Verteidigers, berücksichtigt. Insbesondere muss er sich ernsthaft bemühen, dem Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen (Art. 6 Abs. 3c EMRK, § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO), soweit wie möglich Geltung zu verschaffen und einem nachvollziehbaren Begehren dieses Verteidigers bezüglich der Terminierung im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der Strafkammer und anderer Verfahrensbeteiligter sowie des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen (BGH, Beschluss vom 21. März 2018 — 1 StR 415/17).

Von dieser Verpflichtung wurde der Vorsitzende vorliegend nicht deshalb frei, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung durch seine Pflichtverteidigerin vertreten sein wird. Die terminliche Verfügbarkeit von Rechtsanwalt B, ist deshalb nicht irrelevant, zumal dessen Mandatierung als Wahlverteidiger auch Anlass gibt, eine Aufhebung der Bestellung gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO zu prüfen.

c) Ein derartiges Bemühen des Vorsitzenden ist vorliegend weder bei der Bestimmung der Hauptverhandlungstermine noch hinsichtlich des nachfolgenden Schreibens von Rechtsanwalt B. noch im Rahmen der Entscheidung über die Nichtabhilfe ersichtlich. Auch erscheint eine anderweitige Terminierung nicht von vornherein ausgeschlossen, nachdem die übrigen Verteidiger an den von Rechtsanwalt B. vorgeschlagenen Hauptverhandlungsterminen jedenfalls nicht allesamt und nicht durchgängig verhindert sind.

aa) Dabei hat der Senat nicht übersehen, dass die Verhinderungen von Rechtsanwalt B. bei der Anberaumung der Hauptverhandlungstermine vom Vorsitzenden nicht berücksichtigt werden konnte, da ihm der Legitimierungsschriftsatz vom 25. Juli 2022 zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorlag und eine ordnungsgemäße Ermessensausübung schon deshalb nicht möglich war. Dies ist indes weder dem Angeklagten noch Rechtsanwalt B, der von der zwischenzeitlich erfolgten Erhebung der Anklage keine Kenntnis hatte und seine Verteidigungsanzeige deshalb zwingend an die Staatsanwaltschaft richten musste, anzulasten.

Vielmehr hätte es der Staatsanwaltschaft oblegen, die Verteidigungsanzeige im Nachgang zur Anklageschrift unmittelbar an das Landgericht weiterzuleiten. Dies ist aus ersichtlich nicht vom Angeklagten oder dessen Verteidigung zu vertretenden Gründen nicht erfolgt. Auch bestand ersichtlich keine Verpflichtung für Rechtsanwältin E. die Strafkammer von der Mandatierung eines zweiten Verteidigers zu informieren und so das Versäumnis der Staatsanwaltschaft auszugleichen.

bb) Es ist jedoch auch nicht erkennbar, dass die berechtigten Belange des Angeklagten im Hinblick auf eine Vertretung (auch) durch Rechtsanwalt B. in der Hauptverhandlung im weiteren Verlauf des Verfahrens oder im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung Berücksichtigung gefunden hätten. Stattdessen wird dort lediglich ausgeführt, dass eine nachträgliche Berücksichtigung der von Rechtsanwalt B. mitgeteilten freien Termine nicht möglich gewesen wäre und die Sache eilbedürftig sei, obwohl die Hauptverhandlung erst in knapp zwei Monaten beginnen soll. Ein deutlich früherer Beginn wurde nicht erwogen, bei den Verteidigern wurden Termine erst ab dem 31. Oktober 2022 abgefragt.

Zudem hätten etwa am 7. November 2022 sämtliche Verteidiger zur Verfügung gestanden, Rechtsanwältin E. und Rechtsanwalt U jeweils ganztags, Rechtsanwalt K zumindest vormittags. Dennoch ist nicht ersichtlich, dass eine anderweitige Terminierung auch nur erwogen wurde, eine Ermessensausübung fand weiterhin nicht statt. Dies zwingt zur Aufhebung der Terminsverfügung im Umfang der Anfechtung.

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Vorsitzende trotz der nunmehr erfolgten Terminsaufhebungen nicht gezwungen ist, mit der Hauptverhandlung erst Ende November oder gar zu einem noch späteren Zeitpunkt zu beginnen. Auch ist es aufgrund der Entscheidung des Senats nicht von vornherein ausgeschlossen, erneut Hauptverhandlungstermine auf den 8., 14. und 17. November 2022 anzuberaumen.

Denn der Vorsitzende ist lediglich gehalten, sich nach Kräften zu bemühen, eine Verteidigung aller Angeklagter durch die jeweils von ihnen gewünschten Verteidiger zu gewährleisten. Sollte es trotz solcher – bislang gegenüber Rechtsanwalt B. nicht erfolgter – Bemühungen nicht gelingen, Terminkollisionen zu beheben und Alternativtermine abzustimmen, an denen alle vier an dem Verfahren beteiligten Verteidiger zur Verfügung stehen, ohne dass dies zu Verfahrensverzögerungen führen würde, wird im Rahmen der Ermessensausübung insbesondere das Beschleunigungsgebot zu berücksichtigen sein. Dieses steht nicht zur Disposition des Angeklagten (OLG Stuttgart, NStZ 2016, 436). Insoweit wird der Vorsitzende auch bemüht sein — sollte der Senat nach Abschluss der noch ausstehenden Haftprüfung gemäß § 121 Abs. 1, § 122 StPO Haftfortdauer anordnen — eine nochmalige Vorlage nach neun Monaten Untersuchungshaft zu vermeiden.

Darüber hinaus kann im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden, ob an den in Betracht kommenden Hauptverhandlungstagen bei mehreren Verteidigern Terminkollisionen vorliegen oder etwa nur bei einem Verteidiger, zumal wenn dessen Mandant anderweitig anwaltlich vertreten ist.

Soweit an möglichen Terminstagen bereits anderweitige, ebenfalls dem Beschleunigungs-gebot unterliegenden Haftsachen anberaumt sind, kann dies im Rahmen der Ermessens-ausübung ebenfalls in die Erwägungen einbezogen werden.“

Irgendwie hat man den Eindruck, dass der Vorsitzende „nicht so richtig wollte“, wie es das OLG gern gesehen hätte.

StPO III: Keine Anfechtung der Terminsverfügung, oder: Elternzeit des Verteidigers in einer Haftsache

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Und dann als dritte und letzte Entscheidung heute der KG, Beschl. v. 15.03.2022 – 2 Ws 27/22 – zur Frage der Möglichkeit der Anfechtung der Terminierung. Ergangen ist die Entscheidungt in einem Strafverfahren gegen sechs Angeklagte – darunter solche, die vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont sind – wegen (u.a.) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in insgesamt über 300 Fällen.  Die Anklage datiert vom 15.05.2020. Das Hauptverfahren ist unter Zulassung der Anklage (mit einigen Änderungen) am 07.05.2021 eröffnet worden.

Mit Verfügung vom 18.11.2021 hat der Vorsitzende der Strafkammer 31 Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung ab dem 09.06.2022 bis zum 25.10.2022 anberaumt und  alle Verteidiger aufgefordert, binnen zwei Wochen Vorschläge für die Bestellung von je einem weiteren Pflichtverteidiger oder einer Pflichtverteidigerin zur Verfahrenssicherung zu unterbreiten. Am 06.12.2021 beantragte dann die Angeklagte M., mit der Hauptverhandlung erst ab dem 29.09.2022 zu beginnen und alle früheren Termine aufzuheben und ggf. notwendige weitere Termine erst nach dem 25.10.2022 anzusetzen, weil sich ihr (Wahl-) Verteidiger vom 18.03. bis zum 17.09.2022 in Elternzeit befinden werde. Mit E-Mail an ihren Verteidiger vom 17.12.2021 lehnte der Vorsitzende diesen Antrag unter Hinweis auf den Beschleunigungsgrundsatz ab.

Dagegen die Beschwerde der Angeklagten, die das KG als gemäß § 305 Satz 1 StPO unstatthaft und deshalb unzulässig angesehen und deshlab zurückgewiesen hat.

Das KG referiert die unterschiedlichen Auffassungen in der Rechtsprechung zu der Frage, ob eine Anfechtung der der Terminierung statthaft ist oder nicht. Es schließt sich dann der Auffassung an, die das verneint:

„d) Der Senat ist der Auffassung, dass die Beschwerde gegen Terminsverfügungen des Vorsitzenden grundsätzlich unstatthaft ist. Die Terminierung stellt geradezu einen „Musterfall“ für den vom Gesetzgeber gewollten Ausschluss der Beschwerde nach § 305 Satz 1 StPO dar. Dem Angeklagten stehen auch ohne die (gegen den Wortlaut der Vorschrift konstruierte) Fiktion einer ausnahmsweise doch statthaften Beschwerde effektive Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. So kann er im Falle der Verhinderung des Verteidigers sein Vorbringen ohne weiteres in der Hauptverhandlung gemäß §§ 228 Abs. 2, 265 Abs. 4 StPO im Rahmen eines Aussetzungsantrages geltend machen. Wird der Antrag zu Unrecht abgelehnt, kann der Angeklagte seine Revision auf eine Verletzung des § 338 Nr. 8 StPO stützen, so dass für eine selbständige Beschwerdemöglichkeit kein Bedarf besteht (vgl. MüKo-StPO/Arnoldi, 1. Aufl., StPO, § 213 Rn. 16). In Betracht käme in anderen Fällen mangelnder Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen eines Angeklagten auch die Rüge einer Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK).

Etwas Anderes hat nur dann zu gelten, wenn die Terminsverfügung im Revisionsverfahren nicht überprüfbar ist (z.B. weil sie die ersatzlose Absetzung der Hauptverhandlung zum Inhalt hat). Dann geht sie allerdings der Urteilsfällung auch gerade nicht voraus.“

Und/Aber:

„2. Im Ergebnis wäre die Beschwerde hier zudem unbegründet.

Der Vorsitzende hat erkannt, dass die Organisation der Hauptverhandlung in seinem Ermessen steht (vgl. KK-StPO/Gmel, 8. Aufl., StPO § 213 Rn. 1). Er hat in seinem Schreiben an den Verteidiger der Angeklagten das von ihm ausgeübte Ermessen erläutert und seine Abwägungsentscheidung sachlich mit dem Beschleunigungsgrundsatz in Straf- und – insbesondere – in Haftsachen und der Rücksicht auf die Interessen der weiteren Verfahrensbeteiligten begründet. Die von der Verteidigung vertretene Auffassung, die von ihr erstrebte Verzögerung des Beginns der Hauptverhandlung von über drei Monaten sei „allenfalls marginal“, ist gerade mit Blick auf die bereits eingetretenen Verzögerungen nicht nachvollziehbar.“

U-Haft, oder: HV-Termin in der Berufung erst nach 7 Monaten ist zu spät

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Den Tag eröffnet heute der OLG Celle, Beschl. v. 12.01.2018 – 1 Ws 3/18 – ergangen in einer Haftsache, und zwar zur Haft im Berufungsverfahren. Der Angeklagte befindet sich in einem Verfahren wegen Diebstahls seit dem 26.11.2016 fortlaufend in Untersuchungshaft. Das AG hat den Angeklagten mit Urteil vom 27.04.2017 u.a. wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tatmehrheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 8 Monaten verurteilt. Dre Haftbefehl ist aufrecht erhalten worden.

Die Akten sind im Berufungsverfahren am 28.06.2017 beim LG eingegangen. Und dann geht es wie folgt weiter:

„Da der zuständige Strafkammervorsitzende krankheitsbedingt bis zum 4. September 2017 verhindert und der erste nach der Geschäfts-verteilung zuständige Vertreter bis zum 7. Juli 2017 im Urlaub war, wurde die Sache am 29. Juni 2017 zunächst der zweiten Vertreterin vorgelegt. Diese sah sich an einer weiteren Förderung des Verfahrens gehindert und verfügte die Vorlage an den ersten Vertreter nach dessen Urlaubsrückkehr.

Der erste Vertreter verfügte nach seiner Urlaubsrückkehr am 10. Juli 2017 sodann die Abfrage des Berufungsziels, ohne bereits konkrete Terminvorschläge zu unterbreiten.

Mit Verfügung vom 8. August 2017 wurden sodann gegenüber den drei am Verfahren beteiligten Verteidigern Terminvorschläge für 13 Hauptverhandlungstage ab dem 10. Oktober bis zum 29. November 2017 unterbreitet. Nach Rückmeldung fanden sich übereinstimmende Termine der Verteidiger nur am 9., 14. und 29. November, woraufhin mit Verfügung vom 28. August 2017 weitere 13 Terminvorschläge zwischen dem 1. Februar 2018 und dem 23. Februar 2018 unterbreitet wurden. Temin zur Berufungshauptverhandlung wurde sodann mit Verfügung vom 15. September 2017 beginnend ab dem 6. Februar 2018 und sechs weiteren Folgeterminen anberaumt. Zeugen und ein Sachverständiger sind nur für die ersten drei Hauptverhandlungstage geladen worden.“

Dagegen die Haftbeschwerde des Angeklagten, die beim OLG Erfolg hat. Das OLG hat den Haftbefehl unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG, u.a. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, über den ich auch schon berichtet habe – s. “Wir sind überlastet”, oder: Haftgrund “Überlastung” gibt es nicht…..) aufgehoben. Kurz gefasste Begründung: Innerhalb von sieben Monaten hätte man HV-Termine finden können/müssen:

„Nach diesen Grundsätzen war in der vorliegenden Sache die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

So ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb die Abfrage nach dem Berufungsziel nicht be-reits mit der Unterbreitung von vorsorglichen Terminvorschlägen verbunden worden war. Soweit für den Monat Oktober und November gegenüber den Verteidigern sodann konkrete Terminvorschläge unterbreitet, welche nur an drei Hauptverhandlungsterminen zu übereinstimmenden Vakanzen bei den Verteidigern führten, war hierdurch ein Verstoß gegen das für Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot zwar noch nicht berührt. Soweit dagegen im weiteren Verlauf ohne aus den Akten erkennbare und nachvollziehbare Begründung Terminvorschläge für einen Zeitraum ab dem 1. Februar 2018 unterbreitet wurden, ist nicht erkennbar, dass diese Verfahrensverzögerung bei vorausschauender und das Beschleunigungs-gebot berücksichtigender Planung unvermeidbar war.

Angesichts der Dauer der erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermine mit einem Kurztermin und zwei weiteren Terminen mit einer Dauer von nur rund einer Stunde bei insgesamt fünf Hauptverhandlungstagen sowie der nunmehr erfolgten Ladung von Zeugen und einem Sach-verständigen an lediglich drei anberaumten Berufungshauptverhandlungstagen ist bereits zweifelhaft, ob mehr als drei Hauptverhandlungstage erforderlich sein werden. Angesichts des Umstands, dass seitens der Verteidiger bereits drei gemeinsame Hauptverhandlungstage im November 2017 gefunden werden konnten, hätte sich bei einer erneuten Korrespondenz mit der Verteidigung und vorausschauender ergänzender Terminplanung im Dezember der hier nur scheinbar unbehebbare Konflikt zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern des Beschleunigungsgebots in Haftsachen und dem sich aus Art 2 Abs., 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Recht eines jeden Angeklagten, sich nach Möglichkeit vom Anwalt des Vertrauens vertreten zu lassen, voraussichtlich auflösen lassen.“

Ich hätte wahrscheinlich noch früher „angesetzt“. denn: Reicht eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und acht Monaten, wovon bereits sieben Monate verbüßt sind, aus, um die Fluchtgefahr zu begründen? M.E. schwieirg. Und da „hoppelt“ das OLG ohne konkrete Begründung drüber weg.

Terminierungstheater, oder: Nichts anderes zu tun?

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Unverständlich – jedenfalls für mich – ist das Verhalten des Amtsrichters in einem Verfahren, in dem jetzt betreffend die Entpflichtung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger das LG Lüneburg das letzte Wort gesprochen hat.

Es geht um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Am 27.05.2015 wird ein Strafbefehl erlassen, am 30.06.2015 legt der damalige Wahlanwalt das Mandat nieder. Der neue Verteidiger beantragt als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden, was abgelehnt wird. Das AG bittet den (neuen) Verteidiger dann um Mitteilung von freien Terminen im November, Dezember bzw. Januar. Der teilt daraufhin mit, dass er als frühest möglichen Termin Freitag, den 05.02.2016, anbieten könne. Zuvor sei er aufgrund anderer Terminierungen sowie aufgrund Urlaubsabwesenheit nicht verfügbar. Das AG terminiert daraufhin jedoch auf den 24./25. und 27.11.2015 und beruft sich auf den Beschleunigungsgrundsatz.

Der Verteidiger legt dann namens des Angeklagten gegen den die Beiordnung ablehnenden Beschluss Beschwerde ein, der das AG abhilft und den Recchtanwalt beiordnet. Mit Schreiben vom 19.10.2015 beantragt der Verteidiger dann, die bereits anberaumten Termine aufzuheben und für den 05.02.2016, ggfs. zusätzlich für Freitag, den 12.02.2106, zu terminieren. Das AG fordert den Pflichtverteidiger erneut auf, Termine im Zeitraum November 2015 bis Januar 2016 anzubieten. Andernfalls stehe eine Entpflichtung im Raum. Zusätzlich zu den bereits genannten Terminen bietet der Pflichtverteidiger nunmehr Termine am Freitag, den 29.01.2016 und am Mittwoch, den 02.03.2016, an. Es wird dann der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger entpflichtet und ein anderer Rechtsanwalt zum Verteidiger bestellt.

Auf die Beschwerde des Angeklagten sagt das LG Lüneburg im LG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2015 – 31 Qs 19/15: So nicht, und zwar mit folgender Begründung:

„Die Verhinderung des Verteidigers in Terminen vor Ende Januar 2016 vermag im konkreten Fall eine Ausnahme nicht zu rechtfertigen.

Der Verteidiger hat Verhandlungstermine zwar erst für Ende Januar, noch dazu vorwiegend an Freitagen benannt. Es ist aber im konkreten Fall nicht erkennbar, dass diese Termine für sich genommen nicht ausreichen würden, um das Verfahren ordnungsgemäß zu fördern. Dabei muss die Kammer berücksichtigen, dass das Amtsgericht für die Vernehmung der Zeugen einen Zeitraum von etwa 5 Stunden als ausreichend angesehen hat wie sich aus der Ladung ergibt. Der Verteidiger hat mittlerweile immerhin vier Termine benannt, so dass nicht erkennbar ist, dass die Verhandlung binnen dieser Termine nicht gemessen an der eigenen Planung des Amtsgerichts zum Abschluss gebracht werden könnte.

Diese Termine kommen auch nicht zu spät, so dass der Beschleunigungsgrundsatz eine Entpflichtung des Verteidigers rechtfertigen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Recht des Angeklagten auf den Verteidiger seiner Wahl mit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot abzuwägen. Danach kommt eine Entpflichtung gerade in den Fällen in Betracht, wo die Rücksichtnahme auf Terminierungsschwierigkeiten des Verteidigers mit dem Recht eines inhaftierten Mitangeklagten auf eine beschleunigte Verfahrensdurchführung kollidiert (BVerfG, Beschl. v. 24.07.2008, 2 BOR 1146/08, juris). Hier handelt es sich aber weder um eine Haftsache, noch gibt es Mitangeklagte, deren Verfahrensrechte zu berücksichtigen sind. Zwar gilt das Beschleunigungsgebot auch ohne derartige Umstände. Im konkreten Fall vermag die Kammer aber nicht zu erkennen, dass das Beschleunigungsgebot eine Verhandlung noch beginnend am 24.11.2015, statt – wie vom Verteidiger angeboten – am 29.01.2016, also knapp zwei Monate später gebietet.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Ermittlungsverfahren bereits im Mai 2014 begann und der Strafbefehl bereits vom Mai 2015 datiert. Das Amtsgericht selbst hat dann den Verteidiger um Mitteilung von Terminen bis einschließlich Januar 2016 gebeten D.h. es hat selbst die Möglichkeit einkalkuliert, dass das Verfahren erst im nächsten Jahr begonnen werden kann. Damit hat es auch zu erkennen gegeben, dass eine besondere Eilbedürftigkeit nicht vorliegt. Vor diesem Hintergrund ist eine Entpflichtung um den Preis eines Zeitgewinns von nur zwei Monaten nicht zu rechtfertigen.

Die Kammer hat auch geprüft, ob besondere Umstände in der Person der Zeugen begründet sein können (baldige Verhinderung für einen längeren Zeitraum, abnehmendes Erinnerungsvermögen durch-Zeitablauf), solche aber nicht erkennen können.

Es liegen auch keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem früheren Pflichtverteidiger nicht besteht. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich der Angeklagte auf ein Gespräch mit der ihm vom Gericht beigeordneten neuen Pflichtverteidigerin eingelassen hat. Er konnte nicht davon ausgehen, dass es ihm noch auf ein Rechtsmittel hin ermöglicht wird, sich von seinem Verteidiger seiner Wahl vertreten zu lassen. Er war daher gehalten, mit seiner neuen Verteidigerin den bald anberaumten Hauptverhandlungstermin vorzubereiten. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass der Angeklagte den Wunsch, sich von dem von ihm selbst ursprünglich ausgewählten Pflichtverteidiger vertreten zu lassen, aufgegeben hätte.“

Wenn man den Verfahrensablauf sieht, fragt man sich – jedenfalls frage ich mich das – was das „Terminierungstheater“ eigentlich soll und/oder, ob der Amtsrichter eigentlich nichts anderes zu tun hat, als mit dem Verteidiger um den Hauptverhandlungstermin zu streiten. Einen nachvollziehbaren Grund für das Prozedere kann ich nicht erkennen. Außer vielleicht, dass der Amtsrichter den Verteidiger nicht mag. Aber das ist kein – nachvollziehbarer – Grund für das Verhalten. Aber vielleicht hat ja der ein oder andere Leser eine Erklärung…..