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StGB II: Scheinselbständig oder freier Mitarbeiter?, oder: Freie Mitarbeit in einer Rechtsanwaltskanzlei

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Die zweite Entscheidung, das BGH, Urt. v. 08.03.2023 – 1 StR 188/22 – befasst sich u.a. mit der Abgrenzung von freien Mitarbeitern und Scheinselbstständigen, und zwar bei Rechtsanwälten.

Das LG hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 189 Fällen verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte, die Strafmaßrevision der StA hatte hingegen Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Der seit 1982 als niedergelassener Rechtsanwalt tätige Angeklagte beschäftigte über ein von ihm praktiziertes „Modell der freien Mitarbeiterschaft“ in seiner Kanzlei “   S. & Kollegen“ im verfahrensgegenständlichen Tatzeitraum von 2013 bis 2017 als alleiniger Kanzleiinhaber zwölf Rechtsanwälte zum Schein als selbständige freie Mitarbeiter, die tatsächlich bei ihm abhängig beschäftigt waren. Vor Beginn ihrer Tätigkeit in der Kanzlei schloss der Angeklagte mit den Rechtsanwälten einen im Wesentlichen gleichlautenden schriftlichen Vertrag („Freier Mitarbeitervertrag“) über eine zeitlich nicht befristete Zusammenarbeit sowie – in zehn dieser Fälle – eine im Wesentlichen gleichlautende weitere schriftliche Zusatzvereinbarung. Während der Mitarbeitervertrag insbesondere regelte, dass der Rechtsanwalt als freier Mitarbeiter für die Kanzlei tätig war, seine Sozialabgaben selbst abführte, eigenes Personal beschäftigen und selbst werben durfte sowie berechtigt war, das vereinbarte Jahresgehalt in monatlichen Teilbeträgen abzurufen, sah die Zusatzvereinbarung namentlich vor, dass die Beschäftigung eigenen Personals und die Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei der Zustimmung der Kanzlei bedurften und Werbemaßnahmen abzustimmen und zu genehmigen waren. Die vorgefertigten Vertragsentwürfe legte der Angeklagte den Rechtsanwälten zur Unterschrift vor, die sie ohne weiteres Aushandeln unterzeichneten.

Während ihrer Beschäftigung waren die Rechtsanwälte nur für den Angeklagten tätig, der ihnen auch die zu bearbeitenden Mandate zuwies. Sofern sie keine auswärtigen Termine wahrzunehmen hatten, erbrachten sie ihre Tätigkeit, wie vom Angeklagten erwartet und eingefordert, zu den Kanzleizeiten nahezu ausschließlich in den Kanzleiräumlichkeiten; hierfür stellte ihnen der Angeklagte, ohne sie an den Kosten zu beteiligen, neben einem eigenen Büro das geschulte kanzleiinterne Personal sowie die gesamte sonstige Infrastruktur seiner Kanzlei zur Verfügung. Das vereinbarte Jahreshonorar riefen die Rechtsanwälte regelmäßig einmal pro Monat anteilig, also in Höhe eines Zwölftels, per Rechnung ab, unabhängig von dem durch sie in dem jeweiligen Abrechnungszeitraum erwirtschafteten Umsatz.

Insgesamt enthielt der Angeklagte den vier zuständigen Einzugsstellen von Februar 2013 bis Dezember 2017 in 189 Fällen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 118.850,58 € vor.§

In rechtlicher Hinsicht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit der zwölf näher bezeichneten Anwälte im Tatzeitraum als abhängige Beschäftigung einzustufen sei und die angefallenen Sozialversicherungsabgaben vorenthalten worden sind. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die umfangreiche Begründung der Entscheidung.

Hier nur die Leitsätze zu dem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Urteil:

1. Für die Abgrenzung von sog. scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern einer Rechtsanwaltskanzlei ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend; soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und Eingliederung wegen der Eigenart der Anwaltstätigkeit im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen.

2. Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung lassen nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 und 2 StGB entfallen, sondern sind erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Corona II: Annahme eines Impfpassfälschungsangebot, oder: Beihilfe zur Impfpassfälschung

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Und als zweite „Corona-Entscheidung“ dann der BayObLG, Beschl. v. 09.08.2023 – 206 StRR 190/23.

Das AG hatte die Angeklagte vom Vorwurf der Anstiftung zum Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz in zwei Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Dagegen die Berufung der Staatsanwaltschaft. Das LG hat die Angeklagte dann wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz in zwei Fällen schuldig gesprochen und deswegen gegen sie eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die (nur) hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg hatte.

Folgende Feststellungen waren Ausgangspunkt der Prüfung des BayObLG:

„a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich die Angeklagte erstmals am 8. Juni 2021 in die Praxis des gesondert verfolgten Allgemeinarztes Dr. x begeben. Dies erfolgte nicht ausschließbar, um sich wegen einer Tumorerkrankung am Kleinhirn naturheilkundlich beraten zu lassen, woraufhin ihr als Therapie zur Einnahme von Bittermandeln geraten worden sei. Weiter sei, ebenfalls nicht ausschließbar, auf Initiative von Dr. x ein Gespräch über das Thema „Impfung gegen das COVID-19-Virus“ zustande gekommen, wobei der Arzt der Angeklagten angeboten habe, die Durchführung der Impfung in einem für sie neu anzulegenden Impfpass zu bescheinigen, ohne sie tatsächlich zu impfen. Die Angeklagte habe das Angebot angenommen. Es sei dann ohne tatsächliche Durchführung eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech (COMIRATY) bescheinigt worden. In der ersten Julihälfte 2021 sei die Angeklagte dann erneut in der Praxis erschienen. Zu diesem Zeitpunkt sei eine zweite Impfung mit dem genannten Impfstoff ohne tatsächliche Durchführung bescheinigt worden. Sowohl für Dr. x als auch für die Angeklagte sei klar gewesen, dass die Dokumentation – wie später tatsächlich geschehen – dazu bestimmt war, von der Angeklagten bei einer geeigneten Stelle vorgelegt zu werden, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten.“

Und da es wie immer aus Bayern eine recht umfangreiche Begründung ist, stelle ich die hier nur teilweise, nämlich zu den Rechtsfolgen ein. Wegen der materiellen Frage nehme ich nur den Leitsatz des BayObLG, nämlich:

Bietet der zu einer Falschdokumentation entschlossene Arzt einer in seiner Praxis anwesenden Patientin an, die Durchführung einer Coronaschutzimpfung in einem Impfpass zu bescheinigen, ohne diese tatsächlich vorzunehmen, und nimmt diese das dann in die Tat umgesetzte Angebot an, leistet sie Beihilfe zur nicht richtigen Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus.

Und zu den Rechtsfolgen führt das BayObLG dann aus:

„2. Die Revision hat jedoch im Rechtsfolgenausspruch Erfolg, denn das Landgericht ist von einem nicht rechtsfehlerfrei begründeten zu hohen Strafrahmen ausgegangen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Bestimmung der verhängten Einzelgeldstrafen und der Gesamtgeldstrafe zum Nachteil der Angeklagten hierauf beruht.

a) Das Landgericht hat zunächst den Strafrahmen des § 74 Abs. 2 IfSG, der bis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren reicht, zutreffend nach §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB gemindert (UA S. 32) und innerhalb dieses Rahmens die konkreten Strafzumessungserwägungen angestellt.

b) Es hat dabei nicht bedacht, dass der Strafrahmen gem. §§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein weiteres Mal zwingend zu mindern gewesen wäre; darauf weist auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hin (Vorlageschreiben S. 4, das ergänzend in Bezug genommen wird).

Wie vorstehend zu 1.c.) ausgeführt, macht sich nach § 74 Abs. 2 IfSG derjenige strafbar, der als zur Durchführung von Schutzimpfungen berechtigte Person im Sinne des § 22 IfSG eine Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 nicht richtig dokumentiert. Damit handelt es sich bei § 74 Abs. 2 IfSG um ein Sonderdelikt (Lorenz/Oglakcioglu in Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 74 Rn. 8 m.w.N.; Neuhöfer/Kindhäuser in BeckOK IfSG, Stand 8. Juli 2023, § 74 Rn. 35a; Erb in MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2022, § 278 Rn. 8; Gaede/Krüger, NJW 2021, 2159, 2161 Rn. 11). Die Impfberechtigung i.S.d. §§ 22 Abs. 1, 74 Abs. 2 IfSG stellt demgemäß ein besonderes persönliches Merkmal dar, welches bei der Angeklagten nicht vorlag.

Der Strafrahmen des § 74 Abs. 2 IfSG wäre folglich zwingend gem. §§ 28 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein weiteres Mal zu mindern gewesen.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die vom Landgericht verhängten Einzelstrafen auf dem Rechtsfehler beruhen; dies erfasst auch die Gesamtstrafe.

(1) Sowohl bei der Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 2 StGB als auch bei derjenigen nach § 28 Abs. 1 StGB, jeweils in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB, handelt es sich um obligatorische Milderungen, die keinen Ermessensgebrauch zulassen, und die kumulativ anzuwenden waren. Wie ausgeführt, beruht die vom Landgericht vorgenommene Milderung nach § 27 Abs. 2 StGB auch nicht auf einer unzutreffenden Beurteilung der Teilnahme der Angeklagten an der Haupttat.

(2) Die vom Landgericht verhängten Einzelgeldstrafen von jeweils 90 Tagessätzen bewegen sich auch nicht so nahe am unteren Rand des sich nach doppelter Milderung ergebenden Rahmens, der zu einer Obergrenze von einem Jahr und einem Monat Freiheitsstrafe führt, dass auszuschließen ist, dass sie bei zutreffender Strafrahmenbestimmung nicht geringer ausgefallen wären.

d) Die Rechtsfolgenentscheidung ist demnach nach § 353 Abs. 1 StPO aufzuheben. Der Senat hebt auch die der Strafbemessung zugrunde liegenden Feststellungen nach § 353 Abs. 2 StPO auf, um dem neuen Tatgericht, an das die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird, eine widerspruchsfreie Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen.

Für das weitere Verfahren wird insoweit jedoch darauf hingewiesen, dass infolge der mit diesem Beschluss eintretenden Rechtskraft hinsichtlich des Schuldspruchs die Feststellungen des Landgerichts zum Tathergang bindend werden (vgl. (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 354 Rn. 46). Lediglich hinsichtlich solcher Feststellungen, die ausschließlich für die Rechtsfolgenbestimmung von Bedeutung sind, entfällt die Bindungswirkung.“

Strafzumessung II: Strafzumessung beim Unbestraften, oder: Strafmilderungsgrund „Unbestraftsein“

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Die zweite Entscheidung kommt dann mit dem BGH, Beschl. v. 06.06.2023 – 4 StR 133/23 – auch vom 4. Strafsenat des BGH. Dort hatte die Revision gegen ein im zweiten Durchgang ergangenes Urteil des LG Münster – erneut – Erfolg:

„Das Landgericht hatte die Angeklagte im ersten Rechtsgang unter Freisprechung im Übrigen wegen Beihilfe durch Unterlassen zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Auf die Revision der Angeklagten hob der Senat das Urteil im Strafausspruch auf und verwarf die weiter gehende Revision. Die Feststellungen wurden aufrechterhalten.

Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht die Angeklagte erneut zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Strafausspruch kann – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2021 – 5 StR 148/20 Rn. 18 mwN) – wiederum keinen Bestand haben.

a) Das Landgericht hat bei der Ablehnung eines minder schweren Falls gemäß § 176a Abs. 4 StGB (in der ab 27. Januar 2015 geltenden Fassung) und bei der konkreten Strafzumessung das Vorleben der Angeklagten lediglich unter den Gesichtspunkten ihrer eigenen Missbrauchserfahrung und ihrer besonderen Haftempfindlichkeit als Erstverbüßerin berücksichtigt.

b) Die Unbestraftheit eines Angeklagten ist ein gewichtiger Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), dessen Berücksichtigung es regelmäßig bedarf (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2022 – 6 StR 61/22 Rn. 2 mwN; Beschluss vom 29. September 2016 – 2 StR 63/16 Rn. 15; Urteil vom 27. Oktober 1987 – 1 StR 492/87, NStZ 1988, 70; Beschluss vom 26. Mai 1982 – 3 StR 110/82, NStZ 1982, 376).

c) Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das straffreie Vorleben der Angeklagten hat die Strafkammer nicht ausdrücklich strafmildernd angeführt. Auch im Übrigen lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass das Landgericht das Fehlen von Vorstrafen bei der Strafrahmenwahl und der konkreten Strafzumessung beachtet hat. Es ist daher zu besorgen, dass ihm dies trotz der Übernahme der bindenden Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten aus dem Urteil im ersten Rechtsgang aus dem Blick geraten ist.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne diesen Rechtsfehler eine niedrigere Strafe verhängt hätte.“

Strafzumessung I: Verbreitung/Herstellung von KiPo, oder: Abstellen auf ein „tatsächliches Geschehen“

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Strafzumessungsentscheidungen hätte ich länger nicht mehr. Heute kommen dann mal wieder drei.

Und als erste der BGH, Beschl. v. 22.05.2023 – 4 StR 124/23. Das LG hat den Angeklagten  „wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung und mit Herstellung kinderpornographischer Inhalte sowie wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften“ verurteilt. Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„….

Ergänzend zur Antragsschrift bemerkt der Senat:

Soweit das Landgericht in den Fällen II.1. und 2. der Urteilsgründe strafschärfend berücksichtigt hat, dass die kinderpornographischen Schriften ein tatsächliches und nicht nur ein wirklichkeitsnahes Geschehen zum Gegenstand hatten, lässt dies nicht besorgen, dass das Landgericht dies losgelöst von den konkreten Umständen strafschärfend berücksichtigt und damit gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen haben könnte (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 657/98 , BGHSt 44, 361, 366 f. ). Das Landgericht hat vielmehr erkennbar auf die Schwere der konkreten Rechtsgutsverletzung abgestellt, die es nicht nur in dem erheblichen Gewicht der in dem Video festgehaltenen sexuellen Handlung, sondern auch darin gesehen hat, dass dieses ein reales Geschehen unter Beteiligung zweier Kinder zeigte. Die von der Revision beanstandete strafschärfende Erwägung begegnet daher unter den hier gegebenen Umständen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2015 – 4 StR 570/14 ; Beschluss vom 17. Dezember 2008 – 2 StR 461/08 , NStZ-RR 2009, 103).“

Strafzumessung III: Ohne Impfpass im Kreistag, oder: Bewusste riskierte Nachteile

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Und im dritten Posting dann noch einmal der  OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23. Den hatte ich schon zweimal vorgestellt, einmal zum Stichwort: Impfpassfälschung (vgl. hier: Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse) und einmal zur Frage der Durchsuchung (vgl. Durchsuchung III: Und nochmals Anfangsverdacht, oder: Einmal reicht es, einmal nicht…..).

Während das OLG hinsichtlich der materiellen Frage und auch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung nichts zu „meckern“ hatte, hat ihm die Strafzumessung des LG nicht gefallen. Insoweit hatte die Revision daher Erfolg:

3. Der Strafausspruch hingegen hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, so dass die Sachrüge insoweit Erfolg hat.

Die Zumessungserwägungen des Tatgerichts enthalten eine Reihe von Lücken, Widersprüchen und Ungenauigkeiten. Jedenfalls in der Gesamtschau kann der Senat deshalb nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass das Tatgericht entscheidende Gesichtspunkte übersehen oder falsch gewertet hat, unter deren zutreffender Berücksichtigung es zu einer milderen Strafe gelangt wäre. Im Einzelnen:

Der Auffassung der Strafkammer,

„zugunsten des Angeklagten sprach nicht mehr das erstinstanzliche Geständnis, denn im Rahmen der Berufungsverhandlung hatte er zunächst keine Angaben zur Sache gemacht, sondern vielmehr die objektiven Umstände erst im Rahmen des letzten Wortes beiläufig erklärt, wobei nicht klar war, ob er dies bewusst tat…“

vermag der Senat nicht zu folgen. Die Begründung steht im Widerspruch zur Beweiswürdigung in den Urteilsgründen. Danach hat der Angeklagte bereits nach Vernehmung der Zeugin H. deren Angaben zum Tatgeschehen bestätigt. Unklar ist auch, warum es sich beim Einräumen der objektiven Tatumstände „erst im Rahmen des letzten Wortes“ nicht um ein Geständnis handeln soll. Soweit das Tatgericht die Frage aufwirft, ob sich um ein „bewusstes“ Geständnis gehandelt hat, erschließt sich dem Senat nicht, wie Tatumstände „unbewusst“ eingeräumt werden können oder welchen konkreten Anlass die Strafkammer zu Zweifeln an der inhaltichen Qualität des Geständnisses hatte. Da das Landgericht seine offenbar vorhandenen Bedenken auch nicht ausgeräumt hat, handelt es sich hierbei letzlich um eine Vermutung. Ebenso wie es nicht zulässig ist, lediglich vermutete Umstände strafschärfend zu bewerten, können bloße Vermutungen auch nicht das Gewicht strafmildernder Umstände einschränken (BGH, Beschluss vom 21. September 1995 – 4 StR 529/95 -, juris).

Die naheliegende Überlegung, dem Geständnis schon deshalb nur geringes strafmilderndes Gewicht beizumessen, weil die betreffenden Tatsachen bereits anderweitig bewiesen waren, hat das Landgericht hingegen nicht angestellt (vgl. ausführlich Kinzig, in: Schönke/Schröder, a. a. O., § 46, Rn. 41b, m. w. N.).

b) Die Argumentation der Strafkammer,

„zu seinen Gunsten wurde nicht gewertet, dass er seine politischen Ämter bzw. weiteren Tätigkeiten durch das Bekanntwerden des Vorwurfs nicht mehr weiter ausüben konnte, denn letztlich beruhte das auf seinem eigenen, rechtswidrigem Tun“

kann ebenfalls keinen Bestand haben. Bereits aus § 60 StGB folgt, dass wirtschaftliche, berufliche oder soziale Folgen der Tat, die den Täter selbst treffen, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind, auch wenn sie den Schweregrad des § 60 StGB nicht erreichen (Fischer, Strafgesetzbuch, 69. Auflage 2022, § 46, Rn. 34d). Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte infolge der Tat nicht nur seine politischen Ämter, sondern auch Einkünfte in Höhe von rund 40.000 € jährlich verloren.

Allerdings wird die für die erneute Entscheidung zuständige Strafkammer in den Blick zu nehmen haben, dass Nachteile, die der Täter bewusst riskiert hat oder die sich ihm aufdrägen mussten, in der Regel keine Milderung veranlassen (BGH, Urteil vom 12. Januar 2016 – 1 StR 414/15 -; Urteil vom 20. Juli 2005 – 2 StR 168/05 -; beide juris). Es spricht einiges dafür, dass ein politischer Mandatsträger, der bei Ausübung seines Mandats eine Straftat begeht, mit dem Verlust oder der Aufgabe seiner politischen Ämter rechnen muss.

c) Auch der strafschärfend von der Strafkammer berücksichtigte Gesichtspunkt,

„dass er [der Angeklagte] als gewählter Volksvertreter eine Vorbildfunktion innehatte, der er nicht gerecht geworden war“,

trägt nicht. Zwar ist denkbar, dass das Verhalten des Angeklagten Nachahmer findet, zumal in der Presse über die Tat berichtet wurde. Ungewiss ist allerdings, ob ein solcher Effekt bei „gewählten Volksvertretern“ in höherem Maße als bei anderen Straftätern auftritt, so dass generalpräventive Strafzwecke bei Straftaten von Abgeordneten eine schärfere Sanktion erfordern als bei gleichartigen Taten von Tätern, die keine Abgeordneten sind. Umgekehrt entspricht es dem Wesen einer repräsentativen Demokratie, dass Abgeordnete mit unterschiedlichsten Einstellungen und Verhaltensweisen in parlamentarische Gremien gewählt werden; auch deshalb erscheint es dem Senat widersprüchlich und bedenklich, an Straftaten „gewählter Volksvertreter“ andere rechtliche Maßstäbe anzulegen als an das Verhalten sonstiger Straftäter.

d) Schließlich gibt die Formulierung

„…zumal der Angeklagte sich mit seiner Tat ausweislich der Presseberichterstattung brüstete und von Reue auch in der Berufungshauptverhandlung kein Ansatz zu erkennen war“

Anlass zu der Befürchtung, die Strafkammer könnte die fehlende Reue strafschärfend herangezogen haben. Fehlende Unrechtseinsicht und Reue sind indes für sich allein kein Strafschärfungsgrund. Strafschärfend kann ein solches Verhalten nur gewertet werden, wenn es nach der Art der Tat und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindschaft, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen läßt (BGH, Beschluss vom 9. Juni 1983 – 4 StR 257/83 -, juris; Fischer, a. a. O., § 46, Rn. 51). Dies erscheint nach den bislang getroffenen Feststellungen eher fernliegend, zumal der Angeklagte bislang nicht vorbestraft ist.