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Klein aber fein, AG Backnang zum „Pflichti“ bei Unfähigkeit der Selbstverteidigung – „Pflichti 1“

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Heute möchte ich mal einen „Pflichtverteidigungstag“ machen, da sich in meinen „Blog-Ordner“ einige interessante Entscheidungen zur Pflichtverteidigung, die ich nicht vorenthalten möchte, angesammelt haben. Den Auftakt mach die AG Backnang, Verf. v. 20.11.2013 –  2 Ds 93 Js 42049/13 – zur Pflichtverteidigung im Strafvollstreckungs-verfahren, zu der ich in der vorigen Woche schon über den OLG Naumburg, Beschl. v . 02.10.2013 – 1 Ws 591/13 berichtet hatte (vgl. hier Pflichtverteidiger in der Strafvollstreckung, na bitte, geht doch).

Die Verfügung des AG Backnang liegt auf der Linie der h.M. in Rechtsprechung und Literatur zur Beiordnung nach § 140 Abs. 2 StPO:

„Dem Angeklagten war Rechtsanwalt K. zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Zwar haben wirtschaftliche Aspekte außer Betracht zu bleiben, gleichwohl ist vorliegend ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben, da der Angeklagte sich nicht wird selbst verteidigen können, § 140 Abs.2 Satz 1 StPO. Dem Beiordnungsantrag beigefügt war ein nervenärztlicher Bericht, aus dem hervorgeht, dass sich der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2003 in ambulanter nervenärztlicher Behandlung befindet. Es bestehe u.a. eine therapieresistente Epilepsie mit vorwiegend komplex fokalen Anfällen, bei denen der Patient nicht ansprechbar sei und seine Verhaltensweise nicht willentlich steuern könne. Beim Angeklagten komme es gehäuft zu solchen Anfällen. Wiederholt habe der Angeklagte sich bei derartigen Anfällen selbst verletzt, aus nervenärztlicher Sicht sei es jedoch durchaus auch möglich, dass es in einem solchen Fall zu Fremdgefährdung kommen kann. Eine Steuerung seines Verhaltens sei dem Angeklagten dann nicht möglich, und zwar für mehrere Minuten. Auch bestehe meist eine retrograde Amnesie. Aus nervenärztlicher Sicht bestehe deshalb zumindest die Möglichkeit, dass es bei dem verfahrensgegenständlichen Vorfall zu einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten gekommen ist.

Im weiteren Verfahren wird deshalb insbesondere zu prüfen sein, ob die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Grade der Erheblichkeit eingeschränkt war, was ohne Hinzuziehung sachverständigen Rats nicht möglich sein wird. Mit der Beurteilung eines Sachverständigengutachtens ist der unverteidigte Angeklagte jedoch regelmäßig überfordert, so dass ein Fall des § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist (vgl. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Auflage 2013, Rn. 2203). Auch die erforderliche Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB macht die Bestellung eines Verteidigers erforderlich (Burhoff a.a.O., Rn. 2207).

Zusatz um 10:30 Uhr: Ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, dass die Entscheidung nicht die Strafvollstreckung betrifft, sondern das Erkenntnisverfahren. Tja, so ist das, wenn man nicht richtig liest, bzw. Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Peinlich und Asche auf mein Haupt. Ich ändere dann mal die Überschrift. 🙁

Strafaussetzung zur Bewährung – so sollte es gehen

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In der Praxis wird das Zusammenspiel der drei Absätze des § 56 StGB, in denen die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung geregelt sind, nicht immer zutreffend gesehen. Das Ineinandergreifen der Vorschriften hat jetzt noch einmal der BGH, Beschl. . 28.08.2012 – 3 StR 305/12 skizziert. Da hatte das Tatgericht StK die Strafaussetzungen zur Bewährung mit der Begründung abgelehnt, „da es „in der Person des Angeklagten P. oder in der Tat keine besonderen Umstände zu erkennen“ vermochte„.

Der BGH beanstandet das:

Diese Begründung hält der rechtlichen Prüfung nicht stand. § 56 Abs. 2 StGB ermöglicht dem Gericht, besondere, in der Tat oder der Persönlichkeit des Angeklagten vorliegende Umstände zu berücksichtigen. Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1, also bei Vorliegen einer günstigen Sozialprognose, die stets vorrangig zu prüfen ist, und wenn der Ausschlussgrund des Abs. 3 nicht gegeben ist, auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zur Bewährung aussetzen. Besondere Umstände in diesem Sinne sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des sich in der Strafhöhe widerspiegelnden Unrechts- und Schuldgehalts als nicht unangebracht erscheinen lassen (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 56 Rn. 19 f. mwN).

Diesen Maßstäben wird die Ablehnung durch das Landgericht nicht gerecht. Sie lässt bereits die Prüfung der Sozialprognose des Angeklagten gemäß § 56 Abs. 1 StGB vermissen. Es ist aber schon im Ansatz rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB zu verneinen, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellen ist. Dies gilt schon deshalb, weil zu den nach Abs. 2 zu berücksichtigenden Faktoren auch solche gehören, die schon für die Prognose nach Abs. 1 von Belang sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 2 StR 112/09, NStZ 2009, 441). Die Erwägung, dass „keine besonderen Umstände zu erkennen“ seien, nach denen eine Strafaussetzung „geboten wäre“, gibt zudem Anlass zu der Besorgnis, dass das Landgericht bei seiner versagenden Entscheidung zu hohe Anforderungen an das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB gestellt haben könnte.

Zu den zu berücksichtigenden Umständen dann noch der Hinweis:

Zu den danach zu berücksichtigenden Umständen können – neben denen, die schon für eine günstige Prognose nach Abs. 1 von Bedeutung waren – auch solche gehören, die bei der Findung des Strafrahmens oder der Festsetzung der konkreten Strafhöhe von Bedeutung sind, hier etwa der Umstand, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist sowie der Umfang der bereits durch Anrechnung der Untersuchungshaft als verbüßt geltenden Freiheitsstrafe (vgl. Fischer, aaO, Rn. 20 mwN).

Wie wird das Ermessen bei der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtmG richtig ausgeübt?

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Für diejenigen, die häufig(er) in Btm-Sachen verteidigen, ist die Vorschrift des § 35 BtMG keine „unbekannte Größe“. Aber auch die haben sicherlich an dem OLG Naumburg, Beschl. v. 11.07.2012 – 1 VAs 433/12, den mir der Kollege Siebers übersandt hat (vgl. der Kollege dazu selbst auch hier). Das OLG macht noch mal Ausführungen zur Ausübung des der StA eingeräumten Ermessens.

Daraus folgt, dass bei der Ermessensausübung die Tatschuld nicht herangezogen werden darf. Ebenso wenig darf die Zurückstellung grundsätzlich wegen einer ungünstigen Sozialprognose versagt werden, da die Bestimmung des §. 35 BtMG gerade dann zur Anwendung kommen soll, wenn die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht vorliegen und auch „Risikopatienten(vgl. OLG Hamburg StV 1998,390 f. ; OLG Zweibrücken StV 2000, 157f.) eine Therapiechance eröffnen soll. Auch die Anforderungen an die Therapiefähigkeit dürfen nichtüberspannt. werden (vgl. OLG Hamm NStZ 1982 485), denn der Gefahr, dass ein Therapieversuch scheitert, war sich der Gesetzgeber bewusst. Ihr soll mit der Möglichkeit der raschen. Fortsetzung der Vollstreckung (§ 35 Abs.5. BtMG.). und. Inhaftnahme (§ 35 Abs. 7.BtMG) begegnet werden. Eine Zurückstellung. kann daher allein dann nicht verantwortet werden, wenn im Einzelfall Erkenntnisse vorliegen, welche die Therapie von vornherein als völlig oder nahezu aussichtslos erscheinen lassen, namentlich wenn ein vernünftiger Zweifel. an der fehlenden Therapieaussicht ausgeschlossen ist. Dann müssen aber die dieser Beurteilung zugrunde liegenden Erwägungen und Tatsachen im Ablehnungsbescheid mitgeteilt werden (vgl. OLG Karlsruhe StV 1983, 112f.). Hierzu genügen die wesentlichen Faktoren und typischen Erscheinungsformen der Betäubungsmittelabhängigkeit, insbesondere die charakterliche. Labilität, die Drogenkarriere, Häufigkeit der Vorstrafen und zunehmende Rückfallgeschwindigkeit nicht (vgl. Weber, BtMG, 3. Aufl., § 35 Rn. 154f.).

Diesen Vorgaben wird der Ablehnungsbescheid nicht gerecht: Insbesondere. steht die Erwägung, der Antragsteller sei nach einer bereits im Jahr 2004 erfolgten Zurückstellung nach § 35 BtMG hinsichtlich der mit Urteil des Landgerichts Halle vom 03. Februar 2003 (28 KLs 502 19529/02 (26/02)) verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und der nach der durchgeführten Therapie gewährten Reststrafenaussetzung zur Be­währung erneut und mehrfach straffällig geworden, dem Zweck des § 35 BtMG entgegen. Diese Begründung der Ablehnung berücksichtigt nicht, dass der Weg aus der Drogensucht regelmäßig mit gescheiterten Therapieversuchen und Rückfällen in kriminelle Verhaltensweisen verbunden ist, weshalb diese einer erneuten Zurückstellung nicht entgegenstehen (vgl. OLG Hamm StV 2010, 147f.; OLG Karlsruhe StraFo 2008, 42ff.). Der Weg aus der Sucht verläuft nicht gradlinig nach einem festen Therapieplan, sondern ist ein langes prozesshaftes Geschehen, in dem es darum geht, Rückfälle therapeutisch zu verarbeiten, drogenfreie Intervalle zu vergrößern und Erfolge in kleineren Schritten anzustreben (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, a.a.O., Rn. 207).

Die Erwägung vor-dem Hintergrund, dass der Antragsteller „seit 1994 wiederholt und regel­mäßig massiv straffällig geworden [ist], er sich weder durch Verurteilungen von weiterem strafbarem Verhalten abhalten lassen [hat], noch das in ihn gesetzte Vertrauen durch Strafaussetzungen zur Bewährung jemals [hat] rechtfertigen können“, müsse seine Zusage, sich erneut einer Therapie unterziehen zu wollen, als reines Zweckverhalten gewertet werden; dies umso mehr, da „die dem Vollstreckungsverfahren zugrundeliegende Verurteilung erneut auf szenetypischer Beschaffungskriminalität beruht“, lässt zum einer die Tatsachen für den aktuelle Schluss auf die fehlende Therapiebereitschaft vermissen und berücksichtigt zum anderen die vom-Antragsteller gezeigten. Bemühungen zur Überwindung seiner Drogensucht nicht, wie sie etwa in der Bescheinigung der Suchtgruppenteilnahme der Justizvoll­zugsanstaltBurg .vom 07. Dezember 201.1 erkennbar werden.Sie stellt vielmehr ermessensfehlerhaft auf die nach Ansieht des Generalstaatsanwalts fehlende positive Sozialprognose ab.

§ 51 BZRG: Umfassendes (Beweis)Verwertungsverbot, und zwar auch im Strafvollzug

Nach § 51 Abs. 1 BZRG dürfen Tat und Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Bundeszentralregister getilgt worden oder zu tilgen ist. Dazu jetzt das OLG Celle, Beschl. v.05.08.2011 -1 Ws 282/11 (StrVollz) zu einer vollstreckungsrechtlichen Fallgestaltung, in der die Strafvollstreckungskammer von diesem Grundsatz hatte abrücken wollen.

Diese Regelung begründet ein absolutes Verwertungsverbot, das von allen staatlichen Stellen – seien es Gerichte oder Behörden – zu beachten ist (BVerfGE 36, 174). Es umfasst alle Bereiche des Rechtslebens und sämtliche Rechtsverhältnisse und Rechtsbeziehungen im privaten und öffentlichen Recht, so dass kein Bereich des Rechts ausgenommen ist; es kommt nicht darauf an, ob es sich um materiell- oder verfahrensrechtliche Vorschriften, um bundes- oder landesgesetzlich geregelte Bereiche handelt (Rebmann/Uhlig, BZRG § 51 Rn. 26; Götz/Tolzmann, BZRG 4. Aufl. § 51 Rn. 21; Hase, BZRG § 51 Rn. 5).

Dementsprechend gilt das Verwertungsverbot zweifelsfrei und ausnahmslos auch für Vollzugsbehörden, sei es im Rahmen der Vollzugsplanung nach § 9 NJVollzG oder in sonstiger Hinsicht, etwa bei der Entlassungsprognose. Eine Ausnahme vom Verwertungsverbot nach § 52 BZRG liegt hier nicht vor; insbesondere stellt der Vollzugsplan kein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen in einem erneuten Strafverfahren i.S.v. § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG dar.

Der Auffassung der Strafvollstreckungskammer, dass die Gewährleistung zutreffender Entscheidungen bei der Behandlungsplanung – jedenfalls bei Sexualstraftätern – eine Ausnahme vom Verwertungsverbot rechtfertige, kann nicht gefolgt werden. Sie mag zwar in der Sache durchaus zu befürworten sein, wenngleich angesichts der Tilgungsfristen für Sexualstraftaten die Aussagekraft getilgter Eintragungen für eine zutreffende Vollzugsplanung fraglich erscheint. Das Interesse an einer zutreffenden Vollzugsplanung vermag aber jedenfalls den eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der im Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG seinen Ausdruck gefunden hat, nicht auszuhebeln. Die damit einhergehenden Beeinträchtigungen der Strafrechtspflege bei der Wahrheitsermittlung sind zur Verwirklichung des mit dem Verwertungsverbot verfolgten Ziels der Resozialisierung Straffälliger hinzunehmen (BVerfGE 36, 174). Dass es vorliegend in erster Linie um ein vollständiges Persönlichkeitsbild und eine Sozialprognose geht, ändert hieran nichts. Das Verwertungsverbot gilt nicht nur für die Strafzumessung an sich, sondern auch für die – ebenfalls eine Prognose beinhaltende – Frage der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung (BGHSt 25, 100), einschließlich der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Sexualstraftäter (BGH StV 2002, 479; NStZ-RR 2002, 332), und für die nach § 56 StGB zu treffende Kriminalprognose (BGH StraFo 2010, 207). Auch im Strafvollstreckungsrecht ist bei der Entscheidung über eine bedingte Entlassung nach § 57 StGB das Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG zu beachten mit der Folge, dass ein mehrfach Vorbestrafter im Falle der Tilgung der Voreintragungen wie ein Ersttäter bzw. Erstverbüßer zu behandeln ist (KG, Beschluss vom 6. März 1998 – 5 Ws 141/98, juris).“

Die Anwendung dieser Rechtsprechung kann für den Verurteilten im Vollzug weittragende Folgen haben.

Erstverbüßerregelung – beim OLG Hamm geht es jetzt anders

Bislang war das OLG Hamm davon ausgegangen, dass bei Anwendung des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB – sog. Erstverbüßerregelung – bei Vollstreckung mehrerer Strafen die einzelnen Strafen vollstreckungsrechtlich als selbstständig zu behandeln seien und die bedingte Entlassung für jede einzelne Strafe gesondert zu prüfen und nach § 454b Abs. 3 StPO gleichzeitig und einheitlich zu bescheiden sei.

Die ganz h.,M. der OLG hat das anders gesehen. Das OLG Hamm hat seine Rechtsprechung jetzt in OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.2011 -III-3 Ws 164 u. 165/11 aufgegeben und sich der h.M. angeschlossen. Danach kann die Erstverbüßerregelung auch dann Anwendung finden, wenn weitere Strafen im Anschluss zu vollstrecken sind.

Dieser Auffassung ist jetzt nicht nur der entscheidende 3. Strafsenat, sondern sind auch alle anderen Strafsenate, die sich dieser Rechtsprechungsänderung anschließen wollen.