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Pflichtverteidiger: Gesamtbetrachtung muss sein…

ParagrafenVom AG Backnang bekomme ich derzeit immer wieder Entscheidungen zur Pflichtverteidigerbestellung, auf die ich dann doch hinweisen möchte. Sie sind nämlich in meinen Augen wohl abgewogen und huldigen nicht dem Mainstream. So auch die AG Backnang, Verf. v. 02.12.2014 – 2 Ds 95 Js 81545/13 mit dem Leitsatz:

„Auch bei einer Strafdrohung unterhalb eines Jahres liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers nach einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung geboten erscheint.“

Und eingeflossen in die Entscheidungen sind folgende Umstände:

  • Drohen einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe,
  • aufgrund der Umstände eine besonders sorgfältige Würdigung der Einlassungen und Aussagen der Zeugen erforderlich, womit die Angeschuldigte alleine überfordert wäre.
  • wirksame Verteidigung nur mit umfassender Akteneinsicht möglich.

(Kein) Kampf ums Recht: “Der Polizeibeamte war alkoholisiert und hat nach Alkohol gerochen..”

In einem beim AG Backnang anhängigen Verfahren, das seinen Ursprung in einem Bußgeldverfahren wegen überhöhter Geschwindigkeit hatte, das das AG den Angeklagten wegen übler Nachrede verurteilt. auffiel. Der hatte sich nach der Zustellung des Bußgeldbescheides an die zuständige Bußgeldstelle gewendet und dort gegenüber einer Zeugin geäußert, dass er mit dem Bußgeldbescheid nicht einverstanden sei, da sein Auto altershalber nicht mehr in der Lage sei, so schnell zu fahren wie im Bußgeldbescheid aufgeführt. Zudem behauptete er bewusst wahrheitswidrig, einer der eingesetzten Polizeibeamten sei alkoholisiert gewesen. In einem weiteren Gespräch benannte er dann den PHM A. namentlich und führte aus, dass er den Alkoholkonsum durch entsprechenden Atemgeruch festgestellt habe. Das hat dem Angeklagten im AG Backnang, Urt. v. 01.07.2014 – 2 Cs 96 Js 69894/13 (2) – eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 100 € wegen übler Nachrede eingebracht. Das AG ist davon ausgegangen, dass der Polizeibeamte nicht alkoholisiert war (zum Glück 🙂 ).:

“Durch die Tat hat sich der Angeklagte der üblen Nachrede schuldig gemacht. Die von ihm behauptete Tatsache, der Geschädigte PHM A. habe nach Alkoholkonsum seinen Dienst versehen, ist ersichtlich ehrenrührig. Von einem Polizeibeamten wird erwartet, dass er vor oder während des Dienstes keinerlei Alkohol zu sich nimmt, damit er den vielfältigen und schwierigen Aufgaben, die sein Amt mit sich bringt, pflichtgemäß nachkommen kann. Die Unterstellung, der Zeuge PHM A. habe gegen diese selbstverständliche Pflicht verstoßen, ist offenkundig geeignet, ihn verächtlich zu machen.

Das Gericht teilt nicht die Auffassung der Verteidigung, wonach die Äußerung des Angeklagten von Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt sei. Dabei wurde nicht verkannt, dass es im sogenannten “Kampf ums Recht” verfassungsrechtlich erlaubt sein kann, zur plastischen Darstellung der eigenen Position auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen. Ob eine geäußerte -auch bewusst scharfe oder überspritzte- Kritik auch hätte anders formuliert werden können ist nicht von Relevanz, da auch die Form der Meinungsäußerung grundsätzlich der durch Artikel 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung unterliegt (so schon BVerfGE 54, 129).

Bei der vom Angeklagten getätigten Äußerung, PHM A. sei alkoholisiert gewesen und habe entsprechend nach Alkohol gerochen, handelt es sich aber nicht um ein Werturteil, sondern um die bewusste Behauptung einer unwahren Tatsache. Die bewusste Behauptung unwahrer Tatsachen bleibt jedoch von vornherein außerhalb des Schutzbereichs des Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 29.02.2012, 1 BvR 2883/11).

Der Angeklagte hat einen Alkoholkonsum des PHM A. nicht lediglich als möglich in den Raum gestellt, sondern eine konkrete entsprechende Tatsachbehauptung aufgestellt. Zur Untermauerung hat er explizit behauptet, der Geschädigte habe nach Alkohol gerochen, diesen habe er wahrgenommen. Der Fall liegt mithin anders als der Sachverhalt in der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der der Betroffene ausgeführt hatte, ein Polizeibeamter habe “wohl zu lange in der Sonne gestanden oder bei einem Fest mitgefeiert”. Die in diesem Verfahren zugrunde liegende strafrechtliche Verurteilung hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet, weil der Betroffene dort wertend zum Verhalten eines Beamten Stellung genommen und nicht ein tatsächliches Geschehen zum Beweis angeboten habe. Vorliegend liegt jedoch keine wertende Stellungnahme vor. Vielmehr wurde wie bereits ausgeführt eine konkrete Tatsache behauptet, die erweislich unwahr ist. Auch handelte es sich nicht um eine spontane Unmutsäußerung im Stile von “der war doch besoffen” , vielmehr handelte der Angeklagte wohlüberlegt. Der Bußgeldbescheid war zum Zeitpunkt des mit dem Zeugen zuletzt geführten Telefonats bereits mehrere Tage zugestellt, und das Telefonat kam auf Initiative des Angeklagten zustande. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass ihm die Wirkung seiner Äußerung sehr wohl bewusst war. Schlussendlich entlastet es den Angeklagten auch nicht, dass die Äußerungen “nur” gegenüber einer Behörde getätigt wurden. Der Tatbestand der üblen Nachrede setzt nicht voraus, dass die strafbare Äußerung gegenüber Privatpersonen getätigt wird. Darüber hinaus fielen die Äußerungen nicht gegenüber der Polizei, sondern gegenüber der Stadt Backnang, wobei dem Angeklagten klar war, dass er mit dem Zeugen G. nicht den zuständigen Sachbearbeiter im Bußgeldverfahren zum Gesprächspartner hatte. Ihm war bereits durch die Zeugin D. mitgeteilt worden, dass die Sachbearbeiterin nicht anwesend war. Dem Angeklagten ging es mithin nicht darum, seine Verteidigungsposition im Bußgeldverfahren zu untermauern. Nach alledem steht Art. 5 GG der Strafbarkeit des Angeklagten nicht entgegen.”

Der Angeklagte sieht es inzwischen auch so: Er hat seine Berufung gegen das Urteil zurückgenommen.

„Verkennung der Rechtslage“ bei der StA –> Pflichtverteidigerbestellung

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Hart ins Gericht geht das AG Backnang im AG Backnang, Beschl. v. 13.08.2014 – 2 BWL 90/11 vorab schon mal mit einem Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft. Anders kann man die Formulierung “ Verkennung der Rechtslage“ kaum nennen. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Widerrufsantrag (§ 56f StGB) gegen einen ihrer Ansicht nach flüchtigen Verurteilten gestellt hat und auf dem beharrt, obwohl das AG ihr nahe gelegt hatte, den doch lieber zurückzunehmen.

Das AG hat auf das „Standvermögen“ der Staatsanwaltschaft nun reagiert und hat dem Verurteilten zunächst mal einen Pflichtverteidiger beigeordnet und das vor allem damit begründet, dass (auch) im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn Gericht und Staatsanwaltschaft abweichende Rechtsauffassungen vertreten. Das wird – m.E. zutreffend – so auch für das Erkenntnisverfahren vertreten und beruht im Grunde auf der Annahme, dass der Beschuldigte/Verurteilte „nicht zwischen den Fronten zerrieben werden darf“. Das AG drückt das etwas vornehmer aus:

„Nach alledem ist festzuhalten, dass im Rahmen des Widerrufsverfahrens hinsichtlich der von der Staatsanwaltschaft behaupteten Widerrufsgründe erheblicher Prüfungsbedarf besteht. Auch ist die Einschlägigkeit ober- und verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zu prüfen. Damit ist der Verurteilte überfordert, es liegt mithin entsprechend § 140 Abs. 2 StPO eine schwierige Sach- und Rechtslage vor.“

Nach der Bestellung wird jetzt also auf Augenhöhe gekämpft.

Reanimation des Zwischenverfahrens, oder: in dubio pro Zwischenverfahren

entnommen wikidmedia.org Fotograf Faßbender, Julia

entnommen wikidmedia.org
Fotograf Faßbender, Julia

Im Strafprozess führt das Zwischenverfahren, in dem die Anklage wegen ihrer Schlüssigkeit auf dem Prüfstand steht/stehen soll und geprüft wird/werden soll, ob das Hauptverfahren zu eröffnen und auf der Grundlage der Anklage eine Verurteilung des Angeklagten wahrscheinlich ist, ein „Schattendasein“. Viele Verteidiger beklagen nämlich und weisen darauf hin, dass die Anklagen häufig nur durchgewunken werden und von den Gerichten die Auffassung vertreten wird, es sei einfacher ggf. in der Hauptverhandlung frei zu sprechen, als sich die Mühe zu machen, die Anklage im Einzelnen darauf zu prüfen, ob sie als Verfahrensgrundlage taugt. Anders das AG Backnang in dem AG Backnang, Beschl. v.  23.07.2014 – 2 Ls 113 Js 112185/12. Das hat in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des Raubes die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, nachdem es selbst noch Ermittlungen durchgeführt hatte, nämlich ein Sachverständigengutachten zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen eingeholt hatte, was im Ermittlungsverfahren nicht erfolgt war.

Das AG wendet dann den Grundsatz „in dubio pro reo“ wie folgt an. Bei dem im Rahmen der Entscheidung nach § 203 StPO zu fällenden Wahrscheinlichkeitsurteil ist für die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ noch kein Raum. Jedoch kann der hinreichende Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird.

Also: „In dubio pro Zwischenverfahren“. Der Beschluss ist übrigens rechtskräftig geworden 🙂 .

Keine Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe – automatisch Widerruf?

© Haramis Kalfar - Fotolia.com

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Wenn es um den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung geht, spielt häufig die Frage der mangelnden Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe ein Rolle. Denn das ist i.d.R. dann ein Weisungsverstoß, der den Widerruf zumindest aber die Verlängerung der Bewährungszeit nach sich ziehen kann (§ 56f StGB). Allerdings nicht – wie manchmal entschieden wird – automatisch, sondern nur, wenn die Gefahr neuer Straftaten droht. Das macht noch einmal der AG Backnang, Beschl. v. 20.06.2014 – 2 BWL 74/12 – deutlich, das trotz mangelnder Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe nicht widerruft und auch nicht die Bewährungszeit verlängert. In dem Beschluss heißt es:

Ferner war der Antrag auf Verlängerung der Bewährungszeit abzulehnen. Eine Verlängerung  der Bewährungszeit gem. § 56 a Abs. 1 StGB kommt in Ermangelung des Vorliegens neuer Umstände, die eine Verlängerung erforderlich erscheinen ließen, nicht in Betracht, und auch auf § 56 f StGB kann eine Verlängerung der Bewährungszeit nicht gestützt werden.

Eine Verlängerung gem. § 56 f Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt nur beim Vorliegen eines Widerrufsgrunds in Betracht, sie dient der Vermeidung des Widerrufs der Strafaussetzung. Der gröbliche und/oder beharrliche Verstoß gegen eine Bewährungsweisung führt alleine aber noch nicht zum Widerruf der Strafaussetzung. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass der Verstoß zu einer neuen, negativen Kriminalprognose führt, die der Strafaussetzung zugrunde liegenden Prognose also der Korrektur bedarf. Der Verstoß selbst ist dabei nicht mit der negativen Prognose gleichzusetzen. Darüber hinaus ist der Widerruf auch keine Sanktion für den Weisungsverstoß (BVerfG NStZ-RR 2007, 338). Wie bereits im Beschluss vom 25.09.2013 dargelegt ist maßgeblich vielmehr, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Verstoß zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in einer kausalen Beziehung besteht, dass die Gefahr weiterer Straftaten besteht.

Dies lässt sich vorliegend nicht feststellen. Hierfür spricht schon die nunmehr zwei Jahre andauernde Straffreiheit, neue Ermittlungsverfahren sind nicht bekannt. Auch liegen keine Erkenntnisse vor, dass der Verurteilte wieder Umgang mit Betäubungsmitteln hat. Darüber hinaus ist nach wie vor nicht feststellbar, dass das Verhalten des Verurteilten die Befürchtung weiterer Straftaten rechtfertigt. Aus dem Umstand, dass der Verurteilte sich gegenüber dem Bewährungshelfer unmotiviert zeigt, vermag das Gericht nicht die Gefahr neuer Straftaten herzuleiten. Es kommt deshalb eine Verlängerung der Bewährungszeit nicht in Betracht.“