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Durchsuchung III: Lange Auswertung in KiPo-Sache, oder: Mehr als sechs Monate in der Regel zu lange

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Und dann habe ich noch den LG Bonn, Beschl. v. 30.09.2024 – 22 Qs 23/24. Da geht es auch um Zeit und Gültigkeit. Aber nicht um die Gültigkeit der Durchsuchungsanordnung für die Durchführung der Durchsuchung in einem KiPo-Verfahren, sondern um die Dauer der Auswertung des bei der Durchsuchung, die am 05.09.2023 durchgeführt wurde, beschlagnahmten Materials. Der Beschwerde hat dann am 27.08.2024  gegen die am 15.09.2023 angeordnete Beschlagnahme Beschwerde eingelegt und diese mit der überlangen Auswertedauer begründet. Die Aufbereitung und Auswertung der sichergestellten Daten dauert da nach Auskunft einer Polizeibeamtin aufgrund technischer Probleme und der Wartezeit auch bei priorisierten Auswertungen nach wie vor an.

Die Beschwerde  war begründet.

„Die Beschlagnahme der unter 1. bezeichneten Gegenstände ist nicht mehr verhältnismäßig und daher aufzuheben.

Die Beschlagnahme muss in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts stehen und für die Ermittlungen notwendig sein (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 94, Rn. 18). Die Dauer der Auswertung beschlagnahmter Beweismittel bestimmt sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls, feste Zeitgrenzen sind insofern nicht sachgerecht (anders LG Aachen, Beschluss vom 14.06.2000 – 65 Qs 60/00). Vielmehr sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Umstände des Einzelfalles maßgeblich. Hierbei ist das staatliche Interesse an der Strafverfolgung gegen die grundgesetzlich verbürgten Eigentumsrechte des Beschuldigten abzuwägen (LG Limburg, Beschluss vom 22. August 2005 – 5 Qs 96/05 -, Rn. 14, juris). Die Stärke des Tatverdachts, der Umfang und das Gewicht des Tatvorwurfs sowie der Ermittlungsstand sind dem aus der Beschlagnahme resultierenden Ausmaß der Beeinträchtigung für einen Betroffenen, dem Wert und Alter der Geräte, einem möglichen Wertverlust und gegebenenfalls vorhandenen Entschädigungsansprüchen gegenüberzustellen (LG Ravensburg, Beschluss vom 2.7.2014 – 2 Qs 19/14).

Gemessen daran wäre eine Aufrechterhaltung der Beschlagnahmeanordnung vorliegend unverhältnismäßig: Der Beschwerdeführer hat zwar die Nutzung des tatrelevanten Accounts eingeräumt, im Übrigen aber noch keine Einlassung abgegeben. Der Beschwerdeführer war zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt und demnach gerade strafmündiger Jugendlicher. Die Aufbereitung und Auswertung der beschlagnahmten Geräte ist über ein Jahr nach der Sicherstellung derselben noch nicht abgeschlossen, ohne dass dies auf dem besonderen Umfang der hier zu überprüfenden Datenmenge beruhen würde. Vielmehr hat sich die Auswertung aufgrund Überlastung der auswertenden Behörde, technischer Probleme und weiterer höher priorisierter Auswertungen erheblich verzögert. Eine derart verzögerte Bearbeitung durch unzureichend ausgestattete staatliche Organe vermag einen deutlich über sechs Monate hinwegdauernden Eingriff in Eigentumsrechte des Betroffenen nicht zu rechtfertigen (so auch LG Limburg, Beschluss vom 22. August 2005 – 5 Qs 96/05 -, Rn. 14, juris und LG Kiel StraFo 2004, 93). Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es sich bei der in Rede stehenden Datei nicht um eine jugendtypische handelt, sondern um eine, die den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes zeigt, die überdies noch nicht bekannt war. Dennoch stellt sich der Verdacht gegenüber dem Beschwerdeführer als vergleichsweise vage dar, weil der Beschwerdeführer sich bislang lediglich dazu eingelassen hat, den tatrelevanten Snapchat-Account in der Vergangenheit genutzt zu haben bis dieser – aus ihm unbekannten Gründen – gesperrt worden sei. Insbesondere hat der Beschwerdeführer nicht den Besitz weiterer kinder- oder jugendpornografischer Dateien eingeräumt, so dass weitere inkriminierte Dateien im Rahmen der Auswertung der Daten zwingend zu erwarten wären. Dabei hat die Kammer nicht unberücksichtigt gelassen, dass – sollte sich der Verdacht erhärten und die kinderpornografische Datei auf einem der Datenträger gespeichert sein – die Ermittlungsbehörden durch die Rückgabe der Gegenstände erneuten Besitz des Beschwerdeführers an der inkriminierten Datei begründen und damit eine erneute Strafbarkeit auslösen könnten. Die Tatsache, dass die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände einerseits die Auswertung noch nicht gesicherter Dateien unmöglich machen könnte und andererseits eine erneute Strafbarkeit auslösen könnte, ist im Vergleich zu den nunmehr über ein Jahr andauernden Eingriff in die Eigentumsrechte des Beschwerdeführers ein hinzunehmender Nachteil.“

Durchsuchung II: Gültigkeitsdauer der Anordnung, oder: Weniger als 6 Monate nur in Ausnahmefällen

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Als zweite Entscheidung habe ich dann hier den LG Potsdam, Beschl. v. 29.01.2025 – 23 Qs 1/25. Er verhält sich zur Ungültigkeit einer Durchsuchungsanordnung durch Zeitablauf, der sich wie folgt gestaltet hat: Die Durchsuchungsanordnung stammt vom 10.11.2023, durchsucht wird dann am 19.03.2024. Der Beschuldigte macht mit seiner Beschwerde/seinem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit geltend, dass der Durchsuchungsbeschluss wegen des Ablaufs eines Zeitraums von über vier Monaten seit seinem Erlass seine rechtfertigende Wirkung verloren hatte; dies sei in der Regel nach einem Monat der Fall.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Zur „Gültigkeitsdauer“ führt das LG recht umfangreich aus:

„Entgegen dem Vorbringen des Verteidigers des Beschuldigten stellt die Anordnung mit Beschluss vom 10.11.2023 eine wirksame Grundlage für die Durchsuchung am 19.03.2023 dar; die Wirksamkeit ist durch den Zeitablauf zwischen Anordnung und Vollzug – von etwas über vier Monaten – nicht entfallen.

aa) Zunächst ist im Hinblick auf Wortlaut und Systematik des Gesetzes festzustellen, dass der Gesetzgeber für die richterliche Anordnung von Durchsuchungen keine Gültigkeitsdauer vorgesehen hat, anders als für die richterliche Anordnung anderer Ermittlungsmaßnahmen, wie insbesondere in § 100e Abs. 2, S. 4 i.V.m. §§ 100b, 100c StPO (einen Monat); § 163d Abs. 3 S. 4 StPO (drei Monate) oder auch – weitaus häufiger – für (vorläufige) Anordnungen durch die Staatsanwaltschaft (und ggf. ihre Ermittlungspersonen bzw. Beamte des Polizeidienstes).

Den zuständigen Behörden steht daher grundsätzlich ein weiter Spielraum bei der Entscheidung über den Zeitpunkt der Durchsuchung zu. Dieser ist auch aus teleologischen Gründen geboten. Dies gewährleistet nicht nur, dass kriminaltaktische Erwägungen bei der Entscheidung über den Vollzugszeitpunkt einfließen können, vielmehr wird hierdurch auch gewährleistet, dass eine gewissenhafte Vorbereitung und Personalplanung von (Durchsuchungs-)Maßnahmen möglich ist, insbesondere bei konzertierten Maßnahmen an verschiedenen Orten; dies gilt auch im Hinblick auf Abstimmungs- und Planungsbedarf mit anderen Behörden und Dienststellen, ein sog. „Action Day“ kann daher im Grundsatz flexibel bestimmt werden. Hinzu tritt, mit besonderer Bedeutung, dass Strafverfolgungsbehörden die Priorisierung des Einsatzes von (Human-)Ressourcen bestimmen können müssen, sodass Maßnahmen, die besonders drängend sind, vorgezogen werden können. Dies gebieten ferner auch verfassungsrechtliche Wertungen, da die Verzögerung bestimmter eilbedürftiger polizeilicher Amtshandlungen zwangsläufig mit der Fortdauer oder Vertiefung der Grundrechtsbeschränkungen von Beschuldigten einhergeht – wie etwa im Falle von Untersuchungshaft von Beschuldigten bezüglich der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG). Insofern lassen das einfache Recht und auch Art. 13 Abs. 2 GG es – auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – grundsätzlich zu, von dem Vollzug einer Durchsuchungsanordnung vorläufig abzusehen (BVerfG NJW 1997, 2165, 2166).

bb) Der demnach weite Beurteilungsspielraum gilt aufgrund teleologischer und verfassungsrechtlicher Wertungen jedoch nicht völlig uneingeschränkt.

Denn Grundlage der richterlichen Entscheidung – die dem Richter als unabhängige und neutrale Instanz insbesondere überantwortet ist, damit dieser die (grundrechtlichen) Interessen der von der Durchsuchung Betroffenen gebührend berücksichtigt und schützt – ist naturgemäß die Sachlage nach dem Stand der Ermittlungen im Zeitpunkt der Beschlussfassung, die sich im Laufe der Zeit verändern kann, wodurch die Voraussetzungen der Durchsuchung zu einem späteren Zeitpunkt entfallen sein könnten.

Eine Durchsuchung kann vor diesem Hintergrund nicht mehr auf einen Durchsuchungsbeschluss gestützt werden, wenn die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt der Durchsuchung die Kenntnis, konkrete Anhaltspunkte oder die begründete Erwartung haben, dass die Anordnungsvoraussetzungen zwischenzeitlich entfallen sind/werden, etwa durch das Auftauchen entlastender Beweismittel, aufgekommener Zweifel am Tatverdacht (Gercke in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2023, § 105 StPO, Rn. 67) oder zwischenzeitlich eingetretener Verjährung.

Der Vollzug eines Durchsuchungsbeschlusses kann im Übrigen auch dann rechtswidrig sein, wenn sachfremde oder gar missbräuchliche Gründe der Entscheidung über den verzögerten Vollzug zugrunde liegen, etwa in dem Fall, dass – kriminaltaktisch nicht geboten – erst während der urlaubsbedingten Abwesenheit des Betroffenen durchsucht werden soll oder bei Betroffenheit eines Politikers eine bevorstehende Wahlentscheidung beeinflusst werden soll.

cc) Aber auch abseits dieser Sonderkonstellationen kann nicht ausgeschlossen werden, dass es aufgrund Zeitablaufs zu einer wesentlichen Veränderung der Ermittlungslage kommt. Auch soll vermieden werden, dass „der Staatsanwalt sich eine Durchsuchungsanordnung gewissermaßen auf Vorrat besorgt oder diese doch vorrätig hält“ (BVerfG NJW 1997, 2165, 2166). Das BVerfG hat daher entschieden, dass eine Durchsuchungsanordnung nach dem Ablauf von spätestens sechs Monaten seine Gültigkeit verliert.

(1) Vor dem Hintergrund des weiten Beurteilungsspielraums, wie er aus dem Wortlaut, der Gesetzessystematik und der Interessenlage folgt – wie vorstehend unter aa) skizziert und abseits von Sonderkonstellationen, wie unter bb) –, kann die Ungültigkeit einer richterlichen Durchsuchungsanordnung unterhalb dieser sechsmonatigen Schwelle wegen bloßen Zeitablaufs nur sehr eingeschränkt angenommen werden.

Dem entspricht auch die gerichtliche Praxis. So wurde in den veröffentlichten Entscheidungen – soweit ersichtlich – Rechtswidrigkeit bisher nur angenommen, wenn die Sechs-Monats-Frist um wenige Tage unterschritten wurde (LG Braunschweig StraFo 2007, 288 [zwei Tage]; LG Kiel StraFo 2023, 138 [ein Tag]). Weitergehende Verkürzungen der Geltungsdauer von richterlichen Durchsuchungsanordnungen hat auch der Gesetzgeber (bisher) nicht für notwendig erachtet – dies zeigt der vergleichende Blick auf § 163d Abs. 3 S. 4 StPO, der eine ebensolche Geltungsdauer für richterlich angeordnete Maßnahmen – konkret: von drei Monaten – vorsieht. In eine solche Richtung mag auch die (neuere) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deuten; so hat es im Falle des Vollzugs von Durchsuchungsbeschlüssen auch bei der Überschreitung der absoluten Geltungsdauer – konkret: acht Monate nach deren Anordnung – zwar die Rechtswidrigkeit festgestellt, ein verfassungsrechtlich gebotenes Beweisverwertungsverbot hingegen mit der Begründung abgelehnt, dass die Überschreitung unerheblich sei (BVerfG, Beschl. vom 16.03.2006 – 2 BvR 954/02, Rn. 28 – juris). Im Übrigen ist zu konstatieren, dass seit der maßgebenden bundesverfassungsrechtlichen Entscheidung (BVerfG NJW 1997, 2165, 2166) – vor über 27 Jahren – die Komplexität von (insbesondere wirtschaftsstrafrechtlichen) Straf- und Ermittlungsverfahren in nicht unerheblichem Maße zugenommen hat, sodass es im Allgemeinen bedenkenswert erscheint, die starre Sechs-Monats-Grenze zu verlängern oder zu flexibilisieren.

(2) Nach Auffassung der Kammer kommt die Ungültigkeit einer Durchsuchungsanordnung durch Zeitablauf – abseits von Sonderkonstellationen, wie vorstehend unter bb) – daher grundsätzlich allenfalls bei einem Unterschreiten der Sechs-Monats-Frist um wenige Wochen in Betracht.

Innerhalb dieses Rahmens gilt es zum einen zu beachten, inwieweit die Ermittlungslage im Anordnungszeitpunkt volatil und ein (teilweiser) Wegfall der Voraussetzungen mit Zeitablauf abstrakt wahrscheinlich erscheint. Bei dieser Bewertung dürfte regelmäßig auch eine Rolle spielen, wie deutlich – oder knapp – die Voraussetzungen (Anfangsverdacht, Auffindevermutung und Verhältnismäßigkeit) im Anordnungszeitpunkt vorlagen. Zum anderen sind die Umstände und die Komplexität der Ermittlungen und der damit verbundene Bedarf an Vollzugsvorbereitungen zu berücksichtigen, wobei insbesondere die Anzahl der Beschuldigten, Art und Umfang der gesuchten Beweismittel und die sonstigen Besonderheiten des Falles (BVerfG NJW 1997, 2165, 2166) sowie Anzahl und Größe der zu durchsuchenden Objekte zu berücksichtigen sind.

cc) Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, ist der Vollzug der Durchsuchung vier Monate und neun Tage nach Erlass des Durchsuchungsbeschlusses als rechtmäßig anzusehen.

(1) Zunächst liegt keine Sonderkonstellation vor, die die Rechtswidrigkeit des Vollzugs aufgrund des (späten) Vollzugszeitpunkts begründet.

Es konnte im Zeitpunkt der Anordnung nicht erwartet werden, dass die Anordnungsvoraussetzungen innerhalb von Wochen oder wenigen Monaten entfallen. Auch ist nicht ersichtlich, dass vor der Durchsuchung Erkenntnisse aufkamen, die auf einen Wegfall der Anordnungsvoraussetzungen hindeuteten. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Auffindevermutung, da weiterhin zu vermuten war, dass sich digital oder in Papierform Hinweise auf den Umgang mit der Kundenliste – auch im Wohnbereich – finden könnten.

Im Übrigen gab es auch keine Hinweise dafür, dass die Wahl des Vollzugszeitpunkts durch die Polizeibehörde auf sachfremden Gründen beruhte oder auch, dass die Durchsuchung „auf Frist“ gelegt wurde (LG Braunschweig StraFo 2007, 288).

(2) Nach der dargelegten Auffassung – die aus Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck bzw. der Interessenlage, auch unter Berücksichtigung der bekannten Rechtsprechung schöpft – ist den Strafverfolgungsbehörden bezüglich der Wahl des Vollzugszeitpunkts im Übrigen ein weiter Beurteilungsspielraum zuzuerkennen, der dazu führt, dass ein Durchsuchungsbeschluss seine rechtfertigende Wirkung frühestens dann verlieren kann, wenn er die Sechs-Monats-Ablaufrist um wenige Wochen unterschreitet. Es kann dahinstehen, ob ein solcher Verlust bei einem Ablauf von vier Monaten und neun Tagen seit Beschlussfassung – wie hier – im Allgemeinen bereits in Betracht kommt, wenn keine (vor allem der vorgenannten) Sonderkonstellationen vorliegt. Jedenfalls unter Berücksichtigung der maßgeblichen Kriterien liegt es aus Sicht der Kammer vorliegend auf der Hand, dass der beschwerdegegenständliche Durchsuchungsbeschluss seine rechtfertigende Wirkung im Zeitpunkt der Durchsuchung nicht verloren hatte.

Dies beruht zunächst darauf, dass es sich um keinen besonders volatilen Sachverhalt handelte, bei dem eine wesentliche Veränderung der Ermittlungslage mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Den Umständen nach drängte es sich nicht auf, dass Anfangsverdacht, Auffindevermutung oder Verhältnismäßigkeit zwischenzeitlich entfallen sind, die Voraussetzungen lagen im Anordnungszeitpunkt insbesondere nicht im Grenzbereich.

Auch kann von keiner geringen Komplexität der Ermittlungen ausgegangen werden. Vorliegend richtet sich das Verfahren gegen drei Beschuldigte, es wurde in vier Durchsuchungsräumlichkeiten durchsucht, die sich an drei verschiedenen geographischen Orten befanden, teils über die brandenburgischen Landesgrenzen hinweg. Die Maßnahmen mussten dabei konzertiert erfolgen und haben im größeren Umfang Personal gebunden. Sie gingen daher mit einem nicht unerheblichen Planungs- und Vorbereitungsaufwand seitens der Polizeibehörden einher. Dass der Umfang der gesuchten Gegenstände – namentlich: verfahrensbedeutsame Gegenstände, insbesondere die Kunden- und Zulieferliste der C. GmbH – überschaubar war, fällt dabei nicht erheblich aufwandsmindernd ins Gewicht.

(3) Damit hat der Beschluss vom 10.11.2023 durch den Zeitablauf bis zu seinem Vollzug am 19.03.2024 seine rechtfertigende Wirkung nicht verloren, vielmehr war er wirksame Grundlage der Durchsuchung.“

Zu frühe Sechs-Monats-Haftprüfung beim OLG, oder: Begriff derselben Tat und „neue“ Vorwürfe

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Auf geht es in die 4. KW/2025, und zwar mit zwei Haftentscheidungen. Nichts Besonderes und nichts Neues, sondern nur „alte“ Probleme/Aussagen der entscheidenden OLG.

Zunächst stelle ich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 05.12.2024 – 2 Ws 153/24 (S) – vor. Ergangen ist er im Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO. Das OLG äußert sich (noch einmal) zum Begriff derselben Tat, der ja für die Frage der Berechnung der Sechs-Monats-Frist von Bedeutung ist:

„Eine Entscheidung durch den Senat ist derzeit nicht veranlasst. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 15. November 2024 das Folgende ausgeführt:

„I.

Im Übrigen handelt es sich um andere Taten im Sinne des § 121 StPO, als die wegen der der Beschuldigte ursprünglich inhaftiert wurde. Der nun vollstreckte Haftbefehl betrifft nicht mehr dieselbe Tat wie der ursprüngliche Haftbefehl (siehe hierzu BGH NStZ-RR 2023, 349 m.w.Nachw.). Der Begriff derselben Tat im Sinne des § 121 StPO weicht vom prozessualen Tatbegriff im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO ab und ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Er erfasst alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt geworden sind und in einen bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind (vgl. BGH Beschl. v. 02.06.2021 – AK 33/21, BeckRS 2021, 15386 Rn. 6 m.w.Nachw.). Dadurch wird eine sogenannte Reservehaltung von Tatvorwürfen vermieden, die darin bestünde, dass von Anfang an bekannte oder im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordene Taten zunächst zurückgehalten und erst kurz vor Ablauf der Sechsmonatsfrist zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, eine neue Sechsmonatsfrist zu eröffnen. Somit löst es keine neue Haftprüfungsfrist gemäß § 121 Abs. 1 StPO aus, wenn ein neuer Haftbefehl lediglich auf Tatvorwürfe gestützt bzw. durch sie erweitert wird, die schon bei Erlass des ersten Haftbefehls – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt waren. Tragen dagegen die erst im laufe der Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt (BGH, Beschluss vom 20. September 2023 – AK 54/23 -, Rn. 8, juris m. w. Nachw.). So liegt es hier jedenfalls bezüglicher der Taten Nr. 6, 8, 9, 12-17, 19-20 und 22-23 des Haftbefehls vom 5. November 2024.

…..

Für den Beginn der neuen Sechsmonatsfrist gemäß §§ 121, 122 StPO bezüglich dieser Taten ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem sich der Verdacht hinsichtlich der neuen Tatvorwürfe zu einem dringenden verdichtet hat. Entscheidend ist mithin, wann der neue bzw. erweiterte Haftbefehl hätte erlassen werden können (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 16. Mai 2018 – 1 Ws 149/18 H -, Rn. 8), nicht hingegen, wann die Staatsanwaltschaft ihn erwirkt hat. Dabei ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2023 – AK 54/23 -, Rn. 8), insbesondere der Tag nach der Vernehmung des Zeugen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 25. März 2019 – 2 Ws 39 – 42/19 -, Rn. 8, juris).

1. Eine neue Sechsmonatsfrist läuft daher ab den 20. Juni 2024 jedenfalls im Hinblick auf die erst und nur durch Vernehmung der Zeugin … (Name 02) am 19. Juni 2024 (Bd. 111 BI. 466 ff. der Akte) ermittelten haftbefehlsgegenständlichen Vorwürfe schweren sexuellen Missbrauchs gemäß § 176c StGB (Bd. IV BI. 832 der Akte), nämlich zwei Fälle des Vollzugs des Geschlechtsverkehrs an ihr durch den Beschuldigten in einem Auto im Wald (Tat Nr. 22 und 23). Diese tragen aufgrund der Tatschwere (§ 176a Abs. 2 StGB a. F. bzw. § 176c StGB) und der Gesamtschau der geschilderten Beweislage gegen den Beschuldigten und die Mitbeschuldigten allein den Vollzug des Haftbefehls. Bezüglich dieser Taten läuft die Sechsmonatsfrist daher erst am 20. Dezember 2024 ab.

2. Eine neue Sechsmonatsfrist läuft zudem bezüglich der übrigen zum Gegenstand des erweiterten Haftbefehls gemachten Vorwürfe schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, die gegen den Beschuldigten erst erhoben werden konnten, nachdem er auf Foto- und Videoaufnahmen des Missbrauchs identifiziert werden konnte. Diese Aufnahmen befanden sich auf den am 21.Mai 2024 sichergestellten Datenträgern und gelangten erst durch Auswertungsbericht vom 25. September 2024 zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden. Es handelt sich dabei um Tat 6 (Nr. 12 auf BI. 47 des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326), Tat 8 (Nr. 7 BI. 181 f. des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326), Tat 13 (Nr. 8 BI. 38 des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326), Tat 14 (Nr. 7 BI. 37 des Sonderhefts Gutachten P- 2024-0326), Tat 15 (Nr. 6 BI. 36 des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326), Tat 16 (Nr. 3 BI. 34 des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326), Tat 17 (Nr. 2 BI. 34 des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326), Tat 19 (Nr. 11 BI. 39 des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326) und Tat 20 (Nr. 12 BI. 39 des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326) des Haftbefehls. Dabei kann es aufgrund der geschilderten Maßstäbe für den Beginn einer neuen Sechsmonatsfrist nicht allein auf den Tag nach der Vorlage des Auswertungsberichts am 25. September 2024 ankommen (BI. 1 ff. des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326), da ansonsten die Ermittlungsbehörden willkürlich durch verzögerte Auswertung von Datenträgern Haftbefehle „auf Reserve“ generieren könnten. Für den Beginn einer neuen Sechsmonatsfrist ist im Falle von Taten, denen der Beschuldigte erst durch Auswertung von Datenträgern dringend verdächtig ist und die zum Gegenstand eines (erweiterten) Haftbefehls gemacht werden, entscheidend, wann frühestens mit der Auswertung der Datenträger zu rechnen wäre (vgl. OLG Jena Beschl. v. 16.11.201 O – 1 Ws 446/10 (32), BeckRS 2011, 15235) und sodann der Tag nach der Vorlage der Auswertung maßgeblich (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2023 – AK 54/23 -, Rn. 24, juris). Vorliegend wurden die am 21. Mai 2024 sichergestellten Datenträger am 12. Juni 2024 dem externen IT-Forensiker überreicht und der Auftrag am 24. Juni 2024 erteilt (BI. 1 ff. des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326, siehe Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 31. Mai 2024, Bd. II BI. 314 der Akte).

Dieser Zeitraum hätte unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen und der möglichen Vorbereitung der Auswahl der Stelle, die die Auswertung der sichergestellten Datenträger vornehmen soll, auf eine Woche nach Ablauf des Tages des Erlasses und der Vollstreckung des ursprünglichen Haftbefehls am 22. Mai 2024 verkürzt werden können, indem der Auftrag am 30. Mai 2024 erteilt worden wäre. Die Auswertung selbst dauerte vom 24. Juni 2024 bis 25. September 2024, wobei nicht ersichtlich ist, dass die Auswertung in kürzerer Zeit möglich gewesen wäre. Die im Zuge der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten am 21. Mai 2024 als Beweismittel sichergestellten über zwei Dutzend Datenträger (BI. 7 des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326) konnten trotz kostspieliger Beauftragung eines externen Gutachters (Bd. IV BI. 865 der Akte) erst am 23. Juli 2024 (BI. 1 ff. des Sonderheftes „vorläufige Auswertung“) und 5. September 2024 vorläufig ausgewertet werden und enthielten ca. 10.000 Dateien mutmaßlich kinderpornographischen Materials und Videoaufnahmen mutmaßlich schweren sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigungen der Zeuginnen … (Name 02) sowie der … (Name 01) durch den Beschuldigten und die Mitbeschuldigten … (Name 03) und … (Name 04) (Bd. IV BI. 832 der Akte). Die Auswertung nahm 252 Arbeitsstunden in Anspruch (ca. 84 Stunden pro Monat, Bd. IV BI. 865 der Akte). In der obergerichtlichen Rechtsprechung sind zur Berechnung neuer Sechsmonatsfristen Zeiträume von über drei Monaten von der Sicherstellung bis zur Auswertung von Datenträgern anerkannt (vgl. OLG Jena Beschl. v. 16.11.2010 – 1 Ws 446/10 (32), BeckRS 2011, 15235; BGH, Beschluss vom 20. September 2023 -AK 54/23 -, Rn. 24, juris). Das ohne erkennbaren Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz erstellte Gutachten über die forensische Auswertung der Datenträger vom 25. September 2024 fasst die Ergebnisse dahingehend zusammen, dass 2.728 Bilder und 71 Videos jugend- und kinderpornographischen Inhalts festgestellt werden konnten, die zu einem wesentlichen Anteil den schweren sexuellen Missbrauch der Geschädigten … (Name 02) und … (Name 01) zeigen würden (BI. 1 ff., 31 ff. des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326) und jedenfalls die Taten Nr. 6, 8, 13, 14, 15, 16, 17, 19, 20 des Haftbefehls belegen, die sich ausschließlich aus dem Auswertebericht vom 25. September 2024 ergeben (BI. 31-50 des Sonderhefts Gutachten P-2024-0326).

Mit Ausnahme der geschilderten Verzögerung von drei Wochen und vier Tagen hätten diese Taten, derer der Beschuldigte erst aufgrund der Auswertung der Datenträger in der Gesamtschau der Ermittlungsergebnisse (siehe unter 11.) dringend verdächtig ist, nicht früher als am 26. September 2024 zum Gegenstand des erweiterten Haftbefehls gemacht werden können. Maßgeblicher Zeitpunkt der neuen Sechsmonatsfrist ist hiernach der Tag nach der Vorlage der Auswertung, der 26. September 2024, unter Abzug von drei Wochen und vier Tagen, die die Auswertung vermeidbar verzögert worden ist. Jedenfalls hinsichtlich der Taten Nr. 6, 8, 13, 14, 15, 16, 17, 19 und 20, die angesichts der geschilderten Beweislage und der Schwere der Vorwürfe den derzeit vollstreckten Haftbefehl gegen den Beschuldigten alleine tragen, begann die neue Sechsmonatsfrist mithin am 1. September 2024 und endet am 1. März 2025.“

Diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.“

Wenn man es zweimal gelesen hat, versteht man es 🙂 .

 

Netto-Reparaturkosten-Ersatz, oder. Sechs-Monats-Frist ist keine Fälligkeitsvoraussetzung

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Im LG Köln, Beschl. v.14.07.2017 – 11 S 444/16 – ging es um die Kostentragung nach Erledigung der Hauptsache (§ 91a ZPO). Die hat das LG der Beklagten auferlegt, denn – so auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung:

„Nach dem bisherigen Vorbringen der Parteien bestehen an der Berechtigung der Klageforderung in der Hauptsache keine Bedenken.

Ist der Reparaturaufwand — wie hier — höher als der Wiederbeschaffungsaufwand, jedoch niedriger als der Wiederbeschaffungswert (sog. 100%-Bereich), so kann der Geschädigte die Netto-Reparaturkosten ansetzen, wenn er den reparierten Gegenstand mindestens noch sechs Monate weiternutzt und ggf. verkehrssicher (teil)reparieren lässt (BGHZ 168, 43 Rn. 1 1 = NJW 2006, 2179; NJW 2008, 1941).

Die Sechs-Monats-Frist ist weder für die Fälligkeit maßgeblich noch stellt sie eine eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar. Sie ist vielmehr Indiz für ein bestehendes Integritätsinteresse und hat damit beweisrechtliche Bedeutung (BGHZ 178, 338 Rn. 14 = NJW 2009, 910). Durch den Ablauf der Sechs-Monats-Frist ist der Beweis geführt, dass das Integritätsinteresse des Klägers von Anfang an bestand, so dass die Kostentragung durch die Beklagte billigem Ermessen entspricht.

Der Geschädigte kann insbesondere nicht darauf verwiesen werden, Schadensersatzansprüche erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist geltend zu machen, da es sich bei der Sechs-Monats-Frist – wie ausgeführt – nicht um eine Fälligkeitsvoraussetzung handelt. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass es den Haftpflichtversicherer auch nicht unzumutbar belastet, wenn er bei sofortiger Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs das Solvenzrisiko hinsichtlich eines etwaigen Rückforderungsanspruchs trägt, sofern der Haftpflichtversicherer innerhalb der Sechs-Monats-Frist zahlt. Ob der Versicherer den Schadensersatzbetrag bezahle oder ob er sich verklagen lasse, müsse er aufgrund einer Bewertung der Umstände des jeweiligen Regulierungsfalls beurteilen (BGH, Beschluss vom 18. November 2008 -VI ZB 22/08 -, BGHZ 178, 338-346, Rn. 17 -juris).

Es entspricht ferner billigem Ermessen, auch die Kosten zweiter Instanz der Beklagten aufzuerlegen, weil der Kläger der Berufung bedurfte, um die ihn nach dem klageabweisenden erstinstanzlichen Urteil nachteilige Kostenfolge abzuwenden; der Rechtsgedanke des § 93 ZPO trägt insofern nicht.“